Die Kinderdiabetologen-Tagung: Virtuell und weltweit

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Die Kinderdiabetologen-Tagung: Virtuell und weltweit

Vom 15. bis 17. Oktober fand die 46. Jahrestagung der Internationalen Kinderdiabetesgesellschaft ISPAD nicht wie geplant in Abu Dhabi statt, sondern so, wie es immer mehr üblich wird, virtuell auf dem Laptop zuhause. Insgesamt nahmen 1 275 Kinderdiabetes-Profis aus 125 Ländern teil. Neben beruhigenden Nachrichten zum Thema „COVID und Diabetes“ standen die Fortschritte in der Entwicklung der automatischen Insulindosierung im Zentrum der Tagung.

Nancy Elbarbary, Kinderdiabetologin aus Ägypten, berichtete über eine weltweite Umfrage zu COVID-19 in der Kinderdiabetologie, an der 215 Zentren in 75 Ländern teilnahmen. Insgesamt wurde über 61 Kinder und Jugendliche mit Diabetes berichtet, bei denen SARS-CoV2 nachgewiesen wurde. Der mittlere HbA1c lag bei 7,6 Prozent (Bereich 5,7 bis 13,0 Prozent), und der Krankheitsverlauf unterschied sich nicht von dem von Kindern ohne Diabetes.

Diese beruhigenden Ergebnisse bestätigen, dass eine COVID-19-Infektion im Kindesalter eine gute Prognose hat. Insofern hat sich also nichts an der Einschätzung geändert, dass Kinder mit Diabetes nicht zu den Risikokindern gehören und für sie hinsichtlich Schulbesuch und Freizeitaktivitäten während der COVID-Pandemie die gleichen Empfehlungen gelten wie für Kinder und Jugendliche ohne Diabetes.

Advanced Hybrid-Closed-Loop

Der diesjährige Gewinner der höchsten Auszeichnung der Kinderdiabetologen (ISPAD Prize of Achievement), Tadej Battelino aus Slowenien, stellte die FLAIR-Studie vor, bei der die auch in Deutschland erhältliche Hybrid-Closed-Loop- (HCL-) Pumpe Medtronic 670G mit einem Advanced Hybrid Closed Loop (AHCL) verglichen wurde. Alle Systeme erfordern allerdings weiterhin die manuelle Eingabe von Insulin zu den Mahlzeiten in das System durch den Patienten. Als wesentlichen Fortschritt gegenüber dem Vorgängermodell werden beim AHCL auch automatische Korrekturbolusgaben abgegeben, um die Glukose wieder in den Zielbereich zu bringen.

Insgesamt wurden 113 Studienteilnehmer in 7 Zentren aus den USA, Deutschland (Hannover), Israel und Slowenien im Alter von 14 bis 29 Jahren für 12 Wochen erst mit dem einen, dann mit dem anderen Closed-Loop-System behandelt. Eine klinisch relevante Verbesserung der Zeit im Zielbereich von 5 Prozent oder mehr vom Ausgangswert erreichten 53 Prozent mit dem HCL und immerhin 65 Prozent der Studienteilnehmer mit AHCL.

Eine europäische CE-Markierung als Voraussetzung für eine Markteinführung in Deutschland liegt für das AHCL seit Juni 2020 vor. Während das AHCL in unseren Nachbarländern bereits seit einigen Wochen erhältlich ist, laufen in Deutschland die Verhandlungen mit den Behörden und Kostenträgern noch, und ein Datum, wann dieses System erhältlich sein wird, ist noch nicht absehbar.

Die Freelife-KID-AP-Studie

Eric Renard (Frankreich) stellte eine Studie mit einer Kombination der Pumpe Tandem t:slim X2 mit einem Dexcom G6-Sensor vor, wobei im Gegensatz zu dem in Deutschland erhältlichen Basal IQ-Algorithmus (Abschaltung der Basalrate bei zu niedrigen Werten) die Control IQ-Steuerung (HCL mit sensorbezogener Änderung der Basalrate nach oben oder unten) bei 6- bis 12-jährigen Kindern untersucht wurde. Eine amerikanische Studie in der Altersgruppe über 14 Jahre mit dem Control IQ-System war Ende 2019 veröffentlicht worden und hatte gegenüber herkömmlicher sensorunterstützter Pumpentherapie eine Verbesserung von 11 Prozent mehr Zeit im Zielbereich gezeigt.

