Diabetes-Technologie im Praxis-Alltag: Der Fluch des Erfolgs

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Diabetes-Technologie im Praxis-Alltag: Der Fluch des Erfolgs | Foto: nikkytok – stock.adobe.com
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Diabetes-Technologie im Praxis-Alltag: Der Fluch des Erfolgs

Moderne Mess-Systeme und immer stärker automatisch arbeitende Insulinpumpen können den Anschein erwecken, dass das Diabetes-Management quasi von allein geschieht. In Wahrheit wird es für Praxen immer komplexer. Diabetes-Verbände fordern daher bessere finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Versorgung.

Natürlich sind die modernen Diabetes-Technologien eine echte Erfolgsgeschichte, anders als so manche Marketing-Storys. Während Start-ups und auch gestandene Tech-Unternehmen gern eierlegende Wollmilchsäue versprechen und dann doch nur kränkelnde Küken mit einem kleinen Extra an Innovation liefern, haben kontinuierliche Glukose-Messung (CGM) und Insulinpumpen vielen Menschen mit Diabetes schon reale Verbesserungen im Alltag gebracht. Die Berichte zum Beispiel von Eltern, die dank einem Glukosesensor nun endlich nicht mehr nachts per Stich in den Finger den Blutzucker ihres Kindes mit Diabetes messen müssen, um sicher vor nächtlichen Unterzuckerungen zu sein, sind tatsächlich so emotional und märchenhaft wie ein Werbespot oder ein Disney-Film.

Moderne Diabetes-Technologie verbessert Therapie und Alltag

Den Erfolg dieser Diabetes-Technologie kann man leicht zusammenfassen: CGM und Insulinpumpe machen den Diabetes-Alltag einfacher und haben gleichzeitig das Potenzial, die Glukosewerte zu verbessern und den Therapie-Erfolg zu erhöhen. Was bei diesem Fazit leicht vergessen werden kann: All das fällt nicht vom Himmel. Diese Produkte sind das Ende einer kontinuierlichen Entwicklung, die in beiden Fällen bereits im letzten Jahrhundert begonnen hat: Erste CGM-Systeme gab es bereits ab 1999 im Markt, Insulinpumpen sogar schon in den 1970ern. Und noch wichtiger: Der Erfolg der Diabetes-Technik basiert auf dem Erfolg der Diabetes-Schulung, die eine ebenso lange Entwicklungs-Geschichte hat. Denn was wie ein Autopilot für Glukosewerte klingt, braucht in Wahrheit immer noch einen kompetenten menschlichen Piloten, der das System kennt und beherrscht.

„Was auf den ersten Blick wie ein selbstlaufendes System wirkt, erfordert in Wahrheit erhebliche zeitliche Ressourcen – für Patientinnen und Patienten, aber auch für die Behandelnden“, erinnert Toralf Schwarz, Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Diabetologen (BVND). Zusammen mit anderen Diabetes-Organisationen weist der Verband darauf hin, dass der Einsatz dieser Technologie Fachwissen, strukturierte Abläufe und kontinuierliche Begleitung voraussetzt. Praxen müssen Schulungen anbieten, Glukoseverläufe auswerten und technische Fragen klären – häufig auch über den regulären Termin hinaus. „Dafür fehlt im aktuellen Vergütungssystem jedoch jede Grundlage“, legt Schwarz den Finger in die Wunde.

Aufwand im Überblick:
In ihrem gemeinsamen Statement nennen DDG, BVND, bndb und AGDT (Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der DDG) konkret den Aufwand, mit dem der Technologie-Erfolg im Praxisalltag erkauft wird.

Gemeinsames Statement von DDG, BVND, bndb und AGDT zur Situation der ambulanten Diabetologie

Unsichtbare Komplexität

Die Erfordernisse der modernen Diabetes-Technologie werden in der Versorgung bislang nur unzureichend finanziell und strukturell berücksichtigt, kritisieren die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, der BVND und der Berufsverband niedergelassener Diabetolog*innen in Bayern (bndb). Die Betreuung von Menschen mit Diabetes werde mit den neuen Technologien nämlich immer komplexer: Unsichtbar bleiben zum Beispiel die umfangreichen Antragsverfahren und auch der erhebliche Beratungs- und Schulungsaufwand, die mit dem Einsatz dieser Technologie einhergehen.

Für das Praxis-Team bedeutet das auch kontinuierliche Weiterbildung – und deutlich mehr Aufwand: „Die Auswahl geeigneter Systeme, Antragstellungen bei den Krankenkassen, individuelle Schulungen und eine regelmäßige Datenanalyse sind zeitintensiv und anspruchsvoll, besonders zu Beginn der Therapieumstellung“, erläutert bndb-Vorstandsmitglied Dr. Christoph Neumann. Und die diabetologischen Praxen sind zumeist erste Ansprechpartner für die Menschen mit Diabetes in allen Fragen, auch und insbesondere bei Technik-Fragen. Dennoch stehen Praxen, die sich auf diese anspruchsvolle Aufgabe spezialisiert haben, zunehmend unter wirtschaftlichem und personellem Druck.

Schulung für Technik

  1. Eine technische Einweisung in den Gebrauch von CGM allein ist mit einer hohen Abbruchrate (ca. 30 Prozent) verbunden.
  2. 2024 wurden die Schulungs- und Behandlungsprogramme Spectrum und INPUT als verwendungsfähig im DMP erklärt.
  3. Kassenärztliche Vereinigungen wie die in Nordrhein haben die Programme in die DMP-Verträge aufgenommen.

In Vergütungssystemen nicht berücksichtigt

Die Versorgungs-Realität zeigt: Die ambulante Diabetologie ist zunehmend wirtschaftlich gefährdet. Die aktuellen Vergütungssysteme im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP) berücksichtigen weder die Zeitintensität noch die Spezialisierung, die für die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes-Technologien erforderlich sind, mahnen die Verbände.

„Ohne Anpassung der Rahmenbedingungen werden spezialisierte Praxen nicht mehr in der Lage sein, moderne Technologie dauerhaft anzubieten“, warnt Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und Diabetologe aus Hamburg. Schon jetzt würden viele Einrichtungen Schulungen, Technik und Weiterbildung aus eigener Tasche finanzieren. „Diabetes-Technologie rettet keine Leben im Alleingang. Aber gemeinsam mit einer kompetenten ärztlichen Begleitung kann sie Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen“, so Kröger. Damit diese Versorgung auch in Zukunft gesichert ist, müsse die Politik dringend handeln.

Dringender Handlungsbedarf

Die Organisationen fordern mehr politische Unterstützung für die ambulante Diabetologie. Es seien dringende gesundheitspolitische und strukturelle Maßnahmen notwendig. Dazu gehören:

  • Anpassung der Vergütungssysteme, um den gestiegenen Aufwand und die Komplexität der Betreuung angemessen widerzuspiegeln,
  • Förderprogramme zur Unterstützung der Praxen beim Implementieren moderner Technologien und der Weiterbildung des Fachpersonals,
  • Erhöhen der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Bedeutung der ambulanten Diabetologie als essenzieller Bestandteil eines funktionierenden Gesundheitssystems.

von Marcus Sefrin

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Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (8_9) Seite 52

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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