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Manche Kinder haben Angst vor der Blutentnahme, Injektionen oder anderen „Verletzungen“ ihres Körpers. Professor Karin Lange beschreibt, wie Eltern gelassen bleiben und ihrem Kind in dieser schwierigen Situation helfen können.
Anlass für diesen Beitrag waren einige Anfragen von Eltern – wie von Frau K. –, die uns per E-Mail über die große Angst ihrer Kinder vor den Blutentnahmen in der Diabetesambulanz berichteten und um Rat fragten. Frau K.: “Bei unserer Tochter wurde kurz nach ihrem neunten Geburtstag Typ-1-Diabetes festgestellt. Am letzten Tag des Krankenhausaufenthaltes kam es leider nach der Blutabnahme zu einem Kreislaufkollaps, den Gina in sehr schlechter Erinnerung behielt.
Beim ersten Termin in der Diabetesambulanz sollte dann noch einmal Blut aus der Vene abgenommen werden. Das wussten wir vorher allerdings nicht. Gina verweigerte sich daraufhin total. So habe ich sie bisher selten erlebt. An diesem Tag war an eine Blutentnahme nicht mehr zu denken. Meine Frage ist nun: Wie kann ich sie einigermaßen auf den Ambulanzbesuch in vier Wochen und die Blutentnahme vorbereiten. Wie kann ich ihr helfen, das traumatische Erlebnis zu verarbeiten?”
Angst oder ein gewisser Respekt vor Injektionen, Blutentnahmen oder anderen Verletzungen des Körpers ist nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen normal und sinnvoll. Alle Menschen sind bereits von Geburt an mit dem Programm für die Emotion Angst in ihrem Gehirn ausgestattet. Angst ermöglicht uns, Risiken sehr schnell zu erkennen und umgehend zu handeln – oft geschieht dies schneller, als man denken kann.
Diese Angst schützt uns vor riskantem Verhalten und Gefahren, sie ist lebenswichtig. Die Bereitschaft, Angst zu empfinden und sich von ihr leiten zu lassen, ist jedoch individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt kleine Kinder, die auch im größten Trubel gelassen erscheinen und andere, die sehr schnell weinen und den Schutz der Eltern suchen, wenn sie sich unsicher fühlen.
Im Lauf der Kindheit wird das Angsterleben vor allem durch Lernen geprägt, also durch gute und schlechte Erfahrungen. Hier spielen Eltern mit ihrem Beispiel im positiven wie negativen Sinne eine große Rolle: Können sie selbst ihren Kindern gelassen vorleben, wie man schwierige Situationen ruhig bewältigt, z. B. den ersten Zahnarztbesuch oder eine Prüfung? Und können sie andererseits konsequent vor Gefahren warnen, indem sie z. B. bei Rot an der Fußgängerampel stehen bleiben?
Als Menschen sind wir aber auch darauf programmiert, aus guten und schlechten Erfahrungen rasch zu lernen. Das zeigt das Beispiel von Gina, die gelernt hat, dass es ihr nach der Blutentnahme am letzten Tag im Krankenhaus nicht gut ging. Das vergisst kein Kind. Allein der Gedanke an eine Blutentnahme kann in solch einem Fall automatisch zu einer starken körperlichen und seelischen Angstreaktion führen.
Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die Aufregung steigt, und es kann zu einer Panikschleife kommen, die keinen klaren Gedanken mehr zulässt. Das kann auch Erwachsenen passieren, wenn sie einmal eine sehr bedrohliche Situation durchlebt haben, z. B. einen Autounfall, Gewalt oder auch eine schwere Hypoglykämie.
Manche werden dadurch so von Ängsten oder Panikattacken geplagt, dass ihr Alltagsleben erheblich beeinträchtigt wird. Ihnen kann eine Psychotherapie helfen, die gelernten Ängste wieder zu verlernen. Einige der Grundprinzipien dieser Therapie können auch Eltern anwenden, um Kindern wie Gina zu helfen.
Trotz vieler guter Erfahrungen kann es im Einzelfall passieren, dass sich die Angst eines Kindes so steigert, dass sie nicht beherrschbar erscheint.
In diesem Fall sollten Eltern so früh wie möglich nach kinderpsychologischer Hilfe suchen. Diese wird in vielen Diabeteszentren für Kinder und Jugendliche angeboten. Die Therapeuten können genauer klären, ob es sich um eine normale kindgemäße Angst handelt oder um den Beginn einer Angststörung, die frühzeitig behandelt werden sollte.
Hat ein Kind Angst vor der Blutentnahme, vor Injektionen oder anderen unangenehmen medizinischen Prozeduren entwickelt, können Eltern ihrem Kind mit einigen Grundprinzipien der Psychotherapie helfen, diese Angst auch wieder zu verlernen. Dazu gehört für die Eltern unter anderem, selbst keine Angst vor der Angst ihres Kindes zu entwickeln und die Blutentnahme auch nicht hinauszuzögern, damit die Angst des Kindes nicht immer größer wird.
Gelingt es nicht, dem Kind die Angst zu nehmen, sollten Eltern so früh wie möglich kinderpsychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Viele Diabeteszentren für Kinder und Jugendliche bieten diese Hilfe an.
von Prof. Dr. Karin Lange
Diplom-Psychologin, Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover
Kontakt:
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2013; 6 (2) Seite 12-14
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