9 Minuten
Das Echt essen-Gasthaus im Oktober: Gut gekocht wird im “Lumperhof” in Ravensburg. Außerordentlich gut informiert wird im neuen “Slow Food-Führer” über authentische Gasthäuser. Wirtshaus und Führer werden hier vorgestellt.
Streuobstbäume umgeben den “Lumperhof” oberhalb der prosperierenden Türmestadt Ravensburg. Es ist ein schlicht-gemütliches, von den Essensführern gelobtes Gasthaus auf dem Land mit einer schönen Terrasse, die ein Lindenbaum krönt. Auf seiner Homepage rühmt sich der in dritter Generation geführte Familienbetrieb seiner eigenen Enten, Gänse, Hühner, seiner selbst gemachten Würste, seiner Kräuter aus dem eigenen Garten. Ein “Echt-Essen-Lokal” also, wie ich es immer suche – entsprechend hoch die Erwartungen.
Gedämpft werden diese Erwartungen, wenn die rustikal-flotte Kellnerin die plastikumhüllte Karte reicht: Da grüßt leider wenig “Landlust”, heißen die Fische trotz des nahen Bodensees allein Kabeljau, Adlerfisch, Steinbutt sowie die hier deplatziert wirkende Jakobsmuschel, gibt es ein “Indisches Lamm-Curry mit Duftreis”. Sicher, es locken auch Rehrücken aus der heimischen Jagd, Ochsenbäckchen und Zwiebelrostbraten von Metzgern der Umgebung. Irgendwie wirkt aber alles nicht so stimmig. Egal, ich bin hier, es wird gegessen – und zwar Wildlachs, Wildhase und Allgäuer Käse.
Selbst mariniert ist der “Schottische Wildlachs”, ein Hauch zu süß, aber der Fisch schmeckt prächtig, ist saftig. Wunderbar passen dazu die Bachkresse und ein kleiner Salat (ist in einem Extra-Schälchen) mit Inger und der Wakame-Alge. Diese Braunalge ist zusammen mit dem marinierten Ingwer ein Gedicht – und zeigt, dass Jochen Fischer, der das Handwerk bei renommierten Köchen gelernt hat, sein Metier versteht. Gut angelegte 12,50 Euro.
Nächste Seite: Unterm Schafgarbenzweig: Gnocchi, Rosenkohl und Wildhase +++ Scheinen keine Weintrinker zu sein: Übersichtliches Angebot +++ Könnte ein Kandidat für den Genussführer werden: “Lumperhof”
Gespannt bin ich auf den Wildhasen. Ein Fleisch, das ich schätze, aber selbst nicht zubereite, weil es leicht “trocken” gerät. Das passiert einem Profi wie Jochen Fischer natürlich nicht. Die Wildhasenkeule hat einen guten Geschmack, ohne zu “wildelen”, könnte aber trotzdem noch was saftiger sein. Schade, dass der Hase aus Frankreich stammt, aber der auch hier unvermeidliche Maisanbau hat die sensiblen Hasen wohl längst in die Flucht geschlagen.
Klassisch gut die intensive Sauce, die auf den Punkt gegarten Rosenblätter, auch wenn ich von den angekündigten Trüffeln kaum etwas merke – was aber gottseidank nicht durch Trüffelöl kaschiert wird. Richtig begeistert bin ich von den Gnocchi, die hier endlich einmal keine Mehlklumpen sind, sondern fluffig leicht daherkommen. Ein ordentliches Gericht, das seine 22,50 Euro wert ist.
Seine 9,50 leider nicht wert ist der “Allgäuer Bergkäse” mit gerösteten Cashew-Kernen. Die tropische Cashew? Jetzt in der Zeit frischer heimischer Walnüsse? Der dünn aufgeschnittene, zu einer Rolle geformte Käse kommt leider kaum über die Qualität eines üblichen Schnittkäses hinaus, hat nichts mit köstlichem Bergkäse zu tun. “Ist das Rohmilch?”, frage ich. “Nein, den können sie bedenkenlos essen”, sagt fröhlich Sabine Decker-Fischer, die wirklich freundliche Dame des Hauses. Ja, da ist sie, die Furcht der meisten Gäste vor dem “Echten”, hier der Rohmilch. Könnte ja Allergien auslösen, deshalb lieber Unverdächtiges servieren, auch wenn es fad schmeckt.
