Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben

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Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben | Foto: MedTriX/Katrin Kraatz
Foto: MedTriX/Katrin Kraatz
Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben

Ihre beiden Leidenschaften Medizin und Reiten zum Geldverdienen nutzen: Das hat Dr. Michaela Hoffmann aus Mainz getan, die seit Kindheit Typ-1-Diabetes hat. Zuerst arbeitete sie als Diabetologin, dann als Reitlehrerin. Auf diesem Weg sind viele Jahre vergangen.

Bereits in der Grundschule wollte Michaela Hoffmann Ärztin werden. Dann trat im Jahr 1970 ein Typ-1-Diabetes bei ihr auf, sie war zehn Jahre alt. Er meldete sich mit den klassischen Symptomen: „Ich hatte wahnsinnig viel Durst, musste häufig auf Toilette und ich konnte kaum mehr laufen. Ich war so schwach, dass ich nicht mehr bis zur Kirche kam, die etwa 400 Meter entfernt war.“ Zuerst wurde ein Infekt vermutet, weil sie auch Bauch- und Halsschmerzen hatte. Nach einiger Zeit untersuchte der Hausarzt der Familie aber ihren Urin auf Zucker – dann war die Diagnose klar. Ihre Eltern kamen nicht aus dem medizinischen Bereich, kannten die Symptome nicht.

Michaela Hoffmann selbst realisierte erst einmal nicht, was da gerade passierte. „Ich bin erst am nächsten Tag in die Kinderklinik in die Ambulanz gekommen und von dort aus auf die Station. Ich habe das eigentlich so hingenommen, ich konnte damit nicht so viel anfangen.“ Sie dachte, dass sie wieder gesund sei, wenn sie nach Hause komme. „Aber mir hatte keiner gesagt, dass ich zu Hause noch spritzen muss.“ Sie nahm es trotzdem so hin. Für ihre Eltern aber war es schlimm: „Damals hieß es ja noch, die Kinder werden nicht so alt.“ Glück im Unglück hatte sie bei der Diagnose: Obwohl der Blutzuckerwert ihrer Erinnerung nach um 450 mg/dl (25,0 mmol/l) lag, war ihr Körper nicht übersäuert, sie hatte keine Ketoazidose.

Keine Schulung, aber andere Quellen

Eine Schulung, wie sie heute Standard ist, gab es damals nicht. „Was gut war, war damals die Ernährungsberatung durch die Leiterin der Diätassistentenschule. Sie oder Mitarbeiter haben meine Eltern gut beraten und darüber habe ich ein bisschen Wissen erhalten.“ Dort wurde der Familie auch das Diabetes-Journal, das heute der Diabetes-Anker ist, empfohlen. „Da hatten meine Eltern relativ schnell viele Informationen und ich auch – seit damals.“ Ihren Eltern wurde noch gezeigt, wie das Spritzen funktioniert und was sie dabei beachten müssen. „Aber das war dann auch alles. Aber die beiden Sachen, die haben einen ziemlich gerettet.“

Ihre Therapie begann die Zehnjährige als konventionelle Insulintherapie mit einem Mischinsulin vom Schwein und Rind. „Das ist das einzige Problem aus heutiger Sicht, was auch damals für mich als Kind ein Problem war, dass das Insulin morgens injiziert wurde vor dem Frühstück und nachmittags um 16 Uhr.“ Ein festes Schema beim Essen war nötig, ein Anpassen der Insulindosis war nicht vorgesehen. Diese Therapie brachte Probleme mit sich: „Ich bekam jahrelang Ärger, weil ich immer morgens hohe Werte hatte. Aus der heutigen Sicht ist das natürlich klar, warum ich hohe Werte hatte: weil das Insulin nicht lange genug gewirkt hatte. Aber es hieß natürlich, das Kind hält sich nicht an die Ernährung.“

Glasspritzen zum Auskochen und Teststreifen mit Farbskala

Die Spritzen bestanden aus Glas und Metall und wurden wie die Kanülen regelmäßig ausgekocht, um sie zu verwenden. Eine Kontrolle des Blut- oder Gewebezuckers in Patienten-Hand existierte zu dieser Zeit noch nicht. „Meine Mutter hatte morgens den Urin kontrolliert und war immer geschockt, weil der Wert immer hoch war.“ Wie es dem Mädchen ging, erfolgte mit Blickdiagnose: „Ich selbst hatte gar keine Kontrolle und wie es mir ging, wurde beurteilt, wie ich aussah, ob ich bleich wurde, geschwitzt habe oder so.“

Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben | Foto: Michaela Hoffmann
Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben | Foto: Michaela Hoffmann

Per Farbvergleich ablesbare Teststreifen, Spritzen aus Glas zum Auskochen, die ersten Insulinpumpen: Das und mehr hat Michaela Hoffmann in ihrer Therapie über 55 Jahre erlebt.

