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Wer als Mensch mit Diabetes sehr aktiv ist, sei es mit sportlicher Betätigung oder einfach, weil wie bei Kindern der Bewegungsdrang groß ist, muss erfinderisch sein. Das gilt zumindest, wenn er oder sie Hilfsmittel einsetzt, die auf der Haut kleben sollen – wie die Kanüle einer Insulinpumpe oder ein CGM-Sensor. Da sind Tipps von Selbstbetroffenen wie den beiden Autorinnen Ulrike Thurm und Sandra Schlüter wertvoll.
Wer als Mensch mit Diabetes die häusliche Umgebung verlässt, wird früher oder später mit den “Naturgewalten” konfrontiert. Auch bei Regen, Schnee oder sengender Hitze sind Menschen mit Diabetes darauf angewiesen, jederzeit ihren aktuellen Glukosewert verlässlich ermitteln zu können.
Ein Beispiel: Auf einer Radtour regnet es in Strömen, und weit und breit ist keine Möglichkeit zum Unterstellen. Trotzdem muss bei körperlicher Aktivität regelmäßig der Glukosewert ermittelt werden. Hierfür ist unter diesen Bedingungen viel Improvisationstalent nötig und die Genauigkeit des Messergebnisses eher als “verwässert” anzusehen. Ganz anders beim kontinuierlichen Glukosemessen (CGM): Der Sender ist trocken unter der wasserfesten Kleidung angeklebt und es reicht ein Blick auf den Empfänger – schon hat man einen Glukosewert inklusive Anzeige der Tendenz.
Ein extremeres Beispiel stellt die Glukosebestimmung beim Schwimmen dar. Die britische Langstreckenschwimmerin Jen Alexander, die vor 10 Jahren nonstop den Ärmelkanal durchquerte, bekam alle 30 bis 60 Minuten von einem Begleitboot an einem Seil eine wasserdichte Plastik-Box zugeworfen, mit einem kleinen Handtuch, einer “geladenen” Stechhilfe und zwei Blutzuckermessgeräten mit bereits eingeführten Teststreifen.
So konnte die Schwimmerin einhändig eine Blutprobe auftragen. Die wieder verschlossene Box holte das Team an Bord, gab nach Ende der Messung der Schwimmerin ihren Blutzuckerwert durch und warf ihr dem Wert entsprechende Mengen an Kohlenhydraten zu. Jen Alexanders Motto lautete dabei: “Es gibt keine Situation, in der man den Blutzucker nicht messen kann, man muss es nur wollen.”
Wem aber steht beim Schwimmen ständig ein Begleitboot zur Verfügung? Einfacher ist es da, ein CGM-System zu nutzen. Den Empfänger kann man in einer wasserfesten und funkdurchlässigen Tasche, z. B. von Aquapac, verstauen.
Leider sind nicht alle widrigen Umwelteinflüsse so zuverlässig abzuhalten wie Wasser. Begibt man sich z. B. in große Höhe, wird die Messgenauigkeit der Blutzuckermessgeräte durch den geringeren Luftdruck beeinträchtigt. Ähnlich schwer zu beeinflussen ist die Umgebungstemperatur, die ebenfalls die Messgenauigkeit extrem beeinflusst. Bereits ein banaler Spaziergang im Winter durch die verschneite Landschaft im Alpenraum stellt den Menschen mit Diabetes vor die Frage: Wie funktioniert das Blutzuckermessen dann?
Diese Gedanken muss man sich mit einem CGM-System nicht machen. Dieses befindet sich unter der kuscheligen Winterkleidung in einer wohltemperierten Umgebung im zulässigen Messbereich, da der CGM-Sensor im körperwarmen Unterhautfettgewebe liegt. So bleibt er von den Veränderungen des Luftdrucks und den widrigen Temperaturen völlig unberührt. Genauso ist es am Strand: Die Temperatur des Sensors entspricht der des Unterhautfettgewebes.
Aber wie verhindert man, dass sich die CGM-Sensoren bei Nässe, großer Schweißbildung etc. ablösen? Bewährt hat sich eine zusätzliche Sicherung mit Fixomull stretch (gut geeignet ist eine Breite von 5 cm) oder dem speziell für körperliche Aktivität konzipierten Kinesio-Tape – das gibt es von unterschiedlichen Herstellern mit unterschiedlichen Klebeeigenschaften, Farben und Mustern.
