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Am 8. Juli lud die Blood Sugar Lounge und der DDB zum Diabetes-Typ-2-Barcamp nach Berlin ein. Bei schönem Sommerwetter und in entspannter Atmosphäre trafen sich Menschen mit Diabetes, deren Freunde und Interessierte, um sich auszutauschen, zu netzwerken und voneinander zu lernen.
Passend zur entspannten Atmosphäre der Location – das Old Smithy’s Dizzle in Friedrichshain – lief beim Diabetes-Typ-2-Barcamp in Berlin alles per „Du“. Das Barcamp, auch „Un-Konferenz“ genannt, ist eine interaktive Veranstaltung, bei der die Teilnehmenden selbst das Programm bestimmen. In drei Blöcken und insgesamt acht Sitzungen diskutierten die Teilnehmenden zu verschiedenen Aspekten des Lebens mit Typ-2-Diabetes. Organisiert wurde das Event von der Diabetes-Online Community Blood Sugar Lounge zusammen mit dem Deutschen Diabetiker Bund (DDB).
Besonders intensiv diskutierten die Teilnehmenden das Thema Stigmatisierung. Menschen mit Diabetes haben täglich mit vielen Vorurteilen und Fremdzuschreibungen zu tun. Auffällig dabei ist, wie unterschiedlich die Bilder sind, die über Menschen mit Diabetes Typ 1 und Menschen mit Diabetes Typ 2 medial kursieren. Teilnehmende bemerkten, dass seit einigen Jahren in der Werbung vermehrt Bilder von schlanken, weißen und sportlichen jungen Personen auftauchen, die für Menschen mit Typ-1-Diabetes stehen sollen. Eine vermeintlich positive Darstellung, die aber so eng gesetzt ist, dass sie viele Menschen von vornherein ausschließt. „Viele fühlen sich davon einfach nicht abgeholt“, sagte Steffi von #dedoc°.
Im Gegensatz dazu kämpfen Menschen mit Typ-2-Diabetes häufig mit dem Vorurteil „alt, dick, disziplinlos, dumm, faul und gefräßig“ zu sein, wie Elke zusammenfasste. Diabetes Typ 1 wird meist als der „schlimme“ Diabetes gedeutet, Typ 2 als der „Alterszucker“ oder eben der Diabetes, an dem man „selbst schuld“ sei. Leider würden Menschen mit Typ-1-Diabetes häufig dazu beitragen, diese Vorurteile zu zementieren. Konfrontiert mit Aussagen wie „Ach, du hast Diabetes? Du bist doch gar nicht so dick“ neige man dazu, sich automatisch zu distanzieren. Das sei laut Steffi aber der falsche Weg. Statt aktiv in die Abwehrhaltung zu gehen („Nein, das ist Typ 2 – ich bin Typ 1.“), müssten Menschen mit Diabetes Typ 1 und Menschen mit Diabetes Typ 2 gemeinsam aufklären und gegen Diskriminierung kämpfen, meinte Steffi.
Vorurteile gegenüber Diabetes, insbesondere Diabetes Typ 2, gingen in sehr vielen Fällen auf Fat Phobia, die Angst vor Körperfett, zurück, so Steffi. Besonders kritisch äußerten sich die Session-Teilnehmenden darüber, wie Menschen mit Adipositas in den Medien dargestellt würden: Rückenansichten, entmenschlichende Bildausschnitte von entblößten Körperregionen oder ohne Kopf. „Wo sind die Bilder, die Lebensfreude ausstrahlen?“, fragte Elke. Sie forderte, dass Menschen mit Adipositas selbst entscheiden dürfen, wie sie abgebildet werden.
Der Glukosesensor erleichtert das Leben mit Diabetes, darüber ist man sich in der Session-Gruppe einig. Menschen mit Diabetes Typ 2 kommen jedoch nur schwer an Systeme für kontinuierliche Glukosemessung (CGM). Die Krankenkassen dürfen sie nur Menschen mit intensivierter Insulintherapie verordnen und unter der Bedingung, dass ihre Therapieziele mit Blutzuckermessung nicht erreicht werden können. Mehrfach äußerten die Teilnehmenden während des Barcamps den Wunsch nach einem einfacheren Zugang zu Sensoren für alle Menschen mit Diabetes sowie einer Öffnung der Versorgung auch für Menschen mit anderen Krankheiten, die davon profitieren könnten.
Doch der Glukosesensor bedeutet nicht nur Freiheit und Empowerment – er macht den Diabetes für andere sichtbar. Für Menschen mit Adipositas kann der Sensor schnell zu einem weiteren Stigma werden und somit zu einer weiteren Einladung für ungebetene Kommentare und Ratschläge anderer, befürchtete Elke: „Nach dem Motto: Würdest du nicht so viel essen, hättest du solche Probleme nicht.“
Auch Kinder erleben Diskriminierung aufgrund ihres Diabetes. Sorge besteht vor allem darüber, wie die Teilhabe von Kindern mit Diabetes im Kita- und Schulalltag gesichert werden kann. 2019 war ein 13-jähriges Mädchen auf Klassenfahrt in London an einer extremen Überzuckerung gestorben. Das nun anstehende Gerichtsurteil machte die Gruppe betroffen. Werden Lehrkräfte Schüler und Schülerinnen mit Diabetes zukünftig überhaupt noch auf Klassenfahrten und Ausflüge mitnehmen? Lehrkräfte seien überfordert und ihre Angst vor dem Diabetes sei groß. Dass es dringend professionelle Begleitung im Schulalltag braucht und Schulung für Betreuende ausgeweitet und intensiviert werden muss, darüber ist sich die Gruppe einig.
Über Eltern von Kindern mit Diabetes, die täglich mit Vorurteilen und Vorwürfen konfrontiert werden, berichtete Anke, die weiß, wie nervenzehrend es für Eltern von Kindern mit Diabetes sein kann, sich ständig rechtfertigen und erklären zu müssen. Immer noch gebe es Menschen, die glaubten, dass Eltern durch falsches Handeln schuld daran seien, dass ihr Kind krank geworden sei. „Ich habe sogar schon gehört, dass es damit zu tun haben soll, ob man sein Kind gestillt hat oder nicht“, erzählte eine Teilnehmerin. Generell komme es vor, dass der Diabetes vom Umfeld der Kinder als lästig empfunden werde, berichteten die Teilnehmenden. Aus Angst vor den Problemen, die der Diabetes mit sich bringen könnte, würden Kinder nicht zu Geburtstagen oder zum Spielen eingeladen.
Natürlich gebe es auch viele Menschen, die aktiv darüber nachdenken, was Menschen mit Diabetes brauchen, um sie zu unterstützen. Auch wenn dies meist gut gemeint ist, muss es nicht immer hilfreich sein. Steffi ist beispielsweise auf Festen bereits passiert, dass ihr wegen ihres Diabetes Extra-Kuchen oder -Eiscreme angeboten wurde. Dabei hatte sie sich den ganzen Tag auf „normale“ Desserts gefreut. Es gebe also auch so etwas wie positive Stigmatisierung, also der gute Wille, der auch misslingen kann.
Was also tun gegen Stigmatisierung? Wie überall im Leben ist es besser, nachzufragen, „Was brauchst du?“, statt eigene Rückschlüsse auf Basis von Vorurteilen zu ziehen. Offen miteinander zu sprechen und sich auszutauschen, helfen dabei, Vorurteile abzubauen. Schon mit Kindern müsse offen kommuniziert werden, am besten in Schulklassen, wünschten sich die Teilnehmenden. Aktiv ins Umfeld zu gehen und aufzuklären, das sei natürlich anstrengend und oft mühsam, berichteten die Teilnehmenden. Die Initiative von außen, beispielsweise von Schulen, begrüßten sie daher.
Sind Menschen mit Diabetes Typ 2 im Vergleich zu Menschen mit Typ 1 vielleicht so leise, weil sie die Stigmata und Vorurteile fürchten? Der Eindruck, dass Menschen mit Diabetes Typ 2 im Gegensatz zu Menschen mit Typ-1-Diabetes weniger stark am öffentlichen Dialog beteiligt und medial präsent sind, bestätigte sich auch beim Diabetes-Typ-2-Barcamp. Auch wir Organisatoren des Barcamps haben gemerkt, wie schwierig es sein kann, Menschen mit Diabetes Typ 2 zu aktivieren. Menschen mit Typ-2-Diabetes, wo seid ihr? Wie erreichen wir euch? „Menschen mit Diabetes Typ 2 sollten wissen, dass wir uns für sie und ihre Erfahrungen interessieren“, sagte Steffi in der Schlussrunde des Barcamps am Nachmittag.
Das Diabetes-Typ-2-Barcamp in Berlin wurde von der Diabetes-Online Community Blood Sugar Lounge zusammen mit dem Deutschen Diabetiker Bund (DDB) veranstaltet. Sponsoren waren die Unternehmen AstraZeneca und Dexcom.
Fest stand sowohl für die Session-Gruppe als auch alle anderen Teilnehmenden am Ende des Tages: Menschen mit Diabetes sollten ihre vielen Gemeinsamkeiten in den Blick nehmen, statt sich auf die Unterschiede der Krankheit zu fixieren. Denn wenn Menschen aller Diabetes-Typen zusammen handeln, haben sie eine viel lautere Stimme, mit der sie gemeinsam füreinander einstehen können. „Es ist schön, dass der Anfang jetzt gemacht ist“, hielt Teilnehmerin Anke fest.
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