Kitesurfen: Wellen brechen mit Typ-1-Diabetes

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Kitesurfen: Wellen brechen mit Typ-1-Diabetes

Kitesurfen: Was ist das für eine Sportart? Kann ich die auch ausüben? Wie ist das mit meinen Glukose-Werten, wenn ich auf dem Board stehe? Diese und weitere Fragen stellte sich Lena Schuster, als ihr Bruder sie kurzerhand einlud, mit ihm nach Dänemark zu fahren – um diese Sportart kennenzulernen.

2020 – ein Jahr, das das alltägliche Leben für jeden von uns völlig auf den Kopf stellte. Auch ich hatte einige Pläne geschmiedet. Nach Abschluss meines Master-Studiums wollte ich mir einen lang ersehnten Traum erfüllen: einen Teil des Jakobswegs in Portugal an der Küste entlanglaufen, dabei Sonne, Meeres-Rauschen, Bewegung an der frischen Luft und abends in einer Pilger-Unterkunft auf andere Wanderer treffen. Doch 2020 war eben nichts wie sonst. Ich bin ein Mensch, dem Pläne und Ziele Sicherheit geben. Doch in diesem Jahr konnten Urlaubs-Pläne geschmiedet werden – allerdings blieb es bis kurz vorher ein Rätsel, ob dieser Urlaub wirklich stattfinden konnte. In dieser Phase verschob ich auf unbestimmte Zeit den Plan vom Jakobsweg in Portugal.

Kitesurfen? Ich?

Mein Bruder hatte ein paar Jahre zuvor mit Kitesurfen begonnen und fragte mich, ob wir nach dem Master-Studium nicht zusammen nach Dänemark fahren wollten, damit er mir Kitesurfen beibringen könnte. Ehrlicherweise habe ich mich nicht allzu viel damit beschäftigt, was das für eine Sportart ist. Hätte ich mir darüber Gedanken gemacht, hätte ich wahrscheinlich bis heute nicht auf einem Kiteboard gestanden. Ich weiß, dass ich als Diabetikerin andere körperliche Grenzen habe als viele andere Menschen. Mal bin ich unterzuckert und dadurch zittrig, ein anderes Mal bin ich überzuckert und deshalb schneller erschöpft beim Sport.

Ängste hindern am Austesten

Das Bewusstsein, dass ich meine körperlichen Grenzen nicht mit denen anderer vergleichen kann, bietet mir Schutz. Dadurch überfordere ich mich mit meinem Diabetes nicht. Dennoch ist es möglich, dass ich aufgrund von Ängsten nicht meine wahren Grenzen kenne. Ängste hindern mich daran, alles auszutesten. Da ich, ohne groß darüber nachzudenken, mit meinem Bruder nach Dänemark zum Kiten fuhr, hatten meine Ängste nicht wirklich die Chance, mir das auszureden.

Im Café? Nein, auf dem Board!

Ich kann mich noch gut an meine ersten Erfahrungen mit dem Kiteboard erinnern. Es nieselte leicht, Windböen streiften mein Gesicht und ich stand knietief im kühlen Wasser. Das war das typische Nordsee-Wetter, bei dem ich am liebsten in einem gemütlichen kleinen Café sitze, vor mir einen Latte macchiato und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne. Aber nein, von diesem heimeligen Ort war ich sehr weit entfernt. Zudem war an meinem Bauchgurt der Kite-Drachen befestigt, der mich in irgendeine Richtung zog, ohne dass ich das beeinflussen konnte. Darüber hinaus treibe ich bei solchem Wetter eigentlich keinen Sport. Woher sollte ich dann wissen, wie es mit meinen Glukose-Werten aussieht? Mein Messgerät lag am Strand, aus Sorge, dass es im Wasser verschwinden könnte. Ich konnte also nicht wie sonst im Alltag jede Sekunde meinen Glukose-Verlauf überprüfen, sondern würde 20 Minuten benötigen, um an mein Gerät zu gelangen.

Bruder mit vielen Ideen

Verschiedene Gedanken schossen mir damals durch den Kopf. Der Gedanke, der das Ganze zusammenfasst, war: “Lena, was machst du hier? Was hast du dir bloß dabei gedacht?” Ich konnte mir zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen, dass diese Sportart mir jemals Freude bereiten könnte. Mein Bruder war im Vorfeld ideenreich gewesen und hatte kleine Plastik-Verpackungen, die eigentlich zum Aufbewahren von Zigaretten gedacht sind, mit Haushalts-Zucker befüllt. Diese hatte ich in abgepackten Tüten an meinem Hüftgurt befestigt – optisch kein Highlight, aber zumindest hatte ich im Ernstfall Zucker zur Hand.

Immer mehr Gefühl der Freiheit

An den ersten Tagen dachte ich immer an die Zeitspanne von 20 Minuten, die beim Diabetes sehr viel ausmachen können. Doch von Tag zu Tag konnte ich meine Ängste in Bezug auf Kitesurfen und Unterzuckerungen immer mehr beiseitelegen und das Gefühl der Plastiktüte um den Bauch reichte mir als Sicherheit. Dadurch lernte ich nochmal, dass ich meinem Körper mehr vertrauen kann. Ich machte mir zunehmend weniger Sorgen, ob ich demnächst schnell meinen Glukose-Wert messen möchte und dann mitten auf dem Wasser bin. Tatsächlich passierte das in den zwei Wochen kein einziges Mal. Das ermöglichte mir, immer mehr im Moment zu verweilen. Ich glitt über das Wasser, spürte den Wind im Rücken und hatte noch nie in meinem Leben das Gefühl, so frei zu sein. Damit einher geht auch das Empfinden, dass auch als Diabetiker vieles möglich ist im Leben.

Ängste haben – und überwinden

Ich bin mir bewusst, dass ich nicht ohne Weiteres alles tun kann, doch seit dem Kite-Urlaub weiß ich, dass ich mehr kann, als ich dachte. So bin ich auch weiterhin ein etwas ängstlicher, vorsichtiger Mensch. Doch wenn meine Ängste zu stark werden oder der Gedanke aufkommt, dass ich gerade meine Grenzen aufgrund von Befürchtungen falsch setze, führe ich mir den Moment des Freiheits-Gefühls wieder vor Augen. Es ist in Ordnung, Ängste zu haben, doch es lohnt sich, diese zu überwinden und dadurch neue Perspektiven zu entdecken. Ich kann allen anderen Diabetikern, die mit dem Gedanken spielen, kiten zu gehen, sagen: Bindet euch eine Plastiktüte um den Bauch und ab aufs Wasser! Genießt eure Freiheit!


von Lena Schuster

Avatar von lena-schuster

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2022; 71 (7) Seite 22-23

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  • gingergirl postete ein Update vor 3 Tagen, 18 Stunden

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • darktear antwortete vor 8 Stunden

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

  • hexle postete ein Update vor 4 Tagen, 22 Stunden

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

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