Wer eine sehr sensible Haut hat und auf alles, was klebt, allergisch reagiert, für den könnte autsch eine Alternative sein: Das autsch&go-Verbandmaterial passt sich jeder Körperform an, ist schweiß- und wasserbeständig, hautfreundlich, atmungsaktiv und sehr robust. Außerdem ist es rutschfest, haftet mit der Rückseite nicht an Haut und Haaren und kann ohne Schere von der Rolle abgetrennt werden. Diese Bänder gibt es in verschiedenen Größen, Farben und mit Motiven.
Egal, welche der genannten zusätzlichen Befestigungsmöglichkeiten die für Sie geeignetste ist: So sind Sensor und Sender selbst bei heftigen Bewegungen und starker Schweißbildung sicher fixiert und überstehen intensivste sportliche Belastungen wie einen Marathonlauf, ein Fußballspiel mit intensivem Körperkontakt, Kampfsport oder ein Radrennen. Sogar ein mehrstündiger Schwimmwettkampf ist ohne Sensorverlust möglich.
Doch es gibt immer noch Herausforderungen im normalen Leben, die auch für ein CGM-System eine echte Prüfung darstellen, z. B. ein Saunabesuch: Wenn man nach einem nasskalten Wintertag durchgefroren in sein Hotel kommt, schreit natürlich alles nach einer warmen Sauna – alles außer dem CGM-System, das schreit laut Herstellerangaben laut und vernehmbar “NEIN” zu diesen Saunaplänen. Was tun?
Plan A könnte sein, für die Dauer des Saunagangs den Sender mit der sensiblen und hitzeanfälligen Messelektronik vom Sensor zu trennen, nach Beendigung des Saunavergnügens wieder anzukoppeln und eine “neue Sensorsitzung” zu starten. Damit ist der Sender zwar ganz sicher vor diesen Extremtemperaturen geschützt – aber der CGM-Nutzer muss für die Dauer des Saunagangs inklusive der anschließenden 1- bis 2-stündigen Warmlaufzeit eines “neuen” Sensors auf aktuelle Glukosewerte verzichten.
Plan B (siehe nachfolgender Kasten) ist etwas aufwendiger und – Vorsicht! – jenseits aller Zulassungen und gegen alle Herstellerempfehlungen, erfolgt also absolut auf eigenes Risiko! Er gilt für einen Saunagang, wenn Sie dafür nicht Ihr CGM-System (der FreeStyle Libre ist hier ausgenommen, da er für Saunagänge zugelassen ist) ablegen möchten.
Dazu brauchen Sie zum Beispiel:
Die Vorbereitung:
Die meisten Menschen mit Diabetes brauchen gar keine Extremsituationen wie oben beschrieben, um sich intensiv Gedanken aufgrund der Diabetes-Technologie machen zu müssen. Die technischen Grundvoraussetzungen sind auch im Alltag bei Hitze, Kälte und Feuchtigkeit nicht anders als unter Extrembedingungen. Im Alltag ist es ebenso wichtig, verlässliche Glukosewerte zu generieren und die korrekten Therapieentscheidungen aus diesen Werten zu ziehen.
Es muss nicht der Ärmelkanal durchquert werden, um festzustellen, dass Blutzuckermessung im Wasser problematisch werden kann. Viele Eltern von Kleinkindern, die im Sommer stundenlang am Strand oder in der Badeanstalt im Wasser spielen, kennen dieses Problem. Trägt das Kind zusätzlich noch eine Insulinpumpe und ein CGM-System, stehen sie vor großen Herausforderungen.
Bei sportlicher Betätigung ist die Dauer der Aktivität entscheidend. Bleiben wir beim Schwimmen: 30 bis 60 Minuten schwimmen, baden oder im Wasser spielen können überbrückt werden, indem eine nicht wasserfeste Insulinpumpe abgelegt wird. Das Problem ist, dass Kinder am Strand nicht nur eine halbe Stunde im oder am Wasser spielen, sondern den gesamten Tag. Die Insulinpumpe kann auch hier in einer wasserfesten Tasche verpackt werden.
Probleme bereitet das Klebematerial. Die Pflaster der Kanüle des Insulinkatheters und des CGM-Sensors bzw. -Transmitters lösen sich durch die permanente Feuchtigkeit ab. Ein findiger Vater eines 6-jährigen Jungen hat bei seinem äußerst aktiven Sohn eine spezielle Klebetechnik entwickelt: Er benutzt Isolierband zum Fixieren der Kanüle und der Tasche mit der Insulinpumpe. Diese Methode hält 4 bis 5 Stunden. Das Ende der Aktivität wird vom Abfallen der Kanüle bestimmt.
Als Regel ist zu beherzigen, dass nach außergewöhnlichen Situationen wie extrem langen Aufenthalten im Wasser oder nach dem Sport der Insulinkatheter gewechselt werden sollte.
Bekleidung ist ein wichtiger Bestandteil der Diabetestherapie, wie ein konkretes Radrennen beweist: An einem schwülen Augusttag wurde für Amateure und Profis dieses Radrennen veranstaltet. Das Besondere daran war, dass fast alle Akteure Diabetes hatten. Es wurde im Vorfeld darüber diskutiert, wie die unterschiedlichen technischen Hilfsmittel am Körper sinnvoll bei dieser Belastung und diesen Außentemperaturen zu verkleben sind.
Profis empfehlen dafür, Insulinkatheter und CGM akkurat zu bepflastern und darüber das hautenge Fahrrad-Trikot anzuziehen. So klappt ein solches Rennen ohne Komplikationen. Auch direkt nach dem Rennen bleibt so die Anzeige auf dem CGM-System verlässlich. Allerdings kann es beim Ausziehen des Fahrrad-Trikots passieren, dass alle Hilfsmittel, die mit Pflastern befestigt waren, abfallen, weil der zusätzliche Halt durch das Trikot wegfällt.
Manchmal kann es aber auch einfach sinnvoll sein, zumindest die Insulinpumpe zeitweise abzulegen. 30 bis 45 Minuten Insulinpumpenunterbrechung bei Erwachsenen sind legitim. Das bedeutet: Im Badezimmer bei der Morgentoilette oder unter der Dusche können Sie die Insulinpumpe ablegen, denn an welchem Kleidungsstück sollte man sie unter der Dusche befestigen? Ausgedehnte Wannenbäder von mehreren Stunden erfordern wieder etwas Geschick.
Ein Patient z. B. trägt in diesen Situationen eine Katheterschlauchlänge von 110 cm; neben der Badewanne ist ein Haken angebracht, an dem er die Insulinpumpe dann aufhängt; genauso verfährt er beim Schlafen ohne Schlafanzug. Führen 110 cm Katheterschlauchlänge beim Sex zu Verwicklungen, sollte die Insulinpumpe in diesen Situationen besser abgekoppelt werden. Bei sexuellen Aktivitäten von mehreren Stunden ist ein Ablegen der Insulinpumpe eher kontraproduktiv.
Medizinische Gründe können auch zum Ablegen der Insulinpumpe führen, z. B. ein MRT-Termin. Die Insulinpumpe nimmt beim Magnetresonanztomogramm technischen Schaden, auch ein CGM-System ist vor der Untersuchung zu entfernen. Treten Situationen ein, in denen die Insulinpumpe über mehrere Stunden abgelegt werden muss, ist diese Zeit mit z. B. Basalinsulin wie einem NPH-Insulin zu überbrücken.
Ein pragmatischer Ansatz, um die dann erforderliche Insulindosis zu ermitteln, ist das Zusammenrechnen der Insulindosen der Basalrate der Insulinpumpe in den Stunden, in denen die Insulinpumpe abgelegt wird; diese Summe wird dann als Einmalbasalinsulingabe injiziert. Die Insulinpumpe muss nach den entsprechenden Stunden wieder angelegt werden.
Eine weitere Hürde ist die Kanülenliegestelle. Neben medizinischen Gründen gibt es diverse Probleme mit unterschiedlicher Kleidung. Die Kanüle sollte nicht an einer Naht oder einem Hosenbund sitzen.
Als nächster Schritt muss die sinnvolle Katheterlänge für den Trageort der Insulinpumpe ausgesucht werden. Eine Insulinpumpe am Hosengürtel mit 20 cm Schlauch bedeutet z. B. eine große Gefahr bei jedem Toilettengang – die Kanüle kann aufgrund der geringen Schlauchlänge beim Herunterziehen der Hose herausgezogen werden. Bei Kleinkindern gilt außerdem: Der Katheter muss sicher vor dem Zugriff der Kinder sein.
Es zeigt sich immer wieder, dass bereits der Diabetes-Alltag eine Extremsituation ist, aus der die besten Ideen und Konstruktionen für alle Beteiligten generiert werden. Ein Leben ohne Diabetes kann so langweilig sein …
Der Artikel ist zu großen Teilen in Anlehnung an die „CGM- und Insulinpumpenfibel“ von U. Thurm und B. Gehr entstanden.
von Ulrike Thurm und Dr. Sandra Schlüter
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (8) Seite 18-21
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