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Das Echt essen-Gasthaus im November: Aus Produkten der Salzburger Alpen kreiert Andreas Döllerer eine einzigartige, bekömmliche Heimatküche. Eine Entdeckungsreise zur Döllerer-Genusswelt in Golling, die ungeahnte Überraschungen birgt
Mit einer Fleischhauerei fing 1909 alles an. Damals übernahm die Familie Döllerer das traditionsreiche Haus in Golling südlich von Salzburg – und kochte im Sommer nebenbei eine sehr einfache Küche. Dramatisch gewandelt hat sich das: Die Metzgerei gibt es immer noch, aber sie ist inzwischen ein Teil der „Genießerwelt Döllerer“, die aus vielen weiteren Facetten besteht: Ein feines Hotel, ein uriges Wirtshaus, ein preisgekröntes Spitzenrestaurant, ein großer Weinhandel – und sogar eine exklusive Glasmanufaktur.
Andreas Döllerer hatte Glück: Der 1979 Geborene wächst in zwei verschiedenen Welten auf, die ihn bis heute prägen. Da ist zum einen der heimische Gasthof mit seinen Zwängen, wo sich alles um den Gast dreht; wo am Heiligabend nachmittags Bescherung ist – und am Abend wird vor den Gästen musiziert; wo zum Hintereingang noch die lebenden Schweine herein getrieben und dann geschlachtet werden; wo er erlebt, wie aus einer der üblichen Touristenunterkünfte mit einfacher Küche auf Betreiben des Vaters langsam ein Restaurant mit immer besserer Küche wird.
Die andere Welt ist die seiner Großeltern im nahen Pinzgau. Dort nimmt ihn der Opa mit aufs Feld, in den Stall und auf die Alm. Dort lernt er die ursprüngliche Küche der Alpen kennen mit Blatt´lkrapfen von der Oma. Dort lernt er im Rhythmus der Jahreszeiten zu denken und zu leben.
Seine ersten kulinarischen Erfahrungen sammelt er in der heimischen Küche beim Chefkoch Bernhard Hauser, wo er lernt, dass sich Spitzenküche und eine menschliche Behandlung der Mitarbeiter nicht ausschließen müssen. Als Souschef verlässt er das Restaurant, geht zu anderen guten Betrieben – und vor allem zu Dieter Müller, dem Sympathieträger unter den 3-Sterne-Köchen. Ein Jahr verbringt er dort im Restaurant „Dieter Müller“ bei Köln mit seiner frisch angetrauten Frau Christl, mit der er inzwischen drei Kinder hat. Es muss ein prägendes Jahr gewesen sein, denn bei diesem Meister der klassischen Saucen und Fonds lernt er die Raffinesse der großen Küche – die er heute auf eine entschlacktere und trotzdem intensive Art umsetzt.
Als junger Chefkoch 2004 wieder zurück in Golling, zelebriert er anfangs noch die Hochküche der damaligen Zeit mit Gänsestopfleber, Jakobsmuschel und Steinbutt. Aber das befriedigt ihn immer weniger – und er konzentriert sich als einer der ersten Spitzenköche im deutschsprachigen Raum auf die Produkte seiner Umgebung. Die Initialzündung kommt durch die Begegnung mit dem genialen Fischzüchter Sigi Schatteiner aus dem nahen Bluntautal, von dem er mittlerweile einen Großteil seiner Fische hat. Inzwischen bezieht er fast alle Realien aus der Heimat, wobei er natürlich trotzdem bei frischen Trüffeln beherzt zugreift. Wiederum hat er Glück: Denn Golling und seine Umgebung ist ein wahres Paradies mit saftigen Matten, draußen gehaltenem Vieh, sauberen Flüssen, wildreichen Wäldern, vielen Wildkräutern. Daneben experimentelle Bauern wie Sepp Holzer mit seiner bahnbrechenden Permakultur.
Das Paradies bringt Andreas Döllerer auf den Teller – und kreiert seine unverwechselbare Alpine Küche, über die er ein facettenreiches Buch verfasst hat.
