Strukturen, Einfluss und Reformbedarf: Der G-BA – Macht ohne Mandat?

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Strukturen, Einfluss und Reformbedarf: Der G-BA – Macht ohne Mandat? | Foto: G-BA
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Strukturen, Einfluss und Reformbedarf: Der G-BA – Macht ohne Mandat?

G-BA: Entscheidungen ohne Stimme der Betroffenen? Das mächtige Gremium bestimmt, welche Therapien Kassen zahlen – oft auf Basis alter Daten, in intransparenten Prozessen und ohne Patientenstimme im Plenum. Braucht es Reformbedarf mit Tempo, Transparenz und für echte Mitbestimmung?

Wer in Deutschland gesetzlich krankenversichert ist, lebt mit den Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – meist, ohne es zu wissen. Dieses Gremium legt fest, welche Therapien, Medikamente und Hilfsmittel die Krankenkassen bezahlen. Damit entscheidet es unmittelbar über die Versorgung und Lebensqualität von Millionen Menschen – und über Milliarden-Beträge aus Beitragsgeldern. Doch wer sitzt eigentlich am Tisch, wenn über die Versorgung entschieden wird?

Machtzentrum ohne Patienten-Stimme

Der G-BA ist kein Ministerium, sondern das oberste Organ der „gemeinsamen Selbstverwaltung“. Hier sitzen Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des Spitzenverbands der Krankenkassen (GKV-SV) sowie drei unparteiische Mitglieder.

Patienten-Vertreter nehmen an allen Sitzungen teil, dürfen Anträge stellen und mitberaten – doch im entscheidenden Plenum haben sie kein Stimmrecht. Bereits 2015 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der G-BA zwar formal gesetzlich legitimiert sei, seine Entscheidungen aber „nur bedingt demokratisch kontrollierbar“ seien. Auch die Stiftung Münch, eine unabhängige Denkfabrik für Gesundheitsforschung, kam 2016 in einer eigenen Analyse zu dem Schluss, der G-BA sei „intransparent, strukturkonservativ und reformresistent“.

Die Macht, die vor der Abstimmung entscheidet

Doch das fehlende Stimmrecht ist nur die halbe Wahrheit. Die eigentliche Macht entsteht vor der Abstimmung – in der Frage, wer festlegt, was als wissenschaftliche Evidenz gilt.

Hier zeigt sich ein strukturelles Ungleichgewicht: Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen dürfen eigene Expertinnen und Experten benennen, Professoren, Leitlinien-Autoren oder Gutachter, die ihre Position wissenschaftlich absichern.

Die Patienten-Vertretung hingegen darf keine eigenen Sachverständigen offiziell beauftragen, sondern nur Vorschläge einreichen – ohne Anspruch auf gleichwertige wissenschaftliche oder finanzielle Unterstützung. Während die Organisationen der Selbstverwaltung ihre Expertinnen und Experten aus eigenen Mitteln finanzieren, verfügt die Patienten-Vertretung über kein entsprechendes Budget.

Selbst mit Stimmrecht bliebe ihr Einfluss somit begrenzt. Denn die Entscheidungsgrundlage wird vorher durch andere bestimmt – wer die Evidenz definiert, entscheidet damit maßgeblich über das Ergebnis.

Wenn alte Daten über heutige Kinder entscheiden

Wie real diese Schieflage ist, zeigt das neue Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas (extremes Übergewicht) für Kinder und Jugendliche. Das Programm beruht auf Leitlinien, deren Primärquellen aus den 1980er- bis 2010er-Jahren stammen. Die betroffenen Kinder leben jedoch längst in einer digitalen, zuckerreichen Welt, in der sich Lebensstil und Umwelt stark verändert haben. Trotzdem werden auf Basis jahrzehntealter Daten Therapie-Empfehlungen abgeleitet.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertet für den G-BA wissenschaftliche Studien nach strengen Methoden. Bei DMPs stützt es sich dabei meist auf vorhandene, systematisch erstellte Leitlinien, die oft auf älteren Studien basieren. Neue Einzelstudien, die nach Veröffentlichung einer Leitlinie erscheinen, werden meist erst mit deutlicher Verzögerung berücksichtigt – selbst wenn sie hochwertige Evidenz liefern. Das ist methodisch korrekt – doch in der Praxis führt dies oft dazu, dass neue Erkenntnisse erst Jahre später in die Versorgung gelangen. Wissenschaftlich sauber, aber praxisfern.

Auch kritisieren Fachzeitschriften wie das „Journal of the American College of Cardiology“, dass evidenzbasierte Medizin (EbM) oft nur das misst, was sich messen lässt, – während Lebensqualität, Alltagstauglichkeit oder psychische Belastung unsichtbar bleiben. Ein Beispiel ist die späte Anerkennung von Systemen zum kontinuierlichen Glukose-Messen (CGM). Sie erleichtern Menschen mit Diabetes seit Jahren den Alltag, wurden aber erst 2016 als Regelleistung anerkannt – obwohl ihr Nutzen längst belegt war.

Tempo, Transparenz und Teilhabe

Ein weiteres Problem ist die Geschwindigkeit der Entscheidungs-Prozesse. Zwar gibt es Fristen für bestimmte Verfahren, doch manche Themen brauchen bis zu acht Jahre, bis ein Beschluss steht. Selbst G-BA-Chef Prof. Josef Hecken räumte mehrfach ein, dass die Verfahren zu langsam seien. FDP-Gesundheitspolitiker Prof. Dr. Andrew Ullmann fordert seit 2018 mehr Beweglichkeit: „Der G-BA ist träge, unflexibel und nicht patientenorientiert.“

Was sich ändern muss: Evidenz braucht Menschlichkeit

Der G-BA ist zu wichtig, um als geschlossener Zirkel zu handeln. Wenn Entscheidungen darüber, welche Versorgung Menschen erhalten, auf alten Daten und unausgewogenen Strukturen beruhen, sind Reformen längst überfällig.

Evidenzbasierte Medizin ist unverzichtbar – darf aber kein Selbstzweck sein. Solange der G-BA über das Leben von Millionen Menschen entscheidet, ohne dass Betroffene auf Augenhöhe vertreten sind, bleibt moderne Medizin eine Einbahnstraße. Eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung braucht Evidenz mit Empathie: wissenschaftlich fundiert, aber nah an der Realität der Menschen, die damit leben.

Die Selbsthilfe fordert:

  • Gleiches Stimmrecht für Patienten-Vertretungen im G-BA – echte Mitbestimmung statt bloßer Anhörung.
  • Gleichwertige Expertenrechte für Patienten-Vertretungen – eigene Sachverständige und Zugang zu wissenschaftlicher Expertise.
  • Mehr Transparenz – öffentliche Begründungen, wie und warum Evidenz gewichtet und Entscheidungen getroffen werden.
  • Schnellere Verfahren – klare Fristen und schnellere Prozesse zur Bewertung und Umsetzung neuer Leitlinien und Studien-Ergebnisse, damit aktuelle Erkenntnisse zeitnah in die Versorgung einfließen.
  • Lebensqualität als Kriterium – Patient-Reported Outcomes, also Therapie-Erfolge aus der Perspektive der Patienten, müssen gleichberechtigt neben HbA1c, Mortalität (Sterblichkeit) und Kosten-Nutzen-Analysen stehen.

Gemeinsame Positionen der organisierten Selbsthilfe und Patientenvertretung im Diabetes-Anker

Logos Verbaende Diabetes Anker jpg

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 74 (12) Seite 58-59

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  • cesta postete ein Update vor 1 Woche

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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