Sport-Start mit Diabetes: Das ist zu beachten

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Sport-Start mit Diabetes: Das ist zu beachten

Bisher war es auf der Couch sehr gemütlich – aber nun soll es wieder losgehen mit regelmäßiger Bewegung? Jeder, der länger keinen Sport getrieben hat, weiß, dass es sinnvoll ist, das Ganze langsam anzugehen. Wer einen Diabetes hat, sollte darüber hinaus noch etwas mehr beachten, denn manche körperliche Aktivität kann bei Folge-Erkrankungen ungünstig sein. Ein Gesundheits-Check vorab und ein gutes Planen des Starts in die regelmäßige Bewegung helfen, dranzubleiben.

Rainer W., 54 Jahre: “Ich habe schon länger grenzwertige Blutzucker-Werte gehabt. Meine Hausärztin sagte immer, ich solle aufpassen, damit ich keinen Diabetes kriege.” Jetzt sind beim Gesundheits-Check erstmalig deutlich erhöhte Werte aufgefallen. “Früher bin ich mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren, aber durch Corona bin ich seit einem Jahr im Home-Office, das habe ich auch auf der Waage gemerkt.”

So wie Rainer geht es vielen, im ersten Jahr der Corona-Pandemie stieg bei ca. 40 Prozent der Deutschen das Gewicht. Weniger Bewegung und mehr Stress haben zu einer durchschnittlichen Gewichts-Zunahme von 5,6 kg geführt und bei einigen auch zu höheren Blutzucker-Werten.

Wieder durchstarten mit Bewegung

“Aber jetzt ist Schluss, ich fange wieder mit Sport an. Früher habe ich regelmäßig Fußball gespielt, ich bin sogar schon einmal einen Halbmarathon gelaufen.” Rainer will also wieder durchstarten. Aber wie viel Bewegung ist gesund? Welcher Sport eignet sich? Und was muss man beachten, wenn man nach vielen Jahren wieder mit dem Sport anfängt?

Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) empfiehlt jedem Erwachsenen mindestens 150 bis 300 Minuten pro Woche moderate oder 75 bis 150 Minuten anstrengende körperliche Aktivität und mindestens zweimal pro Woche Kraft-Training, das alle großen Muskel-Gruppen beansprucht, wie Rücken- und Oberschenkel-Muskeln. Und wenn man einen Diabetes hat? Die Deutsche Diabetes Gesellschaft rät: mindestens 150 Minuten Bewegung mittlerer Intensität pro Woche, am besten im Rahmen von strukturierten Bewegungs-Programmen. Außerdem wird für Menschen in der zweiten Lebenshälfte empfohlen, Geschicklichkeit, Reaktions-Fähigkeit, Koordination, Gelenkigkeit und Beweglichkeit zu trainieren.

Ausdauer- und Kraft-Training

Um fitter zu werden und seine Blutzucker-Werte zu senken, kann man sowohl Kraft- als auch Ausdauer-Training durchführen. Es ist oft einfacher, mit Kraft-Training zu starten. Wenn man bereits etwas fitter geworden ist, ist die Kombination aus Kraft- und Ausdauer-Training optimal. Wer sich ca. 150 Minuten pro Woche moderat körperlich bewegt, kann eine Reduktion des HbA1c-Werts um ca. 0,7 % erwarten. Bei längerem oder intensiverem Training lassen sich zusätzliche Effekte erzielen. Wer sich außerdem gesund ernährt und auf Rauchen verzichtet, kann sein Risiko noch stärker senken.

Welche Trainings-Methoden gibt es?

Kraft-Training: Hierbei handelt es sich um eine Trainings-Form, die die Körper-Kraft steigert und die Muskel-Masse erhöht. Sportarten, die überwiegend die Kraft trainieren, sind zum Beispiel das Training im Fitness-Studio an Geräten oder mit Hanteln. Beim Training mit dem eigenen Körpergewicht (z. B. funktionelles Training) wird nur das eigene Körpergewicht als Widerstand verwendet, hier werden meist auch die Beweglichkeit und der Gleichgewichts-Sinn mittrainiert. Bei Rehasport-Kursen oder Gymnastik-Kursen im Sport-Verein wird meist eine Kombination aus Kraft- und Ausdauer-Training durchgeführt.

Ausdauer-Training: Hierbei wird vor allem das Herz-Kreislauf-System trainiert. Es kommt zwar auch zu einem Effekt auf die Muskulatur, der aber nicht so stark ausgeprägt ist wie beim Kraft-Training. Zu den Ausdauer-Sportarten gehören unter anderem Spazierengehen, Wandern, (Nordic) Walking, Laufen, Schwimmen und Fahrradfahren.

Vor dem Start durchchecken lassen

“150 Minuten pro Woche, das kann ich schaffen.” Rainer will demnächst wieder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Wenn das Home-Office noch länger anhält, möchte er die Mittagspause dazu nutzen, 30 Minuten auf den Heimtrainer zu gehen. Außerdem bietet sein lokaler Sport-Verein donnerstags “Ausgleichsgymnastik” an – dann schafft er es sogar, sich mehr als 200 Minuten pro Woche zu bewegen. Bevor Rainer mit dem Training anfängt, wird er sich aber noch bei seiner Hausärztin durchchecken lassen. Denn bei fast der Hälfte der Menschen, bei denen ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wird, liegen bereits Veränderungen an den Gefäßen, die das Herz mit Blut versorgen (Herzkranz-Gefäße), vor. Insbesondere wenn körperlich höhere Belastungen wie Bergwandern, Triathlon oder hochintensives Intervall-Training geplant sind, sollte ggf. auch eine umfangreichere Abklärung beim Kardiologen erfolgen.

Bei Menschen mit Diabetes können weitere Folge- und Begleit-Erkrankungen wie Bluthochdruck, eine Schädigung der Nerven (Polyneuropathie), der Augen (Retinopathie) oder der Nieren (Nephropathie) bestehen. Wenn man nicht bereits regelmäßig zum Augenarzt geht, steht vor dem Start des Sport-Programms ein Termin beim Augenarzt an. Es hat sich gezeigt, dass bei bis zu einem Drittel der Menschen, bei denen ein Typ-2-Diabetes neu diagnostiziert wurde, bereits eine leichte Veränderung der Netzhaut am Augen-Hintergrund vorliegt.

Was muss man bei diabetischen Augen-Erkrankungen und Bewegung beachten?

  • milde bis moderate nicht proliferative Retinopathie:
    • geringes oder kein Risiko eines Augenschadens durch körperliche Aktivität
    • bei milden Retinopathien keine Einschränkungen beim Sport, aber jährliche Augen-Kontrollen erforderlich

  • mittlere nicht proliferative Retinopathie:
    • keine Aktivitäten, die den Blutdruck dramatisch ansteigen lassen, wie Gewichtheben

  • schwere nicht proliferative und instabile proliferative Retinopathie:
    • keine Aktivitäten, die den Blutdruck dramatisch ansteigen lassen
    • keine heftige körperliche Aktivität mit Springen, Erschütterungen, Aktivitäten über Kopf oder mit Anhalten der Luft
    • während einer aktiven Glaskörper-Blutung sollte kein Sport getrieben werden
    • Nach einer Laserung der Netzhaut oder Augen-Operationen sollte 6 Wochen lang keine körperliche Belastung erfolgen.

Ein paar Punkte beachten

Sollte die Hausärztin oder der Hausarzt Folge- und Begleit-Erkrankungen diagnostizieren, ist es wichtig, dass diese vor dem Start der Bewegung behandelt werden:

  • Bei Bluthochdruck sollten in Ruhe normale Blutdruck-Werte unter 140/90 mmHg vorliegen.
  • Wenn die Durchblutung an den Beinen gestört ist, ist Bewegung prinzipiell hilfreich. Ist die Durchblutung sehr stark gestört oder besteht sogar eine offene Wunde, darf erstmal gar kein Sport getrieben werden.
  • Bei Nerven-Störungen (Polyneuropathie) wirkt sich Bewegung ebenfalls hilfreich aus. Regelmäßige körperliche Bewegung kann das Auftreten einer Polyneuropathie verhindern und sogar die Symptome wie Ameisenlaufen mildern. Eine Polyneuropathie führt allerdings auch zu Gefühls-Störungen und ändert das Abrollen des Fußes beim Gehen, sodass ein erhöhtes Risiko für Wunden an den Füßen besteht. Daher sollten bei Vorliegen von Gefühls-Störungen die Füße vor und nach körperlichem Training auf Veränderungen untersucht werden. Zum Training eignen sich vor allem Aktivitäten, die den Druck auf die Fußsohle nicht erhöhen: (langsames) Gehen (z. B. auf dem Laufband), Einbein-Stand, Treppensteigen, Übungen mit Aufstehen aus dem Sitzen oder Übungen, die den Druck auf die Fußsohle im Vergleich zu normalem Gehen senken: Ergometer-Training, Übungen mit dem Thera-Band, Übungen auf einem Gymnastik-Ball.
  • Solange offene Wunden vorliegen, darf gar kein Sport gemacht werden. Wer schon einmal Wunden an den Füßen hatte, sollte vor dem Sport-Start mit seinem behandelnden Diabetes-Team sprechen.

von Dr. Ulrike Becker

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Erschienen in: Diabetes-Anker, 2022; 71 (7) Seite 14-16

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