Andreas Döllerer ist nicht der erste Koch, der sich systematisch um die Produkte der Alpen kümmert. Schon 2003 veröffentlicht der Schweizer Koch Stefan Wiesner sein wegweisendes Buch „Gold Holz Stein“, kocht in seinem Rössli in Escholzmatt eine Suppe aus geräuchertem Schnee, begeistert mit eigenen Wurstkreationen, entwickelt Parfumgerichte.
Trotzdem: „Cuisine Alpine“ von Andreas Döllerer ist wichtig – aus zwei Gründen: Zum einen hilft es enorm, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass die Alpen mehr sind als ein gigantischer Freizeitpark, der mit immer mehr Liften voll zu stopfen ist, was wertvolle Flora und Fauna vernichtet.
Aber vor allem ist es ein großartiges Buch, das die Alpen essbar macht. Auf über 300 Seiten macht es mit stilsicheren Fotos Lust auf nie gekannte Genüsse mit scheinbar schlichten Produkten, etwa Milchkalbszunge, kombiniert mit gegartem Apfel und Sellerie sowie Semmelkren, also Semmeln mit Meerrettich. Mit leichter Hand werden wunderbare Geschichten eingeflochten, wie etwa über den Schafzüchter Robert Zehentner. Aus dem anonymen Produzenten wird plötzlich ein lebendiger Bauer.
Liebevoll vorgestellt werden wichtige Lieferanten vom „Döllerer“, vor allem auch die Winzer – und Thomas Kohl mit seinen sensationellen, sortenreinen Bergapfelsäften.
Ausführlich beschrieben sind die Rezepte. Manche sind einfach, wie etwa Speckbutter. Viele sind aber sehr fordernd, sodass sie nur ambitionierte Hobbyköche nachkochen sollten. Denn wer kommt schon an Zutaten wie „junge Fichtenwipfel“ oder „fermentierten Rotkrautsaft“, ganz zu schweigen von einem „Milchkalbshirn“. Wer so etwas in einer Kölner Metzgerei nachfragt, wird kopfschüttelnd als leicht bedeppert eingeschätzt.
Aber darum geht es nicht: Das Buch zeigt, welche Bandbreite an vergessenen Produkten uns zur Verfügung steht, ruft dazu auf, diese Schätze der Natur endlich wieder zu nutzen. Am Besten natürlich bei einem Besuch im Döllerer!
Dem Enzian, der bittersten aller Wurzeln, ist ein Kapitel gewidmet. Inzwischen kennt Andreas Döllerer einen Landwirt, der die strengstens geschützte Pflanze züchtet – und so kann er die armdicken Wurzeln ausgraben. Als ich dann höre, dass er Wurzelteile in Wodka ausgezogen hat, gab ich solange keine Ruhe, bis er zwei Gläschen rausrückt. Gerne tut er es nicht, dem Perfektionisten ist das Ergebnis noch zu bitter. Mir als Bitterfreund nicht, ich bin beglückt von der unfassbaren Intensität – und hoffe sehr, dass dieser GesundGenuss bald erhältlich sein wird.
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Neun Gänge habe ich als Menü „Göllüberquerung“ gegessen, was 155 Euro kostet. Plus einer Weinbegleitung für 95 Euro. Das hört sich teuer an, das ist auch teuer – aber es ist jeden Euro wert. Natürlich geht es auch günstiger, etwa als 6-Gänger für 129 Euro oder a-la-Carte. Trotzdem: Leider testet der Guide Michelin in dieser Gegend von Österreich nicht. Würde er es tun, wäre das Döllerer als eines der besten Restaurants in Österreich mindestens ein 2-Sterne-Kandidat – und dafür sind die Preise absolut in Ordnung, ist das Ganze seinen Preis wert in einem Restaurant, das stilvoll Eleganz mit einheimischem Charme verbindet.
Neun Gänge, das hört sich nach einer ungeheuren Völlerei an. Ist es aber nicht. Die Gänge sind wohl proportioniert, kohlenhydratige Dickmacher fehlen fast völlig. Auch zeichnet die intensiven Jus immer eine dezente Säure aus, was die Gerichte leicht erscheinen lässt, sie besser verdaubar macht. Mit einem Wort: Im Döllerer wird auch ernährungsphysiologisch eine sehr bekömmliche Küche serviert.