Schwierig die Weinbestellung. Es gibt kaum vernünftige Flaschen im Angebot, der offene Gutedel, 0,2 Liter für 4,50 Euro, war korrekt, die offenen Roten aus Italien, Spanien keine Offenbarung. Die Wirte trinken wohl selbst keinen Wein.
Ein wenig lässt mich dieses an sich sympathische Gasthaus ratlos zurück. Da ist zweifellos ein Koch, der es kann, der aber irgendwie keinen richtigen Plan hat, der sich stärker auf die guten Produkte der reich gesegneten Bodenseegegend konzentrieren sollte; der sein Angebot auf die schlichte Einrichtung abstimmen sollte. Schade das Ganze auch wegen der herzlichen Wirtin, die mir noch den Kräutergarten zeigen will, leider war es schon dunkel; die von den Rezepten der Oma, von den eigenen Nüssen schwärmt, von den Produkten daraus.
Fazit: Das Gasthaus ist ein Hoffnungswert. Wahrscheinlich ist es am Besten, vorher mit dem Koch, der Wirtin zu reden – und Heimisches essen. Würde sich der “Lumperhof” konsequent in diese Richtung entwickeln, wäre er sicher ein guter Kandidat für den “Slow Food-Genussführer”, den ich im Anschluss vorstelle.
Nächste Seite: Zweite Auflage “Slow Food Genussführer”: Wo authentische Wirtshäuser warten +++ Über 400 genussvolle Adressen im 2015er-Führer
Zweite Auflage “Slow Food Genussführer”
Die faszinierende deutsche Gasthauskultur wird im neuen Slow Food-Führer noch kompetenter beschrieben.
Er kam, sah und siegte – der “Slow Food Genussführer”: Eine ungeheure Resonanz hatte die erste Auflage des Genussführers von Slow Food, der Organisation für ehrliche Lebens-Mittel. Viele Besprechungen, die vorgestellten Wirtshäuser erlebten einen merkbaren Zuspruch und auch die Verkäufe waren ordentlich. Gute Gründe, den Führer überarbeitet und erweitert für 2015 jetzt neu herauszubringen.
Drei Gründe sehe ich, die den immensen Erfolg ausmachen:
Aus einer kleinen italienischen Protestbewegung gegen Fastfood ist in den letzten Jahren ein weltweites Netzwerk von Menschen und Initiativen entstanden. Sie alle haben ein Ziel: Der industriellen Großproduktion von Nahrungsmitteln Alternativen gegenüber zu stellen: Zeigen, dass alte Gemüsesorten und Viehrassen besser schmecken, die Artenvielfalt erhalten; dass handwerklich hergestellte Lebens-Mittel die Umwelt schonen. In der ganzen Zeit ist es der klug vom Gründer Carlo Petrini orchestrierten Organisation gelungen, sich nicht vereinnahmen zu lassen – weder von Parteien, noch Interessengruppen, wie etwa Ökobewegung oder Vegetarier. Das macht die “Entschleuniger” glaubwürdig und unabhängig.
Runde zehn Jahre bin ich Mitglied, aber erst seit diesem Jahr bin ich wirklich aktiv – und zwar im Kölner Convivium (so heißen die regionalen Gruppierungen). Mitgearbeitet habe ich am neuen Genussführer und bin begeistert, mit welcher Intensität hier gearbeitet wird. Jedes Gasthaus wird von kleinen Gruppen (meist um die fünf Leute) mehrmals besucht. Vor- und Nachteile werden offen diskutiert – und alle zahlen alles selbst. Großartig, wahre Idealisten! Das ist ein Aufwand, den sich die anderen Führer aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten können. Die Schwarmintelligenz wird langfristig unschlagbar sein.
Wehmut kommt bei mir trotzdem auf: Als Schriftsteller versuche ich, von meiner Arbeit zu leben – und merke immer mehr, dass ordentliche Texte offensichtlich nur noch über Selbstausbeutung möglich sind.
