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Das Echt essen-Gasthaus im Juli: Ein Bauerngarten, ein Bistro-Shop, eine Kräuter-basierte Naturküche im Söl’ring Hof – Johannes King hat auf Sylt ein kulinarisches Gesamtkunstwerk geschaffen. Ein Reisebericht
Auf das Treffen mit Johannes King habe ich lange hingefiebert. Denn der 53-jährige verkörpert auf ideale Weise, was ich unter „Echt essen“ verstehe.
Johannes King ist geerdet: Aufgewachsen auf einem kleinen Bauernhof in Schramberg lernt er als eines von zehn Kindern mit dem wenigen auszukommen, was der karge Schwarzwald-Boden hergibt; lernt, aus allem etwas zu machen, damit sich der Hof selbst versorgen kann, etwa Butter herstellen; lernt, im Rhythmus der Jahreszeiten zu leben. Urerfahrungen, die ihn für sein Leben prägen.
Johannes King beherrscht das Kochhandwerk: Angefangen in einem Hotel in Rottweil führt ihn sein Weg durch halb Europa; er arbeitet in der Konditorei Oberlaa in Wien, ist bei berühmten Köchen wie Franz Keller in Köln, bei Henry Levy in Berlin, ist Michelin-besternter Chefkoch im „Grand Slam“ in Berlin, lernt die Stars Branche kennen wie Eckard Witzigmann und Michel Troisgros; 1998 wird er Küchendirektor der Dorint-Gruppe – und übernimmt ab 2000 mit einer Eigentümergemeinschaft deren Söl´ring Hof in Rantum auf Sylt.
Johannes King liebt einheimisch: Konsequent verwendet er in seiner Küche soweit es geht Produkte von der Insel, hat einen Bauerngarten, kauft bei regionalen Produzenten, betreibt ein eigenes Fischerboot, hat eigene Bienenvölker – und ist seit 2004 mit zwei der begehrten Michelin-Sterne ausgezeichnet; zeigt also, dass es auch mit scheinbar schlichten Realien wie wilden Kräutern möglich ist, höchste kulinarische Ehren zu erlangen.
Verabredet bin ich mit dem Koch um halb neun in seinem Bauerngarten in Morsum, dem ersten Ort mit dem Zug vom Festland. Eine gute halbe Stunde laufe ich vom Bahnhof zuerst an Getreidefeldern, dann an traumschönen, reetgedeckten Villen vorbei zum Bauerngarten. Johannes King wartet schon, immer wenn er auf der Insel ist, kommt er um halb acht in seinen über tausend Quadratmeter großen Garten, für ihn wohl auch ein meditativer Rückzugsort. Ein kräftiger Händedruck – und schon geht´s ins Grüne. Es ist ein Garten, wie ich ihn liebe: Nichts Abgezirkeltes, fein Gebeetetes, sondern ein Nutzgarten, der auch Wildes erlaubt, „früher hieß es Unkräuter, heute nennen wir es Wildkräuter“, sagt er lachend und zupft die Blätter des Gundermanns: „Ich liebe herbe, kräftige Kräuter“ und empfiehlt den erdigen Gundermann zu Stampfkartoffeln.
Mitreißend weiß er zu jedem Kraut eine Geschichte zu erzählen, vor allem der prächtig gedeihende Bronzefenchel hat es ihm angetan, mit ihm aromatisiert er Öl und sogar für die Stiele hat er Verwendung gefunden: Geschält adeln sie den Fischfond. „Ich brauche das Dazwischen, das Ungewöhnliche“ – und zeigt auf die kleinen Mangoldaustriebe, die gepickelt ans Kaninchen kommen. „Der Garten ist eine Inspirationsquelle, die uns in Kontakt mit den Jahreszeiten hält“ – und er erzählt, dass er fast das ganze Jahr etwas findet. Leider endet das Paradies zum Jahresende – der Hof ist verkauft worden, für einen unfassbar hohen Millionenbetrag. Wer die Genesis der kommenden Immobilienblase studieren will, wird hier fündig. Aber King macht natürlich unbeirrt weiter, schon hat er einen neuen Garten im Visier, der sogar leicht größer wird.