Los geht’s mit kleinen Häppchen wie einer marinierten, saftigsten Forelle mit einem Cracker. Danach die neun Gänge, von denen ich einige besonders vorstelle. Zum Auftakt gleich ein Paukenschlag, nämlich eines der Star-Gerichte des Kochbuchs, die „Jakobsmuschel“.
Natürlich ist das keine richtige Jakobsmuschel, sondern eine spielerische Anverwandlung. Wobei das Ganze gar nicht so abwegig ist, denn wo sich heute die Alpen türmen, war vor Jahrmillionen das Muschel-satte Urmeer „Thetys“. Hinreißend schmeckt die „Muschel“, eine unfassbar schmelzige Scheibe Ochsenmark vom Angusrind. Umspült wird das Mark von einer fantastischen Creme aus zwölf Stunden bei minus 18 Grad tiefgekühltem Eigelb, einem Tupfen Ochsenmarkmayonnaise sowie selbst fermentiertem Knoblauch. Gemüse gehört auch dazu, nämlich kurz geröstetes Spitzkraut.
Auf Seite 210 steht das Rezept für dieses herausragende Gericht, das so scheinbar einfach daherkommt, aber sehr aufwendig ist. Dass das jemand nachkocht, kann ich mir kaum vorstellen. Warum auch, auf der Karte steht es für gastfreundlichste 16 Euro. Es lohnt sich, dafür nach Golling zu fahren – und es mehrfach zu bestellen!
Ein außergewöhnliches Gericht braucht einen außergewöhnlichen Wein. Hier ist es ein Neuburger, eine nur in Österreich vorkommende Rebe, die kräftige, aber sehr säurearme Weine hervorbringt. Der hier servierte Wein vom Gut Lichtenberger Gonzales vom Leithaberg nahe dem Neusiedler See hat etwas Cremiges und adelt die „Jakobsmuschel“ auf das Vortrefflichste.
Alexander Koblinger hat diesen und alle anderen Weine des Abends ausgesucht. Er gilt als wichtigster Sommelier des Alpenlands, hat mit seinen 36 Jahren schon ein ganzes Bündel an Auszeichnungen eingeheimst – und darf sich als einziger Österreicher „Master Sommelier“ nennen, ein Titel, den weltweit nur 230 Menschen führen.
Nicht nur Chefsommelier ist der Senkrechtstarter, sondern auch Leiter des Qualitätsmanagements von „Döllerer´s Weinhandelshaus. Einer der führenden Lieferanten der Spitzengastronomie in Österreich und der Schweiz ist dieses Handelshaus mit mehreren hunderttausend Flaschen – das auch dafür verantwortlich ist, dass es im „Döllerer“ eine der besten Weinkarten im deutschsprachigen Raum gibt. Besonderheit: Ganz viele kleine Flaschen, die es erlauben, verschiedene Weine zu probieren.
Als „Matjes“ wird der Bluntaulachs serviert – der rohe Fisch ist also durch die Enzyme der Bauchspeicheldrüse fermentiert, was ihn reifen lässt. Die zarte Lachsforelle paart sich mit dünnen Streifen vom schwarzen Rettich und Kohlrabi – und in der Mitten ruht ein aromaträchtiger Sud aus gerösteten Kartoffeln und Zwiebeln. Klingt schwer, aber wie in so vielen Döllerer-Gerichten „blinzelt“ eine feine Säure hinein, macht das Gericht luftiger.
Fisch, Rettich, Zwiebelsud – was für ein Wein passt da? Der Meistersommelier begeistert mit einer genialen Lösung: Ein Fumé blanc vom Bioweingut Zillinger, das nahe der slowakischen Grenze liegt. Dieser „Numen“ genannte Wein ist biologisch-dynamisch erzeugt, also spontan vergoren, lag dann für 16 Monate auf der Hefe – und wurde dann ohne weitere Eingriffe unfiltriert abgefüllt. Ein Wein, wie die Natur ihn schafft. Orange funkelt er im Glas, weshalb solche Weine auch „Orange Wines“ heißen. Etliche davon sind wenig bis kaum trinkbar, der hier schmeckt zart nach Rhabarber.
