- Eltern und Kind
Nachgefragt | Recht: Typ-2-Diabetes-Medikament für Minderjährige nicht zugelassen
3 Minuten
Sie haben rechtliche oder soziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Unser Rechts-Experte Oliver Ebert gibt Ihnen in der Rubrik Nachgefragt Antwort.
Die Frage
Unser Sohn Marlin (13 Jahre) ist leider sehr stark übergewichtig und hat auch einen Typ-2-Diabetes bekommen. Der Arzt meint nun, dass er jetzt bald Insulin spritzen müsse. Wir haben nun aber im Internet gelesen, dass es gerade bei Übergewicht auch andere Möglichkeiten geben könnte: So soll beispielsweise das Diabetesmedikament Victoza (Wirkstoff: Liraglutid) auch die Sättigung fördern, so dass man dadurch automatisch weniger isst.
Unser Arzt kennt dieses Medikament, und er hat es nach seiner Aussage auch schon erfolgreich bei Patienten eingesetzt, allerdings sei das Arzneimittel nicht für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zugelassen. Er dürfe es daher nicht verordnen, obwohl es nach seiner Einschätzung bei Marlin eine sehr gute Therapiealternative wäre.
Stimmt das wirklich? Wir haben immer gedacht, dass ein Arzt im Ausnahmefall auch nicht zugelassene Arzneimittel verschreiben darf?
Petra K.
Die Antwort von Oliver Ebert
Alle Arzneimittel, die in Deutschland (bzw. der Europäischen Union) in den Markt gebracht werden, müssen zuvor ein Zulassungsverfahren durchlaufen haben. Eine Zulassung wird nur erteilt, wenn der Hersteller die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels auch mit Hilfe klinischer Studien nachgewiesen hat. Mit der Zulassung werden dann die Anwendungsgebiete des Arzneimittels, die Anwendungsart und die Dosierung(en) festgelegt. Eine Verordnung des Arzneimittels ist grundsätzlich nur im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete bzw. für die vorgesehenen Indikationen zulässig.
Manchmal stellt sich aber heraus, dass ein Medikament möglicherweise auch für andere, nicht von der Zulassung umfasste Anwendungsgebiete eingesetzt werden kann. Ein solcher Off-Label Use (zulassungsüberschreitende Anwendung), also die Verordnung außerhalb der eigentlich zugelassenen Indikationen und Anwendungsformen, ist vor allem in den Bereichen Onkologie, Neurologie sowie in der Kinderheilkunde mittlerweile fast unverzichtbar geworden. Dennoch ist der Off-Label-Use alles andere als unproblematisch.
Nach dem Arzneimittelgesetz ist die Verordnung nämlich auf die vom Hersteller genannten Anwendungsgebiete beschränkt, denn nur hierauf wurde getestet. Es lässt sich daher nicht immer sicher ausschließen, dass es bei einem Einsatz außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs zu erheblichen Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten kommt.
Etwas anderes gilt nur, wenn der Hersteller selbst sein Arzneimittel für neue, nicht zugelassene Indikationen zum “bestimmungsgemäßen Gebrauch” freigegeben hat – beispielsweise durch Vertrieb, Werbung oder Beratung. Auch wenn der Hersteller gegen einen ihm bekannten Off-Label-Use seines Präparats im Markt nichts unternommen, er solche Verwendung also geduldet hat, muss er mit einer etwaigen Haftung rechnen. Und auch der Arzt hat ein hohes Haftungsrisiko, das er nur durch sehr umfassende Risikoaufklärungen und mittels expliziten Einwilligungen der Patienten minimieren kann.
Abgesehen von der Haftungsfrage ist auch problematisch, ob bzw. in welchen Fällen die Krankenkasse die Kosten für eine solche Off-Label-Verordnung übernehmen muss.
Geregelt ist dies u. a. in § 2 Abs. 1a SGB V: “Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder in der Regel tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine […] abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.”
Ansonsten soll nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Off-Label-Use zu Lasten der Krankenkasse in der Regel auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer solchen Behandlung hinreichend belegt sind. Sofern das Krankheitsbild beim Patienten allerdings schon einen lebensbedrohlichen Zustand erreicht hat und keine gesicherten Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, dann sollen etwas niedrigere Voraussetzungen gelten (Bundessozialgericht, Urteil vom 4. April 2006 , Az: B 1 KR 7/05 R): In solchen Fällen reicht grundsätzlich bereits eine positive Nutzen-Risiko-Analyse.
Im Ihrem Fall bedeutet dies, dass eine Verordnung auf Kassenrezept wohl wahrscheinlich eher nicht in Frage kommen wird, denn mit der Insulinbehandlung steht für Marlin ja eine wirksame und anerkannte Therapieoption zur Verfügung, die zudem auch noch kostengünstiger sein dürfte. Trotzdem sollten Sie es versuchen und – in Absprache mit Ihrem Arzt – bei der Krankenkasse einen entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme einer solchen Off-Label-Verordnung stellen.
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2015; 8 (2) Seite 28-29
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