Typ-1-Diabetes und Sport

5 Minuten

Typ-1-Diabetes und Sport

Früher hieß es: Wer Diabetes hat, jung ist und schlank, hat einen Typ-1-Diabetes. Und wer älter ist und dick zum Diagnosezeitpunkt, hat einen Typ-2-Diabetes. Längst ist es aber so, dass auch viele Typ-1-Diabetiker übergewichtig sind, was an unserem Lebensstil liegt. Mehr Bewegung wäre ein Ansatz – mit vielen Besonderheiten.

Ärzte sehen im Alltag aktuell immer mehr Typ-1-Diabetiker, die auf den ersten Blick dem Typ-2-Diabetes zugeordnet werden: Sie haben mehr oder weniger ausgeprägtes Übergewicht! Die Ursachenforschung ergibt meist relativ einfache stereotype Antworten:

Insulin? Dann bewegen!

Insulin ist ein Wachstumshormon; nur wer regelmäßig Sport treibt und sich gesund ernährt, bleibt auch als Typ-1-Diabetiker auf Dauer schlank. Die meisten Menschen schaffen das heute nicht; Risiken drohen wie Gewichtszunahme mit Entwicklung einer Insulinunempfindlichkeit (Resistenz) besonders der Muskulatur. Gleichzeitig muss oft die Insulindosis gesteigert werden!

Wer als Typ-1-Diabetiker regelmäßig Ausdauersport treibt, profitiert – die Muskulatur kann so besser den Zucker aufnehmen. Die möglicherweise schon vorhandene muskuläre Insulinresistenz wird verbessert – der regelmäßige Sport dient hier also nicht nur der Steigerung der Lebensqualität, sondern er wirkt auch positiv auf den Gesamtorganismus. Sport ist deshalb nicht nur bei Typ-2-Diabetes zur Verbesserung der Insulinresistenz und zur Gewichtsreduktion sinnvoll.

Ausdauertraining kann folgende Effekte bewirken:
  • Gewichtsreduktion (wenn sinnvoll)
  • Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems
  • Steigerung der Insulinempfindlichkeit
  • Senkung des Blutzuckers
  • Einsparung von Insulin
  • Aufbau von Muskeln
  • Senkung der Blutfettwerte
  • Verbesserung der Geschicklichkeit und Ausdauer

Sport macht Durcheinander

Andererseits bringt gerade der Sport den Blutzucker oft sehr durcheinander – besonders wenn die Wirkungen des Insulins bei Bewegung nicht beachtet werden. Starke Blutzuckerschwankungen sind aber gerade bei bereits vorhandenen Netzhautveränderungen und beginnenden Nieren- oder Nervenschäden dringend zu vermeiden – deshalb gilt: Typ-1-Diabetiker müssen beim Sport der Tatsache Rechnung tragen, dass sie einen absoluten Insulinmangel haben.

In dieser Situation kann der Blutzucker nicht ins Gewebe (Muskel, Fett etc.) aufgenommen werden und trotz Sports steigt der Blutzucker weiter. Das müssen Typ-1-Diabetiker, die regelmäßig Sport treiben, unbedingt berücksichtigen. Diabetiker, die Extremsportarten wie Triathlon, Tauchen oder Marathon durchführen, müssen deshalb besonders geschult sein – und sehr gut trainiert im Umgang mit Sport und Diabetes.

Sport kann auch negativ sein

Bezüglich der aktuellen Blutzuckereinstellung kann Sport bei Typ-1-Diabetikern auch paradoxerweise sehr negative Auswirkungen haben wie Unterzuckerungen, Entgleisungen, starke Schwankungen. Bei körperlicher Belastung steigen zunächst zahlreiche Hormone an, die alle Gegenspieler des Insulins sind: zunächst die Hormone der Nebenniere (wie Adrenalin), dann Glukagon, Kortison und auch das Wachstumshormon.

