So kommen Eltern mit der Diabetes-Diagnose zurecht

4 Minuten

So kommen Eltern mit der Diabetes-Diagnose zurecht

Die Diagnose Typ-1-Diabetes beim eigenen Kind trifft Eltern meist unvorbereitet. Zwischen Schock, Angst und Alltagsorganisation müssen sie rasch lernen, mit der neuen Situation umzugehen – und dabei auch sich selbst nicht vergessen.

Die Diabetesanzeichen bei Moritz (8 Jahre) waren unübersehbar, aber seine Eltern hofften noch zwei Tage, dass sich alles wieder bessern würde, bis sie endlich mit ihrem Sohn zum Kinderarzt gingen. Die Diagnose war nach Minuten gestellt: Moritz hat Typ-1-Diabetes. Es ging direkt in die Kinderklinik, in der die Familie durch das Diabetesteam begrüßt und Moritz umgehend mit einer Infusion versorgt wurde.

Den Eltern blieb keine Zeit, sich gedanklich mit der Krankheit ihres Sohnes vertraut zu machen: Sie hatten das Gefühl, funktionieren zu müssen – für Moritz und seine Schwester Leonie (5). Gleichzeitig hofften sie, dass alles nur ein böser Traum sei und ihr Leben so weitergehen könne wie bisher.

So oder ähnlich berichten viele Eltern von den ersten Tagen nach der Diabetes-Diagnose bei ihrem Kind. Die wenigsten hatten damit gerechnet, die Krankheit passte überhaupt nicht in ihren durchorganisierten Alltag, und plötzlich standen alle Pläne infrage. Gefühle der Angst, Sorge, Ohnmacht oder Verzweiflung lassen viele Eltern zu Beginn kaum einen klaren Gedanken fassen.

Und dann kommt noch „jemand“, der ihnen sagt, sie sollten den Diabetes doch einfach akzeptieren, man könne damit doch gut leben und alt werden. Spätestens dann ist die Grenze der seelischen Belastbarkeit vieler Mütter und Väter erreicht. Was kann ihnen wirklich helfen?

Fragen stellen, lernen, Zeit nutzen

Eine lebenslange Krankheit kann nicht einfach schnell akzeptiert werden – viele Menschen, die seit Jahrzehnten mit Diabetes leben, berichten, dass sie teils sehr gut, dann aber auch mal schlechter damit umgehen können. Anders als in fast allen Ländern werden Kinder in Deutschland nach der Diagnose stationär behandelt und mit ihren Eltern ausführlich geschult. Diese Zeit sollte jede Familie, d. h. beide Eltern und die Kinder gemeinsam, nutzen, um Fragen zu stellen, zu lernen, sicherer zu werden.

Dabei müssen die Eltern nicht jede Minute mit dem Kind verbringen – sie sollten die Chance nutzen, um sich als Paar über Sorgen und die Zukunft mit Diabetes auszutauschen. In vielen Diabeteszentren in kinder- und jugendmedizinischen Kliniken sind neben Ärzten und Diabetesberatern auch Psychologen damit betraut, Eltern in dieser Phase zu unterstützen.

Verzweiflung, Trauer, Gefühle der Hilflosigkeit oder auch Ärger über das „ungerechte“ Schicksal sind in dieser Situation normal. Eltern und Kinder haben das Recht, diese Gefühle auszudrücken und Trost zu finden. Durch gute Gespräche mit dem Diabetesteam und anderen betroffenen Eltern kann es gelingen, Mut zu fassen und nach und nach hoffnungsvoller in die Zukunft zu schauen.

Ängste abbauen und Vorurteile revidieren

Informationen, die man aus dem Internet oder anderen Medien aufsaugt, können sehr beängstigend sein – z. B. Berichte über schwere Diabetes-Folgeerkrankungen. Hier sollten sich die Betroffenen und ihre Eltern bei ihrem Diabetesteam informieren, wie die moderne Diabetesbehandlung aussieht und wie gut die Zukunftschancen der Kinder sind. Wer noch nie mit Injektionen oder Blutentnahmen zu tun hatte, wird sich kaum vorstellen können, dass beides zum Alltag gehören kann. Die Angst ist nur zu natürlich.

Wie schnell sich das Bild ändern kann, zeigen Vorschulkinder mit Typ-1-Diabetes, die ihre Insulinpumpe und ihren Glukosesensor ganz selbstverständlich tragen. Eltern sollten selbst ausprobieren, wie sich eine Injektion, ein Kathetersetzen und eine Blut­ent­nahme wirklich anfühlen – der Schmerz ist viel geringer als meist erwartet.

Überforderung vermeiden

Manche Eltern wollen schon in den ersten Tagen möglichst alles über den Diabetes ihres Kindes erfahren und können sich kaum vom Internet lösen; sie finden aber vor lauter Fachbegriffen und widersprüchlichen Aussagen keinen roten Faden. Wenn der erste Schock der Diagnose noch nachwirkt oder auch Wut und Enttäuschung vorherrschen, gelingt es kaum, neue Informationen zu verarbeiten. Dann ist es wichtig, sich etwas Ruhe zu gönnen, um langsam wieder zu sich zu finden – auf ein paar Tage kommt es wirklich nicht an.

Bei den meisten Kindern folgt nach der Diabetesdiagnose die Erholungs- oder Remissionsphase, in der sich der Diabetes besonders leicht behandeln lässt: In dieser oft mehrere Monate langen Phase können sich die Familien mit der Behandlung des Diabetes vertraut machen und Sicherheit gewinnen.

Gelassenheit wiederfinden

Ständiges Grübeln über alles, was der Diabetes in den nächsten Jahren für Kinder und Eltern bedeuten kann, lässt niemanden zur Ruhe kommen. Die Zukunft in 10 oder 20 Jahren ist heute einfach nicht zu überblicken. Als Kinder vor 30 Jahren Diabetes bekamen, war nicht vorstellbar, welche Fortschritte die Therapie machen würde – z. B. in Form moderner schnellwirkender Insuline, von Insulinpumpen und der Möglichkeit, den Zuckerspiegel im Körper jederzeit unblutig mit einem CGM-System (kontinuierliche Glukosemessung) zu überprüfen.

Aktuelle technologische Entwicklungen werden die Belastungen durch die tägliche Therapie in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Das Leben mit der Stoffwechselstörung wird einfacher werden. Und wie Diabetes behandelt wird, wenn Moritz seinen 40sten feiert, das kann heute niemand beantworten.

Kinder einfühlsam begleiten

Je jünger ein Kind bei der Diagnose ist, umso weniger kann es seine Erkrankung einschätzen. Es spürt die Unruhe, es wird aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, und die Behandlung macht ihm Angst. Wie ein Kind das alles erlebt, hängt oft davon ab, wie die Eltern reagieren: Ihre Gesten und Mimik spielen oft eine größere Rolle als ihre Worte. Verzweiflung der Eltern verstärkt die Ängste des Kindes – umgekehrt führt Optimismus eher zu Geborgenheit.

Kinder haben oft die Vorstellung, dass sie etwas falsch gemacht haben und es deshalb zum Diabetes gekommen ist. Eltern sollten ihrem Kind immer wieder versichern, dass es nichts falsch gemacht hat! Schließlich sollten Eltern ihrem Kind zum Diabetes immer die Wahrheit sagen, selbst wenn es ihnen sehr wehtut, dass z. B. der Diabetes nicht mehr weggeht. Notlügen werden schnell aufgedeckt und gefährden das Vertrauen.

Trotz des Einschnitts bleibt der 8-jährige Moritz ein guter Schwimmer, Handball-Fan, seine guten Leistungen beim Rechnen bleiben – und wohl auch seine Kämpfe mit der Rechtschreibung. Seine Eltern sollten ihm die Chance bieten, möglichst so aufzuwachsen wie bisher. Je besser sie sich schrittweise mit dem Diabetes auskennen, mit dem Diabetesteam zusammenarbeiten und vielleicht gute Erfahrungen mit anderen Eltern austauschen, umso mehr wird der Diabetes in den Hintergrund rücken.

Überstürzte Entscheidungen vermeiden

Während der ersten Tage fühlen sich viele Eltern völlig überfordert: Die Berufstätigkeit der Eltern wird infrage gestellt, die Urlaubspläne, der Sport ihres Kindes, die Betreuung durch Großeltern oder Tagesmütter, der Besuch beim getrennt lebenden Elternteil.

Bevor Eltern vorschnell Entscheidungen fällen, die nur mühevoll rückgängig gemacht werden können, sollten sie sich durch das Diabetesteam beraten lassen und zunächst Erfahrungen im Alltag sammeln. Für viele der befürchteten Schwierigkeiten gibt es Lösungen – auch für Moritz, der inzwischen sicher weiß, wie er beim Schwimmtraining mit seinem CGM sicher vor Hypoglykämien ist.

Schwerpunkt „Von Babys, Kindern und Jugendlichen“


von Prof. Dr. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 23-25

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Produktion des Dexcom G6 wird eingestellt: Was Nutzerinnen und Nutzer jetzt wissen müssen

Dexcom hat angekündigt, dass die Produktion seines Sensors G6 für die kontinuierliche Glukosemessung zum 1. Juli 2026 eingestellt wird. Nutzerinnen und Nutzer, die diese CGM-Sensoren bislang für ihre Therapie eingesetzt haben, müssen sich somit auf einen Wechsel vorbereiten.
Produktion des Dexcom G6 wird eingestellt: Was Nutzerinnen und Nutzer jetzt wissen müssen | Foto: Schütte / Stanek / MedTriX

2 Minuten

Diabetes-Anker-Podcast: Ein Tag für Menschen mit Typ-1-Diabetes – Ausblick auf den t1day 2026

Der t1day 2026 zeigt, wie rasant sich die Versorgung bei Typ‑1‑Diabetes entwickelt. Im Diabetes‑Anker‑Podcast geben die Veranstalter einen kompakten Einblick in Programm, Workshops und Themen des Events am 25. Januar 2026 in Berlin.
Diabetes-Anker-Podcast: Ein Tag für Menschen mit Typ-1-Diabetes – Ausblick auf den t1day 2026 | Foto: Ludwig Niethammer / privat / MedTriX

2 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • loredana postete ein Update vor 1 Tag, 15 Stunden

    Die Registrierung mit dem Geburtsjahr war echt sportlich. Wollte es schon fast wieder abbrechen.

  • ambrosia postete ein Update vor 2 Tagen, 12 Stunden

    Ich wünsche allen einen schönen Mittwoch.

  • Hallo, ich bin Stefanie, die Diagnose Typ 1, habe ich vor drei Monaten bekommen.
    Ich merke wie es mir aktuell mit der Diagnose eher schlechter, als besser geht und meine Depression wieder da ist und ich auch eine neue Therapie starten werde. Ich habe aber das Gefühl, dass mich niemand Freundeskreis verstehen kann, weil niemand weiß, wie sehr diese Diagnose das Leben durcheinander bringt und ich auf so vieles aufpassen muss. Vor zwei Wochen hatte ich meine Schulung, tatsächlich fällt mir der Umgang mit dem Diabetes eher sogar schwerer. Eine Leichtigkeit (ist auch zu viel verlangt) ist nicht eingetreten. Sicherheit nur etwas.
    Es gibt bei mir leider keine Selbsthilfegruppen vor Ort, darum habe ich mich nun entschieden, den Diabetes Anker beizutreten und hoffe auf Verständnis von “Gleichgesinnten”
    Viele Grüße

    • Hallo Stefanie, schön ,dass du da bist. Wir treffen uns zum virtuellen Austausch nächste Woche Donnerstag. Vielleicht hast du ja Zeit und kannst dich einwählen 🙂 Ich freue mich, wenn wir uns dort sehen. Liebe Grüße Lena

      Virtuelles Diabetes-Anker Community-MeetUp im Dezember

    • Hallo Stefanie! Ich weiß noch wie es nach meiner Diagnose war – es dauert bis da von Leichtigkeit die Rede sein kann. Und das Umfeld tut sich oft sehr schwer das alles zu verstehen. Es wird besser aber es braucht Zeit. Alles Gute

    • @lena-schmidt: Hallo Lena, ich habe angemeldet und steht auch fest im Kalender.

    • @moira: Danke dir, ja es ist nicht ganz leicht damit klarzukommen und du hast recht, das Umfeld stellt mir Unmengen an Fragen, aber die kann ich aktuell selbst nicht beantworten, weil ich selbst genügend habe und andere Prios. Am schlimmsten empfinde ich die gutgemeinten “Ratschläge”.

Verbände