Vom Garten geht es normalerweise zur Wiese, wo Kräuter wie Schafgarbe, Wicken, Kerbel und wilde Möhre warten. Aber der Bauer hat frisch gemäht – also fahren wir direkt zum Wattenmeer, ein einzigartiges Biotop. Auf den Salzwiesen wachsen Pflanzen, die nur hier wachsen, vor allem der Queller, der auch Passepierre oder Salicornes, also Salzhorn, heißt. Ihren Namen hat die vor vitalen Mineralien strotzende Pflanze, weil sie durch das Einlagern von Salz, was sie vor dem Meerwasser schützt, aufquillt. Johannes King trägt Gummistiefel, kann also weit hinauslaufen. Aber auch ich finde schon im Halbfeuchten genügend Salzhörner, die frisch prächtig schmecken.
Begeistert bin ich auch vom Portulakwegerich, vom Stranddreizack, genieße die jungen Blätter der Strandsode und zupfe sanft-bitteren Strandwermut, der zum Räuchern verwendet wird. Während ich noch überlege, welche besonderen medizinischen Eigenschaften die Artemisia maritima wohl hat, kommt Johannes King zurück, zeigt mir ein besonders gelungenes Exemplar vom Queller, schimpft auf die schlechte Ware von weither, die oft verkauft wird „Scheißkräuter“. Er hingegen lobt die „kulinarische Identität“, also, dass die Küche einer Region ihre Umgebung widerzuspiegeln habe. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, heute aber weitgehend vergessen. Überall gibt es zu jeder Zeit dasselbe – nicht bei Johannes King, der die Insel saisonal auf den Tisch bringt.
Natürlich kann er aus seinem Garten, den Wiesen, dem Meer nur einen Bruchteil der Waren ernten, weshalb er von seinem Netzwerk schwärmt, dem Bauern mit seinen Angelsattelschweinen, den Schafhirten – und „Feinheimisch“ preist, ein Zusammenschluss von Produzenten und Gastronomen aus Schleswig-Holstein. Besonders angetan hat es ihm der Backensholzer Hof – und da vor allem die großartigen Rohmilchkäse, die aber zum größten Teil nach Frankreich und Italien verkauft werden. Na, ja, irgendwie kein Wunder in einem Land, wo die meisten gerne mehr für ihr Motorenöl ausgeben, als für das Lebens-Mittel Öl. Genug der grüblerischen Gedanken, Johannes King steht für Aufbruch – und schon fährt er mich von Morsum ins benachbarte Keitum, empfiehlt noch das „Allard“ in Paris, eines der letzten authentischen Bistros. „Hier unbedingt ans Meer gehen“, ruft er noch – und schon ist der Vielbeschäftigte weg.
Ein guter Rat. Ich schlendere durchs schnucklige Keitum mit seinen stilvoll renovierten Häusern, wo sich alle höflich grüßen, wundere mich über die noble Bushaltestelle mit Strandkörben als „Sitzbänke“ – und erreiche „Am Kliff“, wo es sich traumschön am Wasser spazieren lässt, wo es idyllisch ruhig ist, wo in der Ferne das Vogelschutzgebiet Ellenbogen zu sehen ist, wo die dänische Insel Römö im Dunst glitzert. Hier herrscht heile Welt, anders als in der lauten, von Architektur verschandelten Inselhauptstadt Westerland, wo ich für eine lausige Pension mit Blick auf den Bauhof über 100 Euro pro Nacht bezahle. Wobei das alles vergessen ist, wenn ich vom hohen Deich aufs weite Meer blicke, durch den warmen Sand laufe.
Vorbei am Keitumer Einkaufsparadies Edeka-Markt Johannsen, das Sylter Feinkost anbietet, erreiche ich mein erstes Ziel, das brandneue Restaurant „Brot und Bie“. Gastgeber ist hier Alexandro Pape, der bis vor kurzem noch ein Zwei-Sterne-Restaurant führte – und nun sein kulinarisches Heil in belegten Broten sucht. Alles ist sehr kunstvoll angerichtet mit eigens gebackenem Brot, Kräutern vom kleinen Garten hinter dem Haus, selbstverständlich zu Sylter Preisen, die abgebildete Tomatenstulle kostet satte 24 Euro. Probiert habe ich nicht, dafür aber vom selbst gebrauten Bier genippt, säuerlich-süffig, allerdings kein Kölsch, wie vom Wirt gedacht. Auf jeden Fall ein interessantes Gasthaus, das ich im Herbst noch einmal besuche, wenn ich zur famosen Gemüseküche von Jens Rittmeyer nach Hörnum aufbreche.
Direkt gegenüber vom Brot und Bier liegt der Genuss-Shop von Johannes King. Das ist ein kleines Paradies, wo es Produkte aus der Söl’ringschen Zwei-Sterne-Küche und von Johannes King ausgesuchte Viktualien gibt. Ich kaufe feinste geräucherte und gedoste Sardinen aus Portugal, erwerbe die selbst gemachte Vinaigrette (sehr empfehlenswert!) auf Rapsölbasis, schaue auf die ausgesuchten Weine, die Essige vom Wiener Essigkönig Gegenbauer, sehe feines Porzellan und scharfe Messer.
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Geführt wird das sympathische Genussreich von Selina Müller, der Frau von Johannes King. Sie wacht auch über die kleine, feine Küche mit wenigen Tischen innen und vielen draußen. Auf Sterne-Niveau das Risotto mit Pfifferlingen sowie die gebeizte Fjord-Forelle mit Fenchel und Radieschen. Aus norwegischer Aquakultur stammt diese Forelle. An sich sind diese Züchtungen nicht mein Ding, aber der Fisch schmeckt tadellos – und es wird versichert, dass die Fische in riesigen, tiefreichenden Netzbecken aufwachsen und sich nicht nur von Fischmehl, sondern von eh anfallenden Fischresten, aber auch von pflanzlichen Bestandteilen ernähren. Trotzdem schade, dass es nicht gelingt, etwa die vielen weggeworfenen „Beifänge“ zu reduzieren – sodass wir mehr wilden Fisch, ein höchstwertiges Lebens-Mittel, hätten.
Den krönenden Abschluss des kleinen Menüs bildet der „Blonde Schwede“, eine hinreißende Melange aus Apfelkompott, Sahne und Mürbeteigstreuseln. Geöffnet ist der Genuss-Shop montags bis samstags von 11 bis 20 Uhr – eine feine Versuchung für alle, die große Küche in legerer Umgebung genießen wollen. www.johannesking.de
Am späten Nachmittag wandere ich von Westerland ins sieben Kilometer entfernte Rantum zum Söl´ring Hof. Meistens verläuft der Weg durch einen naturgeschützten Wald – und manchmal halt neben der Straße. Da bleibt dann genug Zeit an den Besuch am Vorabend bei der Gastronomie-Legende Jörg Müller zu denken. Auch er hat den Sternen abgeschworen, serviert jetzt Küchenklassiker wie Feines vom Deichlamm und großartige junge Matjes mit feinst gewürfeltem Speck, Bohnen und Bratkartoffeln – und natürlich die topfrische Sylter Royal Auster aus Deutschlands einziger Zucht. Legendär immer noch die Weinkarte mit Bestem aus Frankreich zu äußerst zivilen Preisen. Ich trinke einen großartigen 2007er Spätburgunder Barrique vom Markgräfler Weingut Hermann Dörflinger – deutscher Rotwein, wie fein kannst du sein!
Nicht einmal eine Stunde brauche ich – dann grüßt schon inmitten der Düne der Söl´ring Hof. Ein Hotel in Traumlage. Ein absolutes Tophotel mit standesgemäßem Rolls Royce vor der Türe. Aber dennoch kein abgehobener Luxusschuppen, sondern eine Herberge zum Anfassen mit einem herzlichen Service, einer entspannten Atmosphäre, intimen Räumen für Weinproben, gemütlichen Rückzugsbereichen. Als legendär rühmen Gäste das Frühstück, das bis in den frühen Nachmittag serviert wird.
Gehoben die Preise der individuell, gediegen-elegant eingerichteten Zimmer, die bei rund 500 Euro beginnen – und dafür teilweise den begehrten Meeresblick sowie einen eigenen Strandkorb am nahen Ufer bieten, das über einen eigenen Weg bequem erreichbar ist. Fast schon bodenständig angesichts dieser Tarife die Menüpreise, wo sechs Gänge 174 Euro kosten, plus 95 Euro für eine gewünschte Weinbegleitung. Ich genieße fünf kräutersatte Gänge, einschließlich einem spannenden Wein zu jedem Gericht.
Begehrt der Tisch direkt gegenüber der offenen Küche. So kann ich den ganzen Abend der Küchencrew zuschauen – und bin erstaunt, mit welcher Ruhe und Gelassenheit gearbeitet wird. Hier sind alle mit Freude und Herz bei der Sache. Sicher auch ein großes Verdienst von Jan-Philipp Berner, dem erst 27-jährigen Küchenchef, der mit Gelassenheit sein Team führt, in das sich irgendwann am Abend Johannes King wie selbstverständlich integriert.
Nach seiner Lehrzeit arbeitete der gebürtige Göttinger bei Jörg Müller, war nach seiner mit höchster Bravour absolvierten Küchenmeisterprüfung zwei Jahre beim Sterne-Koch Nils Henkel, dessen Gemüsemenüs ich immer sehr geschätzt habe. Nach dem Gewinn einer Jungköcheweltmeisterschaft ist er nun seit drei Jahren die rechte Hand von Johannes King, teilt und lebt dessen Philosophie der konsequenten Regionalität, die sehr viel kreatives Improvisationstalent erfordert.
Das Menü startet mit den berühmten Kleinigkeiten aus der Küche, dem Amuse bouche. Ich weiß, dass die Köche einen ungeheuren Aufwand für diese Petitessen betreiben. Aber immer schäme ich mich fast ein wenig, wenn diese Raffinessen dann doch so rasch verputzt werden. So auch hier wieder, wo mir Jan-Philipp Berner alles genau erklärt hatte – nämlich, dass es sich letztlich um Miniaturen berühmter norddeutscher Gerichte wie Kieler Sprotten oder Senfkrapfen handelt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Schwertmuschel, aromatisiert mit winzigen Apfelstückchen, mit Dill sowie einer Dill-Emulsion und rechts auf knusprigstem Gebäck liegend, von einer Johannisbeere gekrönt.
Machen wir es kurz: Alles schmeckt hinreißend – und der Grand Cru-Champagner vom kleinen, feinen Hersteller Jean Pernet passt perfekt.
Morgens geerntet … | … abends serviert: Kräuter |
Beglückt bin ich, dass ich die morgens geernteten Kräuter abends frisch gewaschen auf dem Anrichtetisch wiedersehe – und es gibt praktisch kein Gericht, wo diese Kräuter nicht als wesentliches Geschmacks- und Dekorationselement eingesetzt werden. Sie führen hier ein wahrhaft königliches Dasein, die gezogenen, die wilden Pflanzen vom Land und aus dem Meer – wo sogar der von Gärtnern geschmähte Giersch seinen kulinarischen Auftritt hat. Entschlackend und entzündungshemmend wirkt das Dreiblatt, ist ein Segen gegen die allgegenwärtige Übersäuerung. So ließe sich für jedes verwendete Kraut eine Gesundheitsgeschichte erzählen, etwa über den sanft bitteren Gundermann, der den Stoffwechsel ankurbelt.
