Dr. Louisa van den Boom ärgert sich über Vorurteile und Ausgrenzungen gegenüber Kindern mit Diabetes. Lesen Sie ihren Blickwinkel.
Was läuft verkehrt?
Es macht mich wütend, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes nicht voll am sozialen Leben teilnehmen dürfen, nicht so aufwachsen können wie gleichaltrige, stoffwechselgesunde Kinder. Was läuft verkehrt? Bei uns gibt es ca. 30.000 Kinder und Jugendliche mit Diabetes – Tendenz steigend. Die betroffenen Kinder werden immer jünger.
Ich bin Kinderdiabetologin am Diabetes Zentrum Mergentheim – und immer wieder berichten mir Eltern, dass ihre Kinder in Kindergarten, Schule, Sportverein ausgegrenzt werden.
Beispiele gefällig?
Ablehnung durch den Fußballtrainer
Jan ist 5 Jahre alt, hat seit 2 Jahren Typ-1-Diabetes; er ist fröhlich, aufgeweckt und kommt nächstes Jahr in die Schule. Jans Mutter berichtet, dass sie ihren Sohn im Fußballverein anmelden wollte. Zunächst war der Trainer bereit, Jan in die Mannschaft aufzunehmen: “Als ich dann sagte, dass Jan Typ-1-Diabetes hat und häufiger Blutzucker messen muss, hieß es plötzlich, es ginge doch nicht.”
Der Trainer sagte, er könne die Verantwortung nicht übernehmen. Auf den Einwand von Jans Mutter, sie würde sich ja um das Messen usw. kümmern, entgegnete der Trainer, das ginge nicht: Sie würde den Ablauf stören, und bei den anderen Kindern wären die Eltern auch nicht dabei. “Ich war so wütend und sauer und musste mit den Tränen kämpfen”, sagt sie.
Messen im Klassenzimmer und toben verboten
Lisa (7) hat seit 3 Jahren Diabetes. Ihre Mutter berichtet, dass, seit ihre Tochter in der Schule in der 1. Klasse ist, es nur noch Probleme geben würde. Lisa müsse zum Messen das Klassenzimmer verlassen, “damit die anderen Kinder nicht gestört werden” (Klassenlehrerin). In der Pause müsse Lisa an ihrem Platz sitzen bleiben, Insulin spritzen und essen und dürfe nicht mit den anderen Kindern auf dem Schulhof toben und spielen.
Ausschluss von Klassenfahrt
Elias (10) bekam die Diabetes-Diagnose vor 6 Monaten. Er besucht die 5. Klasse einer Realschule. Elias Mutter: “Während der Schulzeit kommt ein Pflegedienst einmal am Vormittag, um Elias beim Messen und Spritzen zu helfen.” Elias hat 3 jüngere Geschwister, das jüngste ist 8 Monate alt. Elias erzählt mir sofort: “Wegen dem blöden Diabetes darf ich nicht mit auf die Klassenfahrt.” Elias Mutter fügt hinzu: “Die Lehrer wollen die Verantwortung für Elias, das Messen, Spritzen usw. nicht übernehmen” – sie selbst kann wegen der anderen Kinder nicht mitfahren.
Hänseleien von den Mitschülern
Daniel (15) kommt mit seinem Vater zu mir – er möchte “die doofe Insulinpumpe nicht mehr haben”. Ich frage ihn, was passiert sei: “Weil die anderen Kinder immer an meinem Pumpenschlauch ziehen, mir den Katheter rausreißen und sagen, dass ich krank sei und sie mit Diabetes anstecken kann. Deshalb will sich auch niemand mit mir treffen und mit mir befreundet sein.“
Was tun gegen die Diskriminierung?
Jan, Lisa, Elias und Daniel werden von der Gesellschaft aufgrund ihres Diabetes stigmatisiert – sie dürfen nicht am normalen Leben teilnehmen. Sicher, es gibt jede Menge positive Berichte von Kindern, bei denen alles glattläuft – trotz Diabetes: Aber leider gibt es zu viele Kinder wie die vier … das müssen wir ändern. Was also tun gegen die Diskriminierung? Aus meinem Blickwinkel vor allem:
- aufklären über den Typ-1-Diabetes: Kinder mit Typ-1-Diabetes sind nicht krank.
- mit den Vorurteilen aufräumen: Diabetes ist nicht ansteckend und niemand hat Schuld daran, dass ein Kind Diabetes bekommt.
- Ängste und Unsicherheiten bei Erziehern, Lehrern, Betreuern abbauen: Kinder wie die vier sind normale Kinder, die das Recht haben, so aufzuwachsen wie andere auch.
von Dr. Louisa van den Boom
Oberärztin, Kinder- und Jugenddiabetologie, Diabeteszentrum Mergentheim
Kontakt:
E-Mail: vandenBoom@diabetes-zentrum.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (7) Seite 33