Kontinuierlich oder punktuell?

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Kontinuierlich oder punktuell?

Vollständigeres Bild durch CGM

Die herkömmliche, punktuelle Blutzuckermessung und das HbA1c zur Charakterisierung der durchschnittlichen Glukosekonzentration in den letzten 8 bis 12 Wochen sind seit mehr als 3 Jahrzehnten diagnostischer Standard zum Überprüfen und Steuern der Diabetestherapie. Die Blutzuckermessung ist eine hervorragende Methode, um den Zustand in einem Augenblick zu charakterisieren.

Die gedankliche oder graphische Verbindung mit dem vorhergehend und dem nachfolgend gemessenen Blutzuckerwert bietet aber keine Sicherheit, dass zwischen den Werten keine höheren oder niedrigeren Werte aufgetreten sind. Dagegen bietet die seit 1999 auf dem Markt verfügbare Methode des kontinuierlichen Glukosemonitorings (CGM) durch die Darstellung der Messwerte in kurzen Abständen ein vollständiges Bild.

Von statisch zu dynamisch

CGM bietet zusätzlich zum Glukosewert auch den Glukosetrend. CGM ist eine dynamische Methode, so wie die physiologische Glukoseregulation dynamisch ist. Folglich besteht mit dem Blick auf die vollständige Glukosekurve die Notwendigkeit, den gewohnten statischen Blickwinkel der Augenblickszuckermessung in eine dynamische Betrachtungsebene zu transferieren.

CGM erweitert Bestehendes

Statistisch gesehen sind für die sichere Erfassung einer signifikanten Glukoseauslenkung zwei Messwerte notwendig. Bei wenigen Schwankungen und geringen Glukoseamplituden ist CGM nicht notwendig; klinische Zeichen dafür sind seltene oder keine Hypoglykämien und ein HbA1c im individuellen Zielbereich.

Bei großer Glukosedynamik, unlogischen Glukoseverläufen, häufigen Hypoglykämien und schlechtem HbA1c ist dagegen die "zweidimensionale" Sicht von CGM notwendig. Die mit CGM verbundene Sicht stellt eine Erweiterung des Bestehenden dar und nicht dessen Ersatz.

Schwankende Glukosewerte als Risikomarker?

CGM macht die Glukoseschwankungen sichtbar. Bedeutet die Verfügbarkeit von CGM nun einen Paradigmenwechsel in der Diabetologie? Haben zwei Patienten das gleiche HbA1c von 7 % bzw. 53 mmol/mol, kann aber die Standardabweichung bei dem einen Patienten 73 mg/dl (4,1 mmol/l) und bei dem anderen 44 mg/dl (2,4 mmol/l) betragen. Nach einem anerkannten Kriterium für die Glukosestabilität (Mittelwert/Standardabweichung > 3: stabil, < 2: instabil) bedeutet das im ersten Fall gute Stabilität (3,52) und im zweiten Fall Instabilität (1,98).

Sind diese Unterschiede bedeutsam? Bisher wird ausschließlich vom HbA1c-Wert auf die Entwicklung von diabetischen Folgeerkrankungen geschlossen, durch die Ergebnisse randomisierter, kontrollierter Studien wie des

Allerdings zeigte bereits eine Analyse von Subgruppen im DCCT, dass Patienten, die das gleiche HbA1c aufwiesen, eine unterschiedliche Rate an diabetischen Folgeerkrankungen entwickelten. Auch wenn über die Ursachen spekuliert werden muss, da nur punktuelle Blutglukosemessungen und die HbA1c-Werte vorliegen, sind doch wahrscheinlich Glukoseschwankungen dafür verantwortlich.

Einfluss von Glukoseschwankungen auf die Diabetesprognose

Auch Studien zur Untersuchung des Zusammenhangs von postprandialer Hyperglykämie und kardiovaskulären Erkrankungen wie die

Darüber hinaus existieren zelluläre Untersuchungen, die zeigen, dass alternierend wechselnde Glukoseniveaus den oxidativen Stress und die Zellabsterberate deutlich mehr erhöhen als eine permanente Hyperglykämie.

Langzeitprognose hängt nicht nur von HbA1c ab

Auch wenn bisher keine randomisierten, kontrollierten Endpunktstudien vorliegen, belegen doch verschiedene Fakten, dass die alleinige Betrachtung des HbA1c nicht ausreicht, um bei allen Patienten die Langzeitprognose des Diabetes zu beschreiben. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel, was aber nicht das HbA1c grundsätzlich ersetzen soll. Entsprechend der Studienlage und auch aus Erfahrung bedeutet ein gutes HbA1c (< 7,5 % bzw. 58 mmol/mol) bei einer großen Zahl von Patienten eine gute Prognose und ein schlechtes HbA1c eine schlechte Prognose.

Ob die glykämische Variabilität die Ursache für Abweichungen von der Regel ist, kann nicht mit Sicherheit belegt werden. Physiologisch sind die Auslenkungen bei stoffwechselgesunden Personen mit einer Standardabweichung von 10 bis 15 mg/dl bzw. 0,6 bis 0,8 mmol/l gering. Angesichts dessen wäre eigentlich nachzuweisen, dass die zum Teil erheblichen Glukoseschwankungen bei Diabetikern unkritisch sind und deren Vermeidung nicht notwendig ist.


Unterschiede zwischen Blut und Interstitium

Bei den folgenden Betrachtungen wird davon ausgegangen, dass der Glukosesensor optimal kalibriert wurde. Diese Kalibrierung ist notwendig für den Anschluss des Sensorwerts an die Blutglukose im Organismus und wegen des Driftens z. B. durch Belag von körpereigenen Komponenten und/oder Bakterien auf der Sensoroberfläche bei den aktuell verfügbaren Nadelsensoren mit wachsender Liegedauer.

Der beste Zeitpunkt der Kalibrierung ist gegeben, wenn Glukosestabilität herrscht. Bei rascher Änderung der Glukosekonzentration können sich im Anstieg und Abfall die CGM-Werte von den Blutglukosewerten unterscheiden

Auch der Unterschied zwischen den beiden Kompartimenten nach der Mahlzeit im Maximum der Glukosekonzentration ist physiologisch bedingt und hängt mit dem Verbrauch der Glukose auf dem Weg vom Blut bis zur Liegestelle des Sensors ab. Besonders deutlich wird der Effekt beim Sport, weil da der Glukoseeinstrom in die Körperzellen besonders hoch ist.

Hypoglykämien führen zu hoher Glukosedynamik

Eine hohe Glukosedynamik tritt auch im Zusammenhang mit Hypoglykämien auf. Selbst leichte Hypoglykämien führen bei vielen Patienten (auch mit langer Diabetesdauer) zu einer autonomen Gegenregulation, die aber davon abhängt, ob die dafür notwendige Glukose als endogenes Substrat schnell verfügbar ist, so dass es zu einem starken Glukoseanstieg kommt, steiler, als er selbst bei Mahlzeiten mit schnell resorbierbaren Kohlenhydraten auftritt.

Der Organismus versucht später, die nach einer Gegenregulation geleerten Glykogenspeicher wiederaufzufüllen, wenn exogene Glukose verfügbar wird. Im CGM zeigt sich dieser Effekt durch eine nur geringe oder fehlende Auslenkung der Glukosewerte nach dem Essen, obwohl die Mahlzeit richtig geschätzt und abgedeckt wurde. Es entsteht ein nahezu normoglykämischer Glukoseverlauf aufgrund des Wechselspiels von wiederholten Hypoglykämien, Ausschüttung von endogener Glukose und des Versuchs des Wiederauffüllens der Glykogenspeicher bei Nahrungsaufnahme.

CGM-Werte situationsbedingt aussagekräftiger

Mitunter führen Patienten angesichts solcher "absurden" Glukoseverläufe im postprandialen Zustand Blutglukosemessungen durch, weil sie den CGM-Daten misstrauen. Dabei sind die Blutglukosewerte in dem beschriebenen Zustand meist deutlich höher als die interstitiellen Glukosewerte. Wird jetzt Insulin nach den erhöhten Blutglukosewerten dosiert (was dem üblichen Behandlungsstandard entspricht), können wieder Hypoglykämien auftreten.

Denn es liegt eine große Glukosedynamik vor, gekennzeichnet durch den Glukoseabfluss zum Wiederauffüllen der Glykogenspeicher. Offensichtlich ist es hier nicht verkehrt, sich nach der interstitiellen Glukose zu orientieren, denn das Blut ist das Transportsystem unter anderem für die Glukose (Blutglukose), während die Peripherie das biologische System ist, in dem die Stoffwechselvorgänge stattfinden (CGM-Glukose).

Die beschriebenen Effekte orientieren sich an Indizien, die sich bei der Auswertung einer großen Menge von CGM-Profilen zeigten. Sie erweitern das vorherrschende Bild, dass im Zustand großer Glukosedynamik die Insulindosierung anhand der interstitiellen Glukose vorgenommen werden sollte, vorausgesetzt, dass die Glukosesensoren dafür die Zulassung haben.

Fazit

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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