Balanceakt: Typ-1-Diabetes früher diagnostizieren und behandeln – aber wie?

4 Minuten

Balanceakt: Typ-1-Diabetes früher diagnostizieren und behandeln – aber wie?
© marko priske
Balanceakt: Typ-1-Diabetes früher diagnostizieren und behandeln – aber wie?

An der Früherkennung mithilfe von Bio­markern scheiden sich die Geister: Ist es überhaupt sinnvoll, Typ-1-Diabetes früher zu diagnostizieren und zu behandeln? Die einen argumentieren mit weniger schweren Stoffwechselentgleisungen (Ketoazidosen) beim Ausbruch und neuen medikamentösen Behandlungsansätzen zur Verzögerung der Erkrankung um mehrere Jahre. Andere blicken mit Sorge auf die psychischen Belastungen der Familien von Kindern mit ­positivem Screening-Ergebnis. Für sie liegt der Schlüssel für frühzeitige Diagnosen eher in der Aufklärung der breiten Öffentlichkeit über typische Diabetes-Symptome.

Seit 2015 wurden in Bayern im Rahmen des Fr1da-Programms über 173.000 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren auf Inselautoantikörper untersucht. Dabei wurden bis dato 504 Kinder identifiziert, bei denen zwei oder mehr der entscheidenden Inselautoantikörper vorliegen, die als Biomarker für eine frühe Diagnose des Typ-1-Diabetes gelten. „Wir konnten in früheren Studien zeigen, dass die Spezifität dieser Antikörper sehr hoch ist“, berichtete Professor Dr. Anette-Gabriele Ziegler vom Institut für Diabetesforschung am Helmholtz-Zentrum München, „nahezu 100 Prozent dieser Kinder entwickeln im Laufe ihres Lebens einen klinisch manifesten Typ-1-Diabetes“.

Bislang konnte man diesen Kindern und ihren Familien kein echtes therapeutisches Angebot machen, um den weiteren Verlauf zu beeinflussen. Schließlich kann beim Typ-1-Diabetes nach wie vor lediglich das fehlende Insulin medikamentös ersetzt werden, ohne Option auf eine ursächliche Therapie. Immerhin wurden die Betroffenen ausgiebig geschult und psychologisch begleitet, um auf die letztlich unausweichliche Ausbruch des Typ-1-Diabetes besser vorbereitet zu sein. Bereits hierin liegt für Befürworterinnen und Befürwortern des Screenings wie Prof. Ziegler ein klarer Vorteil: „Die Teilnahme an dem Screening reduziert das Risiko einer diabetischen Ketoazidose“, betonte sie mit Blick auf Daten aus dem DPV-Register, ein EDV-basiertes Dokumentationsprogramm für Patienten mit allen Diabetestypen.

Typ-1-Diabetes früher diagnostizieren und behandeln: besser als der Schock bei plötzlichem Ausbruch?

Auch die für die körpereigene Insulinproduktion notwendige Funktion der Betazellen der Bauchspeicheldrüse zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose sei bei Fr1da-Kindern besser als bei Kindern ohne vorheriges Screening. Und abgesehen vom initialen Schock unmittelbar nach dem positiven Screening-Ergebnis berichten die Eltern von gescreenten Kindern auch über eine bessere Lebensqualität und geringere psychische Belastung als diejenigen, bei deren Kindern die Diagnose Typ-1-Diabetes quasi aus heiterem Himmel über sie hereinbrach.

In der Kinderdiabetologie ist eine Diskussion über das Screening von Kindern auf Typ-1-Diabetes entstanden. Die verschiedenen Positionen wurden während des Diabetes Kongresses im Symposium „Typ-1-Diabetes-Screening: Chancen, Nutzen, Risiken“ deutlich. Mit dabei, von links nach rechts: Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Prof. Dr. Beate Karges, Prof. Dr. Andreas Neu, Prof. Dr. Olga Kordonouri.

Doch in naher Zukunft dürfte mit Teplizumab, das in den USA bereits zugelassen ist, auch in Europa eine medikamentöse Immuntherapie zur Verfügung stehen, mit der sich die klinische Manifestation (Ausbruch) eines Typ-1-Diabetes um durchschnittlich drei Jahre verzögern lässt. „Dieses Potenzial sollte niemandem vorenthalten werden“, meinte Prof. Ziegler, „doch Voraussetzung für den Einsatz von Teplizumab ist ein vorangegangener Autoantikörpertest.“ Schließlich sollte das Medikament im Frühstadium des Typ-1-Diabetes eingesetzt werden, wenn noch keine klinischen Symptome zu beobachten sind. Weil 95 Prozent aller Menschen mit Typ-1-Diabetes keinen Blutsverwandten mit derselben Erkrankung haben, ist es aus ihrer Sicht sinnvoll, ein Screening nicht nur bei genetischer Vorbelastung anzubieten, sondern als freiwillige Leistung in die Regelversorgung aufzunehmen.

Abwägung zwischen Nutzen und Risiko: nicht eindeutig?

Für Prof. Dr. Dr. Beate Karges von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Aachen fiel die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko hingegen anders aus. Sie wies darauf hin, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Populations-Screening u.a. nur dann für angezeigt hält, wenn ein wichtiges Gesundheitsproblem in der Frühphase der Erkrankung heilbar oder die Prognose bei früher Diagnose und Behandlung erheblich besser ist. „Der Antikörpertest auf Typ-1-Diabetes erkennt zwar ein – künftiges – Risiko, nicht aber eine manifeste Erkrankung“, erklärte sie, „zudem ist der Erkrankungsbeginn individuell nicht prognostizierbar.“ Selbst mit einer Immuntherapie sei keine Prävention, sondern nur eine Verzögerung der Manifestation möglich – allerdings um den Preis etlicher potenzieller Nebenwirkungen. Zudem sei die Stoffwechsel-Kontrolle bei frühem Behandlungsbeginn lediglich in den ersten Jahren, aber nicht dauerhaft besser.

Man könne auch mit gezielter Aufklärung über typische Diabetessymptome die Ketoazidoserate effektiv verringern. Im Durchschnitt komme es in 20 Prozent der Fälle bei der Manifestation zu einer Ketoazidose. „Doch bei der Manifestation bei einem zweiten Familienmitglieds liegt die Kedoazidoserate nur bei 7 Prozent, weil die Familie bereits mit den Alarmzeichen vertraut ist“, argumentierte Prof. Dr. Karges. Zudem könne man mithilfe moderner Diabetestechnologie die Therapie auf Populationsebene verbessern: „Typ-1-Diabetes ist mittlerweile gut behandelbar.“

Typ-1-Diabetes früher diagnostizieren und behandeln: In der Diskussion prallten die Positionen aufeinander

Für ebendiese Äußerung erntete Prof. Karges in der anschließenden Diskussion heftige Kritik vom Kinderdiabetologen Prof. Dr. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover: „Es macht mich wütend, wenn Diabetes bei Kindern als eine heutzutage gut behandelbare Erkrankung dargestellt wird. Sie ist immer noch eine enorme Belastung für die Familien.“ Außerdem zeigten die Daten des schwedischen Diabetesregisters, dass Jungen mit Typ-1-Diabetes 14 Lebensjahre und Mädchen sogar 17 Jahre verlieren. „Drei Jahre Verzögerung können da viel ausmachen.“

Mehr zum Thema
➤ Über 2 Millionen Eltern über Diabetes informiert

Prof. Dr. Giovanni Maio, Medizinethiker von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg wiederum gab zu bedenken, dass ein positives Screening-Ergebnis „die Vorwegnahme einer Erkrankung und der damit verbundenen Sorge“ bedeute. Wenn ein Kind z.B. die Pubertät noch ohne Diabetes überstehen könne, sei das zwar hilfreich. „Doch auch wenn ich die neuen medikamentösen Möglichkeiten sehr begrüßenswert finde, müssen wir die schwerwiegenden Folgen des Tests im Blick behalten, weil wir eben keine wirkliche Therapie anbieten können.“ Er sieht die behandelnden Ärztinnen und Ärzte in der Beratung- und Gesprächspflicht, aber nicht in der Testpflicht: „Der Umgang mit den neuen Möglichkeiten muss besonnen und nicht automatisiert erfolgen.“

Auch die Berliner Kinderendokrinologin Dr. Kathrin Griffig, die sich aus dem Publikum zu Wort meldete, zeigte sich skeptisch: „Meine Angst wäre, dass es im Falle eines regelhaften Screening-Angebots eben keine routinehaften Beratungs- und Aufklärungsgespräche gäbe.“ Sie habe Fälle erlebt, in denen Familien infolge eines Autoantikörpertests „im Nichts gelandet sind“ und das Wissen um die künftige Erkrankung dem Kind nicht gut getan hat. Für Professor Dr. Andreas Neu, mittlerweile Past-Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), war damit klar: „Wir haben wahrgenommen, wie wichtig und aktuell, aber auch kontrovers dieses Thema ist. Es ist wichtig, diese Kontroversen in der Fachgesellschaft offen auszutragen.“



von Antje Thiel

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Diabetes-Anker-Podcast: Suchterkrankungen bei Diabetes – im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Haak

Suchterkrankungen können für Menschen mit Diabetes besonders gefährlich werden. Im Diabetes-Anker-Podcast sprechen wir mit Prof. Dr. Thomas Haak über die Folgen von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen auf Menschen mit Diabetes – und über Wege aus der Abhängigkeit.
Diabetes-Anker-Podcast: Suchterkrankungen bei Diabetes – im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Haak | Foto: Diabetes Zentrum Mergentheim / MedTriX

2 Minuten

Diabetes-Anker-Podcast: Wie funktionieren Hafer-Tage bei Typ-2-Diabetes und was bringen sie, Herr Dr. Keuthage?

Im Diabetes-Anker-Podcast erklärt Dr. Winfried Keuthage, wie das über 100 Jahre alte Konzept der Hafer-Tage bei Typ-2-Diabetes heute in angepasster Form funktioniert, wie sie auf den Blutzucker wirken, welche Vorteile Hafer darüber hinaus bietet und was hinter der von ihm entwickelten HAWEI-Methode steckt.
Diabetes-Anker-Podcast: Wie funktionieren Hafer-Tage bei Typ-2-Diabetes und was bringen sie, Herr Dr Keuthage | Foto: Dirk Michael Deckbar / MedTriX

2 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

Verbände