- Eltern und Kind
Eine Ketoazidose ist lebensgefährlich!
4 Minuten
Zwei Todesfälle von Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes haben in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erregt. Was genau passiert ist, wird zumindest im Fall der 13-jährigen Emily noch untersucht, und es wäre falsch, sich an Spekulationen zu beteiligen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass in beiden Fällen eine Ketoazidose die Todesursache war.
Die 13-jährige Emily ist auf einer Klassenfahrt nach London gestorben. Mitschüler erheben laut des vom Vater beauftragten Anwalts Vorwürfe, dass die Lehrer nicht rechtzeitig nach dem Mädchen geschaut haben, das über Übelkeit und Erbrechen klagte. Der 18-jährige Timo lebte allein und war nach Angaben des Vaters ein „Gamer“, hat exzessiv gespielt. Timos Vater berichtet im Internet, dass sein Sohn in Folge einer Überzuckerung tot aufgefunden worden sei.
Natürlich können wir keine Stellung zu Einzelheiten nehmen, aber es ist gut möglich, dass bei beiden Jugendlichen eine Ketoazidose die Todesursache war.
Klassenfahrt nach London: Was ist passiert?
Auf bild.de war zu lesen, dass rund zwei Monate nach dem Tod von Emily auf einer Klassenfahrt die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach gegen vier Beschuldigte ermittelt. Gegen die Aufsichtspersonen bestehe der Tatverdacht der fahrlässigen Tötung, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mitteilte. Mitschülerinnen sollen, so der Anwalt von Emilys Vater, geschildert haben, dass sich die 13-Jährige bereits bei Ankunft am Donnerstag übergeben habe.
Im Laufe der Nacht soll sich der Zustand des Mädchens verschlechtert haben. Am Samstagvormittag sei Emily so schwach gewesen, dass es sich nicht mehr selbst aufrichten konnte. Daraufhin sei ein Rettungswagen bestellt und das Kind in eine Klinik gebracht worden. Am Sonntagmorgen verstarb Emily nach einer Verlegung in die renommierte Klinik Great Ormond Street Hospital.
„Todesursache: Gaming“
Unter diesem Titel berichtet der Vater von Timo in den sozialen Medien über den Tod seines Sohnes. „Eingeschlafen vor dem PC Aufgrund von Überzuckerung“, steht schon im ersten Absatz der Schilderung. Der Vater möchte mit seiner Initiative „wachrütteln und über die Folgen von Computersucht aufklären insbesondere wenn eine Krankheit wie Diabetes im Spiel ist“.
Timos Vater weiter: „Heute gibt es immer mehr Menschen in allen Altersgruppen, die dem Computer verfallen sind ohne es zu bemerken. (…) Die meisten Kontakte gibt es nur noch in der virtuellen Welt. (…) Da mittlerweile die meisten Spiele online stattfinden gibt es keinen ̦Pausen-Knopf̓. Doch irgendwann meldet sich auch mal der Körper mit seinen Bedürfnissen, wie z. B. Hunger oder der Toilettengang. Doch diese Signale werden gerne ignoriert. ̦Ich mache nur noch schnell das Spiel zu Ende, dann komme ich zum Essen̓ sind gerne gesagte Sätze, die wohl viele Eltern kennen. Und eine Stunde später sitzt das Kind immer noch am PC und konnte sich nicht losreißen.“
Keine Zeit mehr für Diabetes
Aufgrund des Bildes, dass sich Timos Vater in der Wohnung seines Sohnes bot, schließt er, dass Timo „nebenbei unbewusst genascht“ hat, vor allem Chips und Eis, und es für ihn am wichtigsten war, ohne Pause weiterspielen zu können. Wahrscheinlich hat Timo darüber auch vergessen, regelmäßig zu messen und sich über seine Pumpe Insulin zu geben, meint der Vater.
Während das ungeregelte Essen „nur“ den Blutzucker in die Höhe treibt, löst die unzureichende Insulingabe letztendlich eine Ketoazidose (Übersäuerung des Blutes) aus. Menschen mit Diabetes, denen das passiert, sind irgendwann sogar zu schwach, auch nur einen Hilferuf abzusetzen. Timo wurde am 18. Oktober 2019 tot vor seinem PC gefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe er alleine gewohnt, berichtet Timos Vater, überall seien Chipstüten und Eisschalen verteilt gewesen.
