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“The Human Trial” – Hype oder Hoffnung?
4 Minuten
In den USA läuft ein spannendes Projekt, nämlich eine Studie zur Transplantation insulinproduzierender Zellen. Der Clou: Die lebenslang nötige Unterdrückung des Immunsystems würde bei diesem Verfahren entfallen. Was ist davon zu halten?
Nie wieder Insulin spritzen? Das wünschen sich in Deutschland 400.000 Menschen mit Typ-1-Diabetes. Immer wieder werden Berichte in den Medien platziert, die große Hoffnungen schüren, dass eine “Heilung” durch die Verpflanzung von insulinproduzierenden Zellen kurz bevorsteht.
Seit März 2016 ist ein Trailer des Dokumentarfilms “The Human Trial” zur Einwerbung von Produktionskosten im Internet zu sehen, der vom ersten Versuch mit verkapselten Bauchspeicheldrüsen-Vorläuferzellen des US-Unternehmens ViaCyte an Menschen berichtet.
Trailer zu “The Human Trial”
Transplantation ist jetzt schon technisch möglich
Eine erfolgreiche Inselzell- oder Pankreastransplantation bei Patienten mit Typ-1-Diabetes kann bekanntlich auch in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt durchgeführt werden. Sie kommt aber nur für eine ganz kleine Gruppe von Patienten mit erheblichen Zusatzproblemen (z. B. wiederkehrende schwerste Unterzuckerungen ohne Erfolg mit anderen Behandlungsmöglichkeiten) in Frage.
Bei der Entscheidung für die Behandlung müssen die Risiken einer lebenslangen Immununterdrückung und des operativen Eingriffs gegen den potenziellen Nutzen (Vermeidung von Komplikationen des Diabetes) sorgfältig abgewogen werden. Selbst wenn die transplantierten Langerhans-Inseln langfristig funktionstüchtig bleiben, müssen die Patienten für den Rest ihres Lebens Medikamente einnehmen, die die Körperabwehr unterdrücken. Ein “völlig normales” Leben ohne regelmäßige Untersuchungen und Medikamente, wie manche Medienberichte es in Aussicht stellen, wäre also trotz erfolgreicher Transplantation nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht ausreichend Spenderorgane gibt.
Ein Beutel voll Zellen
Beide Probleme scheinen im Filmtrailer “The Human Trial” über die ersten Versuchen von ViaCyte am Menschen nun gelöst. Ende Oktober letzten Jahres wurden in Kalifornien im Labor erzeugte Vorstufen pankreatischer Betazellen aus embryonalen Stammzellen (Produktname: PEC-01™) einem Mann mit Typ-1-Diabetes aus San Diego in zwei wieder-entfernbaren Beuteln (“Encaptra® drug delivery”-System) durch zwei Einschnitte im Rücken eingepflanzt.
Dieser erste Schritt der klinischen Prüfung (Phase-1-Studie) hat nur zum Ziel, die Verträglichkeit und Sicherheit des Verfahrens zu testen und lässt noch keine Rückschlüsse zu, ob damit tatsächlich dauerhaft die richtige Menge Insulin produziert werden kann. Zwei weitere Patienten sollen inzwischen ebenfalls das System eingepflanzt bekommen haben.
Entsprechend der Erfahrungen aus dieser Vor-Studie soll dann das Vorgehen verbessert werden, um schließlich bei 36 Patienten die Effektivität des Prinzips zur Diabetesbehandlung zu erproben. Die Fertigstellung des Films ist für 2017 geplant – so lange wird es sicher dauern, bis sich abschätzen lässt, ob an den Hoffnungen von ViaCyte etwas dran ist, damit eine Insulinunabhängigkeit für Menschen mit Typ-1- (und Typ-2-!) Diabetes zu erreichen.
Mäuse wurden geheilt
Bislang sind nur bei Mäusen Ergebnisse erzielt worden, die darauf schließen lassen, dass sich diese Vorläuferzellen tatsächlich zu hormonproduzierenden Zellen weiterentwickeln, die in der Lage sind, wie bei einer gesunden Bauchspeicheldrüse durch eine geregelte Abgabe von Insulin, Glukagon und anderen Hormonen, den Blutzucker in den normalen Bereich zu bringen. Ein Problem war bisher, Vorläuferzellen (“Stammzellen”) in funktionierende insulinproduzierende Zellen zu verwandeln. Beim Ansatz von ViaCyte werden daher unreife Zellen eingepflanzt, in der Hoffnung, dass diese im Körper schließlich “ausreifen”.