Erste Unterzuckerung nach Monaten

Die erste Unterzuckerung (Hypoglykämie) erlebte sie erst im Osterurlaub 1971, bei Verwandten in Norddeutschland. „Da habe ich sehr viel geturnt und auf einmal tauchte richtig die Symptomatik auf.“ Ihre Mutter merkte zum Glück sofort, was los war, und Michalea Hoffmann bekam Traubenzucker. „Die hatten nur Traubenzucker aus der Packung – dann habe ich da mehr bekommen als notwendig und noch dazu gegessen.“

Als die Eltern danach mit ihr zu einem Arzt vor Ort gingen, war der Blutzucker natürlich „schon wieder wahnsinnig hoch. Nach den Mengen, die ich da gegessen hatte, war es kein Wunder, und auch wegen der Gegenregulation.“ Die Ärzte der Mainzer Kinderklinik empfahlen bei einem Anruf, den Urlaub besser abzubrechen. Und auch wenn die erste erlebte Unterzuckerung das Ende des Urlaubs bedeutete, hatte die Familie dadurch nun Erfahrung, wie sie damit umgehen mussten.

Früh Therapie-Fortschritte genutzt

Weitere Therapie-Schritte unternahm Michaela Hoffmann sehr früh, bevor diese Therapien weit verbreitet waren. 1976 hatte ihre Mutter in der Tageszeitung einen Artikel gelesen über den Biostator, also eine künstliche Bauchspeicheldrüse, in der Mainzer Universitätsklinik. Der Arzt, der damals dafür verantwortlich war, war Prof. Dr. Jürgen Beyer. Ihre Mutter nahm daraufhin Kontakt mit ihm auf – und er nahm Michaela Hoffmann, noch als Jugendliche, als Patientin an. „Da war ich das erste Mal am Biostator, als Patient.“ Und dann wurde es möglich, den Blutzucker zu Hause zu kontrollieren – mit noch großen unhandlichen Geräten.

Medizin, Reiten und Diabetes: Mit Leidenschaft durchs Leben | Foto: Michaela Hoffmann

Am Biostator, also der künstlichen Bauchspeicheldrüse, ermittelten die Ärzte Michaela Hoffmanns Insulinbedarf.

Daraus ergab sich, dass sie mit einer intensivierten Insulintherapie begann, die nötigen Insulindosen wurden am Biostator ermittelt. Zu den Hauptmahlzeiten spritzte sie ab dann schnell wirksames Insulin und morgens und spät Verzögerungsinsulin. Die Insulindosen passte sie nur an die Blutzuckerwerte an, der Ernährungsplan war noch konstant. Für sie änderte sich nicht so viel: „Eigentlich war nur die Einstellung besser, denn ich habe nach wie vor darunter gelitten, dass ich zum Essen feste Zeiten einhalten musste. Daran hatte sich nicht viel geändert, zumindest wurde nicht gesagt, dass ich das machen dürfte.“

Ersten verfügbaren Insulinpumpen im Medizinstudium ausprobiert

Sechs Jahre später, 1982, kam der nächste Schritt: Michaela Hoffmann begann mit einer Therapie mit Insulinpumpe. Die ersten Insulinpumpen waren auch noch unhandlich: „Ich weiß noch, dass das allererste Gerät weiß und groß war.“ Selbst einstellen konnte sie in der Pumpe wenig, die Basalrate programmierte das Personal der Klinik. Da sie 1979 mit dem Medizinstudium angefangen hatte, schon als Studentin in der Endokrinologie der Universitätsklinik, besonders am Biostator, Nachtdienste machte und eine Stelle als „Hiwi“ (Hilfs-Wissenschaftler) bei Prof. Dr. Jürgen Beyer hatte, konnte sie die verfügbaren Pumpenmodelle alle ausprobieren.

Die Leidenschaft für die Medizin nützte ihr also auch in ihrer Diabetes-Therapie. Nun wurde sie auch zeitlich flexibler: „Ich konnte nun definitiv die Mahl-Zeiten ändern und war variabler. Dann waren natürlich die morgendlichen Werte besser, nächtliche Hypos ließen nach.“ Neben der größeren Flexibilität ergab sich ein weiterer Vorteil: „Das viermalige Injizieren am Tag fiel weg. Das alle zwei, drei Tage Wechseln der Kanülen war natürlich viel angenehmer – auch wenn die Kanülen damals noch ein anderes Kaliber hatten als heute.“

AID-System: erst gezögert, dann voll überzeugt

Heute verwendet die Ärztin ein System zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-System), allerdings erst seit August letzten Jahres. „Ich war mit meiner Einstellung zufrieden und konnte mir nicht vorstellen, dass das ein Gerät so übernimmt. Mein Alltag ist sehr variabel: Ich reite Montag, Donnerstag und Freitag sowie Samstag manchmal auch noch, ein bis zwei Stunden pro Tag. Dazwischen mache ich nichts körperlich, höchstens Hausarbeit. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Gerät so meine Diabetes-Einstellung gut übernehmen könnte.“

Nun ist sie aber glücklich über den Umstieg: „Ich muss ehrlich sagen, ich komme mit dem System sehr gut zurecht. Ich gebe nur die Kohlenhydrate ein und die Bewegung rechtzeitig – und habe, wenn es hochkommt, ein bis zwei Mal in der Woche einen Wert unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l; Anm. d. Red.). Ansonsten habe ich nur selten Werte über dem Zielbereich.“

Auch heute reitet Michaela Hoffmann noch gern, wird aber auch begleitet von Hund Ricky.

