Theorie vs. Lebenserfahrung

2 Minuten

Community-Beitrag
Theorie vs. Lebenserfahrung

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie – und grün des Lebens gold‘ner Baum”, lässt Goethe seinen Mephisto im “Faust” sagen. Mephistos Aufforderung an einen Schüler, Lebenserfahrung über isoliertes theoretisches Wissen zu stellen, gilt auch für das Diabetesmanagement von Luca.

In medizinischen Fachgesprächen kommt das einstweilen zu kurz, wenn ausschließlich der HbA1c-Wert Maßstab ist, ob das Diabetesmanagement über einen längeren Zeitraum im Durchschnitt gut oder schlecht war. Eine Richtschnur bei einer chronischen Erkrankung wie Typ-1-Diabetes ist sehr wichtig, an der Jagd nach dem perfekten Wert sollten sich Betroffene und Diabetesteam aber nicht beteiligen. Denn: Ein als guter HbA1c deklarierter Wert lässt sich sehr leicht in der Kombination aus hohen und niedrigen Werten “erschleichen”.

Ein tägliches Auf und Ab, für das es nur manchmal Erklärungen gibt

Lucas letzter HbA1c-Wert war relativ gut, die Werte in den drei Monaten zuvor waren es nicht. Es ist ein tägliches Auf und Ab, für das es nur manchmal Erklärungen gibt. Hinzu kommen die Diskussionen zwischen unserem 13-jährigen Sohn und uns Eltern: Dass ein Blutzucker und Gewebezucker (Luca verwendet derzeit auch ein “Flash Glucose Monitoring”-System (FreeStyle Libre)) von rund 400 mg/dl (22,2 mmol/l) viel zu hoch ist, darüber waren wir uns jüngst alle einig.

Über die Korrektur gab es jedoch Meinungsverschiedenheiten: Um 19 Uhr kam Luca vom Fußballtraining. Er wollte nichts essen und sofort mit Insulin korrigieren, meine Frau und ich animierten ihn zur gemäßigten Korrektur, einer wenigstens kleinen Mahlzeit und dazu, für eine weitere Kontrolle etwas länger wach zu bleiben, um auf eine mögliche Unterzuckerung im Wachzustand reagieren zu können. Die Monate zuvor hatten uns gezeigt, dass das intensive Fußballtraining fast immer nachwirkt und der Blutzucker am späten Abend oder in der Nacht stark sinkt. Luca hörte auf uns.

Der HbA1c-Wert ist wichtig – aber im Alltag nicht das Maß aller Dinge

Am nächsten Morgen war er todmüde und schlecht gelaunt: Der Wert lag immer noch über 300 mg/dl (16,7 mmol/l), und auch in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr war ein Wert über 300 auf dem Display aufgeblinkt. “Beim nächsten Mal mache ich es wieder so, wie ich es für richtig halte, esse nichts und korrigiere den hohen Wert gleich”, schimpfte Luca beim Frühstück. Sprach‘s, korrigierte den erhöhten Wert, aß nichts und ging zur Schule, wo er sich im Laufe des Vormittags mit Werten zwischen 50 und 70 mg/dl (2,8 und 3,3 mmol/l) auseinandersetzen musste. Erst mehrere Traubenzucker und seine Pausenmahlzeit brachten Luca wieder auf ein gutes Level.

Wie sehr Diabetes- und Zeitmanagement z. B. an einem Schulvormittag konkurrieren können, belegt die Tatsache, dass Luca in dieser schwierigen Situation den Gewebezucker und den Blutzucker kontrollieren musste – die kontinuierliche Glukosemessung des Gewebezuckers sollte nur eine Ergänzung sein, nicht ein Ersatz. Außerdem musste er mehrfach den Unterrichtsraum wechseln. Dieses Beispiel zeigt, wie groß ab und an die Lücke zwischen medizinischer Theorie und alltäglicher Praxis und wie unsinnig dann eine Debatte über einen guten HbA1c-Wert ist.

Drucksituation vorab erkennen und früher gegensteuern

Gelingt es Luca wie bisher, den Langzeit-Blutzucker-Standard und seinen persönlichen Alltag in dem für ihn besten Maß zu kombinieren, wird er auch weiter seinen Diabetes nach bestem Wissen und Gewissen gut managen. Konsequenter sollte er allerdings “vorausschauend” seine Blutzuckerwerte kontrollieren, dann würde er manche Drucksituation, die auf ihn zukommt, vorab erkennen und er könnte früher gegensteuern.


von Michael Denkinger
Michael Denkinger (45) lebt mit seiner Familie in Memmingen und hat drei Kinder: Luca (12 Jahre), Angelina (15) und Timo (8). Er ist Inhaber der PR-Agentur Denkinger Kommunikation.

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (3) Seite 30

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Diagnose Typ-1-Diabetes: Das Leben neu sortiert

Diagnose Typ-1-Diabetes: Das Leben neu sortiert | Foto: privat

9 Minuten

Exzellent versorgt: tk pharma trade – Kompetenz für Menschen mit Diabetes

Seit über 30 Jahren ist tk pharma trade Partner für moderne Diabetesversorgung. Mit innovativen Lösungen, persönlicher Beratung und regionaler Nähe begleiten wir Menschen mit Diabetes zuverlässig – und setzen gleichzeitig auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Service-Innovationen.

2 Minuten

Anzeige

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

Verbände