Diese führen zum einen dazu, dass die Muskulatur mehr Zucker aufnehmen und so besser verarbeiten kann – zum anderen führen sie zu einem Anstieg des Blutzuckers durch Neubildung aus Eiweiß (Glukoneogenese) und durch vermehrte Zuckerausschüttung aus der Leber, (Glykogenolyse).

Der Insulinspareffekt

Wie auch bei Typ-2-Diabetikern nimmt durch körperliche Aktivität die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur zu – so dass auf Dauer bei regelmäßigem Ausdauersport bei Typ-1-Diabetikern die zu spritzende Gesamt-Insulinmenge abnimmt (Insulinspareffekt). Bei einem Nichtdiabetiker wird automatisch zu Beginn der körperlichen Belastung die Insulinproduktion und -ausschüttung um 50 bis 70 Prozent herunter-, die Produktion von Glukagon dagegen hochgefahren.

So wird die Leber in die Lage versetzt, während des Sports Zucker nachzuschießen – um Unterzuckerungen zu verhindern. Typ-1-Diabetiker müssen deshalb bei normalem Blutzuckerausgangswert, unter Umständen aber auch bei höheren Ausgangswerten, die Insulindosis vor dem Sport reduzieren und bei länger andauerndem Sport auch dabei.

Was der Sport verändert

Auch Typ-1-Diabetiker bemerken die steigende Insulinempfindlichkeit beim Sport manchmal daran, dass der Blutzucker abfällt, wenn nicht vorher die Insulindosis reduziert worden ist (Unterzuckerungs-Gefahr!). Bei hohen Blutzucker-Ausgangswerten eines ansonsten gut eingestellten Diabetikers kann es allerdings zu Beginn des Sports zu einer scheinbar paradoxen Blutzuckersituation kommen: Im Insulinmangel ist die Produktion von Zucker aus der Leber bereits etwa verdoppelt; unter körperlicher Belastung steigt der Zucker (durch Stresshormone) noch weiter, auch durch die zusätzliche Ausschüttung von Adrenalin etc. – und kann nicht verbrannt werden; es fehlt ja Insulin!

Nächste Seite: Was bei hohen Blutzuckerwerten zu tun ist und was bei der Insulingabe zu beachten ist, um Unterzuckerungen zu vermeiden.

Hohe Werte: Was tun?

Liegt der Blutzucker vor dem Sport über 250 mg/dl (13,9 mmol/l), muss unbedingt der Urin auf Ketone getestet werden. Ist dieser 2-fach positiv, weil der Körper bereits auf Fette als Energiequelle zugegriffen hat, besteht ein echter Insulinmangel – Sie dürfen keinen Sport treiben; zuerst muss die Stoffwechselsituation normalisiert werden, wie Sie es in der Schulung gelernt haben. Sonst würde durch den Insulinmangel der Blutzucker beim Sport womöglich Richtung ketoazidotischem Koma entgleisen.

Vor dem Sport sollte die Insulindosis reduziert werden – um wie viel, ist individuell auszuprobieren. Gleichzeitig sollten mehr Kohlenhydrate vor und nach dem Sport und währenddessen gegessen werden. Auch noch lange nach dem Sport (in der Nacht, am späten Morgen des folgenden Tages) kann es zu Spätunterzuckerungen kommen: Die Leber füllt ihren Zuckervorrat, den sie während des Sports zur Verfügung gestellt hat, wieder auf – dadurch sinkt die Zuckerkonzentration im Blut später wieder ab.

Gerade bei Sport am späten Nachmittag oder Abend sollte unbedingt auch das Basalinsulin zur Nacht (Bedtime-Insulin) reduziert werden. Und auch bei normalem Blutzucker sollten weitere Zusatz-Kohlenhydrate vor dem Schlafengehen gegessen werden; womöglich sollten Sie auch nachts den Blutzucker kontrollieren. Der genaue Bedarf an Zusatz-Kohlenhydraten und die Menge an Insulin, um die reduziert werden muss, kann nur durch ausprobieren ermittelt werden – Versuch und Irrtum – und Erfolg!

Merke: Sport wirkt nach!

Mögliche Anzeichen einer Unterzuckerung:

  • Schweißausbruch
  • Verwirrtheit
  • Schwäche (oft von Anfängern als Ermüdung durch Sport verkannt!)
  • Schwindel
  • evtl. Krämpfe
  • auch Müdigkeit und Erschöpfung können Anzeichen sein
Blutzucker-Einflüsse!
Faktoren, die den Blutzuckerverlauf während einer körperlichen Belastung beeinflussen:
  1. Blutzucker zu Beginn der Belastung
  2. Zeitpunkt und Menge der letzten Kohlenhydrataufnahme
  3. Insulinart und -menge
  4. Tageszeit der Muskelarbeit
  5. Intensität und Dauer der Muskelarbeit
  6. Gewöhnung an die konkrete Muskelarbeit und allgemeiner Trainingszustand
  7. psychischer Stress beim Sport (z. B. Wettkampf)
  8. langfristige Stoffwechselsituation

Typ-1-Diabetes: Wie sinnvoll ist Sport?

Menschen speichern Fett als Bauchfett (viszerales Fett), als Unterhautfettgewebe (subkutanes Fett) und auch innerhalb der Skelettmuskulatur zum Beispiel am Oberschenkel. Untersuchungen bei Typ-1-Diabetikern haben gezeigt, dass durch regelmäßigen Ausdauersport die muskuläre Insulinresistenz gebessert und so eine deutliche Steigerung der Zuckeraufnahme in die Muskulatur erreicht werden kann. Eine verbesserte Durchblutung scheint ebenfalls dafür verantwortlich zu sein.

Durch regelmäßigen Ausdauersport können also auch Typ-1-Diabetiker Fett abbauen und die Insulinempfindlichkeit steigern; das führt langfristig zu einer Reduktion der Gesamt-Insulindosis. Durch Ausdauertraining kann so die Größe der Glukagonspeicher in Muskulatur und Leber oft mehr als verdoppelt werden.

Fit sein, an Risiken denken

Regelmäßig sporttreibende Typ-1-Diabetiker sind fitter als andere und senken dadurch das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall etc. Sport birgt aber auch Risiken: Deshalb sollten sich Extremsportler (Marathon, Tauchen) vor einem Start umfassend untersuchen lassen. Der regelmäßige Kontakt mit bereits Extremsport ausübenden Diabetikern ist dringend zu empfehlen, z. B. über die IDAA Deutschland (www.idaa.de).

Normalinsuline bzw. Analoginsuline und Sport
  • Die Unterzuckerungs-Gefahr steigt, wenn Sie Sport unmittelbar nach der Injektion eines raschwirkenden Analoginsulins (z. B. Humalog, Liprolog, Apidra, NovoRapid) treiben oder wenn Sie innerhalb der nächsten 15 bis 30 Minuten nach Injektion damit starten – also zu einem Zeitpunkt, in dem das Analoginsulin bereits wirkt! Andererseits ist durch die kürzere Wirkung des Insulins (allerdings auch bis zu 5 Stunden möglich) die Gefahr der Hypoglykämie geringer!
  • Genau umgekehrt verhält es sich bei Verwendung eines Normalinsulins: Hier ist wegen des späteren Wirkmaximums die Hypoglykämiegefahr besonders groß nach etwa 2 bis 3 Stunden – bei höherer Dosis auch noch Stunden später (wenn dann Sport ausgeübt wird!).

Merke: Für das Ausmaß der Insulinreduktion ist also immer wichtig zu wissen: Wann ist die Hauptwirkung meines Insulins? Denn zu diesem Zeitpunkt besteht bei Sport auch das größte Risiko für eine Unterzuckerung! Deshalb auch: Insulindosis reduzieren!


