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Der Diabetes bringt auch in rechtlicher Hinsicht viele Fragen mit sich. In der April-Ausgabe haben wir die Möglichkeiten vorgestellt, wie man mit Diabetes einen Schwerbehindertenausweis bekommen kann. In diesem Beitrag fassen wir nun die wichtigsten Gründe zusammen, warum ein Schwerbehindertenausweis sinnvoll sein kann für Menschen mit Diabetes.
Personen, bei denen amtlich ein Grad der Behinderung („GdB“) von mindestens 50 festgestellt wurde, gelten nach dem Gesetz (geregelt in § 2 Abs. 2 SGB IX) als schwerbehindert. Mit dem Schwerbehindertenstatus sind einige Erleichterungen und Vergünstigungen verbunden, welche die Nachteile ausgleichen sollen, die mit der Behinderung verbunden sind.
Einer der wichtigsten Nachteilsausgleiche ist der erhöhte Kündigungsschutz im Arbeitsleben. Er gilt unabhängig von der Betriebsgröße und greift auch in Kleinbetrieben mit bis zu 10 Mitarbeitern, in denen es ansonsten keinen gesetzlichen Kündigungsschutz gibt. Mitarbeiter können dort grundsätzlich ohne Angabe von Gründen und ohne Anspruch auf Abfindung entlassen werden; Arbeitgeber müssen dazu lediglich die gesetzliche bzw. vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist einhalten.
Einem schwerbehinderten Mitarbeiter darf dagegen nur gekündigt werden, wenn der Arbeitgeber zuvor die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt hat. Falls die Behörde die Zustimmung verweigert oder vom Arbeitgeber nicht über die beabsichtigte Kündigung informiert wurde, dann ist eine Kündigung immer unwirksam. Die Behörde darf grundsätzlich nur dann zustimmen, wenn die Kündigung mit der Behinderung nichts zu tun hat.
Für Arbeitgeber ist es nicht ganz einfach, die gesetzlich vorgeschriebene Vorgehensweise einzuhalten: Selbst scheinbar geringfügig anmutende Fehler können dazu führen, dass eine Kündigung von Arbeitsgerichten später als unwirksam erachtet wird.
Dieser erhöhte Kündigungsschutz bringt auch etwas in Betrieben, die mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigen. Dort gilt zwar bereits das Kündigungsschutzgesetz, d. h. eine Kündigung ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber diese begründen kann und es einen rechtlich zugelassenen Grund gibt. Bei Vorliegen des Schwerbehindertenstatus und der dadurch vorgeschriebenen Einbeziehung der zuständigen Behörde kommt jedoch eine weitere Hürde hinzu.
Natürlich muss klar sein, dass dies trotzdem keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Kündigung bedeutet. Aufgrund der Risiken und rechtlichen Unwägbarkeiten für den Arbeitgeber wird man aber zumindest bei etwaigen Abfindungsverhandlungen wohl deutlich mehr „herausholen“ können.
Auch wenn nur ein GdB von 30 oder 40 zuerkannt wurde, kann man unter Umständen dennoch den besonderen Kündigungsschutz erhalten, eine „Gleichstellung“: Diese erfolgt jedoch nicht automatisch, sondern muss gesondert (bei der Agentur für Arbeit) beantragt werden. Voraussetzung dafür ist, dass man infolge seiner Behinderung ohne Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können wird.
Wichtig: Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen greift nur, wenn der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. auf Gleichstellung mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde.
Schwerbehinderte Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind, haben dazu auch Anspruch auf 5 Tage bezahlten Sonderurlaub. Bei Teilzeitbeschäftigung reduziert sich der Urlaubsanspruch entsprechend.
Wichtig: Oft wird behauptet, dass Schwerbehinderte keine Überstunden leisten müssten. Dies ist so nicht zutreffend. Tatsächlich können schwerbehinderte Menschen lediglich verlangen, dass sie „von Mehrarbeit“ freigestellt werden. Dies bedeutet, dass man nicht mehr als die gesetzliche Regelarbeitszeit leisten muss. Überstunden können nur dann verweigert werden, falls diese über die normale gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich hinausgehen. Schwerbehinderte sind allerdings von Bereitschaftsdiensten, die Mehrarbeit bedeuten, freizustellen.
Daneben bringt der Schwerbehindertenausweis weitere Entlastungen: Man hat Anspruch auf begleitende Hilfe im Arbeitsleben, z. B. auf technische Arbeitshilfen oder Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Auch bringt der Schwerbehindertenstatus bessere Chancen auf Verbeamtung bzw. Übernahme in den öffentlichen Dienst, denn behinderte Menschen sind bei gleicher Eignung und Befähigung grundsätzlich bevorzugt einzustellen.
Wer Steuern zahlt, kann den mit dem Schwerbehindertenausweis verbundenen „Behinderten-Pauschbetrag“ in Anspruch nehmen. Dies bedeutet, dass dieser Betrag dann vom zu versteuernden Jahreseinkommen abgezogen wird, man muss dann entsprechend weniger Steuern zahlen.
Die Höhe des Freibetrags – geregelt in § 33b EStG – ist gestaffelt und hängt vom Grad der Behinderung ab. Zum Steuerjahr 2021 wurden diese Beträge deutlich erhöht und können nunmehr bereits ab einem GdB von 20 beantragt werden. Ein GdB von 50 berechtigt zu einem Steuerfreibetrag von 1.140 Euro. Die ab dem Steuerjahr 2021 geltenden Werte zeigt die nachfolgende Tabelle.