Auf Meeresfische verzichtet Andreas Döllerer seit acht Jahren – und kein Gast hat sich beschwert! Ein Großteil seiner Fische kommen von Sigi Schatteiner, der im nahen Bluntautal im kalten Bergwasser Forellen, Saiblinge, Seeforellen, Waller – und die seltenen Huchen und sogar Störe züchtet. Es geht also, fitten und geschmackstarken Fisch auf Top-Niveau zu servieren – ohne sich am Leerfischen der Meere zu beteiligen!
Short Rib nennt Andreas Döllerer die Spareribs vom Tuxer Rind aus dem Zillertal. Das gegrillte Fleisch begleitet ein leicht angedämpfter Rotkrautsalat und eine Misocreme. Ein sanft bitterer Senfsalat macht das Gericht verdaulicher. Eine Besonderheit dazu der 2011er „Roter Veltliner“ vom Mantlerhof, ein Weingut, das sich um die Verbreitung dieser Sorte, die nicht mit dem bekannten Grünen Veltliner verwandt ist, verdient gemacht hat. Nach vier Jahren im Holzfass passt der Wein mit seinem schmelzenden Geschmack gut zum kräftigen Fleisch.
Was für eine Überraschung: Mitten im Menü steht plötzlich eine zünftige Jausen auf dem Tisch. Vorne eine süchtig machende aufgeschlagene Butter mit Salz und Heunoten. Dahinter ein phantastischer Hirschschinken. In der Mitte ein paar feine Kartöffelchen, löblicherweise mit Schale – und hinten ein 70-prozentiges Roggen-Brot mit herrlicher Kruste. Das nach Döllerer-Rezept von der Bäckerei Rosenmayer in Hallein stammende Brot wird selbst aufgeschnitten, der Rest wird eingepackt und duftet auch nach drei Tagen noch nach Fenchel und Koriander.
Ein gelungener Gag, der auch dafür sorgt, dass sich an einem Samstag Abend im bestens besetzten Restaurant die bunte, überwiegend junge Gästeschar angeregt unterhält, eine ausgelassene Stimmung herrscht. Von wegen Gourmettempel, das Döllerer ist eher ein Lustpielhaus. Dazu trägt ein gerüttelt Maß der meist weibliche, Dirndl-attraktive Service bei, der charmant-selbstbewusst auftritt und bemerkenswert gut über alle Details der vielen Gerichte informiert. Geleitet wird der Service von Christl Döllerer, die sich wie ihr Mann nie in den Vordergrund drängt – und trotzdem stets sehr präsent ist.
Welchen Wein serviert der Master Sommelier zur Brotzeit? Gar keinen! Dafür ein süffiges Bier von einer ganz besonderen Braustätte, nämlich einem Tochterbetrieb der bekannten Salzburger Stiegl-Brauerei: „Stieglgut Wildshut“ heißt der Ableger, wo nahe der bayerischen Grenze 30 Kilometer nördlich von Salzburg alte Getreidesorten konsequent biologisch angebaut und in einer eigenen Mälzerei gemälzt und geröstet werden.
Gersten-, Dinkel- Emmer (das Urgetreide) – Malz sowie Schwarzhafer geben dem „Wildshuter Sortenspiel“ einen milden und vollmundigen Geschmack, der sogar einen Pilstrinker wie mich für einen Abend begeistert. Eine Großbrauerei mit eigenem Biogut – das ist hier wirklich eine Entdeckungsreise!
Fasziniert haben mich die extrem leichten, hauchdünnen Gläser – und ich frage, wo sie herkommen? Von „Döllerer“ natürlich, wie auf jedem Glas zu lesen ist. Die in der Slowakei gefertigten Gläser gibt es in zwei Ausführungen: In einer etwas einfacheren und in der handgefertigten „Vinophil Premium“- Variante aus elastischem Bariumkristall. Hätte ich wie das Döllerer eine spezielle Spülmaschine, würde ich sie sofort kaufen, sind sie doch mit knapp unter 20 Euro pro Glas erschwinglich. So aber ist mir die Glasbruchgefahr zu hoch.