Autor:
Dr. Gerhard-W. Schmeisl, Bad Kissingen

Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 / 8 21-0 sowie
Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 /8 5-01

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (5) Seite 46-49

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Mit weniger Fett, Kalorien und Salz: Geeignete Snacks und Knabbereien bei Diabetes

Einmal angefangen, gibt es meistens kein Halten mehr, bis alles auf den letzten Krümel verputzt ist – typisch für Chips, Flips, Salzstangen und Co. Doch wie lässt sich die Knabberlust in Balance halten? Und welche pikanten Snacks bieten sich für Menschen mit Diabetes an?
Mit weniger Fett, Kalorien und Salz: Geeignete Snacks und Knabbereien bei Diabetes | Foto: tournee – stock.adobe.com

4 Minuten

Rezept für Gemüse-Chips mit Salsa-Dip

Knusprig, bunt und voller Geschmack: Dieses Rezept für Gemüse-Chips mit würzigem Salsa-Dip bietet die ideale Alternative zu herkömmlichen Snacks – ballaststoffreich, fettarm und ganz ohne anrechnungspflichtige Kohlenhydrate. Perfekt für Menschen mit Diabetes.
Rezept für Gemüse-Chips mit Salsa-Dip | Foto: MedTriX / Bernhard und Gabi Kölsch

2 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • hexle postete ein Update vor 1 Tag, 1 Stunde

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 4 Tagen, 10 Stunden

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

  • Hallo guten Abend ☺️

    Ich heiße Nina, bin 33j jung und Mama von drei zauberhaften Mädels.
    Und vor kurzem bekam ich die Diagnose Diabetes Typ 3c. Nach 5 Jahren – 11 Bauchspeicheldrüsen Entzündungen und schwangerschaftsdiabetes 2024, hat meine Drüse nun fast aufgegeben.. Ich bin irgendwie froh diese Schmerzen nicht mehr zu haben, aber merke wie schwer der Alltag wird. denn hinzukommt noch dass ich alleinerziehend bin.
    Aktuell komme ich überhaupt nicht klar mit der ganzen Situation, täglich habe ich hunderte Fragen die niemand beantworten kann. Dass ist mehr als verrückt.
    Wie habt ihr euch gefühlt in dem Moment als es diagnostiziert wurde?

    Ich freue mich sehr auf einen netten Austausch und eure Erfahrung.

    Liebe Grüße, schönen Abend
    Nina 🙂

    • Willkommen Nina, …
      da hast du ja sich schon einiges hinter Dir. Wie schaut es bei Dir mit Mutterkindkur aus, auch in hinblick einer Diabetesschulung. Hast du guten Diabetologen, Teilnahme DMP, Spritzt du selber oder Pumpe, auch hier gibt es viele Fragen. Wie sieht es mit Selbsthilfegruppen bei Euch aus. …
      Oder Forum? Gerade am Anfang, wo noch alles neu ist, – ist es schon eine tägliche Herausforderung, – da kann es hilfreich sein kleine Ziele sich zu setzen. Dabei finde ich die Aktzeptanz am wichtigsten, oder auch sich selber spritzen zu müssen, oder das Weg
      lassen bzw. bändigen des Naschen … etc. Kleine Schritte …

      Viele Fragen bekommst du auch in eine Diabetes-Schulung beantwortet,
      falls noch nicht gemacht, spreche das bei Deinem Diabetologen an!

      Über weiteren Austausch bin ich auch erfreut, schildere ruhig deine Bausstellen, … doch letztendlich sollte Dein Arzt das beurteilen.

      LG

      Wolfgang

    • Hallo Nina! Auch von mir herzlich willkommen. Der Antwort von Wolfgang kann ich mich nur anschließen.
      Auf jeden Fall eine Mutter Kind Kur beantragen mit Diabetes-Abteilung, dann kannst du dich auf dich Louis’s die Kinder sind versorgt und mit dir. Ich hoffe dass es sowas gibt.
      Viel Kraft und Durchhaltevermögen!

Verbände