So kommen Eltern mit der Diabetes-Diagnose zurecht

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So kommen Eltern mit der Diabetes-Diagnose zurecht

Die Diagnose Typ-1-Diabetes beim eigenen Kind trifft Eltern meist unvorbereitet. Zwischen Schock, Angst und Alltagsorganisation müssen sie rasch lernen, mit der neuen Situation umzugehen – und dabei auch sich selbst nicht vergessen.

Die Diabetesanzeichen bei Moritz (8 Jahre) waren unübersehbar, aber seine Eltern hofften noch zwei Tage, dass sich alles wieder bessern würde, bis sie endlich mit ihrem Sohn zum Kinderarzt gingen. Die Diagnose war nach Minuten gestellt: Moritz hat Typ-1-Diabetes. Es ging direkt in die Kinderklinik, in der die Familie durch das Diabetesteam begrüßt und Moritz umgehend mit einer Infusion versorgt wurde.

Den Eltern blieb keine Zeit, sich gedanklich mit der Krankheit ihres Sohnes vertraut zu machen: Sie hatten das Gefühl, funktionieren zu müssen – für Moritz und seine Schwester Leonie (5). Gleichzeitig hofften sie, dass alles nur ein böser Traum sei und ihr Leben so weitergehen könne wie bisher.

So oder ähnlich berichten viele Eltern von den ersten Tagen nach der Diabetes-Diagnose bei ihrem Kind. Die wenigsten hatten damit gerechnet, die Krankheit passte überhaupt nicht in ihren durchorganisierten Alltag, und plötzlich standen alle Pläne infrage. Gefühle der Angst, Sorge, Ohnmacht oder Verzweiflung lassen viele Eltern zu Beginn kaum einen klaren Gedanken fassen.

Und dann kommt noch „jemand“, der ihnen sagt, sie sollten den Diabetes doch einfach akzeptieren, man könne damit doch gut leben und alt werden. Spätestens dann ist die Grenze der seelischen Belastbarkeit vieler Mütter und Väter erreicht. Was kann ihnen wirklich helfen?

Fragen stellen, lernen, Zeit nutzen

Eine lebenslange Krankheit kann nicht einfach schnell akzeptiert werden – viele Menschen, die seit Jahrzehnten mit Diabetes leben, berichten, dass sie teils sehr gut, dann aber auch mal schlechter damit umgehen können. Anders als in fast allen Ländern werden Kinder in Deutschland nach der Diagnose stationär behandelt und mit ihren Eltern ausführlich geschult. Diese Zeit sollte jede Familie, d. h. beide Eltern und die Kinder gemeinsam, nutzen, um Fragen zu stellen, zu lernen, sicherer zu werden.

Dabei müssen die Eltern nicht jede Minute mit dem Kind verbringen – sie sollten die Chance nutzen, um sich als Paar über Sorgen und die Zukunft mit Diabetes auszutauschen. In vielen Diabeteszentren in kinder- und jugendmedizinischen Kliniken sind neben Ärzten und Diabetesberatern auch Psychologen damit betraut, Eltern in dieser Phase zu unterstützen.

Verzweiflung, Trauer, Gefühle der Hilflosigkeit oder auch Ärger über das „ungerechte“ Schicksal sind in dieser Situation normal. Eltern und Kinder haben das Recht, diese Gefühle auszudrücken und Trost zu finden. Durch gute Gespräche mit dem Diabetesteam und anderen betroffenen Eltern kann es gelingen, Mut zu fassen und nach und nach hoffnungsvoller in die Zukunft zu schauen.

Ängste abbauen und Vorurteile revidieren

Informationen, die man aus dem Internet oder anderen Medien aufsaugt, können sehr beängstigend sein – z. B. Berichte über schwere Diabetes-Folgeerkrankungen. Hier sollten sich die Betroffenen und ihre Eltern bei ihrem Diabetesteam informieren, wie die moderne Diabetesbehandlung aussieht und wie gut die Zukunftschancen der Kinder sind. Wer noch nie mit Injektionen oder Blutentnahmen zu tun hatte, wird sich kaum vorstellen können, dass beides zum Alltag gehören kann. Die Angst ist nur zu natürlich.

Wie schnell sich das Bild ändern kann, zeigen Vorschulkinder mit Typ-1-Diabetes, die ihre Insulinpumpe und ihren Glukosesensor ganz selbstverständlich tragen. Eltern sollten selbst ausprobieren, wie sich eine Injektion, ein Kathetersetzen und eine Blut­ent­nahme wirklich anfühlen – der Schmerz ist viel geringer als meist erwartet.

Überforderung vermeiden

Manche Eltern wollen schon in den ersten Tagen möglichst alles über den Diabetes ihres Kindes erfahren und können sich kaum vom Internet lösen; sie finden aber vor lauter Fachbegriffen und widersprüchlichen Aussagen keinen roten Faden. Wenn der erste Schock der Diagnose noch nachwirkt oder auch Wut und Enttäuschung vorherrschen, gelingt es kaum, neue Informationen zu verarbeiten. Dann ist es wichtig, sich etwas Ruhe zu gönnen, um langsam wieder zu sich zu finden – auf ein paar Tage kommt es wirklich nicht an.

Bei den meisten Kindern folgt nach der Diabetesdiagnose die Erholungs- oder Remissionsphase, in der sich der Diabetes besonders leicht behandeln lässt: In dieser oft mehrere Monate langen Phase können sich die Familien mit der Behandlung des Diabetes vertraut machen und Sicherheit gewinnen.

Gelassenheit wiederfinden

Ständiges Grübeln über alles, was der Diabetes in den nächsten Jahren für Kinder und Eltern bedeuten kann, lässt niemanden zur Ruhe kommen. Die Zukunft in 10 oder 20 Jahren ist heute einfach nicht zu überblicken. Als Kinder vor 30 Jahren Diabetes bekamen, war nicht vorstellbar, welche Fortschritte die Therapie machen würde – z. B. in Form moderner schnellwirkender Insuline, von Insulinpumpen und der Möglichkeit, den Zuckerspiegel im Körper jederzeit unblutig mit einem CGM-System (kontinuierliche Glukosemessung) zu überprüfen.

Aktuelle technologische Entwicklungen werden die Belastungen durch die tägliche Therapie in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Das Leben mit der Stoffwechselstörung wird einfacher werden. Und wie Diabetes behandelt wird, wenn Moritz seinen 40sten feiert, das kann heute niemand beantworten.

Kinder einfühlsam begleiten

Je jünger ein Kind bei der Diagnose ist, umso weniger kann es seine Erkrankung einschätzen. Es spürt die Unruhe, es wird aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, und die Behandlung macht ihm Angst. Wie ein Kind das alles erlebt, hängt oft davon ab, wie die Eltern reagieren: Ihre Gesten und Mimik spielen oft eine größere Rolle als ihre Worte. Verzweiflung der Eltern verstärkt die Ängste des Kindes – umgekehrt führt Optimismus eher zu Geborgenheit.

Kinder haben oft die Vorstellung, dass sie etwas falsch gemacht haben und es deshalb zum Diabetes gekommen ist. Eltern sollten ihrem Kind immer wieder versichern, dass es nichts falsch gemacht hat! Schließlich sollten Eltern ihrem Kind zum Diabetes immer die Wahrheit sagen, selbst wenn es ihnen sehr wehtut, dass z. B. der Diabetes nicht mehr weggeht. Notlügen werden schnell aufgedeckt und gefährden das Vertrauen.

Trotz des Einschnitts bleibt der 8-jährige Moritz ein guter Schwimmer, Handball-Fan, seine guten Leistungen beim Rechnen bleiben – und wohl auch seine Kämpfe mit der Rechtschreibung. Seine Eltern sollten ihm die Chance bieten, möglichst so aufzuwachsen wie bisher. Je besser sie sich schrittweise mit dem Diabetes auskennen, mit dem Diabetesteam zusammenarbeiten und vielleicht gute Erfahrungen mit anderen Eltern austauschen, umso mehr wird der Diabetes in den Hintergrund rücken.

Überstürzte Entscheidungen vermeiden

Während der ersten Tage fühlen sich viele Eltern völlig überfordert: Die Berufstätigkeit der Eltern wird infrage gestellt, die Urlaubspläne, der Sport ihres Kindes, die Betreuung durch Großeltern oder Tagesmütter, der Besuch beim getrennt lebenden Elternteil.

Bevor Eltern vorschnell Entscheidungen fällen, die nur mühevoll rückgängig gemacht werden können, sollten sie sich durch das Diabetesteam beraten lassen und zunächst Erfahrungen im Alltag sammeln. Für viele der befürchteten Schwierigkeiten gibt es Lösungen – auch für Moritz, der inzwischen sicher weiß, wie er beim Schwimmtraining mit seinem CGM sicher vor Hypoglykämien ist.

Schwerpunkt „Von Babys, Kindern und Jugendlichen“


von Prof. Dr. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 23-25

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  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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