Mastermind hinter den Gläsern ist Hermann Döllerer, der Vater von Andreas und Patron der Familie, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass aus einem gutbürgerlichen Touristenhotel ein Geniesserhotel mit Spitzenküche wurde – und der auch den Weinhandel begründet hat.
„Supreme Power“ heißt das Glas für gereifte Rieslinge und kräftige Rotweine. Genau das richtige Glas für das charakterstarke Bier vom Stiegl-Gut Wildshut.
Aus dem nahen Rauris stammt der Rehrücken, der perfekt auf den berühmten Punkt gebraten ist. Das Wild, für mich immer eines der natürlichsten Bio-Produkte, wird begleitet von nur leicht angedämpften Grünkohl, sodass er seine vitalisierende Wirkung bestens entfalten kann, gilt doch der Brassica oleracea zu recht als heimisches Superfood. Die braunen Punkte im Vordergrund sind der „Sand“ von geriebener, getrockneter Blutwurst, was ich mir noch frischer vorstellen kann. Ein Gedicht die Sauce, ein ungeheuer intensiver Fond (benannt nach der französischen Stadt Rouen), angedickt mit Blut, weshalb das Gericht „Blutreh“ heißt.
Kongenial erschlossen wird der großartige Höhepunkt des Menüs von einem der besten Weine Siziliens: Ein 2012er aus der Lage Chiappemacine vom Weingut Passopisciaro, aus der fast nur hier wachsenden Rebe Nerello Mascalese.
Begeisternd ein mit Meerrettich-Semmelwürfeln gefüllter Waller aus dem Bluntautal mit Kalbszunge und Apfel, begleitet von einem ausladenden 2013er Grüner Veltliner von Donaubaum.
„Pinzgauer Schotten“ heißt ein Gericht, benannt nach dem gleichnamigen Reibekäse, hier als kleine Creme angerichtet. Dazu gegrillter Lauch mit einem Lauchfond und „Asche“ vom Lauch. Getrocknet ist die dünne Scheibe vom Beinschinken, die aber den Schinkengeschmack nur ahnen lässt. Ein kräftiges Gericht, zu dem ein Wein mit leichtem Restzucker passt, wie der 2015er Pinot Gris von der elsässischen Domaine Weinbach.
Fett-schlotzig ist der Schweinebauch, den rote Zirbenzapfen und Feigen edeln – und wo ein filigranes, leicht bitteres Kartoffelnetz viel Freude bereitet. Klug die Weinwahl von Alexander Koblinger: Ein weißer Burgunder, ein 2013er Côte de Nuit von Meo Camuzet.
Zwei spannende Desserts zum Schluss: Zuerst ein modernisiertes Traditionsgericht aus Andreas Döllereres Kindheit: Bratapfel, braunes Buttereis, prickelnde Trauben und Totentrompeten! Ein Pilz, der bei uns verschämt Herbsttrompeten heißt. Hier haben die Dinge halt noch ihre echten Namen. Ein Gedicht dazu der 2011er restsüße Rheinriesling vom Spitzenwinzer Ott.
Ungewöhnlich auch eine Zutat beim zweiten Dessert: Ein Dillfond begleitet dünnes Mandelknuspergebäck, unter dem sich ein Quittenkompott verbirgt. Erfreulich: Die Desserts sind nicht zu süß!
Sind nun alle Gerichte in „Cuisine Alpine“ zu finden? Mitnichten, viel zu umtriebig ist Andreas Döllerer, der immer wieder aufbricht zu den besten Kollegen, beim Gemüseguru Michel Bras, beim aktuellen Pariser Starkoch Yannick Alléno auftaucht, in die Kochtöpfe der aufstrebenden peruanischen Küche schaut, sich mit Eindrücken vollsaugt, sie in seine Gerichte amalgiert. Einzig die „Jakobsmuschel“ ist original zu finden, alles andere sind schon wieder neue Werke der Kreativmaschine Andreas Döllerer.
Zwei zünftige, kitschfrei eingerichtete Wirtsstuben mit Holztischen, Holzboden und Stoffservietten sind fester Bestandteil der Geniesserwelt: Dort gibt es Österreichische Klassiker wie Wiener Schnitzel, Gulasch, Rouladen und Fische aus dem Bluntautal. Erfreulich, weil hier alle Teile eines Tieres verwendet werden: Viele Innereien vom Milchkalb wie Leber, Niere (im Ganzen gebraten!) und Beuschl (Lunge mit Herz).
Ich probiere das Menü „Alwinkel“ für 48 Euro, was einen guten Querschnitt bildet. Den Auftakt macht eine sehr gute und wunderbar angerichtete Haxerlsulz mit Essiggemüse und einem deliktatesten Kartoffelküchlein. Ein Gedicht auch der Waller, der hier endlich einmal nicht „grundig“, sondern frisch schmeckt – bedeckt mit sanft gedämpftem Wurzelgemüse. Intensiv dazu der leicht gebutterte Jus, den eine elegante Säure bekömmlich macht.
Blunzen heißt hier die Blutwurst. Sie ist mit dünnen Kartoffelstreifen umwickelt, die knusprig gebraten werden. Alles ruht auf einem süffigen Sauerkraut, das mir ein wenig zu süß ist. Vom ungewöhnlichen Reh-Osso Buco ist mir vor allem das süchtig machende Mark in Erinnerung. Nicht aus dem Menü, aber von mir statt Käse und Dessert (sehr gute, nicht zu süße Topfenknödel-Variationen) bestellt: Ein gegrilltes Teil vom 50 & 50-Schwein, das eine Kreuzung aus Wildschwein und Schwäbisch Hällisch ist. Eine fette, knusprig gegrillte Kruste krönt das Fleisch, das für mich auch die Krönung des Abends ist.
Von einem ganz interessanten Bauern der etwas anderen Art stammt das Fleisch, nämlich von Robert Scheck, dem Sohn des Begründers von Sport Scheck, der alte Schweine- und Rinderrassen sowie Urforellen züchtet. Das scheint ein faszinierender Mensch zu sein, der im Einklang mit der Natur lebt, den ich gerne kennen lernen würde. Es ist wirklich eine Entdeckungsreise, beim Döllerer zu sein!
Es empfiehlt sich, die angebotene Weinbegleitung zu nehmen, die sehr gut auf die Gerichte abgestimmt ist.
24 geschmackvoll eingerichtete Zimmer gehören zum Döllerer. In ihnen finden sich Fotos mit alpenländischen Motiven – etwa ein Bauernbub, der Speck schneidet. Das ist aber so witzig, so unverkrampft inszeniert, dass es Spaß macht. Tradition wird hier gepflegt, aber sie wirkt nicht museal, sondern lebendig.
Besonders schön sind die Zimmer, die auf einen lauschigen Innenhof ausgerichtet sind, den am Ende ein kleiner Weinberg ziert. Dort wachsen Riesling und Blaufränkisch – und wie ich die Döllerers einschätze, werden sie auch irgendwann eine Cuvée Giardino keltern.
Frühstücksbuffet der etwas anderen Art: Wursttheke Ein einmaliger Glanzpunkt ist das Frühstück, nicht nur wegen dem großartigen Rührei mit Bergkäse. Denn hier gibt es nicht die übliche Wurstplatte, sondern der Gast geht wenige Schritte in die Döllerer-Metzgerei und kann aus einem üppigen Angebot an Würsten wählen, die ihm frisch aufgeschnitten werden. Ich empfehle vor allem Wurst und Schinken aus der eigenen Herstellung, die großartig schmecken.
Der alte Mann und die Wurst: Raimund Döllerer sen. ist mit Leib und Seele Metzger. Schon morgens um fünf steht er in seiner kleinen Wurstküche mit eigenem Räucherofen. Begeistert haben mich vor allem sein Wacholderschinken und der kalt geräucherte Bauchspeck. Wobei nicht mehr selbst geschlachtet wird, sondern das Fleisch von Metzgern kommt, mit denen seit Jahrzehnten zusammen gearbeitet wird. Hier gibt es halt noch gewachsene Strukturen.
Ein besonderer Frühstück-Genuss: „Döllerer’s Frische“, eine Art Weißwurst ohne Zwiebeln mit überwiegend feinst gewolftem Kalbfleisch, die sich mit dem Darm von Hand verzehren lässt – wobei wirkliche Kenner dazu ein Glas Champagner trinken.
Rund 20 Mitglieder umfasst die Döllerer-Familie inzwischen. Sie schaffen ein heimeliges Wohlfühlangebot aus bestem Essen und Trinken. Vor allem schaffen sie aber eine ungemein gastliche Atmosphäre. Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Soweit ich es nach zwei Tagen beurteilen kann, sind es zwei Punkte: Alle arbeiten gern – und jeder hat seinen festen Platz, was wahrscheinlich sonst allfällige Reibungspunkte in der Familie mindert.
Der zweite Grund: Auch die Nicht-Familienmitglieder fühlen sich eingebunden, sind indirekt Teil der Döllerers. Am eindrücklichsten hat mir das der aufgeweckte junge Mann an der belebten Alpin Bar erklärt: „Wir fühlen uns nicht als Angestellte, sondern als Mitarbeiter“.
Fazit: Eine Heimatküche, die das Beste aus den Salzburger Alpen in raffinierte Gerichte verwandelt, plus großartige Weine. Wer die ganze Bandbreite genießen will, besucht Wirtshaus und Restaurant.
Döllerer, Markt 56, A-5440 Golling an der Salzach, 0043/ 6244 4220. Das Genießerrestaurant hat Dienstag bis Freitag ab 18 Uhr 30 und am Samstag ab 12 Uhr geöffnet. Das Wirtshaus hat am Dienstag ab 17 Uhr und von Mittwoch bis Samstag ab 11 Uhr 30 geöffnet. www.doellerer.at
Eine Schönheit ist Golling nicht: Eine hübsche Hauptstraße mit ein paar guten Fachgeschäften, Wirtschaften und einer über tausend Jahre alten, trutzigen Burg. Drumrum schaut´s wie vielerorts aus: zersiedelt. Aber wer morgens durch den kleinen Hotel-Weinberg in die Höhe steigt, links abbiegt und dann rechts in einer guten halben Stunde am idyllischen Egelsee vorbei auf den Rabenstein joggt, taucht in eine wunderbare Waldwelt ein – und hat dann den ordentlichen Appetit, den das großartige Frühstück verdient.
Nach dem Frühstück empfiehlt sich eine Wanderung über die Salzach ins Bluntautal. Der Weg führt an gepflegten Kühen mit Hörnern! vorbei, die auch im November noch auf saftig-satten Wiesen grasen, an freilaufenden Hühnern, an Schaf- und Ziegenherden – eine gesegnete Landschaft. Auf weitgehend ebenen Wegen geht es durch lichte Fichtenwälder zu den Bluntauer Seen, die fast schon unverschämt türkisfarben schillern, und in denen prächtige Forellen schwimmen, bis zum Gasthof Bärenhof.
Zurück geht es auf einem weiter nördlichen Weg zur Lerchenmühle, wo die Fischzucht von Siggi Schatteiner liegt. Danach links abbiegen und durch einen erfreulich abwechslungsreichen, zwischen Wald und Wiese changierenden Pfad zu den Gollinger Wasserfällen wandern. Ein überraschend lohnendes Ziel: Mächtig stürzt das Wasser über zwei Fallstufen in einen türkisen See. Aber jetzt geht es von dort erst richtig los: 75 Meter hoch führen Stufen über gewagte Konstruktionen und eine halbsbrecherische Brücke zu einer Höhle, in die das Wasser aus der darüber liegenden Quelle fällt – und einen in eine herrlich erfrischende Wassergischt hüllt.
Vom magischen Ort geht es am Gasthof „Abfalter“ mit guter einheimischer Küche zurück nach Golling. Rund fünf Stunden dauert die Wanderung, bei der ich sicher bald hundert Leuten begegnet bin – und alle, wirklich alle sagen entweder „Grieß di“ oder „Grüss Gott“. Eine beglückende Erfahrung für mich als Großstädter, diese natürliche Freundlichkeit. Plötzlich wirkt auch die Zersiedelung viel freundlicher, macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit – sicher noch gesteigert durch die Vorfreude auf große kulinarische Erlebnisse beim Döllerer!
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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