Klassenfahrt: unsichere Lehrer, unsichere Eltern
Nun werden sich nach Emilys Tod in London und den Folgen manche Lehrer fragen, ob sie Kinder mit Diabetes noch auf Klassenfahrten mitnehmen sollten. Auch Eltern könnten Bedenken haben, ihren Kindern mit Diabetes die Teilnahme an Klassenfahrten und Freizeiten zu erlauben.
Aber genauso wenig, wie es sinnvoll erscheint, aufgrund von Timos schrecklichem Schicksal Kindern das Spielen an der Spielkonsole oder am PC grundsätzlich zu verbieten, sollte sicher immer alles versucht werden, um Kindern mit Diabetes die Teilnahme an allen schulischen Aktivitäten zu ermöglichen.
Denn gerade bei der Bewältigung einer chronischen Erkrankung sind positive Erlebnisse von außerordentlicher Bedeutung. Genau solch ein positives Erlebnis kann eine Klassenreise sein, denn sie bietet Jugendlichen einen geschützten Rahmen, in dem das selbständige Management des Diabetes geübt werden kann.
Die Ursache der Ketoazidose: Insulinmangel
Es ist ein Irrglaube, dass durch hohe Werte beim Naschen eine Ketoazidose ausgelöst werden kann. So lange bei einem hohen Wert ausreichend Insulin im Körper ist (erkennbar an normalen Blut- oder Urinketonen) besteht keine Gefahr.
Sowohl Emily wie auch Timo wurden mit einer Insulinpumpe behandelt. Gerade bei dieser Therapieform kann z. B. durch einen unbemerkten Katheterverschluss (siehe Beitrag von Prof. Bratina) schnell ein Insulinmangel auftreten. Wahrscheinlich als Ausdruck einer guten Schulung ist aber in Deutschland die Ketoazidoserate bei Pumpenträgern niedriger als bei Kindern mit Pentherapie.
Die meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes, die mit einer Ketoazidose im Krankenhaus landen, haben im entscheidenden Moment nicht daran gedacht, dass ihnen Insulin fehlen könnte. Die klassischen Zeichen – Übelkeit, Bauchschmerzen, trockener Mund, vertiefte Atmung – werden oft mit anderen Ursachen als Insulinmangel in Verbindung gebracht.
Streifen zur Messung von Urin- oder Blutketonwerten sind auch meistens vorhanden, aber im entscheidenden Moment wird die Ketonbestimmung nicht oder zu spät durchgeführt. Wenn erst einmal Erbrechen eingesetzt hat, ist meistens ein Krankenhausaufenthalt unvermeidlich. Denkt man aber bereits bei Übelkeit an die Ketonmessung und leitet bei erhöhten Ketonwerten die richtigen Schritte ein, lässt sich ein Krankenhausaufenthalt oft verhindern.
Schulung kann Leben retten
Als es darauf ankam, haben sowohl Emily als auch Timo aus unterschiedlichen Gründen wahrscheinlich nicht an eine Ketoazidose gedacht und nicht die richtigen Schritte eingeleitet: Keton und Glukose/Blutzucker messen, Korrekturinsulin (mit Pen oder Spritze, nicht mit der Pumpe!) geben, viel trinken, nicht alleine bleiben. Denn je früher eine Ketoazidose erkannt wird, umso besser.
Im Vergleich zu einer schweren Unterzuckerung ist eine Ketoazidose in weit größerem Maße eine lebensgefährliche Komplikation. Auch die Behandlung einer schweren Ketoazidose im Krankenhaus benötigt viel Erfahrung.
Hoffentlich bewirken die Diskussionen um den Tod von Emily und Timo, dass wir alle, Behandler wie Betroffene, der Schulung zur Vermeidung, Erkennung und Behandlung einer Ketoazidose in Zukunft noch größere Bedeutung beimessen. Ein Schema, das helfen kann, eine Ketoazidose zu vermeiden, finden Sie hier auf diabetes-online.de.
| von Prof. Dr. med. Thomas Danne |
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| Chefarzt Kinderkrankenhaus auf der Bult, Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover, E-Mail: danne@hka.de |
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2019; 11 (4) Seite 06-07
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen, 2 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 4 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike