F wie Familie, Freunde …

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F wie Familie, Freunde …

Kontinuierliche Glukosewerte per Smartphone automatisch an die Ehefrau übermitteln; der Jugendliche, der auch bei der Party Ratschläge von den Eltern aus der Ferne zu seinen hohen Werten per SMS bekommt: Die rasanten Fortschritte der Diabetes­technologie ermöglichen bald eine viel größere Einbeziehung des familiären Umfelds der Betroffenen. Diabetes-Experten sprechen von Diabetes „Typ F“, wenn Angehörige stark in die Versorgung von Betroffenen eingebunden sind.

Angehörige von Diabetikern spielen eine zentrale Rolle in der Unterstützung des Erkrankungs-Managements im Alltag – also Familie, Partner und andere Personen im engeren sozialen Umfeld. Bislang wurde der Einfluss der Erkrankung auf das Leben der Angehörigen wissenschaftlich kaum untersucht.

In der DAWN2-Studie (Diabetes Attitudes, Wishes and Needs 2) arbeitete das Unternehmen Novo Nordisk gemeinsam mit der International Diabetes Federation (IDF), der International Alliance of Patient Organizations (IAPO), dem Steno Diabetes Center und einigen anderen nationalen, regionalen und globalen Partnern: Man führte eine Befragung durch von über 15.000 Menschen aus 17 Ländern und auf vier Kontinenten.

Die neuen Ergebnisse von DAWN2 zeigen, dass das Leben der Angehörigen von Menschen mit Diabetes durch die Erkrankung maßgeblich beeinflusst und auch belastet wird.

Weltweite Studie in 17 Ländern

Befragt wurden Menschen, die selbst mit Diabetes leben oder Menschen mit Diabetes betreuen oder behandeln. Die 17 Länder sind: Algerien, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, die Niederlande, Polen, Russland, Spanien, Türkei und die USA. Unter den 15.438 Befragten (davon 902 in Deutschland) waren neben 8.596 selbst Betroffenen auch 2.057 Angehörige eingeschlossen.

Die DAWN2-Studie zeigt die aktuelle Situation von Menschen mit Diabetes in Deutschland im internationalen Vergleich. Die Studie bestätigt, dass Diabetes ein erhebliches physisches, psychisches und ökonomisches Problem für Menschen mit Diabetes darstellt.

Hypoglykämien: zentrales Thema!

40 Prozent der Menschen mit Diabetes sorgen sich um Unterzuckerungen (Hypoglykämien): Sie sind für Patienten ein limitierender Faktor in der Therapie und verhindern häufig das Erreichen der optimalen glykämischen Kontrolle. Erwartungsgemäß wurden in der Studie schwere Hypoglykämien häufiger bei Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes (Typ 1 und Typ 2) gefunden. Schwere Unterzuckerungen waren mit einem reduzierten Wohlbefinden, häufigeren Depressionen und höheren diabetesbedingten Belastungen assoziiert.

Die resultierenden psychosozialen Konsequenzen können weitreichend sein und betreffen viele Bereiche des Alltags: Dazu gehören das Gefühl körperlicher Gesundheit, emotionales Wohlergehen, die finanzielle Situation, Gestaltung der Freizeitaktivitäten, die Wahl oder Ausübung von Beruf, Schule oder Ausbildung sowie persönliche Beziehungen.

Länder im Vergleich

22 Prozent der Menschen mit Diabetes haben den Eindruck, dass die tägliche Anwendung ihrer Diabetes-Medikamente sie daran hindert, ein normales Leben zu führen (Typ-1-Diabetes/T1DM: 31 Prozent; Typ-2-Diabetes/T2DM: 16 Prozent). Über alle Teilnehmer und Länder gemittelt berichteten 41 Prozent der Befragten mit Diabetes in der DAWN2-Studie von einer deutlichen emotionalen Belastung durch ihre Erkrankung. Deutschland lag mit 27 Prozent deutlich niedriger als der Mittelwert, jedoch höher als die Niederlande und Dänemark (17 bzw. 21 Prozent).

Angehörige spielen eine große Rolle …

Familie, Partner und andere Personen im engeren sozialen Umfeld von Menschen mit Diabetes spielen eine zentrale Rolle in der Unterstützung des Erkrankungs-Managements im Alltag. Bislang wurde der Einfluss der Erkrankung auf das Leben der Angehörigen in der Wissenschaft kaum untersucht.