Erste Schritte in die Medizin mit „Jugend forscht“

Dazwischen lagen viele Schritte auf dem Weg in den Beruf der Ärztin und ihre spätere Tätigkeit als Reitlehrerin. Ihre ersten Schnupper-Einheiten holte sich Michaela Hoffmann, als sie 1977/78 bei „Jugend forscht“ mitmachte. „Die ursprüngliche Arbeit war eine Facharbeit in Biologie. Die Biologielehrerin hatte gesagt: ‚Willst du das nicht bei Jugend forscht einreichen?‘ Ich kam bis zum Landeswettbewerb.“ Thema der Arbeit war Typ-1-Diabetes und Sport, besonders Turnier-Reiten.

Direkt nach dem Abitur bekam sie einen Studienplatz für Medizin in Mainz, sechs Jahre später konnte sie bei Jürgen Beyer eine Stelle antreten. „Dort habe ich die Internisten-Weiterbildung gemacht und einen Teil der Endokrinologie-Weiterbildung.“ Dass die Chirurgie nichts für sie war, merkte sie schnell: „Da habe ich schon deutlich schlechtere Werte gehabt. Ich bin morgens mit einem 250er-Wert (mg/dl, 13,9 mmol/l; Anm. d. Red.) in den OP gegangen, damit ich abends um 8 Uhr einigermaßen gut rauskam.“ Auch der Dienst auf der Intensivstation mit Schichtdienst war mit dem Diabetes schwieriger. „Das wäre für mich auf Dauer kein Arbeitsplatz gewesen. Darunter hätte die Gesundheit gelitten.“

Sechs Jahre war sie in der Klinik tätig, danach ging sie in eine endokrinologische Praxis, wo sie die Betreuung der Menschen mit Diabetes übernahm. In dieser Zeit wurde sie Mutter von zwei gesunden Töchtern. Im Jahr 2004 beendete Michaela Hoffmann aus privaten Gründen ihre medizinische Laufbahn. „Ich habe einen Schlussstrich gezogen und habe gesagt: Ich habe jetzt 20 Jahre Medizin gemacht und nun kümmere ich mich um die Familie.“ Und sie begann ihre zweite Leidenschaft intensiver zu leben: das Reiten.

Reiten gehörte immer zum Leben

Mit dem Reiten angefangen hatte sie mit 14 Jahren. Der Start war so intensiv, dass sie schon zwei Jahre später auf Turnieren war, etwa jede zweite Woche. Auch wenn sie mit 40 Jahren aufhörte, an Turnieren teilzunehmen, blieb sie dem Reiten treu. Zwischenzeitlich hatte sie auch zwei eigene Pferde. Der Diabetes spielte auch hier gut mit, auch wenn die Turniere wieder höhere Werte nötig machten: „Auf Turnieren habe ich mich höher eingestellt, da habe ich auch 250 mg/dl (13,9 mmol/l; Anm. d. Red.) in Kauf genommen vor dem Start, auch noch mit Pumpen.“

Beim Reiten befestigte Michaela Hoffmann die Insulinpumpe zusätzlich mit Gummi.

Beim Unterrichten, das sie 2017 in der Reitschule begann, sicherte sie sich noch mit Werten um 200 mg/dl (11,1 mmol/l) ab. Seit sie das AID-System benutzt, reichen ihr 150 mg/dl (8,3 mmol/l) als Startwert. Die erste Insulinpumpe trug sie am Gürtel, befestigte sie aber zusätzlich mit einem Gummi. Herausgeflogen beim Springen ist die Pumpe nie.

Probleme mit Unterzuckerungen gab es nicht: „Ich habe nie das Problem, dass ich Unterzuckerungen nicht merke. Ich merke sie immer ab 70 mg/dl (3,9 mmol/l; Anm. d. Red.) abwärts. Ich war weder wegen einer Ketoazidose noch wegen einer Hypo in einer Klinik oder Notarztversorgung“, berichtet sie glücklich. Heute gibt sie noch stundenweise Unterricht und reitet Pferde, die im Unterricht von Anfängern geritten werden, denen noch die Erfahrung fehlt, Korrektur, um sie wieder an die richtigen Kommandos zu gewöhnen.

Gutes Leben mit modernen Therapien und der richtigen Einstellung

Blickt die heute 65-Jährige auf ihre 55 Jahre mit Typ-1-Diabetes zurück und auch die vielen Menschen mit Diabetes, die sie betreut hat, würde sie jungen Menschen, die heute Diabetes bekommen oder haben, Folgendes mit auf den Weg geben: „Man kann davon ausgehen, dass die Medizin sich weiterentwickelt und damit immer besser werden wird: mit der Einstellung, wie man mit dem Diabetes leben kann und dass man eigentlich sehr viel leisten kann, wenn nicht sogar fast alles.“


von Dr. Katrin Kraatz

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (5) Seite 52-55

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