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Die Telematik-Infrastruktur bringt große digitale Veränderungen ins Gesundheitswesen: ePA, e-Rezept und eAU werden den Alltag in Arztpraxen und Kliniken stark beeinflussen. Doch nicht alle Patienten vertrauen auf die „Daten-Autobahn“. Dr. Meinolf Behrens klärt auf.
Telematik-Infrastruktur – kurz TI – lautet ein etwas sperrig anmutender Begriff, der seit Monaten für viel Unruhe in Arztpraxen und Klinik-Ambulanzen sorgt. Einfach beschrieben verbirgt sich dahinter die Daten-Autobahn des Gesundheitswesens. Und genau auf dieser hat der Betrieb deutlich zugenommen. Die medizinische Versorgung wird digitaler und damit verbunden ergeben sich erhebliche Veränderungen für Patientinnen und Patienten und insbesondere solche mit Diabetes.
Konstrukteur der Daten-Autobahn ist die gematik. Das Bundesministerium für Gesundheit hält 51 Prozent der Gesellschafter-Anteile, die verbleibenden Anteile verteilen sich auf gesetzliche und private Krankenkassen sowie Ärzte- und Apotheker-Verbände. Ziel der gematik ist die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens.
Die meisten Patienten haben es gar nicht bemerkt – seit mehr als drei Jahren läuft der Verkehr auf der Daten-Autobahn des Gesundheitswesens bereits. Beim Einlesen der Versichertenkarten erfolgt online automatisch ein Abgleich der Daten auf der Versichertenkarte mit den Daten, die bei der Krankenkasse der versicherten Person hinterlegt sind – das Versicherten-Stammdaten-Management (VSDM). Gegebenenfalls werden nicht mehr aktuelle Daten auf der Karte überschrieben und auch gleichzeitig in der Patienten-Datei der Praxis aktualisiert.
Koronare Herzkrankheit (KHK) mit Bypass-Operation, Bluthochdruck, Nierenschwäche, Penicillin-Allergie und ein Insulin-behandelter Typ-2-Diabetes seit 18 Jahren: Die Diagnosen von Günther M. lesen sich wie das Inhaltsverzeichnis eines internistischen Lehrbuchs.
Zudem muss er neun unterschiedliche Medikamente regelmäßig einnehmen. „Braucht ein Notarzt im Fall einer schweren Unterzuckerung oder auch eines Herzinfarkts nicht genau diese wichtigen Informationen?“, blickt der 68-jährige Rentner Günther M. kritisch zurück. Mit Einführung des Notfalldaten-Managements (NFDM) hat sein Diabetologe neben den Kontaktdaten seiner Ehefrau seine chronischen Erkrankungen, seine Medikation und seine Penicillin-Allergie auf der Karte hinterlegt. In Notfall-Situationen können so Ärzte oder auch Notfall-Sanitäter auf die Daten zugreifen.
Seit Januar 2022 sind Arztpraxen und Krankenhäuser – Letztere im Rahmen des Entlassungs-Managements – verpflichtet, Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln. Aktuell erhalten Patienten noch einen Papier-Ausdruck zur Vorlage beim Arbeitgeber sowie für die eigenen Unterlagen. Ab dem 1. Juli 2022 gehen zwei Ausführungen der elektronischen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (eAU) an die Krankenkasse. Sobald der Arbeitnehmer sich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig gemeldet hat, ruft dieser die Krankmeldung elektronisch bei der Krankenkasse ab.
Als Rentner benötigt Günther M. die eAU nicht mehr. Auf das e-Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel wartet er allerdings noch. Offiziell eingeführt werden sollte es zum 1. Januar 2022. Leider gibt es auf der Daten-Autobahn noch einige Baustellen, sodass die Einführung kurzfristig verschoben werden musste. Ein verbindlicher Zeitplan stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, laut Bundesministerium für Gesundheit ist aber eine „schnellstmögliche“ Einführung geplant.
Zum elektronischen Empfang und zur Einlösung benötigt man die e-Rezept-App der gematik. Für Versicherte, die die App nicht nutzen möchten, wird es weiter e-Rezept-Ausdrucke auf Papier geben – allerdings auf weißem Papier und nicht mehr rosafarbenem. Eine Unterschrift sucht man auf den Ausdrucken vergebens, die Signierung erfolgt digital. Es bleibt bei maximal drei Medikamenten je Rezept. Zu jedem Medikament gibt es einen 2D-Code, der beim Einlösen des Rezepts in der Apotheke gescannt wird. Hilfsmittel und bestimmte Arzneimittel sowie Privatrezepte werden erst später umgestellt.
