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Wenn es um Müllvermeidung und ökologische Nachhaltigkeit geht, sehen Menschen mit Diabetes und auch ihre Behandlungsteams in erster Linie die Pharma- bzw. Medizinprodukte-Industrie in der Pflicht. Tatsächlich arbeiten die Unternehmen intensiv daran, weniger Diabetesmüll zu produzieren. Doch Müllvermeidung ist nur eine von vielen Facetten in ihren Strategien zur Nachhaltigkeit. Viele Maßnahmen – etwa in Produktions- und Lieferprozessen – sind dem Endprodukt selbst nicht anzusehen.
Plastikverpackungen, Einweg-Insulinpens, Setzhilfen für CGM-Sensoren, Pumpenzubehör und Kartonagen – spricht man Menschen mit Diabetes sowie Diabetologinnen und Diabetologen auf das Thema Nachhaltigkeit an, denken die meisten zuallererst an den Diabetesmüll, der im Zusammenhang mit der Therapie in den Praxen und zu Hause bei Menschen mit Diabetes entsteht. Ihr Vertrauen in die Diabetesindustrie, an diesen vermeidbaren Müllbergen etwas zu ändern, ist allerdings nicht besonders groß (siehe zweiten Beitrag aus der „Green Diabetes“-Serie). In vereinzelten Recycling- und Rücknahmeaktionen sehen sie eher „Feigenblattaktivitäten” denn ernsthaftes Bemühen um Nachhaltigkeit.
Tatsächlich lesen sich die Antworten der Unternehmen auf einen Fragenkatalog zu den Themen Müllvermeidung, ökologischer Fußabdruck und Nachhaltigkeit in weiten Strecken eher blumig-unkonkret. „Wir sind uns bewusst, dass der Kampf gegen den Klimawandel und der Schutz unseres Planeten eine Herkulesaufgabe ist. Jeder ist aufgerufen, seinen Teil dazu beizutragen. Als global tätiges Pharmaunternehmen setzen wir alles daran, unserer Verpflichtung so gut wie möglich gerecht zu werden“, heißt es da. Oder: „Als einer der führenden Hersteller für Diabeteslösungen und -produkte ist es uns ein großes Anliegen, kontinuierlich unsere Produkte und Betriebsabläufe zu verbessern und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.“ Die Unternehmen verweisen bei Nachfragen auf Nachhaltigkeitsberichte, Umweltstrategien und Zertifikate zur Gemeinwohlbilanz.
Derweil bewerben dieselben Unternehmen weiterhin vorrangig Einwegpens für Insuline und andere injizierbare Diabetesmedikamente, anstelle die Aufmerksamkeit auf umweltfreundlichere Mehrwegpens zu lenken. Die bislang initiierten Recyclingprojekte für Einwegpens erscheinen eher als kosmetische Maßnahmen, nicht als wirksame Nachhaltigkeitsstrategien. In Blutzuckermessgeräten, Insulinpumpen und Sensoren kommen unverändert fast nur Batterien statt wiederaufladbarer Akkus zum Einsatz, Setzhilfen für CGM-Sensoren sind Einwegprodukte. Dabei wäre nach Einschätzung von Behandelnden Patienten mit etwas gutem Willen an vielen Stellen der Einsatz langlebigerer Produkte möglich.
Folgende Beispiele illustrieren das breite Spektrum von Schritten, die Unternehmen der Diabetesindustrie für eine bessere Klimabilanz gehen.*
* nach Angaben der Unternehmen
Dennoch wäre es unfair, der Industrie pauschal bloßes ‚Greenwashing‘ vorzuwerfen. Denn viele ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten finden im Hintergrund statt und sind den einzelnen Produkten nicht unmittelbar anzumerken. So wird von Veränderungen beim Verpackungs- und Produktdesign berichtet, dank derer sich Paletten effizienter bepacken lassen. Das wiederum verringert die Umweltbelastung durch Logistik und Transport. Hierzu kann auch der Verzicht auf Lieferungen via Luftfracht beitragen. Etliche der weltweit operierenden Firmen favorisieren mittlerweile den Seeweg für den Transport von Rohstoffen, Komponenten oder fertigen Produkten.
Auch ein veränderter Umgang mit Dienstreisen – angestoßen durch die Kontaktbeschränkungen während der Coronapandemie – schlägt sich in der Klimabilanz der Industrie nieder. Gleiches gilt für Anstrengungen für Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung in den Produktionsprozessen. Etwa durch die Verwendung sortenreiner, weniger umweltbelastender Kunststoffe, die Nutzung regenerativer Energien in den Produktionsstätten. Oder die lokale bzw. regionale Beschaffung von Rohstoffen und Komponenten.
In der Diabetes-Therapie fallen viele Einwegartikel, Batterien und Umverpackungen an. Doch muss das so sein? Und wohin mit dem ganzen Diabetesmüll? In vielen Bereichen findet bereits ein Umdenken statt. In dieser Serie zur Nachhaltigkeit in der Diabetologie beleuchten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven: Pharma- und Hilfsmittelindustrie, Patientinnen und Patienten, Diabetespraxen, Behörden und Gesetzgeber sowie Kostenträger.
Tatsächlich sehen Unternehmen bei den Themenfeldern Produktion, Verpackung und Transport einen deutlich größeren Hebel zu mehr Nachhaltigkeit als bei einzelnen Produkten. Immerhin unterliegen viele Produkte in der Diabetesversorgung strengen Hygieneauflagen und regulatorischen Vorschriften. Und diese dienen grundsätzlich erst einmal der Sicherheit von Menschen mit Diabetes. Einwegprodukte haben hier durchaus ihren Stellenwert – und der Wunsch nach weniger Diabetesmüll sollte nicht dazu führen, dass man z.B. Katheter von Insulinpumpen länger als empfohlen trägt oder Einweg-Pennadeln mehrfach verwendet.
Einzelne Regularien gehören aus Sicht der Industrie allerdings durchaus auf den Prüfstand, etwa die EU-Richtlinie EU 2021/2226. Diese bestimmt, dass Bedienungsanleitungen für Produkte, die im Wesentlichen von Laien benutzt werden, nicht ausschließlich in elektronischer Form vorliegen dürfen. Sie müssen auch in Papierform zur Verfügung gestellt werden – was zum weiteren Wachstum der Altpapierberge beiträgt.
Auch sonst könnte man nach Einschätzung der Industrie an etlichen Stellen bürokratische Prozesse verschlanken – beispielsweise das Antragsverfahren für Nachhaltigkeits-Pilotprojekte. Daneben stehen Förderprojekte für Unternehmen, die sich nachweislich für sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften einsetzen, oben auf der Wunschliste. Insgesamt wünscht man sich pragmatischere regulatorische Lösungen, die die Besonderheiten der Branche berücksichtigen und Überbürokratisierung vermeiden – damit sich Nachhaltigkeitsziele mit der Versorgung mit modernen Medizintechnologien in Einklang bringen lassen.
von Antje Thiel
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