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Viele Menschen sind beruflich auf den Führerschein und auf Auto oder Motorrad angewiesen. Auch privat braucht man oft das Auto, vor allem wenn es keinen vernünftigen öffentlichen Nahverkehr gibt und – wie oft im ländlichen Raum – größere Entfernungen überbrückt werden müssen zum Einkaufen, zur Schule oder zum Arzt. Eine der ersten Fragen, die nach der Diagnose „Diabetes“ gestellt werden, ist daher die Frage nach dem Autofahren. Wir geben Antworten.
Es ist ganz klar: Am Straßenverkehr darf nur teilnehmen, wer gesundheitlich dazu geeignet ist. Fraglich ist die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vor allem dann, wenn jemand ein erhöhtes Risiko hat, wegen einer Krankheit oder sonstiger Gründe plötzlich bewusstlos und/oder fahruntauglich zu werden. Dies kann z. B. bei Patienten mit Epilepsie der Fall sein: Ein epileptischer Anfall auf der Autobahn kann in einer Katastrophe enden.
Auch Menschen mit Diabetes, die Insulin spritzen oder bestimmte Tabletten gegen zu hohe Glukosewerte nehmen, können durch eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) die Kontrolle verlieren und einen Unfall verursachen. Nicht zu unterschätzen sind auch Diabetesfolgen: Eine fortgeschrittene Nervenerkrankung (Neuropathie) kann z. B. dazu führen, dass man nicht mehr in der Lage ist, die Fußpedale im Auto sicher zu bedienen.
Anhand welcher Kriterien die gesundheitliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu beurteilen ist, wird von der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vorgegeben: Die Verordnung verweist in Anlage 4a auf die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Herausgeber: Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt, Stand: 31.12.2019, kostenloser Download: www.bit.ly/2SpiE9Z). Im dortigen Kapitel 3.5 sind die Vorgaben zur Bewertung der Fahreignung bei Diabetes mellitus beschrieben.
Nach aktueller Datenlage gibt es in Deutschland rund 8 Mio. Menschen mit Diabetes. Dies dürfte einem Anteil von ca. 10 % aller Führerscheininhaber entsprechen. Trotz dieses hohen Anteils an der Gesamtzahl der Führerscheininhaber gibt es bislang aber keine Belege dafür, dass Diabetiker ein relevant höheres Risiko im Straßenverkehr darstellen.
Auch in den Begutachtungsleitlinien ist seit einiger Zeit daher klargestellt, dass „gut eingestellte und geschulte“ Menschen mit Diabetes grundsätzlich sowohl Pkw als auch Lkw sicher führen können – dies gilt auch für die Personenbeförderung (Taxi, Omnibus).
Das Risiko beim Diabetes liegt in erster Linie darin, dass es zu Unterzuckerungen mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen kommen kann. Wesentliche Voraussetzung für eine Teilnahme am Straßenverkehr ist daher, dass Unterzuckerungen rechtzeitig wahrgenommen werden können: „Wiederholte schwere Hypoglykämien im Wachzustand“ schließen in der Regel die Fahreignung so lange aus, bis wieder eine „hinreichende Stabilität der Stoffwechsellage sowie eine zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien“ sichergestellt ist.
„Schwere Hypoglykämie“ meint dabei die „Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person“. „Wiederholte Hypoglykämie“ meint das zweimalige Auftreten einer schweren Hypoglykämie innerhalb von 12 Monaten. Dies bedeutet: Wenn es innerhalb eines Jahres mehr als einmal zu einer so schweren Unterzuckerung kam, dass man sich nicht mehr selbst helfen konnte bzw. sogar notärztliche Hilfe benötigte, dann darf man bis auf Weiteres nicht mehr Auto fahren.
Ärzte bzw. Diabetesberatung müssen Patienten über die mit dem Diabetes verbundenen Risiken im Straßenverkehr aufklären. Wenn eine unzureichende Unterzuckerungswahrnehmung vorliegt, wird man Ihnen zumindest für eine gewisse Zeit dringend vom Autofahren abraten und ein ärztliches Fahrverbot aussprechen. Auch wenn Sie mit einer Insulintherapie mit Pen oder Pumpe beginnen, dürfen Sie so lange nicht fahren, bis Sie die damit verbundenen Gefahren beherrschen bzw. die Auswirkungen auf den Körper einschätzen können.
Wenn Ihnen der Arzt das Fahren verbietet, sollten Sie dem unbedingt folgen. Wer nach dem Motto „der Arzt kann mir gar nichts verbieten“ weiterfährt, der macht sich in der Regel gemäß § 315c StGB strafbar. Kommt es zu einem Unfall, muss man zusätzlich mit einer Strafbarkeit nach weiteren Normen (u. a. § 222 und § 229 StGB) sowie Leistungsausschlüssen bzw. Regressen der Haftpflichtversicherer rechnen, da das Ignorieren begründeter ärztlicher Weisungen grundsätzlich als grob fahrlässig anzusehen ist.
Für die Fahreignung spielen aber nicht nur Unterzuckerungen eine Rolle. Auch Überzuckerungen „mit ausgeprägten Symptomen wie z. B. Schwäche, Übelkeit oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen“ können die Fahrtauglichkeit einschänken. Daneben sind auch die mit einer Therapieumstellung verbundenen Risiken zu beachten.
Die Begutachtungsleitlinien sagen hierzu: „Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder wer neu eingestellt wird, darf kein Fahrzeug führen, bis die Einstellphase nach ärztlicher Einschätzung durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage (insbesondere bezüglich der Normalisierung des Sehvermögens sowie der Wahrnehmung von Hypoglykämien) abgeschlossen ist.“ Dies bedeutet: Unter Umständen können auch sehr hohe Blutzuckerwerte die Fahreignung vorübergehend ausschließen.
Eine Obergrenze für einen HbA1c-Wert gibt es allerdings nicht. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat die Relevanz des HbA1c-Wertes für die wissenschaftliche Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ (als Patientenversion zu finden unter www.bit.ly/35sf8OI) untersucht. Es konnte kein Nachweis dazu gefunden werden, dass ein hoher HbA1c-Wert automatisch dazu führen muss, dass die Fahreignung wesentlich beeinträchtigt wird. Es gibt somit zwar keine starren Normwerte, aber Arzt und Patient müssen die jeweilige Situation verantwortungsbewusst einschätzen. Beachten Sie daher unbedingt die Hinweise, die Sie von Arzt und Diabetesteam erhalten.
Man kann also einigermaßen beruhigt sein: Der Diabetes führt nur selten dazu, dass die Fahreignung dauerhaft beeinträchtigt bzw. ausgeschlossen ist. Sobald eine „zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien“ wieder sichergestellt ist, kann die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen meist wieder attestiert werden. Nach den Begutachtungsleitlinien kann die Fahreignung in der Regel „auf der Grundlage einer fachärztlichen (diabetologischen) Begutachtung durch geeignete Maßnahmen wie das Hypoglykämiewahrnehmungstraining, Therapieänderungen und vermehrte Blutzuckerselbstkontrollen wieder hergestellt werden“.
Es stehen mittlerweile immer mehr Instrumente zur Verfügung, um die Teilnahme am Straßenverkehr wieder zu ermöglichen. Als Maßnahme der Therapieänderung könnte beispielsweise der Umstieg auf Insuline mit anderem Wirkprofil in Frage kommen. Häufig kann bereits eine erhöhte Anzahl an Blutzuckerselbstkontrollen dazu beitragen, dass man die Stoffwechsellage besser einschätzen bzw. vorhersehen kann, sodass überraschende Hypoglykämien verhindert werden können.
Auch durch den Einsatz eines kontinuierlichen Glukosemonitoringsystems (CGM-Systems, siehe unten) und der damit verbundenen Alarmierungs- und Warnmöglichkeit bei abfallenden Glukosewerten lassen sich die mit einer Hypoglykämiegefahr verbundenen Risiken minimieren. Und das eingangs erwähnte Beispiel der Neuropathie bedeutet nicht automatisch das Aus für den Führerschein: In vielen Fällen kann man das Auto umrüsten, sodass die Bedienung von Gas- und Bremspedal am Lenkrad erfolgt. Die Kosten für solche Umbauten werden vielmals im Wege der Eingliederungshilfe übernommen bzw. kann man steuerlich geltend machen.
Die technischen Möglichkeiten durch CGM und Insulinpumpen bringen zusätzliche Sicherheit im Straßenverkehr. Dennoch sind diese keine Allheilmittel, man darf als Autofahrer auch nicht blind auf solche Hilfsmittel vertrauen. Kontrollieren Sie daher unbedingt, ob die Alarme sinnvoll programmiert sind und die Lautstärke des Alarmtons ausreichend hoch ist. Auch ist es wichtig, dass das Empfangsgerät über ausreichende Akkulaufzeit verfügt. Falls das CGM-System eine Kalibration benötigt, muss diese entsprechend den Herstellervorgaben gemacht werden.
Auch sollte man regelmäßig prüfen, ob die Verbindung zwischen Sensor, Transmitter und Empfänger nicht unterbrochen ist – es empfiehlt sich, das Empfangsgerät mittels einer Kfz-Halterung so anzubringen, dass man das Display dauerhaft im Blick hat und das Gerät nicht in die Hand nehmen muss. Wichtig ist auch, Vorsorge für einen möglichen Ausfall des CGM-Systems zu treffen – gerade beim Einsteigen oder mit dem Sicherheitsgurt kann man schnell mal mit dem Sensor hängenbleiben und diesen abreißen.
Führen Sie daher unbedingt auch ein Blutzuckermessgerät mit, um die Zeit bis zum Einsatz eines neuen Sensors zu überbrücken. Vor allem bei längeren Fahrten sollte man auch durch Messungen des Blutzuckers kontrollieren, ob das CGM-System wirklich zuverlässige Werte liefert.
Bei vielen Unfällen, in denen Unterzuckerungen eine Rolle spielten, dürften in erster Linie Verhaltensfehler die eigentliche Ursache sein: Zu nennen sind hier vor allem, dass zu selten der Blutzucker gemessen wurde, eine falsche Insulin- oder Medikamentendosierung, Verwechslung der Insulinsorte oder eine Unterzuckerung nach vorausgegangenem Alkoholkonsum.
Jeder, der Auto fahren will, muss die zur Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen Sorgfaltspflichten beachten. Gefahrenquellen bzw. Risiken sollten vermieden oder zumindest bestmöglich reduziert werden. Diabetiker müssen daher alles dafür tun, dass Unterzuckerungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden können, ohne dass es deswegen zu einem Unfall kommt. Die DDG empfiehlt in ihrer Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ u. a. folgende Maßnahmen, über die Patienten auch vom Arzt aufgeklärt werden sollen:
Na dann, liebe Leserinnen und Leser, Ihnen allen gute Fahrt zur Arbeit, zum Einkauf, ins Blaue … oder in den Urlaub!
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (8) Seite 18-21
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