Das zweite Problem, die Attacke der Typ-1-Diabetes-auslösenden Immun-/Abwehrzellen zu verhindern, wird durch die patentierte Hülle des Encaptra®-Beutels angegangen. Diese Hülle soll die Abwehrzellen von den insulinproduzierenden Zellen fernhalten, während jedoch Insulin und andere Hormone, die bei der Regulation des Blutzuckers eine Rolle spielen, aus dem Beutel in den Körper gelangen können.
Inselzellen brauchen Sauerstoff
Seit über 35 Jahren wird an diesem Prinzip gearbeitet, wobei allerdings der große Durchbruch bei einem Großtiermodell bisher ausgeblieben ist. Ungelöst ist bislang das Problem der Sauerstoffzufuhr der verkapselten Inselzellen. Zur Glukosemessung benötigt die Inselzelle für jedes Molekül Glukose sechs Sauerstoffmoleküle. Obwohl beim Menschen die insulinproduzierenden Langerhans-Zellen weniger als 1 % des Pankreas ausmachen, erhalten sie daher mehr als 10 % des Blutflusses als Sauerstoffquelle.
Verkapselte Inselzellen unter sauerstoffarmen Bedingungen können die Glukose nicht adäquat messen. Eine Verkapselung muss also drei Technologien zusammenbringen: eine implantierbare Oxygenierung, einen ausreichenden Gefäßanschluss, um Nahrung aufzunehmen und Insulin abzugeben, und die Möglichkeit, das Implantat wenn nötig wieder zu entfernen.
Tierexperimentelle Daten, die ViaCyte der US-Zulassungsbehörde vorlegte, um die Genehmigung für Versuche am Menschen zu erlangen, zeigten, dass die implantierten Zellen dies bei Mäusen erfüllten. Sie waren in der Lage Insulin, Glukagon (als Antwort auf zu niedrigen Blutzucker) und Somatostatin (ein den Blutzucker beeinflussendes Wachstumshormon) zu produzieren und damit erfolgreich den Blutzucker zu regulieren. Noch weiß man allerdings nicht, wie viele Zellen dafür beim Menschen implantiert werden müssen und wie häufig der Beutel erneuert werden muss.
Der Bio-Reaktor
Ein anderer Therapieansatz wird an der TU Dresden erprobt. Vor drei Jahren setzte das Team um Professor Bornstein erstmals einem Patienten mit Typ-1-Diabetes einen Bio-Reaktor mit Inselzellen ein. Geschützt durch eine Dose versorgten die Zellen den Patienten knapp ein Jahr lang mit Insulin.
Der Reaktor ist ebenfalls so konzipiert, dass er die Spenderzellen vor Angriffen des Immunsystems schützt, umgekehrt aber auch das Insulin in den Körper gelangen lässt. Die Dresdener sind sich sicher, dass dadurch auch eine Transplantation von Schweinezellen möglich wäre, so dass man ganz auf menschliche Spender oder modifizierte Stammzellen verzichten könnte. Bislang hält der Reaktor aber noch nicht lange genug.
Was ist realistisch?
In der Forschung tut sich vieles, so dass Diabetes-Teams ihre Patienten immer besser versorgen können. Dass ein erfolgreiches Studienergebnis noch keine Heilung bedeutet, ist natürlich jedem Wissenschaftler klar. Auf Patienten wirken Meldungen von solchen Erfolgen ganz anders, insbesondere, wenn die Medien, wie der Trailer zu “The Human Trial”, ihr Übriges dazutun.
Wahrscheinlich gilt auch für dieses Forschungsgebiet der Ausspruch des Microsoft-Gründers Bill Gates: “Wir überschätzen stets die Änderungen, die in den nächsten zwei Jahren eintreten werden, und unterschätzen, was in den nächsten zehn Jahren passieren wird.”
von Prof. Dr. med. Thomas Danne
Diabetes-Eltern-Journal-Chefredakteur, Kinderdiabetologe,
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult”, Hannover,
E-Mail: danne@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (2) Seite 4-5
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen, 2 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 4 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike