Kurz vor der Diagnose Typ-1-Diabetes: Platt schon vor dem ersten Play

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Kurz vor der Diagnose Typ-1-Diabetes: Platt schon vor dem ersten Play

Mit der Geschichte des 15-jährigen Peter wird schnell klar: In Deutschland ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, damit ein Typ-1-Diabetes nicht erst in der Notaufnahme entdeckt wird. Andererseits: Wir verfügen heute über ­Wissen, Therapien und Technologien, mit denen man nach einer Diabetes-Diagnose schnell wieder in die Spur zurückfinden – und egal ob jung oder etwas älter – optimistisch in die Zukunft schauen kann.

Als Verteidiger seines American-Football-Teams konnte Peter (15) die 100 Kilo Gewicht gut einsetzen. Trotzdem war er nicht unglücklich, als er plötzlich anfing, Gewicht zu verlieren. Der große Durst war ihm im heißen Sommer gar nicht aufgefallen. Beim ersten Match nach den Ferien musste ihn der Trainer vom Spielfeld nehmen: Peter war völlig außer Atem, hatte Bauchschmerzen, erholte sich nicht. Der Teamarzt schickte ihn mit Verdacht auf Lungenentzündung in die Klinik.

Wieso ist es manchmal so schwierig, die richtige Diagnose zu stellen?

Obwohl 1 Kind von 600 in Deutschland an Typ-1-Diabetes erkrankt ist, wird oft nicht daran gedacht. Denn in 9 von 10 Familien hat sonst niemand Typ-1-Diabetes. Wenn die Diagnose anhand der typischen Zeichen Durst, häufiges Wasserlassen und Gewichtsverlust nicht gestellt wird, kommt es zur Blutübersäuerung, der Ketoazidose. Wenn der Körper kein Insulin mehr bildet, kann der Energielieferant Zucker nicht mehr in die Zellen – als Konsequenz wird Fett zum Energiegewinnen abgebaut.

Dabei entstehen Ketonkörper, die als Säuren das chemische Gleichgewicht im Blut durcheinanderbringen. Es entsteht besagte Blutübersäuerung: Sie führt zu vertiefter Atmung, trockenen Schleimhäuten, Bauchschmerzen und Erbrechen. Bei etwa einem Drittel aller Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes beginnt die Erkrankung mit einer Ketoazidose, nicht selten ist die Einweisungsdiagnose Blinddarmentzündung, Lungenentzündung oder „Magen-Darm“.

Was passiert nach der Diagnose bei Kindern und Jugendlichen?

Vor der Entdeckung des Insulins vor knapp 100 Jahren sind alle Menschen mit Typ-1-Diabetes in der Ketoazidose gestorben. Die Insulintherapie ist der Ersatz des fehlenden körpereigenen Insulins; ihr Erfolg hängt davon ab, inwieweit es gelingt, die Insulinabgabe von Menschen ohne Diabetes zu imitieren. Früher wollte man Kindern und Jugendlichen die häufigen Insulin-Injektionen ersparen – so wurden in Deutschland im Jahr 1995 noch fast 60 Prozent der Patienten im Kindes- und Jugendalter mit einfacheren (konventionellen) Therapieschemata (meist 2 bis 3 Injektionen pro Tag) behandelt.

Das machte einen starren Mahlzeitenplan mit genau definierten Kohlenhydratmengen erforderlich, damit Essen und Insulin im Gleichgewicht waren. Damals waren die durchschnittlichen HbA1c-Werte und die Unterzuckerungsraten höher – und so ist es inzwischen international akzeptiert, dass man Kinder und Erwachsene mit intensivierten Therapieverfahren (4 oder mehr Injektionen bzw. Bolusgaben durch die Pumpe pro Tag) behandelt. Bei Kindern im Vorschulalter gilt die Insulinpumpentherapie als bevorzugte Therapieform.

Die meisten mit Pumpe!

Seit dem Jahr 2000 spielt die Insulinpumpenbehandlung eine immer größere Rolle. Zunächst wurde die Technologie meist bei Erwachsenen eingesetzt, aber rasch zeigte sich, dass gerade Vorschulkinder von der Therapieform besonders profitierten: Denn die nötige Flexibilität im Kinderleben mit unvorhersehbarem Toben und ungeplanter Nahrungsaufnahme ist mit einer Insulinpumpentherapie am einfachsten umzusetzen. Studien zeigten, dass sich Mütter von Kleinkindern mit Diabetes vom Schock der Diagnose viel schneller erholten, wenn die Kinder mit Pumpe statt mit Spritze behandelt wurden.