“Nichts ist so erfolgreich, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist”, so das legendäre Zitat von Antoine de Saint-Exupéry. Es stimmt auch hier. Denn ohne eine breite Sehnsucht der Menschen nach einer authentischen Gastronomie hätte der Führer nie so eingeschlagen. Die Leute haben genug von den Tricksereien um die Nahrung, von den Geschmackverstärkern, von dem Vorgekochten, dem Convenience der meisten Gaststätten. Sie wollen eine ehrliche Küche, wollen wissen, wo die Produkte herkommen. Genau diese Orientierung bietet der Slow Food-Führer.
Im Vergleich zu ersten Auflage sind noch einmal 120 Gasthäuser dazu gekommen – wobei die Verteilung sehr unterschiedlich ist. So wimmelt es in Baden-Württemberg nur so vor roten Punkten, also Orten mit Empfehlungen. Während etwa in Sachsen-Anhalt allein das “Gasthaus Pretsch” (Seite 436) im Weinbaugebiet Unstrut die kulinarische Fahne hochhält. Schon jetzt freue ich mich auf Gasthäuser, die ich besuchen will, etwa den “Adler” in Schrammberg mit eigenen Fischteichen oder das “Rössle” in Schwäbisch-Hall mit eigenem Garten und natürlich endlich die “Jagstmühle” in Mulfingen, wo die Limpurger Ochsen hinter dem Gasthaus weiden.
Drei Gasthäuser möchte ich Ihnen empfehlen, die ich kenne, die mich begeistern:
“Gasthaus Hirschen”, Egerten bei Kandern (Seite 54): Seit über 40 Jahren besuche ich diese heimelige Gaststätte mit der schönsten Bauernstube im Markgräflerland. Alles holzvertäfelt, mit Kachelofen, nichts wurde “modernisiert”, so wie es sich gehört. In der zehnten! Generation führt nun Max Geitlinger die Familientradition fort, wobei das kulinarische Angebot seit Jahrzehnten gleich geblieben ist: Schäufele und Kalbsschnitzel. Zwei Klassiker, das muss reichen – und es reicht. Seit Max selbst keltert, sind auch die Weine endlich trinkbar.
“Restaurant Rose”, Hayingen-Ehestetten auf der schwäbischen Alb (Seite 48): Ein Tausendsassa ist der Koch Simon Tress, Kopf einer rührigen Familie, der den demeter-Betrieb (seit 1950!) zu einem mittelständischen Bio-Unternehmen ausgebaut hat: Eigenes Backhaus, eigener Garten, eigene Gewächshäuser. Simon Tress, der auch als kulinarischer Botschafter unterwegs ist, eine Produktion mit Gerichten in demeter-Qualität aufgebaut hat, macht eines vorbildlich: Er verwendet ganze Tiere und speziell die Innereien. Bei ihm will ich ein Innereien-Menü essen – und so meine Besprechung der “Rose” von vor einigen Jahren ergänzen.
“Breiers Kräutergarten” in Wriezen im Oderbruch (Seite 234), den ich im Juni dieses Jahres vorgestellt habe. Über 250 Pflanzen hat Alfons Breier in seinem großen ökologisch bewirtschafteten Garten – und er kocht damit prächtige Gerichte. Auch kennt er sich sehr gut aus, welche gesundheitlichen Wirkungen die einzelnen Pflanzen haben. Für mich ein Gasthaus, das auf seine Art in Deutschland einzigartig ist – und das in einer sonst eher kulinarisch eher armen Gegend.
Nächste Seite: “Slow Food Genussführer 2015”: Was sich noch besser machen ließe
Über 400 Gasthäuser, tolle Empfehlungen. Alles gut also? Ja, aber Gutes lässt sich immer noch verbessern. Hier fünf Anmerkungen von mir:
Die wahren Slow Food-Gasthäuser sind für mich die mit einer eigenen Produktion. Also eigene Kräuter, Gemüse, eigenes Vieh, eigener Wein. Hier besteht auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Ware tatsächlich von da stammt, wo sie angegeben wird. Denn natürlich sagen heute viele Köche, dass sie von den berühmten “Bauern aus der Umgebung” ihre Sachen beziehen. Aber stimmt das immer? Auch mir sind Betriebe bekannt, die brav ihre Biolieferanten auf der Karte aufzählen – und in Wirklichkeit im Großhandel einkaufen.
