Diabetes und Schule – keine einfache Lösung

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Diabetes und Schule – keine einfache Lösung

Kinder mit Typ-1-Diabetes können heute schulisch gut mithalten – moderne Therapien machen es möglich. Doch trotz technischer Fortschritte wächst die Sorge um ihre Sicherheit in der Schule. Woran liegt das?

Zunächst die guten Nachrichten: Kinder mit Diabetes erreichen in der heutigen Zeit die gleichen Schulnoten wie stoffwechselgesunde Gleichaltrige. Das haben mehrere landesweite Studien verschiedener Forschungsteams in Dänemark, Schweden und Australien zeigen können.

Für Deutschland fehlen aus rechtlichen und bürokratischen Gründen entsprechende Daten. Kleinere regionale Studien weisen jedoch darauf hin, dass diese gute Nachricht auch für Kinder mit Diabetes in Deutschland gilt, die mit aktuellen Therapien und Technologien behandelt werden. Außerdem ist die Rate der gefürchteten schweren Hypoglykämien unter Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland kontinuierlich deutlich gesunken – nicht zuletzt durch die automatische Insulinabschaltung bei der Pumpentherapie oder der Nutzung von AID-Systemen. Auch hier können Eltern deutlich beruhigter sein als noch vor zehn Jahren.

Trotz positiver Entwicklung mehr Sorge

Trotz dieser guten Entwicklungen nimmt die Sorge um die Sicherheit von Kindern mit Diabetes in der Schule scheinbar deutlich zu. Während noch vor zehn Jahren eine besondere Begleitung von Kindern mit Diabetes eine Ausnahme war, ist es heute umgekehrt. Die Mehrheit der Eltern von Grundschülern wünscht eine persönliche Begleitung und einige Schulen fordern dies bereits ebenfalls. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft setzt sich für eine Gesundheitsfachkraft an jeder Schule ein; sie fordert eine Fachkraft pro 700 Schüler. Obwohl wir Kinder mit Diabetes so wie alle Kinder sehen und eine Außenseiterposition vermeiden wollen, scheint dies in der Schule besonders schwierig zu sein.

Vielfältige Gründe

Die neuen Technologien, vor allem CGM, haben unbestritten viele Vorteile, aber sie führen Eltern ständig vor Augen, wie unberechenbar die Glukoseschwankungen bei ihrem Kind manchmal sind. Zu hohe und zu niedrige Werte haben einen Aufforderungscharakter, dem sich gerade besorgte Eltern oft nicht entziehen können. Man möchte etwas tun, wenn es über die Followerfunktion einen Hochalarm gibt, obwohl es besser wäre, einfach abzuwarten, bis das injizierte Insulin wirkt.

Bei einem Hypo-Alarm vertraut man dem eigenen Kind nicht, dass es richtig reagiert, obwohl es das in Schulungen gelernt und geübt hat und Mitschüler gut informiert sind. Und wenn diese Eltern ihre Sorgen und Ängste an die Lehrkräfte herantragen, stoßen sie nicht immer auf Verständnis.

Denn auch engagierte Lehrer und Lehrerinnen sind heute mit zu großen Klassen überfordert, in denen viele Schüler besondere Bedürfnissen haben, z. B. Sprachprobleme, Verhaltensstörungen, chronische Krankheit oder eine unzureichende Versorgung in der Familie. So steht schnell die Forderung nach einer Schulbegleitung im Raum.

Dass dies nicht die Lösung aller Probleme ist, zeigen einige Bespiele: so wurden Kinder nach Hause geschickt, weil die Schulbegleitung erkrankt war oder es gab Begleiter, die den Anforderungen der Diabetestherapie ebenfalls nicht gewachsen waren. Und für Kinder bedeutet diese Begleitperson eine Sonderrolle in der Klasse. Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass Erstklässler mit Typ-1-Diabetes heute durch die modernen Therapien, die hohen Anforderungen an TiR und oft auch die Ganztagsschule mit Hortbetreuung überfordert und auf die Hilfe eines erfahrenen Erwachsenen angewiesen sind.

Empfehlungen der ISPAD 2022

Das Autorenteam dieser internationalen Empfehlungen (DOI: 10.1111/pedi.13432) weist zunächst darauf hin, dass Kinder und Jugendliche den größten Teil ihrer wachen Zeit des Tages in der Schule verbringen. Deshalb sollen sie dort ebenso gut wie Zuhause behandelt werden, also eine TiR > 70% erreichen. Dazu gehört ein individueller Therapieplan, der zwischen Eltern/Kind und Diabetesteam regelmäßig abgestimmt und mit der Schule besprochen werden soll. Weiterhin wird gefordert, dass Politik und Gesetzgebung dafür sorgen müssen, dass alle Kinder die Schule sicher besuchen können und eine optimale gesundheitliche Betreuung erhalten. Unabhängig vom Alter sollten danach alle Kinder und Jugendlichen bei ihrer Diabetesbehandlung möglichst von dazu autorisierten, gut geschulten Personen unterstützt werden. Aber auch alle anderen Lehrkräfte sollten über Notfallmaßnahmen informiert sein. Diese hohen Ziele werden bei weitem nicht in allen Ländern erreicht. Deshalb weisen die Autoren besonders auf die Verantwortung der (Schul-)Politik hin, sowie auf ein vertrauensvolles Miteinander von allen an der Versorgung von Kindern mit Diabetes Beteiligten.

Konzepte der Betreuung weltweit

Das Betreuungskonzept für Kinder mit Diabetes in Schweden gilt bis heute als richtungsweisend. Dort sind die Lehrkräfte für die Diabetesbehandlung verantwortlich, nachdem sie dazu ausführlich geschult und durch das Diabetesteam beraten worden sind. Dabei sind sie staatlich versichert. Dies gelingt bei kleinen Klassenstärken und wenigen anderen Herausforderungen der Lehrkräfte gut. Die Kinder werden auch bei Ausflügen und anderen Unternehmungen qualifiziert versorgt. Jedoch zeigt ein aktuelles Experiment bei der Anmeldung zu Schulen in Schweden, dass Kinder mit Diabetes besonders häufig abgelehnt werden.

In englischsprachigen Ländern hat sich eine sogenannte “School Nurse” etabliert, die für alle gesundheitlichen Belange der Kinder einer Schule verantwortlich ist. Die von der DDG geforderte Gesundheitsfachkraft orientiert sich an diesem Modell. Sie ist ebenfalls qualifiziert ausgebildet, ist jedoch bei akuten Fragen nicht in der Klasse oder bei Unternehmungen anwesend, sondern muss von den Kindern aktiv aufgesucht werden, beispielsweise bei Fragen der Insulindosierung bei Mahlzeiten oder vor Sport. Die Lehrkräfte werden die Kinder weiterhin unterstützen müssen.

Individuelle Schulbegleiter werden vor allem in Deutschland eingesetzt. Neben den oben genannten Vorteilen bei den jüngsten Schülern, müssen aber auch die Kosten für das Gesundheitssystem und die Herausforderungen bei der Selbständigkeit der Kinder bedacht werden. Frau Baptist (S. 20) schildert dazu eindrucksvoll, wie es ihrer Tochter Mia gelungen ist, jetzt wie alle anderen Kinder die Schule allein zu besuchen.

Viele Unterstützer sind nötig …

… damit Kinder mit Diabetes die Schule sicher besuchen können.

  • Es sollten Technologien und Therapiekonzepte entwickelt werden, die Kinder unabhängiger von erwachsenen Betreuern machen. Hier sind die Kreativität und das Verantwortungsbewusstsein der Hersteller gefordert.
  • Auf politischer Ebene müssen die Rechte aller Kinder auf einen sicheren Schulbesuch gesehen und entsprechend bei der Ausstattung der Schulen und Ausbildung der Lehrkräfte beachtet werden.
  • Diabetesteams sollten besonders darauf achten, ob eine “optimale Therapie und neueste Technologie” wirklich zum Alltag eines Kinders passt. Das sollte auch bei besonders hochgesteckten Therapiezielen bedacht werden, die den Alltag von Familien erheblich erschweren und eine hohe psychische Belastung darstellen können. Manchmal ist hier weniger mehr.
  • Eltern sollten ihre Sorgen wegen des Diabetes ihres Kindes überdenken und die Risiken realistisch sehen. Gerade Dinge, die man noch nie erlebt, aber in den Medien gehört hat, beispielsweise schwere Hypoglykämien, verursachen unberechtigt große Ängste. Lassen Sie sich hier von ihrem Diabetesteam beraten. Andererseits kann die Verantwortung für ein Kind mit Diabetes nicht ganz an andere Menschen abgegeben werden. Die Erreichbarkeit im Notfall sollte gegeben sein, ebenso ein vertrauensvoller Austausch mit den Lehrkräften.
  • Kinder mit Diabetes können altersgemäß auf sich achten, wenn sie dazu vorher gut geschult und im Alltag von den Eltern unterstützt wurden. Dazu gehört eine liebevolle, aber auch konsequente Erziehung, durch die Kinder Zuverlässigkeit und die Einhaltung von Regeln und Absprachen lernen. Denn auf lange Sicht muss jeder Mensch mit Diabetes in der Lage sein, z. B. ungünstige Nahrungsmittel abzulehnen, auf Hypo-Anzeichen zu achten und bei Technikproblemen richtig zu reagieren. Es hilft nicht, wenn ihnen in der Kindheit all diese Probleme aus dem Weg geräumt werden. Sie wachsen vielmehr daran, wenn sie es selbst – vielleicht mit etwas Hilfe – geschafft haben.

von Prof. Dr. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2023; 14 (2) Seite 12-13

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  • cesta postete ein Update vor 1 Tag, 8 Stunden

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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