In der jungen Altersgruppe verglich Renard den Einsatz dieses Systems nur für Abendessen und Nacht mit der Anwendung über die ganzen 24 Stunden. Die Sicherheit des Systems zeigte sich auch in der jungen Altersgruppe bei ganztägigen Einsatz, der noch mal 5 Prozent mehr Zeit im Zielbereich ergab gegenüber der überwiegend nächtlichen Anwendung. Auch der Control IQ-Algorithmus ist bereits in den USA und mehreren europäischen Ländern erhältlich. Eine Markteinführung in Deutschland ist für 2021 geplant, aber ein Datum ist genau wie beim AHCL zurzeit nicht absehbar.

Hybrid-Closed-Loop & Patchpumpe

Greg Forlenza (USA) stellte die ersten Ergebnisse des Omnipod Horizon vor, bei dem sich ein HCL-Steuerungsmodul direkt auf der Patchpumpe befindet, so dass die Pumpenautomatik auch außerhalb der Reichweite der handyartigen Fernbedienung funktioniert. Bei diesem System wird auch der Dexcom-Glukosesensor verwendet, und es lassen sich fünf verschiedene Glukose-Zielwerte frei wählen (von 110 bis 150 mg/dl bzw. 6,1 bis 8,3 mmol/l), die dann jeweils zu einer stärkeren Korrektur mit Insulinabgabe oder mehr Sicherheit vor Unterzuckerungen (z. B. beim Sport) führen.

Untersucht wurde eine Kindergruppe von 6 bis 13 und eine ältere Gruppe von 14 bis 70 Jahren. Auch hier ergab sich eine deutliche Verbesserung der Zeit im Zielbereich, die bei Wahl eines Zielwerts von 110 mg/dl mehr als 71 Prozent betrug, aber auch mit etwas mehr Werten unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) verbunden war. Bemerkenswert war die hohe Zufriedenheit mit der Benutzerfreundlichkeit des Systems, die mit einer standardisierten Skala gemessen wurde.

Diabeloop – HCL aus Frankreich

Eine französische Arbeitsgruppe hat eine bereits europäisch zugelassene Steuerung entwickelt, die sowohl Lebensstil, individuelle Bedürfnisse und psychische Belastungen berücksichtigen soll. Das Steuerungsgerät DBLG1 für eine Patchpumpe (vorgesehen ist die niederländische Kaleido-Pumpe) und einen Dexcom-Glukosesensor funktioniert auch wie ein Hybrid-Closed-Loop, allerdings soll die Korrektur es möglich machen, dass auch eine gelegentlich fehlende Mahlzeiteneingabe kein Problem darstellt.

Zusätzlich unterstützt wird das Ganze durch YourLoops, eine Web-Plattform zur Datenvisualisierung. Anfang nächsten Jahres beginnt dazu eine klinische Studie mit 50 Teenagern in 3 Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich) mit dem Ziel, die Effektivität der Funktion „Management unangekündigter Mahlzeiten” zu testen. Diese Funktion könnte für Teenager nützlich sein, um z. B. während der Schulzeit Diskretion zu gewährleisten.

Das Tide-Pool-Projekt

Howard Look, Geschäftsführer der Tidepool-Initiative aus dem Silicon Valley/USA, stellte einen provokativen Ansatz vor, nämlich den Versuch, die schnelle Entwicklung und Innovation aus der Do-it-Yourself- („Looper“-) Community mit regulatorischer Aufsicht und Zulassung wie bei kommerziellen Systemen zu kombinieren. Nachdem bei seiner Tochter Katie 2011 Typ-1-Diabetes diagnostiziert worden war, wechselte der IT-Spezialist Look (Pixar, Amazon) zu Tidepool.

Auf der Basis des für alle im Internet zugänglichen („open source“) und in der „Looper“-Szene sehr beliebten Programms DIY Loop, das mit einem behördlich nicht genehmigten Riley Link die Steuerung von älteren Medtronic-Pumpen und Omnipods übernehmen kann, entwickelte Tidepool das interoperable System Tidepool Loop. Alle Pumpen und CGM-Systeme mit Bluetooth-Verbindung sollen so mit einer App zu einem Closed-Loop-System kombiniert werden.

Tidepool Loop soll nach behördlicher Genehmigung unkompliziert aus dem App-Store heruntergeladen werden können. Howard Look deutete im Vortrag an, dass die Einreichung bei der US-Regulationsbehörde FDA kurz bevorsteht.

Insgesamt hatte man am Ende der Tagung den Eindruck, dass der Fortschritt in der Diabetestechnologie noch einmal erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Damit diese Systeme auch in Deutschland für Patienten verfügbar werden können, sind aber noch viele Gespräche mit den Entscheidern im Gesundheitswesen nötig.


Autor:

Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Diabetologie, Endokrinologie und Allgemeine Pädiatrie sowie klinische Forschung
Kinderkrankenhaus auf der Bult
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover
E-Mail: danne@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2020; 12 (4) Seite 6-7

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  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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