Einmal bin ich mit dem fränkischen Wirt Joachim Schwemmer einen ganzen Tag lang zu seinen Lieferanten gefahren, war frühmorgens schon in der Landmetzgerei beim Schlachten. Schwemmer wurde überall wie ein Kumpel empfangen – da wusste ich, der kauft wirklich bei denen. Übrigens der großartige “Goldene Hirschen” steht im Führer auf Seite 126.
Das Problem kennt jeder Gastroführer: In manchen Gegenden, etwa in Niedersachsen, im Osten, gibt es kaum gute Restaurants. Nur, auch im neuen Slow Food-Führer gibt es in manchen Gegenden einfach zu viele Lücken, etwa in der genussfreudigen Moselregion. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Convivien in großen Städten sind, weshalb gerne die Stadtgastronomie getestet wird, die aber halt meist nicht wirklich “slowfoodig” ist. Also, rausfahren – und Entdeckungen machen, wie etwa im Westerwald das “Bon Gout” mit seinen eigenen Schweinen der alten Rasse “Bunte Bentheimer”. Hier der Bericht von mir.
Es ist löblich, dass der Führer bewusst keine teuren Restaurants führt. Nur, diese Begrenzung schließt eben auch Gasthäuser aus, die nach bester Slow Food-Art wirtschaften, etwa das “Schweinsbräu” in Glonn bei München. Hier gibt es eigene Schweine, selbst gemachte Würste, wird sensationell gekocht – dafür ist es absolut preiswert. Mein Bericht ist schon fünf Jahre alt – und immer noch aktuell.
Die Preisgrenze ist auch diskussionswürdig, weil sie übersieht, dass “Bio” in der Gastronomie nicht wirklich wirtschaftlich machbar ist, weshalb hier viel getrickst wird. Also ruhig sagen, dass Gutes was kosten muss! Ein schönes Beispiel dafür erzählte Anne Fuentes, die klug das Kölner Convivium leitet, bei der Pressevorstellung des Führers: Da konnten Jugendliche Industrie- und Bio-Salami vergleichen – und fanden die handwerkliche besser. Einer sagte, “mir zu teuer”. Es war der mit neuestem Smart Phone, chicen Klamotten, teuren Schuhen. Die taktvolle Anne sagte nicht, was sie dachte. Ich bin da weniger zurückhaltend. Schließlich ist gutes Essen die Voraussetzung einer guten Gesundheit.
Alles so schön heil hier – ist ein Eindruck, der sich beim Lesen aufdrängt. Das ist prinzipiell in Ordnung, der Führer will ja ermuntern. Nur, natürlich kann in einem Gasthaus nicht alles gut sein, ist es auch nicht. Oft diskutieren die Tester Kritisches auch intern mit den Wirten. Aber manchmal denke ich, ein paar Andeutungen im Führer wären nicht schlecht. Muss ja nicht gleich so heftig ausfallen, wie bei mir im obigen Text zum “Lumperhof”.
Für viele ein rotes Tuch: Gesund und Genuss. Das ist seltsam, aber es ist so. Dabei kochen viele der vorgestellten Gasthäuser mit unverfälschten Produkten, etwa frischem, eigenem Gemüse – was der Gesundheit höchst zuträglich ist. Das könnte auch erwähnt werden – was aber viele abschreckt. Wen das nicht abschreckt, lese meine “Echt Essen-Gasthäuser”.
Ganz schön lang, meine Besprechung. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Lesen Sie den Führer, der beschreibt die Gasthäuser kurz und knackig!
Fazit: Der Genussführer ist auf einem guten Weg, DAS STANDARDWERK der deutschen Gasthauskultur zu werden.
“Slow Food Genussführer Deutschland 2015”, oekom-Verlag, München. 448 Seiten, 19,95 Euro
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
5 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen