Schüleraustausch mit Diabetes, Teil 3

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Schüleraustausch mit Diabetes, Teil 3

Nach Teil 1 und Teil 2 der Reihe „Schüleraustausch mit Diabetes“ geht es jetzt weiter:

Auch in der Schule angekommen, war der Diabetes überhaupt kein Problem. Ich wurde nicht komisch angeguckt und es wurde akzeptiert. Als normal angesehen.

Quelle: privat

Es wurde jedoch viel Rücksicht auf mich genommen. Nicht weil ich Diabetes habe, sondern weil ich Austauschschülerin war. Zum Beispiel gibt es in Ungarn die Regelung, dass man vier Stunden in der Woche Sport haben muss. Jedoch waren in der Schule nur 2 Stunden realisierbar, weshalb die anderen 2 Stunden privat nachgeholt werden mussten. Dies musste nachgewiesen werden. Ich musste nichts nachweisen – obwohl das kein Problem gewesen wäre. Genauso wenig war es ein Problem, wenn ich beim Sport pausieren musste, weil meine Werte nicht so ganz mitgespielt haben.

Ausnahmen für die Gastschülerin, nicht für die Diabetikerin

Mein Gastvater hat mir vorgeschlagen, mich vom Sport zu befreien und als Begründung meinen Diabetes anzugeben, da ich sonst einmal die Woche bereits um 5 Uhr mit dem Bus zur Schule hätte fahren müssen. Ich erklärte ihm jedoch, dass ich meinen Diabetes nicht als Ausrede nutzen möchte.

Ebenso mussten Gelder für Ausflüge, ein Konzert etc. gezahlt werden. Auch dies galt nicht für mich.

Außerdem gibt es eine weitere Regelung an den Schulen. Im Krankheitsfall können Eltern ihre Kinder im gesamten Schuljahr 3 Tage krankmelden. Für alle anderen Tage braucht man eine Krankschreibung vom Arzt.

Quelle: privat

Als ich also circa eine Woche später stark erkältet war, wollte ich zum Arzt. Zum einen wegen dieser Regelung, zum anderen, weil ich Angst hatte, dass sich mein gesamter Mundraum verschleimt und meine Werte in die Höhe treibt. Morgens gegen 7 habe ich versucht, meinen Gastvater davon zu überzeugen, zum Arzt zu gehen, was sich zu Beginn etwas schwieriger gestaltet hat. Dann haben wir uns darauf geeinigt, um halb 10 zu fahren, weswegen ich mich bis 9 Uhr noch einmal schlafen gelegt habe.

Ab zum Arzt, wurde dieser Besuch über die Versichertenkarte meiner Gastschwester abgewickelt. Ich weiß bis heute nicht, wieso, immerhin war ich über meine Krankenkasse innerhalb der EU versichert. Ich bekam Medikamente und hatte vor, am nächsten Tag wieder zur Schule zu fahren.

Am Nachmittag waren wir einkaufen, was nicht sonderlich oft vorkam, da wir Wocheneinkäufe gemacht haben und das meiste frisch aus dem Garten kommt.

Zuhause im Schrank hatte ich noch eine Menge Traubenzucker, als langanhaltende Kohlenhydrate wollte ich Prinzenrolle kaufen. Ich finde Prinzenrolle für den Sommer immer sehr angemessen, da durch den Keks die Schokolade nicht so einfach weich wird und durch die Schokolade der Keks nicht so trocken ist. Trotz dieser Begründung musste ich mit meinen Gasteltern erst einmal darüber diskutieren, ob ich nun wirklich Prinzenrolle kaufen sollte. Wegen der Schokolade. Ich habe sie gekauft und diese Entscheidung bis heute – 3 Jahre später – nicht bereut. Im Gegenteil, noch heute bei über 30 Grad findet man meist Prinzenrolle in meiner Tasche.

Regelung für Krankheitstage

Dort habe ich wegen der Regelung bezüglich der Krankheitstage mit meinem Klassenlehrer geredet. Gott sei Dank konnte er Deutsch. Ich habe ihn also gefragt, ob diese Regel auch für mich gilt. Denn, so habe ich es ihm erklärt, ein Hausarzt kann mir nichts sagen, was ich nicht schon weiß, und mir nicht helfen, wenn ich den ganzen Tag niedrige oder hohe Werte habe. Eher ist es ggf. kontraproduktiv, mich eine Stunde in dessen Wartezimmer zu setzen.

Wie selbstverständlich versicherte er mir, dass meine Gastmutter nur in der Schule Bescheid geben muss, dass ich den Tag zuhause bleibe. Aber das wäre wohl auch bereits so abgesprochen gewesen. Etwas verdutzt habe ich es zuhause meinem Gastvater erzählt. Meine Gastmutter saß dabei. Ich habe ihnen das Gespräch mit meinem Klassenlehrer geschildert und auf einmal wird mein Gastvater laut und sauer. Er sagt, er müsse dann immer mit zuhause bleiben, weil er mich nicht alleine zuhause lassen könne. Es könne ja etwas passieren. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, die Notfallspritze lag im Kühlschrank und ich konnte ihm auch versichern, Unterzuckerungen rechtzeitig zu spüren und mit hohen Werten noch nie solch starke Probleme gehabt zu haben. Daraufhin hat er mich mit seiner Oma vor 20 Jahren verglichen. Auch da habe ich ihm erklärt, dass es nicht zu vergleichen ist. Zum einen wegen des Zeitalters, zum anderen wahrscheinlich wegen des Diabetestyps. Das alles jedoch hat ihn nicht interessiert. Er sagte, wer bis 12 Uhr schlafen kann, kann auch zur Schule gehen (im Fall von Krankheit und daraus resultierenden hohen Werten). Man muss auch dazu sagen, dass ich nach 2,5 Jahren Diabetes in gewissen Dingen (wie langfristig hohen Werten) noch viel vorsichtiger, oft wahrscheinlich zu vorsichtig, gehandelt habe. Er diskutierte weiter und weiter und irgendwann sagte ich ihm, dass ich über meine Krankheit nicht diskutiere und deshalb das Gespräch beenden möchte. Er bestätigte diese Aussage mit einem „O.K.“ und ich ging in mein Zimmer, wo dann meine Gastmutter reinplatzte. Sie schrie mich auf Ungarisch an. Ihr war egal, dass ich sie nicht verstehen konnte, und ich weinte irgendwann nur. Dann kam mein Gastvater dazu und sagte, ich soll meinen Vater anrufen. Dies tat ich auch.