Die Daten des deutsch-österreichischen Kinderdiabetesregisters „DPV“ zeigen, dass der Trend zur Pumpe anhält: Im Jahr 2017 wurden in Deutschland erstmals mehr Kinder und Jugendliche mit einer Insulinpumpe behandelt als mit einem Insulinpen; bei den Vorschulkindern waren es über 90 Prozent.

Interessant: Regional zeigen sich deutliche Unterschiede. Obwohl wir in Deutschland einheitliche Leitlinien zum Einsatz von Insulinpumpen bei Kindern haben und auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen im Wesentlichen überall gleich ist, wird in den nördlichen Bundesländern die Insulinpumpe deutlich häufiger eingesetzt. Jede Insulintherapie soll natürlich im Rahmen einer umfassenden Diabetesbetreuung und mit Unterstützung der Familie durchgeführt werden und für jedes Kind individuell ausgerichtet sein. Dazu gehört natürlich die Erfahrung des betreuenden Diabetes-Teams mit der jeweiligen Therapieform.

Behandlungsoptionen abwägen

Die Diabetesberaterin hatte Peter verschiedene Insulinpumpen gezeigt. Er wollte aber zunächst eine Spritzentherapie durchführen – und spritzt jetzt mit Pens 2-mal täglich ein Verzögerungsinsulin und zu den Mahlzeiten ein schnellwirksames Insulinanalogon. Er befürchtet, dass ihn die Pumpe beim Football stören würde, obwohl ihm die Möglichkeit, die Pumpe vorübergehend abzulegen, eingeleuchtet hat. Auch die schlauchlose Patchpumpe hatte es Peter angetan, die man jeweils mit Insulin befüllt und dann alle 3 Tage neu auf die Haut klebt.

Peter blieb 10 Tage in der Kinderklinik, wo ihm, seinen Eltern und seiner Freundin alles über Diabetes erklärt wurde. Ursprünglich hatten die Ärzte wegen seines ursprünglich hohen Gewichts auch an Typ-2-Diabetes bei Peter gedacht – dies konnte aber durch den Nachweis der typischen mit Typ-1-Diabetes zusammenhängenden Antikörper ausgeschlossen werden. Peter fühlte sich mit seinen 85 kg jetzt deutlich wohler und wollte seine Ernährung so umstellen, dass er das Gewicht jetzt halten könnte. Die Ernährungsberaterin hatte ihm dafür viele Tipps mitgegeben.

Wie sieht die Zukunft aus?

Da Peter später Elektrotechnik studieren will, hatte er sofort über Diabetes-Technologie im Internet recherchiert. Ihn fasziniert der „Closed Loop“ (englisch: geschlossene Schleife bzw. Kreis), bei dem eine Insulinpumpe automatisch die Anpassung der nötigen Insulindosis übernimmt. Ein herkömmlicher Glukosesensor im subkutanen Fettgewebe misst fortwährend den Zuckerspiegel, der Patient muss nicht länger selbst in die Behandlung eingreifen („Full Closed Loop“). Basalrate, Essens- und Korrekturboli werden komplett vom System gesteuert.

Der Vorteil: Wenn es gut läuft, ist weniger Mitarbeit der Patienten nötig. Wenn einmal Pumpenkatheter und Glukosesensor liegen. Der Pumpencomputer bekommt die Zuckerspiegel vom Glukosesensor übertragen und berechnet Wahrscheinlichkeiten für den zukünftigen Zuckerverlauf aus den gemessenen Daten und den gespeicherten individuellen Vorwerten.

Dies ist jedoch Zukunftsmusik, denn bislang gibt es kein System, was verlässlich die Mahlzeitenmenge erfassen kann – alle Systeme haben zu kämpfen mit den Problemen der notwendigen genauen Mahlzeiteneingabe. Man spricht dann von einem „Hybrid-Closed-Loop“, bei dem nur die Basalrate vollständig durch das System gesteuert wird. Unverändert ist eine Insulingabe für die Kohlenhydrataufnahme notwendig, deren Dosis durch die Pumpe berechnet werden kann und auf Knopfdruck abgegeben wird.

All die Neuigkeiten bespricht Peter mit dem Diabetesteam, um Missverständnisse zu vermeiden, denn im Internet steht auch viel Unsinn. Peter hat seinen Optimismus wieder und will schon beim nächsten Footballspiel auf dem Platz stehen.

Schwerpunkt „Von Babys, Kindern und Jugendlichen“


von Prof. Dr. Thomas Danne

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 20-22

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  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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