Seit dem 1. Januar 2021 können Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen ihre medizinischen Daten in einer elektronischen Patientenakte (ePA) führen. Diese wird von den Krankenkassen als App kostenlos bereitgestellt.
Die Anmeldung zu den elektronischen Akten und Registern erfolgt in Stufen:
Die Nutzung ist selbstredend freiwillig. Hinterlegt werden können relevante Daten für den Notfall, wie Diagnosen, Allergien, Kontaktdaten sowie ein elektronischer Medikations-Plan, darüber hinaus Arztbriefe sowie Krankenhaus- und sonstige Befund-Berichte. Im Rahmen eines stufenweisen Ausbaus können Daten aus ganz unterschiedlichen Bereichen eingepflegt werden. Die Daten-Hoheit liegt bei den Versicherten. Damit ist die ePA ein wichtiger Beitrag für die Patienten-Souveränität. Vor allem aber ermöglicht die ePA Haus- und Fachärzten sowie Klinikärzten, von den Patientinnen und Patienten freigegebene medizinische Dokumente schnell abzurufen. Das spart im Praxis-Alltag und gerade im Notfall viel Zeit.
Günther M. hat bereits alles veranlasst, damit seine ePA befüllt werden kann und die ihn betreuenden Ärztinnen und Ärzte sich einfach relevante medizinische Informationen holen können. Die entsprechende App der Krankenkasse gibt es im Google-Play-Store und im Apple-Store. Für die Registrierung benötigte Günther M. neben seiner E-Mail-Adresse lediglich die Krankenversicherungs-Nummer und eine PIN zur Gesundheitskarte, die er von seiner Krankenkasse erhalten hatte. Leider nimmt auch die ePA langsamer Fahrt auf, als es die Architekten der Daten-Autobahn geplant haben.
Aber es gibt noch mehr Digitalisierung. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft arbeitet intensiv an der Entwicklung einer elektronischen Diabetesakte, der eDA-DDG. Die eDA-DDG wird eine wichtige Ergänzung zur ePA sein. Sofern der Patient einverstanden ist, können wichtige Diabetes-relevante Befunde (z. B. HbA1c-Wert, Diagnosen, Medikation) aus der ePA nach festen Standards in die Diabetesakte übernommen werden. Die Daten ermöglichen eine qualifizierte und gezielte Betreuung von Menschen mit Diabetes. Mit Einverständnis des jeweiligen Patienten können die Daten zudem einem Diabetesregister zur Verfügung gestellt werden, das der Forschung und Entwicklung und damit einer optimierten Versorgung von Menschen mit Diabetes dienen soll.
Die gematik sichert Versicherten höchsten Datenschutz und maximale Informations-Sicherheit auf der Daten-Autobahn des Gesundheitswesens zu. Doch nicht alle Versicherten möchten die „neue“ Daten-Autobahn nutzen, bevorzugen aus ganz unterschiedlichen Gründen die für sie etablierten und vertrauten Wege und Straßen der Kommunikation. Man darf gespannt sein, wie Versicherte die digitalen Angebote annehmen werden. Trotz des zweifelsfreien Mehrwerts im Patienten-Alltag gehen Branchen-Experten davon aus, so Dr. Florian Muhß, Geschäftsführer eines führenden Arzt-Informations-Systems, dass beispielsweise der Anteil rein digital eingelöster e-Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente im Jahr 2030 bei nur 10 bis 15 Prozent liegen wird.
Günther M. hat erkannt, welche Chancen und Möglichkeiten sich ihm durch die Daten-Autobahn mit der Telematik-Infrastruktur ergeben. Die Sorge vor „Daten-Unfällen“ teilt er dabei nicht. Genervt ist er vielmehr, dass es nicht mit ausreichendem Tempo vorangeht.
Nicht jeder sieht es so wie Günther M. Vielen Versicherten fehlt schlichtweg das Vertrauen in die „neue“ Daten-Autobahn. So bedarf es noch reichlich Aufklärungsarbeit und vertrauensbildender Maßnahmen, damit die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens – laut gematik eines der größten IT-Projekte Europas – richtig Fahrt aufnehmen kann. Denn unbestritten ist, dass auf lange Sicht die Vorteile überwiegen werden.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (3) Seite 16-19
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