Quelle: privat

Ich schilderte meinem Vater die Situation, woraufhin er meinen Gastvater sprechen wollte. Dieser lehnte ab und willigte kurz darauf doch ein. Wie sich herausstellte, hat er die Chance genutzt, meinem Vater völligen Unfug zu erzählen. Er sagte ihm, dass ich wegen hoher Werte die Schule geschwänzt hätte und nicht zum Arzt wollte und viele weitere Lügen.

Die Organisation, mein Vater und mein Gastvater

Als er auflegte, telefonierte er mit der Organisation und drückte mir dann das Telefon in die Hand. Nun musste ich der Dame von der Organisation die Situation in meinem gebrochenen Englisch schildern. Es war nicht so einfach. Vor allem nicht, weil die Dame mir nicht glauben wollte. Sie wollte die Aussage meines Lehrers am nächsten Tag selber überprüfen.

Und mein Gastvater wollte, dass mein Vater mich abholte. Ich verstehe ehrlich gesagt bis heute nicht so ganz, warum.

Am nächsten Mittag trafen mein Vater und ich uns an der Schule. Wir konnten uns spontan mit meiner Schulleitung zusammensetzen und meine Deutschlehrerin diente uns netterweise als Dolmetscherin. Die Schule verstand mein Problem auf Anhieb und versicherte mir, dass ich im Falle einer Änderung dieser Situation, wie selbstverständlich am nächsten Tag zur Schule kommen könne. Für den Fall, dass alles so bliebe, wünschten sie mir alles Gute.

Der Abschied von der Schule

Ich wurde also mit einem herzlichen Gefühl ums Herz von dieser Schule verabschiedet, von meiner Klasse ganz besonders. Obwohl dieser Abschied so unglaublich spontan war, haben sie mir im Unterricht Abschiedskarten gestaltet und zwei meiner Mitschüler sind im Unterricht spontan los, um mir typisch ungarisches Essen zu kaufen. In der Deutschstunde – die letzte Unterrichtsstunde, die ich besucht habe – haben sich dann all meine Mitschüler verteilt und mir ihr Geschenk überreicht. Eine von ihnen (diejenige, die mich quasi angeleitet hat) musste sogar beim Abschied weinen, obwohl sie mich nur wenige Wochen kannte und viele Freunde in der Klasse hatte. Nach all diesen traurigen, aber besonders herzlichen Abschieden führten mein Vater und ich unzählige Telefonate mit den Organisationen vor Ort und in Deutschland. Die in Deutschland war sehr kooperativ und versicherte mir, dass ich die Gastfamilie natürlich sofort wechseln könne. Die Organisation aus Ungarn hingegen sagte, dass ich frühestens in 4-6 Wochen wechseln könne, da sie keine Gastfamilie frei haben. Außerdem zeigten sie im Allgemeinen nur wenig Verständnis.

Da meinen Eltern und mir das Vertrauen zu meiner Gastfamilie gefehlt hat und dieses Vertrauen in unseren Augen besonders bei Diabetes wichtig ist, haben wir das Angebot – die Familie in ein paar Wochen zu wechseln – abgelehnt. Denn wäre in diesen Wochen doch etwas gewaltig schiefgelaufen, hätten wir nicht darauf vertrauen können, dass mir sachgemäß geholfen würde. Also haben mein Vater und ich meine Sachen abgeholt und sind nach Hause gefahren.

Quelle: privat

Meine Notfallspritze habe ich in deren Kühlschrank vergessen, was mir zuerst nicht aufgefallen ist. Meine Gastfamilie wusste, dass ich die nächste erst im folgenden Jahr bestellen darf, und hat mir trotzdem nie eine Nachricht geschickt. Das hat mir gezeigt, dass ich alles richtig gemacht habe.

Mein Fazit dieser doch eher doof gelaufenen Geschichte ist, dass ich dankbar dafür bin, ein so wundervolles Land und so wundervolle Menschen kennenlernen zu dürfen. Die Ungarn, denen gegenüber es viele negative Vorurteile gibt, haben mich so herzlich aufgenommen wie keine anderen. Und sie sind die Menschen, die meinen Diabetes als das Normalste der Welt angesehen haben. Nur hatte ich wohl leider das Pech, die einzig schlechte Familie im Umkreis von x Kilometern zu erwischen. Deshalb gebe ich nicht dem Diabetes die Schuld an der abgebrochenen Reise, sondern dieser Familie. Denn wäre meine Krankheit nicht der Auslöser gewesen, wäre es früher oder später etwas anderes gewesen.

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