Natürlich erzählt niemand diese Geschichten, der Söl´ring Hof ist schließlich ein Genuss-Restaurant und kein Sanatorium. Fakt ist aber, dass die King´sche Kräuterküche auf raffinierte Weise eine wohlschmeckende Küche der Bekömmlichkeit ist. Würde in Kliniken so gekocht, ginge es den Patienten schnell besser – aber der Klinik schlechter, weil das „Patientengut“ flöten geht. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Der erste Gang ist eine Hommage an den Sommer: Ein kleines Potpourri von jungem Gemüse, wozu in der King-Küche immer das Radieschen gehört – eine gute Idee, schmeckt es doch gut und tut gut. Elegant dazu Wachtelei, die Frischkäsebällchen und die Kräuter, wobei mir der stupend-intensive Duft des Gundermanns im Gedächtnis bleibt. Der gute Gundermann, der sich oft schon im Januar zeigt, beglückt auch im Juli noch. Nicht nur wegen der gelben Farbe, sondern auch wegen der prickelnden Bitternis ein Gedicht, die Blätter der Calendula. Einen leicht salzigen Akzent setzt der Hirschhornwegerich
„Saibling – Nordseekrabben – Katenschinken – Kohlrabi“, lautet der wohltuend knappe Titel des zweiten Gangs. Der feine Fisch stammt vom nahen Plöner See. Über ihm schwebt ein herrlicher Schinkenduft, was von einer Algen-Schinken-Velouté kommt, also einer weißen Grundsauce. Ein Meisterwerk der Kohlrabi, der zwölf Stunden lang in einem süß-sauren Fond eingelegt war, also gepickelt ist. Gepickeltes ist eine Technik, die im Söl´ring Hof gerne angewendet wird.
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Einen 2013er Vouvray von der Domaine Huet gibt es zum Sommergemüse. Ein intensiver Wein aus der bekömmlichen Chenin Blanc-Rebe mit schlanken 12 Prozent Alkohol. Etwas Besonderes ist der zum Saibling servierte Vitovska vom friaulischen Weingut Kante. Der unfiltrierte Wein aus der autochthonen Rebsorte ruhte zwölf Monate im gebrauchten Barrique und wirkt wunderbar gereift, trotz moderaten 12 Prozent Alkohol. Ein kleines Kraftpaket, das dem intensiven Schinkenduft locker Paroli bietet.
Sommelière Bärbel Ring serviert gerne ungewöhnliche Weine aus dem mit über 6 000 Flaschen reich bestückten Keller – und erläutert die Weine mit einer überzeugenden Mischung aus Zurückhaltung und Entschiedenheit. Seit über sechs Jahren ist die gebürtige Duisburgerin bei Johannes King – und arbeitete vorher beim launischen Karl Ederer in München und beim Grandseigneur des Rheingaus, bei Hans B. Ullrich vom Kronenschlösschen in Hattenheim, wo sie eine fulminante Weinkarte betreute. Gute Stationen, um sich die nötige Gelassenheit für das diffizile Weingeschäft anzueignen.
Der Höhepunkt des Menüs ist für mich „Kaisergranat – Erbse – Pfifferling“. Ein Gedicht der Kaisergranat, der auch Norwegischer Hummer heißt. Ganz leicht gedämpft nur diese topfrische Delikatesse. Intensiv und leicht dazu die Apfel-Holunder-Vinaigrette. Gut der feinheimische Frischkäse, knackig die Erbsen dazu. Den Frischekick liefert die Vogelmiere, die zarten Blättchen rechts oben. Dekorativ die Borretschblüten aus dem Garten. Ein Gericht zum Niederknien, das ich hoffentlich richtig beschrieben habe. Manchmal würde ich am liebsten das ganze Menü am nächsten Tag noch mal essen – ich glaube, das würde das Verständnis für die Kochkunst auf ein vertiefteres Niveau heben.
Aus dem nahen Dänemark stammt der Kaisergranat. Soweit es möglich ist, werden Fische von der Umgebung verwendet und bewusst keine, „die südlich von Hamburg schwimmen“. Gerne auch solche, welche die örtliche Feuerwehr fängt, wobei da schon mal ein veritabler Wolfsbarsch dabei sein kann. Irgendwann ist auch wieder der eigene Kutter „Traumfänger“ repariert – dann wird auch wieder selbst gefischt. Denn seltsamerweise gibt es rund um Sylt kaum jemanden, der professionell zum Fischen geht.
Ein 2014er Weißburgunder Reserve vom Ökoweingut Wittmann erschließt das Aromaspektrum dieses großartigen Gerichts auf das Trefflichste.
Lämmer soweit das Auge reicht, weiden auf den saftigen Wiesen im schönen Schleswig-Holstein. Von da stammt auch das Hauptgericht: Auf den Punkt gebratener Rücken, geschmorte Schulter und ein nach Pastrami-Art gepökelter Schinken. Dazu ein feiner Zungensalat – es wird also möglichst viel vom Tier verarbeitet, wie es sich gehört. Intensiv der Lammjus – und sogar die Perlzwiebeln, von denen ich sonst nichts halte, sind angeflämmt eine Delikatesse. Es gibt noch verschiedene Bohnensorten und hinten rechts versteckt sich wahrscheinlich in einem marinierten Bohnenmantel ein Schafsjoghurt. Es wächst zusammen, was zusammen gehört.
Ein gereifter 2010er Bandol vom Chateau de Pibarnon hat genau die richtige herbe Kraft für dieses filigran-intensive Gericht.
Während ich esse, gehen die beiden entzückenden Mädchen vom Nebentisch in die Küche. Eingeladen hat sie Jan-Philipp Berner, der sie geduldig nach ihren Wünschen fragt – und auch darauf eingeht! Die Szene passt gut zur Atmosphäre im Zwei-Sterne-Restaurant.
Locker und gastfreundlich geht es zu, nichts von der angeblich sterilen Sterne-Kälte, die immer wieder durch die Medien geistert. Johannes King, Bärbel Ring, Jan-Philipp Berner und die ganze Mannschaft sind leidenschaftliche Gastgeber, die mit Herzblut arbeiten. Ich weiß nicht, woher die Vorurteile kommen, wer einmal die großartige Gastfreundschaft im zweigesternten Kölner Le Mossionnier erlebt hat, wird für den Rest seines Lebens eines Besseren belehrt sein. Selbst bei einem der Besten, bei Harald Wohlfahrt, habe ich im Frühjahr einen herzlich entspannten, ja lustigen Service erlebt.
Also: Potentielle Gäste geht hin! Und: Gastronomen tut etwas gegen das nicht mehr richtige Image. Denn solche Restaurants werden gebraucht, gehen von ihnen doch die entscheidenden Impulse für die Küche von morgen aus – und damit meine ich auch die gesundheitlichen. Denn die beiden Mädchen vom Nebentisch werden nicht so schnell den krank machenden Fast-Food-Verlockungen anheimfallen. Zu teuer? Wer das Preis-Leistungs-Verhältnis korrekt wertet, kann das nicht finden. So ist etwa ein gutes Glas zum guten Wein ein Wert, beispielsweise die wunderbar leichten von Zwiesel im Söl´ring Hof.
Krönender Abschluss ist eine großartige Variation um die Kirsche, gebettet auf ein Kirschengelee, umkränzt von den Kräutern der Wattwiese, vor allem dem Queller. Süß und salzig – eine gute Kombination, gerade auch in der fotografierten Variante mit kurz durch den Zucker gezogenen Meereskräutern, was mir besonders imponiert, auch weil es so magisch aussieht.
Was dazu trinken? Die Entscheidung fällt hier leicht, denn Johannes King hat ein großes Faible für Madeira und Port. Über 100 Sorten Port werden im Keller gehütet, darunter uralte Raritäten. Bärbel Ring kredenzt ein Glas vom Traumjahrgang 2007 aus der Magnum – ein veritabler Abschluss eines großartigen Menüs!
Fazit: Johannes King hat mit seinem hoch engagierten Team ein kleines Gastroreich geschaffen, das legeren Luxus mit Bodenständigkeit verbindet – und damit gangbare Wege einer künftigen Spitzenküche weist.
Söl’ring Hof, Am Sandwall 1, 25 980 Rantum/Sylt, 046 51/83 62 00. Restaurant Montag bis Samstag ab 18 Uhr 30 geöffnet. Angenehm gestaltet und informativ: www.soelring-hof.de
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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