Behinderten-Pauschbetrag | |
Grad der Behinderung | Pauschbetrag |
20 | 384 Euro |
30 | 620 Euro |
40 | 860 Euro |
50 | 1.140 Euro |
60 | 1.140 Euro |
70 | 1.780 Euro |
80 | 2.120 Euro |
90 | 2.460 Euro |
100 | 2.840 Euro |
Bei Kindern mit Diabetes wird in der Regel problemlos bis zum 16. Lebensjahr eine „Hilflosigkeit” festgestellt und zusätzlich zum Behinderungsgrad auch das Merkzeichen „H“ zuerkannt. Die Eltern können dann gemäß § 33b Abs. 3 EStG einen erhöhten Steuerfreibetrag von 7 400 Euro in Anspruch nehmen.
Tipp: Der Steuerfreibetrag wird in voller Höhe auch dann gewährt, wenn die Behinderung während des Jahres eintritt oder wegfällt. Wird der GdB während des Jahres herauf- oder herabgesetzt, richtet sich der Jahresbetrag nach dem höheren GdB.
Für ältere Menschen besonders wichtig: Schwerbehinderte können bereits mit 65 Jahren ohne Abzug vorzeitig in Altersrente gehen.
Wer Abzüge in Kauf nimmt, kann sogar schon mit Vollendung des 62. Lebensjahres Rente in Anspruch nehmen. In diesem Fall wird allerdings für jeden Monat eines Beginns vor Vollendung des 65. Lebensjahres ein Abschlag in Höhe von 0,3 Prozent fällig. Wer also bereits mit Vollendung des 62. Lebensjahres die Rente in Anspruch nimmt, müsste dann einen monatlichen Rentenabzug von 10,8 Prozent (36 Monate × 0,3 Prozent) in Kauf nehmen.
Wichtig: Aufgrund diverser Übergangsregelungen hängen die jeweils geltenden Altersgrenzen vom Geburtsjahr ab. Für Personen, die in der Zeit vom 1. Januar 1952 bis zum 31. Dezember 1963 geboren sind und keinen Vertrauensschutz genießen, wurde die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Rente schrittweise von 63 auf 65 Jahre angehoben. Die Altersgrenze, ab der die Rente frühestens – jedoch mit Abschlägen – in Anspruch genommen werden kann, stieg parallel dazu von 60 auf 62 Jahre.
Das Merkzeichen „H“ im Schwerbehindertenausweis signalisiert „hilflos“, d. h. die Person benötigt dauernd und in erheblichem Maße fremde Hilfe, Überwachung oder Anleitung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens wie An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Toilettengang.
Bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes gibt es aber eine Sonderregelung: Bis zum 16. Lebensjahr wird ohne weitere Nachweise das Merkzeichen „H“ zuerkannt. Hintergrund ist die erforderliche ständige Überwachung wegen der Gefahr von Unterzuckerungen, zur Mahlzeitenaufnahme und Insulingabe sowie im Hinblick auf die notwendigen körperlichen Betätigungen.
Ein Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen „H“ berechtigt zur kostenlosen Beförderung im Nahverkehr. Dazu können weitere Steuererleichterungen (z. B. Absetzbarkeit von Fahrten) oder soziale Vergünstigungen (z. B. ermäßigte Eintrittsgebühren) in Anspruch genommen werden.
Das Merkzeichen „G“ im Schwerbehindertenausweis erhalten Personen mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bzw. erheblicher Geh- und/oder Stehbehinderung. Davon ist auszugehen, wenn eine Strecke von 2 km nicht ohne Gefahren für einen selbst und andere zu Fuß in etwa einer halben Stunde zurückgelegt werden kann.
Aufgrund des Diabetes wird dieses Merkzeichen nur im Ausnahmefall zuerkannt. Voraussetzung sind häufige, fremdhilfebedürftige Unterzuckerungen, die überwiegend am Tag auftreten. Wesentliche Nachteilsausgleiche des Merkzeichens „G“ sind ergänzende Leistungen zur Reha und die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr.
Der Schwerbehindertenstatus kann allerdings auch nachteilige Konsequenzen haben. Unmittelbare Nachteile gibt es zwar keine; niemand muss befürchten, deswegen vom Staat verfolgt oder diskriminiert zu werden. Aber das kann sich auch mal ändern. Für Menschen im mittleren oder fortgeschrittenen Lebensalter ist das zwar wohl nicht mehr ganz so relevant. Junge Menschen könnten dagegen im weiteren Lebensverlauf durchaus noch erhebliche Änderungen der politischen und sozialen Verhältnisse mitmachen (müssen).
Auch muss man die Schwerbehinderung dem Arbeitgeber bei einer Bewerbung nicht mitteilen – Nachteile bei der Einstellung drohen allein durch den Ausweis also nicht. Wenn die Behinderung allerdings bekannt ist, dann kann es schon zu Mobbing oder anderen Problemen kommen.
Probleme kann ein Behindertenstatus auch bei Versicherungen machen, das ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen relevant: Wer eine Berufsunfähigkeits-, Lebens- oder Krankenversicherung abschließen will, muss umfassende Gesundheitsfragen beantworten und muss dort wahrheitsgemäße Angaben machen. Es ist aus diesem Grund ohnehin schon recht schwierig, mit Diabetes oder anderen chronischen Krankheiten eine vernünftige Versicherung zu bekommen.
Zwischenzeitlich wird im Versicherungsantrag aber meist auch noch gefragt, ob eine Behinderung festgestellt ist oder man dies in der Vergangenheit beantragt hat. Wenn man das dann wahrheitsgemäß angibt – wozu man verpflichtet ist –, dann dürften die Chancen auf einen Versicherungsabschluss wohl gegen null tendieren.
In der Diabetes-Journal-Ausgabe 4/2021 erklärt unser Experte Oliver Ebert die Rechtslage zum Schwerbehindertenausweis bei Diabetes.
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (5) Seite 50-53
5 Minuten
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