Verhalten bei Unterzuckerungen: Was können Angehörige bei Hypoglykämien tun?

4 Minuten

© captainvector | treety - AdobeStock
Verhalten bei Unterzuckerungen: Was können Angehörige bei Hypoglykämien tun?

Nutzen Menschen mit Diabetes Insulin oder bestimmte Medikamente, kommen Unterzuckerungen (Hypoglykämien) vor. Auch Angehörige sollten Bescheid wissen über die Symptome einer Unterzuckerung – und darüber, wie sie bei einer schweren Unterzuckerung reagieren sollten. Dr. Martin Lederle stellt die beiden Alternativen vor: Glukagon zum Spritzen und als Nasenpulver.

Unter einer Therapie mit Insulin kann immer einmal eine Unterzuckerung auftreten. Auch andere Medikamente, die zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes eingesetzt werden (z. B. die Sulfonylharnstoffe wie Glibenclamid oder Glimepirid) können Hypoglykämien verursachen.

Wenn mithilfe einer Insulintherapie eine nahezu normale Glukoseeinstellung erreicht werden soll – dafür sollten viele Glukosewerte im Bereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 und 10,0 mmol/l) liegen – dann werden bei den derzeit verfügbaren Insulinen immer wieder Hypoglykämien auftreten. Das Ziel einer guten Insulintherapie ist somit: HbA1c-Wert so gut wie möglich mit so wenigen Hypoglykämien wie möglich.

„Leichte“ und „schwere“ Hypoglykämien

Hypoglykämien werden nach ihrer Ausprägung unterschieden: Es gibt „leichte“ Hypoglykämien, bei denen der/die Betroffene die Zeichen des niedrigen Glukosewertes wahrnimmt und durch eine sofortige Zufuhr von Glukose (am besten in flüssiger Form; konkret z. B. 200 ml Saft, diese Menge enthält in der Regel 20 bis 30 g Glukose) selbstständig beheben kann. Bei einer „schweren“ Hypoglykämie kann der Patient sich nicht mehr selbst helfen und ist somit auf Fremdhilfe angewiesen.

Manche Patienten mit Diabetes spüren Hypoglykämien sehr spät, also erst dann, wenn der Glukosewert schon deutlich unter 50 mg/dl (2,8 mmol/l) liegt, oder haben möglicherweise auch eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung. Sie haben so natürlich ein höheres Risiko, eine schwere Hypoglykämie zu entwickeln.

Wichtig: Angehörige müssen wissen, was zu tun ist

Die nächsten Angehörigen von Menschen mit Diabetes, die eine Insulintherapie durchführen, müssen wissen, ob und wie sich Hypoglykämien zeigen. Viele, die mit insulinbedürftigen Menschen eng zusammenleben, erkennen meist schon eher als der/die Betroffene selbst, wenn der Glukosewert abfällt, und fordern ihn/sie zu einer Messung auf. Angehörige sollten auch wissen, ob der Mensch mit Diabetes die Unterzuckerungssymptome grundsätzlich noch rechtzeitig erkennt und sich somit noch selbst helfen kann.

Wenn in der Vergangenheit schon schwere Hypoglykämien aufgetreten sind, muss sich der Betroffene zusammen mit seinen nächsten Angehörigen darauf vorbereiten, dass ein solcher gefährlicher Zustand wieder auftreten kann. Für diese Situation muss ein „Notfallplan“ existieren, damit die Angehörigen umgehend in der Notlage helfen können.

Schwere Hypoglykämie: Was ist zu tun?

Eine schwere Unterzuckerung kann durch einen raschen Anstieg des Blutglukosespiegels behoben werden. Aber wie geht das? Wenn der/die Betroffene in dieser Situation auf Ansprache nicht mehr angemessen reagiert, ist es nicht sinnvoll, Glukose über den Mund zuführen zu wollen.

Wenn der Patient/die Patientin bewusstseinsgestört ist, sollte er von den Angehörigen in eine stabile Seitenlage gebracht werden. Der Rettungsdienst bzw. der Notarzt sollten umgehend informiert werden. Wenn die „Notfallspritze“ (GlucaGen Hypokit) zur Hand ist, sollte sie verabreicht werden.

Handhabung des GlucaGen Hypokits

Das GlucaGen Hypokit besteht aus einer Glasflasche, die das Hormon Glukagon in Pulverform enthält, und einer Spritze mit Lösungsmittel. Glukagon wirkt auf die Leber und sorgt dafür, dass die Leber die als Glykogen gespeicherte Glukose rasch an das Blut abgibt und so der Glukosespiegel ansteigt.

