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Das Echt essen-Gasthaus im März: Doppelt schöne Aussichten im Antwerpener „Restaurant aan de Stroom“: Auf die breit strömende Schelde und auf beste Fischgerichte. Aber auch andere Restaurants begeistern in der flämischen Genuss-Metropole
Antwerpen ist ambivalent: Wunderbare Orte gibt es, etwa einen der schönsten Bahnhöfe der Welt mit einer Kuppel wie im Petersdom; den faszinierend alt und neu verschmelzenden historischen Stadsfeestzaal; das einzigartige Jugendstilviertel Zurenborg; das zum Museum umgebaute Haus von Peter Paul Rubens, dem bedeutendsten Bürger der Stadt; das architektonisch hinreißende neue Museum am Strom, das MAS; und natürlich den Groote Plaats mit seinen Patrizierhäusern und dem Weltkulturerbe Liebfrauenkathedrale. Aber direkt neben dieser Pracht gibt es schäbige alte Häuser, geschmacklose neue Bauten, rumplige Straßen und Gehwege – das pralle Leben halt.
Antwerpen ist im Aufbruch: Erlebte die Hafenstadt nördlich von Brüssel im 17. Jahrhundert ihr Goldenes Zeitalter, wurde es lange ruhig um die Stadt mit über einer halben Million Einwohnern. Aber jetzt ist wieder Aufbruch, überall wird gebaut. Ein dezenter Wohlstand ist zu spüren, es fehlen die ansonsten allgegenwärtigen Bettler. Geld spülen wohl vor allem die Milliardenschwere Diamantenindustrie und der zweitwichtigste Hafen Europas in die auch mit Mode und Design glänzende Handelsstadt.
Antwerpen ist genussfreudig: Überall locken edle Läden mit noch edleren Schokoladen- und Pralinenspezialitäten. Es lockt eine verschwenderische Fülle von hervorragenden Restaurants, auch zwei Häuser mit zwei Sternen. Genau so wichtig sind aber die vielen Häuser, wo die Belgier voller Freude tafeln, wo auch mittags schon kräftig dem Wein zugesprochen wird. Zwei Tage war ich in dieser spannenden Stadt – und habe dabei drei Mal sehr gut gegessen und aufregend getrunken.
Es gibt eine gastronomische Grundregel, die leider meistens stimmt: Je schöner die Aussicht, desto durchschnittlicher das Essen. Eine wunderbare Ausnahme ist gottseidank das Restaurant aan de Stroom, das RAS. Es liegt in Sichtweite der Altstadt direkt an der Schelde auf einem Steinsockel. Ein lichtdurchfluteter, eleganter Speisesaal lädt zum Tafeln, ein freundlicher und aufmerksamer Service verbreitet eine behagliche Atmosphäre.
Zwei Gänge bestelle ich – und gleich der Auftakt ist sehr gelungen: Ein gegrilltes Steinbuttfilet mit deutlich sicht- und schmeckbaren Röstspuren, garniert mit Mandeln und umschmeichelt von einer luftig-leichten Hollandaise. Delikat und herrlich mit Muskat gewürzt der junge Spinat, mehr braucht es nicht. Der Fisch auf dem Punkt, die Beilagen bestens, die dafür aufgerufenen 23,50 Euro korrekt. Nur frischer Fisch vom Tag wird gekauft, erklärt mir der Wirt, als ich das Restaurant besichtige, das obendrüber noch zwei Etagen für Gesellschaften hat – und wo es sich im Sommer draußen trefflich sitzen lässt.
Schöne Aussichten: Vorne der perfekt gebratene Kabeljau und hinten die Schelde, die wenige Kilometer weiter ins Meer mündet. Zum Fisch, der wunderbar glasig zerfällt, werden neben einer dichten Weinsauce feine Frühlingsgemüse gereicht, wozu auch zwei kleine Wirsingrollen gehören – Kohl in jeder Variation bereichert erfreulicherweise die Küche Flanderns. Leider nur ordentlich sind die Kartoffeln, aber wenigstens sind sie nicht zu weich gekocht. Das alles für 28,50 Euro.
Großartig der Wein: 2014er „Alsace“ vom Öko-Paradewinzer Marcel Deiss, Eine Assemblage aus 13 elsässischen Rebsorten mit 12,5 Prozent für 39 Euro. Feiner lässt sich das Elsass wohl kaum genießen.
Fazit: „Entspannt zurücklehnen“, so beschreibt der Reiseführer Marco Polo das RAS. Dem ist nichts hinzuzufügen.
RAS, Ernst Van Dijckkaai 37, 2000 Antwerpen, 0032 3 234, 12 75, täglich mittags und abends geöffnet. www.ras.today
Es gibt auch erfreuliche Entwicklungen in Europa: In allen Ländern macht sich eine junge Köchegeneration auf – und entdeckt die traditionellen Produkte und Gerichte ihrer Heimat wieder. In Deutschland sind das Leute wie der kürzlich von mir vorgestellte Felix Schneider vom „Sosein“. Auch in Flandern gibt es diese jungen Wilden – und einer der Besten ist Dennis Broeckx vom L‘EPICERIE DU CIRQUE im angesagten Zuid-Viertel. Natürlich restlos ausgebucht ist dieses kleine, feine Restaurant – und nur durch einen glücklichen Zufall bekamen wir an einem Freitag abend noch zwei Plätze für zwei Stunden, was wohl nur bei persönlichem Erscheinen klappt.
Ein ungemein herzlicher, höchst professioneller Service begeistert den Gast. Die Karte ist wie meist auf flämisch gehalten, von dem ich erstaunlicherweise relativ viel verstehe, wenigstens was das Gastronomische anbelangt. Aber die perfekt englisch sprechenden Bedienungen übersetzen gerne – und ich bestelle zwei Gänge mit Fisch, naheliegend nahe dem Meer.
Den aufregenden Auftakt macht ein Krabbencocktail mit Mais, Paprika, Avocado, Limette – und als Clou gepoppter Ziegenkäse. Das passt alles phantastisch zusammen, schmeckt süffig und ist seine 26 Euro wert.
Ein Gedicht auch der zweite Gang: Steinbutt mit Kerbel, darüber dünne Scheiben vom Topinambur, gedünsteter Wirsing und eine intensive, leicht aufgeschäumte Hummersauce. Plus ein großer Ravioli mit etwas zu dickem Teig, aber einer exzellenten Hummerfüllung. Zusammen für 38 Euro. Das ist kein Schnäppchen, aber der großartig frische Fisch und die kluge Zubereitung, das herrliche Spiel mit den Säuren rechtfertigen den Preis.
In der Aufregung des Bestellens, der Freude überhaupt einen Platz gefunden zu haben, übersehe ich den schmalen Zettel mit den „Small Bits“, kleine Appetithäppchen. Gottseidank darf ich zwei davon als „Dessert“ bestellen – und sie sind der eigentliche Höhepunkt.
Witzig der „Pekalhering“, eine Sardine mit Olivenöl und Queller, dem Salzgewächs, was ich neulich bei Johannes King auf Sylt genießen durfte. Ein Clou die geräucherte Auster mit angebranntem Heu, was einen ungemein intensiven Duft am Tisch verbreitet. Große Küche kann manchmal so einfach sein!
Beeindruckend die klug zusammengestellte Weinkarte mit vielen angesagten „Naturweinen“, die kaum geschwefelt sind. Nicht gerade preiswert sind die meisten, so entscheide ich mich für den 2012er Chardonnay „Guille-Bouton“ vom Winzer Etienne Thiebaud aus Arbois. Mit 34 Euro einer der billigsten, aber ein wahrer Volltreffer. Schlanke 12,5 Prozent hat dieser Wein aus dem französischen Jura, aber jeder Schluck ist eine Offenbarung.
Fazit: Sicher eine der spannendsten Küche in Antwerpen. Eine Küche, die mit ihrer sanften Fischzubereitung, den frischen Kräutern und feinen Ölen auch eine wahre Gesundküche ist!
„L‘EPICERIE DU CIRQUE“, Volkstraat 23, 2000 Antwerpen, 0032/ 3 238 05 71. Von Dienstag bis Samstag mittags und abends geöffnet. www.lepicerieducirque.be
Auch das noch: Gemüse-Fake Voller Erwartungen ins „Graanmarkt 13“ – standen doch mehrfach im „Feinschmecker“ wahre Lobeshymnen über dieses Restaurant. Sein Chef Seppe Nobels wird gerühmt, er sei „spezialisiert auf die Verarbeitung von Gemüse aus eigenem Anbau“ – so der Hamburger Feinschmecker. Das ist natürlich Fake hoch Drei. Weil der Koch nicht da ist, frage ich seinen Küchenchef nach dem Eigenen. Der muss mühsam sein Lachen unterdrücken – und verweist darauf, dass im Sommer ganz oben auf der Terrasse wohl ein paar Küchenkräuter gezogen werden. Tja, Dichtung und Wahrheit liegen bei dem, was Köche so eigen nennen, meist meilenweit auseinander.
In einem alten Patrizierhaus nahe dem Prachtboulevard Meir liegt das Restaurant im Souterrain – und erfreut mit einfacher Eleganz und cleanen Marmortischen. Auch hier ein flinker Service und eine über sechsköpfige Brigade in der offenen Küche. Ich erwähne das deshalb, weil das Essen in allen drei Restaurants erstaunlich schnell auf den Tisch kommt, ohne dass irgendwo auch nur so etwas wie Hetze entsteht.
Eine Besonderheit sind hier die „Appetizers“, die pro Person 13 Euro kosten. Die vier Gerichte fallen aber so reichlich aus, dass ich empfehle, die nur einmal für Zwei zu bestellen. In bester Erinnerung sind geblieben: Fleischig saftige Muscheln in Weißweinsauce und eine großartige Gazpacho mit geräuchertem Aal. Interessant auch ein Linsen-basierendes Hummus. Weniger gelungen frittierte Stücke von Kürbis und Huhn – das ist einfach zu mächtig.
Ausgezeichnet das Vollkornbrot, wie übrigens auch in den beiden anderen Gasthäusern. Brot backen, das können die in Flandern!
Großes Gemüsekino sind Rote und gelbe Bete mit Rote Bete-Sauce, Postelein, Walnüssen, eingelegten Senfkörnern und einem leider fast zu dominanten roquefort-artigen belgischen Käse.
Auch gut: Etwas zu weiches Kabeljaufilet in Zitronenöl mit verschiedenen Gemüsezubereitungen, die in separaten Tellern gereicht werden. Toll davon: Schwarzwurzeln und Chicorée mit Ziegenkäse, witzige Kombination. Auch interessant: Weißkraut-Salat mit Apfelessig. Und da ist dann noch ein herrlich intensiver auf Sellerie, Zwiebeln und Heu basierender Jus. Leider passt er aber zu nichts wirklich, schade. Auch hier wieder: Weniger wäre mehr, wer soll das alles essen? Vor allem, da ich in Unkenntnis der Mengen noch drei ausgezeichnete belgische Käse geordert hatte. Alles zusammen kostet angemessene 60 Euro.
Fein ein 2015er Grüner Veltliner von Markus Hofer aus dem Traisental mit 12,5 Prozent für 36 Euro.
Fazit: Hier wirkt ein Koch, der was kann, aber zu viel will – und vor allem zu viel auf die Teller packt. Für einen, der sich in der Eigendarstellung als Gesundkoch profiliert, besteht hier noch Nachholbedarf. Den kann er sich etwa bei einem Besuch von Andreas Krolik vom Frankfurter „Lafleur“ holen, das ich im Januar vorgestellt habe – das ist eine wirkliche Gesundküche!
Zu deutsch-kritisch sehe ich das aber vielleicht: Schließlich herrscht eine prächtige Stimmung, kurz vor 21 Uhr kommen noch einmal 20 fröhlich lachende Gäste – Lebenslust pur!
„Graanmarkt 13“, Graanmarkt 13, 2000 Antwerpen, 0032/ 3 337 79 91. Von Dienstag bis Samstag mittags und abends geöffnet. www.graanmarkt13.be
Stundenlang bin ich zwei Tage zu Fuß durch die Stadt gestreift – ideal, um die Vielfalt zu entdecken. Das geht, weil die interessanten Teile einigermaßen dicht beieinanderliegen. Wobei: Es gibt auch U-Bahn, Straßenbahn und Busse. Ach ja, es gibt auch seit neuestem ein Fahrverbot für weniger saubere Autos. Wie weit es kontrolliert wird, weiß ich nicht – aber es ist ein wichtiger Schritt hin zu einer lebenswerten Metropole.
Magisch zieht es mich zu „Jane“, dem derzeit begehrtesten Restaurant Europas. Es wird betrieben von dem holländischen Starkoch Sergio Herman und liegt in der ehemaligen Kirche eines Militärkrankenhauses im Süden von Antwerpen. Es ist auf Monate ausgebucht, und als ich mittags gegen 15 Uhr vorbeischaue, ist es trotz Mittagsservice geschlossen. Einen Blick auf die fantastische Architektur wollte ich werfen – aber das wollen wohl viele, weshalb die vorsichtshalber die Hütte abschließen. Aber schauen Sie einmal im Netz auf die exzellente Homepage, wo auch die verspielt bunten Fenster zu bewundern sind.
Preiswerter und ohne Reservierung genießen Sie Rezepte von Sergio Herman in seinem „Frites Atelier“. Hier gibt es das Nationalgericht Fritten in großartiger Qualität mit phantastischen eigenen Saucen zu passablen Preisen, serviert von einem aufmunternden Service – und wie in der großen Gastronomie dreht auch der jeweilige Chefkoch seine Tischrunden. Das Atelier liegt mitten in der Stadt – sinnigerweise in der „Gasthuisstraat“ gegenüber der Kultbäckerei Goossens. Wichtigster Vorzug: Die Fritten sind so was von bekömmlich!
Wie aus der Zeit gefallen, wirkt das Bierlokal „Kulminator“, das von außen wie geschlossen aussieht. Drinnen ist es auch nicht viel heller. Es gibt nur wenige Tische, und es wuseln zwei verwunschene Gestalten herum, ein zotteliger Späthippie mit geschätzten 80 Jahren, der großartig Bier ausschenkt – und wohl seine Frau, welche die Bestellungen aufnimmt. Als erstes bringt sie eine über 50 seitige Fibel mit über 500 Sorten, von denen auch ein Bierkenner wie ich nur die wenigsten kennt.
Ja, Belgien ist ein Bierland – und überall werden Sorten ausgeschenkt, die mit unserem Verständnis des Gerstensaftes gar nichts zu tun haben. Erst seit es die handwerklich gemachten Craft-Biere gibt, verstehen auch wir so langsam, wie wunderbar vielfältig Bier schmecken kann. Ich bestelle VAN’T VAT, also ein Fassbier, nämlich ein in Sauterne-Süßweinfässern gereiftes Bier. Jeder Schluck entführt in eine neue faszinierende Geschmackdimension. Dann noch ein Glas alkohol-starkes, würziges Trappistenbier von der Traditionsbrauerei Chimay.
Von Hand auf einen Bierdeckel geschrieben kommt die Rechnung, im Kulminator ist alles stimmig. Unbedingt hingehen, solange es solche Idyllen noch gibt! Wer belgische Biervielfalt stylisher genießen möchte, dem empfehle ich das „Gollem“ am Rand der touri-trubligen Altstadt.
Alles erzählt? Fast mein Hotel vergessen: Das „Antwerp City Hotel“ liegt in unmittelbarer Bahnhofsnähe in der wenig prickelnden Appelmansstrat. Auch der unscheinbare Eingang, der enge Lift, das enge Treppenhaus, wirken nicht wirklich einladend. Aber dann ist da der herzliche Empfang – und vor allem das großartige Zimmer. Gefühlte 20 Quadratmeter, mit sicherem Design-Gefühl eingerichtet. Großzügiges Bad, und es gibt sogar einen kleinen Balkon mit einer wenig berauschenden Aussicht auf verrumpelte Häuser. Aber dafür passt der Preis: 180 Euro für zwei Nächte und zwei Personen, gebucht über booking.com.
Gesamtfazit: Wer’s nicht zu piekfein mag, wer sich über eine herzliche Gastlichkeit freut, wer aufregende kulinarische und kulturelle Entdeckungen machte möchte, ist in Antwerpen richtig. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen!
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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