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Seit mittlerweile über 100 Jahren ist es möglich, den Zuckergehalt im Blut zu bestimmen. Seither haben sich die Techniken zur Bestimmung der Glukose in Blut und Gewebe ständig verbessert. Allerdings haben nicht alle Menschen mit Diabetes gleichermaßen Zugang zu den modernen Technologien – obwohl Fachleute die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) zumindest zeitweilig auch bei Typ-2-Diabetes befürworten.
Kolorimeter nannte sich eines der ersten Blutzuckermessgeräte, die bereits vor über 100 Jahren im Einsatz waren. Diese Geräte wurden allerdings ausschließlich in medizinischen Einrichtungen vorgehalten. Dass Menschen mit Diabetes regelmäßig zu Hause eigenständig ihren Blutzucker messen, was damals noch völlig undenkbar: Zum einen, weil Ärztinnen und Ärzte ihren Patienten seinerzeit ihre Erkrankung niemals eigenverantwortlich hätten managen lassen. Zum anderen aber auch, weil für eine einzige Messung derart große Mengen Blut nötig waren, dass man mehrfach tägliche Messungen vermutlich nicht überlebt hätte.
Über diese und weitere Meilensteine in der Geschichte der Glukosemessung berichtete der Diabetestechnologie-Experte Dr. Guido Freckmann aus Ulm bei der diesjährigen diatec-Tagung Ende Januar 2023 in Berlin. Glukosetests für den Hausgebrauch gab es erst ab den 1920er Jahren in Form von Urinzuckerteststreifen. Ab den 1970er Jahren kamen die ersten Blutzuckermessgeräte auf, die für den Einsatz zu Hause vorgesehen waren. Und ab den 1990er Jahren hielten moderne Blutzuckermessgeräte Einzug, wie wir sie auch heute kennen. Vor weniger als 10 Jahren wiederum kamen die ersten Sensoren zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) auf den Markt, die den Glukosegehalt im Zwischenzellwasser des Unterhautfettgewebes anstatt im Blut messen.
Wer einen Typ-1-Diabetes hat oder seinen Typ-2-Diabetes mit Insulin behandelt, hat in der Regel problemlos Zugang zu Hilfsmitteln, die für eigenständige Blut- oder Gewebezuckermessungen erforderlich sind. Anders sieht es bei einem Typ-2-Diabetes aus, bei dem Insulin nicht zum Einsatz kommt. „Bei Typ-2-Diabetes wird überwiegend die Blutzuckerselbstmessung empfohlen, aber es ist Ärzten nicht in allen Regionen möglich, die erforderliche Menge Teststreifen zu verordnen“, berichtete Dr. Freckmann. Es gebe sogar Stimmen, welche die Sinnhaftigkeit der Blutzuckerselbstmessung bei Typ-2-Diabetes ohne Insulintherapie generell anzweifeln. Andere Fachleute wiederum halten sie – eine gute Schulung vorausgesetzt – für absolut sinnvoll. Dabei steht ja sicherlich außer Frage, dass man Verhalten und Therapie erst dann konsequent an die Blutzuckerwerte anpassen kann, wenn man diese Blutzuckerwerte überhaupt kennt. Für die Kostenträger, sprich Krankenkassen und -versicherungen, geht es allerdings auch um viel Geld: Schließlich leben deutschlandweit mittlerweile schätzungsweise rund 8 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Noch schwieriger ist es für Menschen mit Typ-2-Diabetes, die gern ein CGM-System nutzen möchten. Hier stellt sich zum einen die Frage, ob ein CGM-System sinnvoll ist, wenn bei einem Typ-2-Diabetes lediglich Basalinsulin gespritzt wird, nicht aber Bolusinsulin zu den Mahlzeiten. Wenn Menschen mit Typ-2-Diabetes eine intensivierte Insulintherapie (ICT) durchführen, wie sie auch beim Typ-1-Diabetes gang und gäbe ist, sieht Dr. Freckmann keinen Grund, ihnen ein CGM-System vorzuenthalten. Wer eine sogenannte basalunterstützte orale Therapie (BOT) durchführt, also zusätzlich zu Tabletten Basalinsulin spritzt, dürfte allerdings auch von einem CGM-System profitieren. Es muss ja nicht ständig getragen werden, oft reichen auch ein paar Wochen pro Jahr, um die Glukoseverläufe einschätzen und die Therapie anzupassen zu können. Im Fachjargon nennt man dies die ‚intermittierende Nutzung‘.
Mit Blick auf die wissenschaftliche Fachliteratur erklärte der Diabetestechnologie-Experte: „Strukturierte Messungen tragen unabhängig von der Messmethode dazu bei, dass der Langzeitwert (HbA1c) sinkt.“ Dr. Freckmann schlägt deshalb vor: „Man sollte beim Zugang zur Glukosemessung nicht nach Diabetestypen, sondern nach Behandlungsmethoden unterscheiden.“ Damit Blutzucker- oder Gewebeglukosemessungen ihren Nutzen entfalten können, brauchen Anwender*innen allerdings entsprechende Schulungen. Denn nur so können sie lernen, die Effekte von Mahlzeiten mit hohem bzw. niedrigem Kohlenhydratanteil oder glykämischem Index einzuschätzen und ihr Ess- und Therapieverhalten entsprechend anzupassen. Bislang allerdings drücken sich die Kostenträger sogar um CGM-Schulungen für Menschen mit Typ-1-Diabetes herum, denen ein CGM-System nur selten verweigert wird. Sollten künftig auch mehr Menschen mit Typ-2-Diabetes Zugang zu CGM-Systemen erhalten, stünden die Krankenkassen vor noch größeren finanziellen Herausforderungen als ohnehin schon.
Künftige Hoffnungsträger sind sogenannte nicht-invasive Glukosemesssysteme, die weder einen Fingerpieks, noch einen in die Haut eingeführten Sensormessfaden benötigen. Sie sollen den Blutzuckerwert mit optischen Verfahren z. B. über Smartwatches erfassen. Sie sind allerdings bislang ebenso weit von der Marktreife entfernt wie Sensor-Tattoos, die über Farbumschläge auf der Haut steigende oder sinkende Glukosewerte signalisieren.
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von Antje Thiel
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