- Soziales und Recht
Diabetes-Technologie im Praxis-Alltag: Der Fluch des Erfolgs
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Moderne Mess-Systeme und immer stärker automatisch arbeitende Insulinpumpen können den Anschein erwecken, dass das Diabetes-Management quasi von allein geschieht. In Wahrheit wird es für Praxen immer komplexer. Diabetes-Verbände fordern daher bessere finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Versorgung.
Natürlich sind die modernen Diabetes-Technologien eine echte Erfolgsgeschichte, anders als so manche Marketing-Storys. Während Start-ups und auch gestandene Tech-Unternehmen gern eierlegende Wollmilchsäue versprechen und dann doch nur kränkelnde Küken mit einem kleinen Extra an Innovation liefern, haben kontinuierliche Glukose-Messung (CGM) und Insulinpumpen vielen Menschen mit Diabetes schon reale Verbesserungen im Alltag gebracht. Die Berichte zum Beispiel von Eltern, die dank einem Glukosesensor nun endlich nicht mehr nachts per Stich in den Finger den Blutzucker ihres Kindes mit Diabetes messen müssen, um sicher vor nächtlichen Unterzuckerungen zu sein, sind tatsächlich so emotional und märchenhaft wie ein Werbespot oder ein Disney-Film.
Moderne Diabetes-Technologie verbessert Therapie und Alltag
Den Erfolg dieser Diabetes-Technologie kann man leicht zusammenfassen: CGM und Insulinpumpe machen den Diabetes-Alltag einfacher und haben gleichzeitig das Potenzial, die Glukosewerte zu verbessern und den Therapie-Erfolg zu erhöhen. Was bei diesem Fazit leicht vergessen werden kann: All das fällt nicht vom Himmel. Diese Produkte sind das Ende einer kontinuierlichen Entwicklung, die in beiden Fällen bereits im letzten Jahrhundert begonnen hat: Erste CGM-Systeme gab es bereits ab 1999 im Markt, Insulinpumpen sogar schon in den 1970ern. Und noch wichtiger: Der Erfolg der Diabetes-Technik basiert auf dem Erfolg der Diabetes-Schulung, die eine ebenso lange Entwicklungs-Geschichte hat. Denn was wie ein Autopilot für Glukosewerte klingt, braucht in Wahrheit immer noch einen kompetenten menschlichen Piloten, der das System kennt und beherrscht.
„Was auf den ersten Blick wie ein selbstlaufendes System wirkt, erfordert in Wahrheit erhebliche zeitliche Ressourcen – für Patientinnen und Patienten, aber auch für die Behandelnden“, erinnert Toralf Schwarz, Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Diabetologen (BVND). Zusammen mit anderen Diabetes-Organisationen weist der Verband darauf hin, dass der Einsatz dieser Technologie Fachwissen, strukturierte Abläufe und kontinuierliche Begleitung voraussetzt. Praxen müssen Schulungen anbieten, Glukoseverläufe auswerten und technische Fragen klären – häufig auch über den regulären Termin hinaus. „Dafür fehlt im aktuellen Vergütungssystem jedoch jede Grundlage“, legt Schwarz den Finger in die Wunde.
Aufwand im Überblick:
In ihrem gemeinsamen Statement nennen DDG, BVND, bndb und AGDT (Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der DDG) konkret den Aufwand, mit dem der Technologie-Erfolg im Praxisalltag erkauft wird.
➤ Gemeinsames Statement von DDG, BVND, bndb und AGDT zur Situation der ambulanten Diabetologie
Unsichtbare Komplexität
Die Erfordernisse der modernen Diabetes-Technologie werden in der Versorgung bislang nur unzureichend finanziell und strukturell berücksichtigt, kritisieren die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, der BVND und der Berufsverband niedergelassener Diabetolog*innen in Bayern (bndb). Die Betreuung von Menschen mit Diabetes werde mit den neuen Technologien nämlich immer komplexer: Unsichtbar bleiben zum Beispiel die umfangreichen Antragsverfahren und auch der erhebliche Beratungs- und Schulungsaufwand, die mit dem Einsatz dieser Technologie einhergehen.
Für das Praxis-Team bedeutet das auch kontinuierliche Weiterbildung – und deutlich mehr Aufwand: „Die Auswahl geeigneter Systeme, Antragstellungen bei den Krankenkassen, individuelle Schulungen und eine regelmäßige Datenanalyse sind zeitintensiv und anspruchsvoll, besonders zu Beginn der Therapieumstellung“, erläutert bndb-Vorstandsmitglied Dr. Christoph Neumann. Und die diabetologischen Praxen sind zumeist erste Ansprechpartner für die Menschen mit Diabetes in allen Fragen, auch und insbesondere bei Technik-Fragen. Dennoch stehen Praxen, die sich auf diese anspruchsvolle Aufgabe spezialisiert haben, zunehmend unter wirtschaftlichem und personellem Druck.
Schulung für Technik
- Eine technische Einweisung in den Gebrauch von CGM allein ist mit einer hohen Abbruchrate (ca. 30 Prozent) verbunden.
- 2024 wurden die Schulungs- und Behandlungsprogramme Spectrum und INPUT als verwendungsfähig im DMP erklärt.
- Kassenärztliche Vereinigungen wie die in Nordrhein haben die Programme in die DMP-Verträge aufgenommen.
In Vergütungssystemen nicht berücksichtigt
Die Versorgungs-Realität zeigt: Die ambulante Diabetologie ist zunehmend wirtschaftlich gefährdet. Die aktuellen Vergütungssysteme im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP) berücksichtigen weder die Zeitintensität noch die Spezialisierung, die für die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes-Technologien erforderlich sind, mahnen die Verbände.
„Ohne Anpassung der Rahmenbedingungen werden spezialisierte Praxen nicht mehr in der Lage sein, moderne Technologie dauerhaft anzubieten“, warnt Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und Diabetologe aus Hamburg. Schon jetzt würden viele Einrichtungen Schulungen, Technik und Weiterbildung aus eigener Tasche finanzieren. „Diabetes-Technologie rettet keine Leben im Alleingang. Aber gemeinsam mit einer kompetenten ärztlichen Begleitung kann sie Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen“, so Kröger. Damit diese Versorgung auch in Zukunft gesichert ist, müsse die Politik dringend handeln.
Dringender Handlungsbedarf
Die Organisationen fordern mehr politische Unterstützung für die ambulante Diabetologie. Es seien dringende gesundheitspolitische und strukturelle Maßnahmen notwendig. Dazu gehören:
- Anpassung der Vergütungssysteme, um den gestiegenen Aufwand und die Komplexität der Betreuung angemessen widerzuspiegeln,
- Förderprogramme zur Unterstützung der Praxen beim Implementieren moderner Technologien und der Weiterbildung des Fachpersonals,
- Erhöhen der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Bedeutung der ambulanten Diabetologie als essenzieller Bestandteil eines funktionierenden Gesundheitssystems.
von Marcus Sefrin
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (X) Seite XX
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