- Ernährung
Ernährungspolitik: zu viel Fleisch und Zucker – am Schwein gesund sparen
4 Minuten

Auf insgesamt fast 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffert eine im Auftrag von Greenpeace erstellte Studie die versteckten Kosten unserer Ernährung – ähnlich hoch ist der Etat für die Verteidigung. Doch anders als dieser würden die Kosten unseres Agrar- und Ernährungssystems insbesondere durch zu viel Zucker und Fleisch kaum diskutiert. Und auch im Koalitionsvertrag stehen nur spärliche Zeilen zu diesem Aspekt der Ernährungspolitik.
Jeder Käufer von einem Kilogramm Fleisch solle an der Supermarktkasse doch einen 20-Liter-Kanister Gülle zu seinem Einkauf ausgehändigt bekommen. An solchen wohldosiert eingestreuten kabarettistischen Vorschlägen merkte man, dass bei der Vorstellung der Studie „Die versteckten Kosten der Ernährung“ Ende April in Hamburg neben der Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Barbara Bitzer, der Wissenschaftlerin Dr. Beate Richter und dem Greenpeace-Landwirtschaftsexperten Matthias Lambrecht auch der Arzt und Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen auf dem Podium saß.
Doch solche Auflockerungen konnte man an einer Hand abzählen, der Wissenschaftsjournalist übernahm auf der Pressekonferenz eher die Rolle des Aufrüttlers. „90 Prozent der Säugetiere auf diesem Planeten werden nur geboren, um geschlachtet zu werden für ein Säugetier, nämlich uns. Wie unfassbar ist das eigentlich? Warum schreien wir nicht, warum weinen wir nicht, warum lassen wir das zu, wenn es weder für uns noch für die Tiere noch für die Erde irgendwie sinnvoll ist?“, fragte von Hirschhausen emotional.
Fleisch – ein gewichtiger Faktor für Gesundheit und Umwelt
- 60 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen dienen der Futterproduktion für die Tierhaltung.
- Mehr als zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft werden der Tierhaltung zugeschrieben.
- 7,51 Euro pro Kilogramm verarbeitetes Fleisch betrugen 2022 die direkten und indirekten Gesundheitskosten des Konsums in Deutschland.
Dabei ging es bei den Daten, die die Studien-Autorin Richter präsentiert hatte, ja eigentlich um Buchhalterisches. Auf rund 21 Milliarden Euro pro Jahr würden sich die bei der Erzeugung von Fleisch in Deutschland entstehenden Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden belaufen. Hinzu würden Gesundheitskosten in Höhe von gut 16 Milliarden Euro. Diese entstehen vor allem durch den übermäßigen Konsum von rotem Fleisch, Schinken und Wurst, der die Risiken für Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen sowie Typ-2-Diabetes erhöht.
Die Klima- und Umweltschäden werden etwa verursacht durch Treibhausgas-Emissionen aus der Tierhaltung und die Luftbelastung mit Feinstaub und Schadstoffen, so die im Auftrag von Greenpeace vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) erstellte Studie.
Neben Fleisch auch Zucker zu viel
Neben dem zu hohen Fleischkonsum beschäftigt die Studie sich auch mit dem zu hohen Zuckerkonsum. Dieser könnte neben starkem Übergewicht (Adipositas), Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck auch zu Karies und Parodontose führen. Unter dem Strich belaste zu viel Zucker das Gesundheitssystem in Deutschland mit weiteren knapp 12 Milliarden Euro jährlich.
Diese insgesamt fast 50 Milliarden Euro liegen in der Größenordnung des Verteidigungs-Etats oder der Netto-Kreditaufnahme im aktuellen Entwurf des Bundeshaushalts, unterstrich Greenpeace-Experte Lambrecht die Dimensionen. „Wir alle zahlen – während Konzerne ihre Gewinne optimieren“, kritisierte er. Und es würden zusätzlich Steuergelder aufgewendet, um dieses System zu fördern, und der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf Fleisch erhoben. „Das ist ziemlich verrückt!“, so Lambrechts Zusammenfassung.

Präsentierten Zahlen und Vorschläge gegen die Fleisch-Zentriertheit (von links): Dr. Eckart von Hirschhausen, Dr. Beate Richter, Matthias Lambrecht und Barbara Bitzer.
Greenpeace fordert daher unter anderem von der Politik eine Mehrwertsteuer-Befreiung für klimaverträglich erzeugte pflanzliche Lebensmittel. Dies könnte Anreize schaffen, den gesundheitsschädlichen Überkonsum von Fleisch- und Milchprodukten zu vermindern und so dazu beizutragen, die ökologischen Belastungen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten durch die übermäßige industrielle Tierhaltung zu senken. Die Politik müsse auch mit klaren und verbindlichen Rahmenbedingungen dafür Sorge tragen, dass die dargestellten Effekte des Ernährungssystems transparent werden. Zum Beispiel durch die Pflicht zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung für Unternehmen, die aktuell unter dem Schlagwort Entbürokratisierung in Frage gestellt wird.
Keine Verantwortung für Ernährung
Bitzer war in Hamburg in ihrer Funktion als Sprecherin des Wissenschafts-Bündnisses Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), dem die DDG federführend angehört. Sie kritisierte, dass man im „Verantwortung für Deutschland“ betitelten Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung Verantwortung für Ernährung vergeblich suche. Bitzer riet der Politik, angesichts der präsentierten Zahlen die Prävention auch mit der Kosten-Brille zu betrachten.
„Wir fordern seit 15 Jahren vier konkrete Maßnahmen“, erinnerte Bitzer und wiederholte sie tapfer: Für die Verpflegung in Schulen und Kitas sollten die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bundesweit eingeführt werden, das sei bislang in den wenigsten Bundesländern umgesetzt. Auch von Hirschhausen sieht in der Gemeinschafts-Verpflegung einen guten Ansatzpunkt. Er nannte als positives Beispiel Dänemark: Hier sei pflanzenbasiertes Essen in Kitas, Schulen oder Kliniken Standard.
Süße Kindergetränke
Hier geht es zur Foodwatch-Marktstudie Kindergetränke
Eine Hersteller-Abgabe auf zuckergesüßte Getränke nach Beispiel Großbritanniens fehlte ebenfalls nicht auf der Liste der DANK-Forderungen. Dort würde mittlerweile eine Cola nur halb so viel Zucker enthalten wie in Deutschland, berichtete Bitzer. Die hierzulande von der Politik seit Jahren unterstützte freiwillige Reduktions-Strategie für Zucker und auch Salz sei „krachend gescheitert“.
Auch zum Schluss der Studien-Vorstellung glänzte von Hirschhausen mit einer plakativ-provokanten Idee. Da, um den Anteil der Landwirtschaft an den Klimaschutz-Bemühungen zu leisten, ungefähr eine Halbierung des Tierbestands nötig wäre, könnte die Welt doch zu einer ganz großen Grillparty zusammenkommen und die Hälfte der Schweine, Rinder und Hühner vertilgen – und dann auf einem gesünderen Niveau weitermachen. „Dann hätten wir sofort genug zu essen für alle!“
von Marcus Sefrin
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (6) Seite 50-51
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