Die neuen Ergebnisse von DAWN2 zeigen, dass das Leben der Angehörigen von Menschen mit Diabetes durch die Erkrankung maßgeblich beeinflusst und belastet wird. 37 Prozent der Angehörigen möchten gern noch stärker in die Versorgung ihres betroffenen Familienmitglieds mit Diabetes einbezogen werden. Viele Angehörige fühlen sich aber unsicher und hilflos im Umgang mit der Erkrankung: 34 Prozent der deutschen Befragten sind frustriert, da sie nicht wissen, wie sie am besten helfen können.

Die Angst vor Unterzuckerungen ihres Nahestehenden ist ein zentrales Thema hierbei: 63 Prozent aller befragten Angehörigen in Deutschland haben große oder sehr große Sorgen vor Hypoglykämien (vor allem nächtlichen). Fast 20 Prozent der Angehörigen berichten, dass sie mehrmals pro Monat/mindestens einmal wöchentlich bei der Behandlung von Hypoglykämien helfen müssen. Mehr als die Hälfte fühlen sich dabei unsicher im Umgang mit den Unterzuckerungen.

Folgen des Diabetes für Angehörige

Es überrascht daher nicht, dass DAWN2 daher erstmals zeigen konnte, dass auch das Leben Angehöriger von erwachsenen Menschen mit Diabetes durch die Erkrankung negativ beeinflusst wird. Ihre Lebensqualität ist eingeschränkt und ihr emotionales Wohlbefinden durch Ängste und Sorgen reduziert. Diabetes hat weitreichende Auswirkungen auf das Leben der Angehörigen, besonders wirkt es sich auf das psychische Wohlbefinden und die finanzielle Situation aus.

So berichten Angehörige von Menschen mit Diabetes über folgende negative Auswirkungen: 41 Prozent reduziertes psychisches Wohlbefinden, 25 Prozent Finanzen, 28 Prozent Beeinträchtigung von Freizeitaktivitäten, 22 Prozent Auswirkungen auf die eigene physische Gesundheit, 15 Prozent Nachteile bei Arbeit und Ausbildung, 14 Prozent Störungen der Beziehung zu Familie/Freunden/Gleichaltrigen.

Jeder zweite Angehörige gibt an, dass er stark unter den Sorgen um sein Familienmitglied mit Diabetes leidet und sich belastet fühlt. 47 Prozent der Angehörigen erleben den Diabetes als Belastung durch die Versorgung eines Angehörigen.

Vermindern Schulung und Selbsthilfe die Belastung Angehöriger?

Hinsichtlich der Belastung durch Versorgung und Unterstützung der Angehörigen lag Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Im Durchschnitt gaben 40 Prozent der befragten Angehörigen an, durch die Erkrankung emotional deutlich belastet zu werden.

In Deutschland lag der Wert mit 28 Prozent niedriger, war aber weit von den Befragungsergebnissen aus den Niederlanden und Dänemark (11 bzw. 21 Prozent) entfernt. Womöglich hängt dies mit dem Zugang zu Schulungsaktivitäten und -programmen zusammen, den in Deutschland 28 Prozent, in Dänemark aber 43 Prozent der befragten Angehörigen besaßen.

Ein ähnlicher Zusammenhang könnte auch bei den Hypoglykämie-Sorgen bestehen: 64 Prozent der Angehörigen in Deutschland sind über das Hypoglykämie-Risiko von Menschen mit Diabetes besorgt (61 Prozent über alle Länder gemittelt).

In vielen Industrieländern lag der Wert niedriger, am deutlichsten wieder in Dänemark und den Niederlanden (jeweils 32 Prozent). Angehörige sollten daher die vielfältigen Angebote im Rahmen von Diabetes-Info-Veranstaltungen oder im Internet wahrnehmen, die ihnen bei der realistischen Einschätzung des Hypoglykämie-Risikos und der richtigen Behandlung helfen.

Auch die Organisation in der Selbsthilfe könnte eine Rolle spielen: So hat diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe circa 28.000 Mitglieder, die dänische Organisation fast 10-mal so viele Mitglieder trotz einer viel kleineren Bevölkerung.

Besondere Situation der Eltern

Besonders belastend erleben Eltern die ständige Angst vor Hypoglykämien, die das Kind selbst noch nicht erkennen und benennen kann. Das Verhalten des Kindes wird deshalb (von einigen sehr besorgten Eltern auch nachts) ständig beobachtet, um diese akute Komplikation von anders begründeten Stimmungsschwankungen oder Auffälligkeiten zu unterscheiden. Dabei besteht die Gefahr, dass sich Angst und Unsicherheit der Eltern auf das Kind übertragen und bei ihm zu einer durch Abhängigkeit und Ängstlichkeit geprägten Grundhaltung führen.

Die kontinuierliche Glukosemessung kann Eltern hier Sicherheit geben, wenn sie qualifiziert geschult und begleitet wird. Sie kann aber auch zu einer zusätzlichen Belastung durch den technischen Aufwand, häufige Alarme und die ständige besorgte Beobachtung des Stoffwechsels führen. Eltern von Kindern mit Diabetes, vor allem Mütter, können durch den Verantwortungsdruck und die Therapie überfordert werden und ein Burn-out-Syndrom entwickeln.

Eltern: beide Partner mit einbinden

Besonders schwierig ist es für sie, gegensätzliche Aspekte der altersgemäßen Erziehung zu Selbständigkeit und der Diabetestherapie miteinander zu vereinbaren. Oft wird vor allem das Leben der Mütter stark durch den Diabetes des Kindes zulasten eigener Bedürfnisse bestimmt. Aufgabe der Berufstätigkeit und wenige Sozialkontakte führen leicht zur Isolation der Mütter, die sich intensiv und häufig auch nahezu ausschließlich auf den Diabetes ihres Kindes konzentrieren.

Auch in Partnerschaften, wo nur einer von Diabetes betroffen ist und der andere in ungünstigen Fällen nur am Rande in die Therapie einbezogen ist, kann dadurch die Beziehung belastet werden. Um dem vorzubeugen, sollten immer beide Elternteile bzw. Ehepartner an den Diabetesschulungen teilnehmen. Auch ein Engagement in der Selbsthilfe kann nachweislich die Situation der Angehörigen verbessern.

Konstruktives Familienklima schaffen durch gute Information

Große Bedeutung für eine erfolgreiche Diabetesbewältigung wird somit dem Familienklima beigemessen. Die Belastungen bei Betroffenen und Angehörigen werden reduziert durch einFamilienklima mit einem starken Zusammenhalt aller Familienmitglieder, einer klaren Organisation und Struktur und einer realistischen und verantwortlichen Einstellung gegenüber der Krankheit sowie der mit ihr verbundenen Risiken. Angehörige sollten über den Diabetes umfassend informiert sein, sie können den Betroffenen jeweils nach gemeinsam abgestimmten Regeln unterstützen.

Einem schlecht informierten Angehörigen, der dadurch leicht in eine frustrierte Außenseiterposition geraten kann, wird bewusst entgegengewirkt. Durch Schuldgefühle motivierte überbehütende oder extrem nachsichtige Haltungen konkurrieren mit einer konsequenten Diabetestherapie und beeinträchtigen die Bewältigung des alltäglichen Diabetesmanagements.

Dabei sind die Grenzen zwischen einer begründeten und motivierenden Sorge und einer Angststörung oder einer depressiven Verstimmung fließend. Es kann dabei helfen, Angehörige mit zur Diabetessprechstunde zu nehmen, damit eine realistische Einordnung von Unterstützungsmöglichkeiten und unbegründeter Sorge gelingt.

Diabetes “Typ F”: wichtige Ressource

Die DAWN2-Studie belegt eindrucksvoll die Chancen und Risiken, die eine Einbindung Angehöriger in das tägliche Diabetesmanagement bietet. Wenn familiäre Belastungen zu stark werden, sollte man sich auch nicht scheuen, weitergehende professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Um den besonderen Bedürfnissen von Patienten mit Diabetes gerecht zu werden, wurde von der Deutschen Diabetes Gesellschaft eine Zusatzqualifikation zum Fachpsychologen Diabetes DDG konzipiert (siehe www.diabetes-psychologie.de).

Sozialarbeiter können bei sozialrechtlichen (z. B. Schwerbehindertenrecht, Pflegeversicherung) oder alltagspraktischen Fragestellungen (z. B. staatliche Unterstützungen für Familien im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes) weiterhelfen. Wir können weiterhin davon ausgehen, dass ein abgestimmter, sinnvoller Einsatz der neuen Diabetestechnologien eine Unterstützung beim Einbau des Diabetes in den Alltag von Betroffenen und Angehörigen ermöglicht.

Es sollte alles versucht werden, damit Menschen mit Diabetes auf die Ressource des unterstützenden Angehörigen zurückgreifen können und nicht im Alltag mit dem Diabetes alleingelassen werden.


von Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Kinder und Jugendkrankenhaus AUF DER BULT
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: E-Mail: danne@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (2) Seite 14-20

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