Um eine gebrauchsfertige Lösung zu erhalten, muss das Lösungsmittel zuerst in die Glasflasche mit dem Glukagon-Pulver gespritzt werden. Durch vorsichtiges Schütteln wird das Pulver aufgelöst. Dann wird die Glukagonlösung in die Spritze aufgezogen und in einen Muskel gespritzt, am besten an der Vorderseite des Oberschenkels. Die Kanüle wird in die Oberschenkelmuskulatur eingestochen, und das Medikament wird vollständig eingespritzt.

Hypokit: Übung macht den Meister

Dieser gesamte Vorgang dauert einige Sekunden. Es kommt immer wieder vor, dass Angehörige in dieser Stresssituation nach der Notfallspritze greifen und in der Hektik nur das Lösungsmittel spritzen. Damit dies nicht passiert, muss der beschriebene Vorgang in Ruhe mehrfach gedanklich „durchgespielt“ werden oder – noch besser – mit einem GlucaGen Hypokit, dessen Verfallsdatum überschritten ist, praktisch durchgeführt werden, wobei das Medikament zum Üben z. B. in eine Apfelsine gespritzt wird.

Nur wenn die Angehörigen bei einer schweren Unterzuckerung „ruhig Blut“ bewahren, wird das wirksame Medikament korrekt verabreicht und kann seine Wirkung entfalten.

Neu: Glukagon-Nasenpulver

Seit einigen Monaten gibt es in Deutschland für das GlucaGen Hypokit eine gleich wirksame Alternative, die viel einfacher von Angehörigen angewendet werden kann: das Glukagon-Nasenpulver Baqsimi. Das Behältnis enthält eine Dosis Glukagon.

Handhabung des Glukagon-Nasenpulvers

(Auszug aus der Fachinformation von Baqsimi)

  1. Entfernen Sie die geschweißte Folie durch Ziehen am roten Streifen.
  2. Nehmen Sie das Einzeldosisbehältnis aus dem Röhrchen. Drücken Sie nicht den Kolben, bevor Sie bereit sind, die Dosis zu verabreichen.
  3. Halten Sie das Einzeldosisbehältnis zwischen Fingern und Daumen. Da es nur eine Dosis Glukagon beinhaltet und nicht wiederverwendet werden kann, testen Sie es bitte nicht vor der Anwendung.
  4. Schieben Sie die Spitze des Einzeldosisbehältnisses behutsam in eines der Nasenlöcher, bis die Finger die Außenseite der Nase berühren.
  5. Drücken Sie den Kolben vollständig durch. Die Dosis wurde vollständig verabreicht, wenn der grüne Streifen nicht mehr sichtbar ist.
  6. Falls die Person bewusstlos ist, drehen Sie sie auf die Seite, um ein Ersticken zu verhindern.
  7. Nach Verabreichen der Dosis soll die hilfeleistende Person sofort medizinische Hilfe anfordern.
  8. Wenn der Patient auf die Behandlung angesprochen hat, verabreichen Sie oral Kohlenhydrate, um das Leberglykogen wieder aufzufüllen und eine erneute Hypoglykämie zu verhindern.

Das Nasenpulver ist teurer …

Viele Patienten, denen in der Diabetespraxis Ahaus, in der ich arbeite, das GlucaGen Hypokit verordnet wurde, haben es zum Glück bisher nicht benötigt, und es ist nach 18 Monaten abgelaufen. Da Baqsimi derzeit 3,4-mal mehr kostet als das GlucaGen Hypokit, müssen Patientinnen und Patienten, die ein solches „Notfallmedikament“ benötigen, zusammen mit dem behandelnden Diabetologen überlegen, ob es verordnet werden kann.

Vergleich GlucaGen Hypokit und Baqsimi-Nasenpulver

  GlucaGen Hypokit Baqsimi-Nasenpulver
Lagerung muss bei einer Temperatur von 2 bis 8 °C (im Kühlschrank) gelagert werden bei Zimmertemperatur nicht über 30 °C lagern Einzeldosisbehältnis muss bis zur Anwendung in dem eingeschweißten Röhrchen aufbewahrt werden, um es vor Feuchtigkeit zu schützen
Haltbarkeit maximal 18 Monate maximal 24 Monate
Kosten 33,61 Euro 115,52 Euro

In der Diabetespraxis Ahaus handhaben wir es derzeit folgendermaßen: Patienten, die in der Vergangenheit schon einmal eine schwere Hypoglykämie hatten, erhalten – sobald das vorhandene GlucaGen Hypokit abgelaufen ist – eine Verordnung für das Baqsimi-Nasenpulver.

Baqsimi-Nasenpulver ist für mich ein deutlicher Fortschritt bei der Behandlung von Patienten mit schwerer Hypoglykämie. Angehörige, die sich mit der Handhabung des Nasenpulvers vertraut gemacht haben, können eine schnelle und wirksame Behandlung einleiten.

Nach der schweren Unterzuckerung: Insulintherapie überprüfen

Wenn unter einer Insulintherapie eine schwere Hypoglykämie aufgetreten ist, muss anschließend unbedingt die bisher durchgeführte Insulintherapie sehr kritisch überprüft werden, um eine schwere Unterzuckerung in Zukunft hoffentlich verhindern zu können.


von Dr. med. Martin Lederle

Avatar von martin-lederle

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (11) Seite 26-28

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Rückblick auf das Jahr 2025: Das Hilfsprojekt „Insulin zum Leben“ braucht weiter Unterstützung!

Das Hilfsprojekt „Insulin zum Leben“ unterstützte 2025 Diabetes-Camps in Afrika und Südamerika mit 27.000 Euro – doch der Kontostand schrumpft bedrohlich. Die Initiative kämpft mit gestiegenen Transportkosten und weniger Teststreifen-Spenden. Daher ist es weiterhin auf Unterstützung angewiesen.
Rückblick auf das Jahr 2025: Das Hilfsprojekt „Insulin zum Leben“ braucht weiter Unterstützung! | Foto: Insulin zum Leben

4 Minuten

Produktion des Dexcom G6 wird eingestellt: Was Nutzerinnen und Nutzer jetzt wissen müssen

Dexcom hat angekündigt, dass die Produktion seines Sensors G6 für die kontinuierliche Glukosemessung zum 1. Juli 2026 eingestellt wird. Nutzerinnen und Nutzer, die diese CGM-Sensoren bislang für ihre Therapie eingesetzt haben, müssen sich somit auf einen Wechsel vorbereiten.
Produktion des Dexcom G6 wird eingestellt: Was Nutzerinnen und Nutzer jetzt wissen müssen | Foto: Schütte / Stanek / MedTriX

2 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • bloodychaos postete ein Update vor 1 Tag, 7 Stunden

    Hey, brauche Eure Hilfe. Habe den G7 genutzt. Als der über mehrere Monate (Frühjahr/Sommer 2025) massive Probleme (teils Abweichungen von 150 mg/dL, Messfaden schaute oben heraus) machte bin ich zum G6 zurückgegangen. Dessen Produktion wird nun eingestellt. Ich habe solche Panik, wieder den G7 zu nutzen. Habe absolut kein Vertrauen mehr in diesen Sensor. Aber mit meiner TSlim ist nur Dexcom kompatibel. Ich weiß nicht was ich machen soll, ich habe solche Angst.

    • Mit “meinem” Omnipod 5 wird der Dexcom G7 Ende 2026 voraussichtlich der einzige verfügbare Sensor sein.

      So richtig begeistert über die Einstellung des G6 bin ich auch nicht, auch wenn es absehbar war.
      Ich habe einfach die Hoffnung, dass die Qualitätsprobleme beim G7 bis dahin ausgestanden sind.

      Ich warte das Thema noch einige Monate ab.
      Wenn ich Ende 2026 feststelle, dass die Kombination aus meiner Pumpe und dem CGM für mich nicht funktioniert, bin mir sicher, dass meine Diabetes-Ärztin und ich eine gute Lösung für mich finden.

      Hier habe ich aufgeschnappt, dass für die t:slim wohl eine Anbindung des Libre 3 in der Mache ist:
      https://insulinclub.de/index.php?thread/36852-t-slim-mit-libre-3-wann/
      Leider steht keine überprüfbare Quelle dabei. 🤷‍♂️

      Ein weiterer mir wichtiger Gedanke:
      Angst und Panik sind in diesem Zusammenhang vermutlich keine hilfreichen Ratgeber. Hoffentlich schaffst Du es, dem Thema etwas gelassener zu begegnen.
      (Das sagt der Richtige: Ich habe in meinem letzten DiaDoc-Termin auch die Hausaufgabe bekommen, mal zu schauen, was mir gut tut.)

    • @ole-t1: Hey Ole, ganz lieben Dank für Deine Nachricht. Die Produktion des G6 endet laut einem Artikel auf dieser Seite ja zum 1. Juli 2026. Wann der Libre3 mit der TSlim kompatibel sein wird weiß man ja noch nicht. An sich gefällt mir Dexcom auch besser als Libre und die erste Zeit lief der G7 ja auch super bei mir. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der G7 von heute auf Morgen nicht mehr bei mir funktioniert? Es gab ja auch das Gerücht das Dexcom eine zeitlang Produktionsprobleme hatte, dass wäre ja eine Erklärung, aber da geht Dexcom natürlich auch nicht mit hausieren.

  • loredana postete ein Update vor 3 Tagen, 4 Stunden

    Die Registrierung mit dem Geburtsjahr war echt sportlich. Wollte es schon fast wieder abbrechen.

  • ambrosia postete ein Update vor 4 Tagen, 1 Stunde

    Ich wünsche allen einen schönen Mittwoch.

Verbände