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Mentale Gesundheit bei Diabetes: „Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr wertvoll sein“
4 Minuten
Dipl.-Psych. Susanne Baulig (siehe Bild oben) ist Leiterin des Schwerpunkts Psychodiabetologie an der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Interview berichtet sie über die Ursachen psychischer Probleme bei Diabetes, warum Aufklärung so wichtig ist und wie man seine mentale Gesundheit stärken kann.
Frau Baulig, mit welchen Themen kommen Patientinnen und Patienten zu Ihnen?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wir betreuen aktuell Menschen mit Diabetes aller Altersstufen zwischen 18 und 83 Jahren – davon sind übrigens doppelt so viele von Typ-1- als von Typ-2-Diabetes betroffen. Am häufigsten begegnen uns dabei Depressionen, gefolgt von Essstörungen, die meistens in Form von unkontrollierten Essattacken auftreten, dem sogenannten Binge-Eating. An dritter Stelle kommen Angststörungen im Hinblick auf Hypoglykämien und dann Akzeptanzprobleme, die dazu führen, dass Patient:innen ihren Diabetes am liebsten verleugnen möchten oder es nicht schaffen, sich gut um ihn zu kümmern.
Warum sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Diabetes von psychischen Problemen betroffen?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Es gibt mehrere Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bereits die Diagnose und das damit verbundene Wissen, dass man unter einer chronischen Erkrankung leidet und seinen Lebensstil ändern muss, kann ungemein belastend sein. Dazu kommt, dass Diabetes niemals Pause macht und die Therapie viel Eigenverantwortung und Selbstkontrolle im Alltag erfordert, was sich ebenfalls auf die Psyche auswirken kann. Ein weiterer Aspekt sind Ängste vor möglichen Folgeerkrankungen und akuten Krisensituationen wie Hypoglykämien. Außerdem erlebe ich öfter, dass Patientinnen und Patienten unter Schuld- und Schamgefühlen leiden – verstärkt durch eine Stigmatisierung von Diabetes, die es leider noch immer in unserer Gesellschaft gibt.
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Auf einer Aufklärungswebsite bietet das Unternehmen Roche viele weitere Informationen, Tipps und Hinweise zum Thema mentale Gesundheit bei Diabetes. Dort erfahrt Ihr auch, was Betroffene selbst dazu zu sagen haben.
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Warum ist Früherkennung hier so wichtig?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Andersherum gesagt: Je später psychische Probleme erkannt und behandelt werden, desto größer ist das Risiko, dass sie chronisch und stärker werden. Eine Früherkennung ermöglicht nicht nur bessere Therapiechancen, sondern sorgt auch dafür, dass Betroffene nicht so lange und weniger leiden müssen. Wenn man mit seiner Psyche zu kämpfen hat, wirkt sich das häufig auch negativ auf das Diabetesmanagement aus, weil die Motivation leidet und man buchstäblich andere Dinge im Kopf hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Behandelnde bei Menschen mit Diabetes immer auch aktiv nach der seelischen Gesundheit fragen.
„Wir brauchen definitiv mehr Aufklärung, um bestehende Vorurteile abzubauen.”
Susanne Baulig, Diplom-Psychologin aus Mainz
Wie können Menschen mit Diabetes ihre mentale Gesundheit stärken?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Diabetes ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Darum ist es entscheidend, dauerhaft eine gute Balance zwischen dem Diabetesmanagement (dem, was man tun muss) und positiven Aktivitäten (dem, was einem gut tut) zu finden. Das können bewusste Auszeiten zum Entspannen, Spaziergänge zum Seele baumeln lassen, sportliche Aktivitäten oder auch gemeinsames Kochen sein. Dazu ist der Austausch mit anderen Betroffenen oft sehr wertvoll, da man sich besser verstanden und nicht so alleine fühlt. Außerdem kann man sich gegenseitig super motivieren und mit Tipps unterstützen. Aber auch moderne Diabetes-Lösungen können dabei helfen, die mentale Gesundheit zu stärken. Ich erlebe häufig, dass der Einsatz von Insulinpumpen, CGM-Systemen oder einer Diabetesmanagement-App den Stress und die Belastung reduzieren kann. Hier sollte man allerdings immer im Blick behalten, die Technik in einem gesunden Maß einzusetzen, um kein zwanghaftes Verhalten zu entwickeln.
Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, dass ich oder eine Freundin bzw. ein Freund unter psychischen Problemen leidet?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wenn man an sich selbst beobachtet, dass man oft über einen längeren Zeitraum nicht gut schläft, niedergeschlagen, antriebslos oder genervt ist, bedeutet das noch nicht, dass man eine behandlungsbedürftige Störung hat. Es macht aber auf jeden Fall Sinn, den Arzt bzw. die Ärztin beim nächsten Termin darauf anzusprechen, um hier frühzeitig gegensteuern zu können. Bei Freundinnen und Freunden gilt: Auch wenn es Überwindung kostet – nichts sagen, ist das Schlechteste. Deshalb mein Tipp: einen ruhigen und intimen Moment abwarten und dann mit einer Frage in das Gespräch einsteigen, wie: „Ich habe in letzter Zeit das Gefühl gehabt, dass es Dir nicht gut geht. Habe ich da recht? Kann ich etwas für Dich tun?“ Wenn sich zeigt, dass professionelle Hilfe gewünscht und benötigt wird, kann man auch hier nach Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten schauen, die auf Diabetes spezialisiert sind.
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➤ Körper und Seele ganzheitlich betrachten: Diabetes und Depression begünstigen sich gegenseitig
Wie können wir als Gesellschaft dazu beitragen, die mentale Gesundheit von Menschen mit Diabetes zu verbessern?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wir brauchen definitiv mehr Aufklärung zum Thema Diabetes, um bestehende Vorurteile abzubauen. Menschen mit Diabetes müssen sich immer noch anhören, dass sie selbst an ihrer Erkrankung schuld sind oder ernten komische Blicke, wenn sie in der Öffentlichkeit Blutzuckermessen oder sich Insulin spritzen. Diese Stigmatisierung bedeutet eine zusätzliche Belastung für Betroffene, obwohl das Leben mit Diabetes schon anstrengend genug ist. Außerdem wünsche ich mir, dass auch von ärztlicher Seite genauer hingeschaut wird, wenn es um die psychischen Aspekte von Diabetes geht, die aus meiner Sicht genauso wichtig wie gute Blutzuckerwerte sind. Darüber hinaus sollte es mehr Therapieplätze und damit einen besseren Zugang zur psychotherapeutischen Behandlung geben.
Dieses Interview veröffentlich wir mit freundlicher Unterstützung von Roche Diabetes Care Deutschland. Das Unternehmen bietet u.a. die Insulin-Patchpumpe Accu-Chek Solo und die Diabetes-Management-Software mySugr an.
Hier geht’s zur Website der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie an der Universität Mainz.
von Redaktion Diabetes-Anker
(zuerst veröffentlicht am 02.11.2023, zuletzt aktualisiert am 13.11.2023, 16:15 Uhr)
mit Materialien von Roche Diabetes Care Deutschland
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 1 Tag
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen, 3 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike