Unterzuckerungen – erkennen und richtig behandeln

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Unterzuckerungen – erkennen und richtig behandeln

Glukoseregulation durch Insulin, Glukagon und Adrenalin

Bei Menschen ohne Diabetes setzen beim Absinken des Glukosespiegels gegenregulatorische Vorgänge ein: Die Insulinausschüttung wird gehemmt, Glukagon und Adrenalin (Stresshormon) werden ausgeschüttet. Sie machen das Auftreten von Unterzuckerungen nahezu unmöglich. Glukagon ist ebenso wie Insulin ein Hormon, das in den Zellen der Bauchspeicheldrüse hergestellt wird. Es ist der Gegenspieler des Insulins und steuert den Blutzucker u. a. in Phasen ohne Nahrungsaufnahme.

Das Glukagon wird nach Bedarf von der Bauchspeicheldrüse abgegeben und bewirkt in der Leber eine Freisetzung von Zuckerreserven. Insulin unterdrückt die Freisetzung von Glukagon. Im Gegensatz zu Menschen ohne Diabetes kommt es deshalb bei Menschen mit Diabetes, die Insulin gespritzt haben, bei drohender Unterzuckerung nicht immer zu einer rechtzeitigen Ausschüttung des Glukagons.

Unterzuckerungen bei Typ-1-Diabetes

Die Gründe für Unterzuckerungen sind vielfältig. Sie reichen von ungenauen Berechnungen des Insulins oder des Essens, unregelmäßigem Essen über (ungeplante) körperliche Aktivitäten bis hin zu Stress oder Alkoholgenuss. Auch wenn Eltern oder Betreuende von Kindern mit Typ-1-Diabetes und Jugendliche viele Faktoren bedenken und Therapie-Anpassungen machen, um stabile Glukoseverläufe zu erhalten, kommt es doch immer wieder zu Situationen, in denen niedrige Glukosewerte auftreten: der menschliche Körper tickt eben nicht wie ein Uhrwerk.

Eine einheitliche Definition der Unterzuckerung (= Hypoglykämie) für Menschen mit Typ-1-Diabetes zu finden ist schwierig. Denn das Auftreten von Symptomen kann unabhängig von den Glukosewerten sehr unterschiedlich sein. In verschiedenen nationalen und internationalen Fachgesellschaften hat man sich auf die folgende Einteilung geeignet:

Eine "schwere Hypoglykämie" ist unabhängig vom Glukosewert und geht mit Bewusstseinseinschränkung und/oder -verlust einher. Betroffene können dann nicht mehr sicher trinken oder essen und sind auf Fremdhilfe angewiesen.

Unterzuckerungen sind für die Betroffenen unangenehm, führen häufig zu Einschränkungen im Alltag und beeinflussen somit erheblich die Lebensqualität. Die Zeit unter 70 mg/dl sollte 4 % möglichst nicht überschreiten. Dies entspricht < 1 Stunde pro Tag. Um schwere Hypoglykämien zu vermeiden, sollten möglichst wenige Werte (< 1 %) unter 54 mg/dl (3.0 mmol/l) liegen.

Schulung von Symptomen

Da Unterzuckerungen nicht immer an einer bestimmten Glukosegrenze festgemacht werden können, sind Schulungen zu möglichen Symptomen, Ursachen und der Behandlung sehr wichtig. Jeder Mensch mit Diabetes spürt Unterzuckerungen auf eine andere Art und Weise. Die Anzeichen sind vielfältig: Blässe, Zittern, Herzklopfen/-rasen, Schwitzen, Müdigkeit, Hunger, Schwindel oder Wesensveränderungen wie Weinerlichkeit, Reizbarkeit oder Aggressivität treten häufig auf. Es ist wichtig, die für ihr Kind spezifischen Symptome zu kennen und diese auch im Alltag immer wieder zu benennen, z. B. durch die Frage "Wie fühlst du dich?". Kinder lernen durch Wiederholung.

Je jünger die Kinder, desto unspezifischer können die Anzeichen von Unterzuckerungen sein, aber auch hier lassen sich häufig spezielle individuelle Verhaltensmuster ausmachen, die an eine Unterzuckerung denken lassen. Nicht selten geben Kinder Symptome der Unterzuckerung an, ohne dass eine Unterzuckerung vorliegt. Situationen wie Schreck, Aufregung, Angst oder Streit können identische Symptome hervorrufen.

Behandlung von Unterzuckerungen

Die Behandlung von Unterzuckerungen sollte ausschließlich mit Dextrose (= Traubenzucker) erfolgen. Diese heben den Blutzucker ohne Verzögerung rasch an. Oft wird auch die Gabe von Fruchtsäften, Schokolade oder Milch empfohlen. Die Wirkung dieser Formen der Kohlenhydrate ist jedoch deutlich verzögert gegenüber dem reinen Traubenzucker, oder es sind höhere Mengen an Kohlenhydraten notwendig, um den gleichen Effekt zu erzielen. Gleichzeitig führen Sie häufig zu einem überschießenden Glukoseanstieg.

Die jeweils notwendige Menge an Traubenzucker ist abhängig vom Glukosewert/-verlauf, dem Gewicht des Kindes, der aktiven Insulinwirkung und der Situation, in der die Unterzuckerung auftritt. Im Allgemeinen werden für Kinder rasch wirkende Kohlenhydrate in einer Dosis von 0,3 g Glukose pro Kilogramm Körpergewicht empfohlen.

Kontinuierliche Glukosemessung und AID-Systeme

In Deutschland tragen mittlerweile > 95 % aller Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ein System der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und bereits > 30 % ein teilautomatisches Insulindosierungssystem (AID). Die Zusammenschau von Sensorwert und Befinden, Trendpfeil, aktivem Insulin und ggf. bereits unterbrochener Insulinzufuhr gibt eine Hilfestellung, ob und wie viele Kohlenhydrate zur Behandlung einer (drohenden) Unterzuckerung noch notwendig sind. Oft sind deutlich weniger Kohlenhydrate erforderlich als in der Zeit ohne Sensoren und AID!

Schwere Unterzuckerung – und nun?

Bei Eltern, Familienangehörigen und anderen Betreuungspersonen besteht häufig große Angst vor der unerwarteten schweren Unterzuckerung. Wer bereits einmal eine schwere Unterzuckerung miterlebt hat, weiß, dass diese Situation meist ein dramatisches Ereignis für alle Beteiligten ist. Gefährdet sind die Betroffenen häufig nicht so sehr durch die Unterzuckerung an sich, sondern durch die Situation, in der sie auftritt (z. B. Schwimmen, Bouldern, aktive Teilnahme am Straßenverkehr). Um die schwere Unterzuckerung zu verhindern, ist es wichtig zu wissen, wie Unterzuckerungen schnell und korrekt behandelt werden (s. o).

Sollte es zu einer schweren Unterzuckerung kommen, bei der die Betroffenen nicht in der Lage sind zu schlucken, muss so schnell wie möglich Glukagon verabreicht werden. Glukagon kann in den Muskel, in das Unterhautfettgewebe oder in die Nase verabreicht werden. In Deutschland stehen mehrere Glukagonpräparate zur Verfügung: Baqsimi® ist ab 4 Jahren zugelassen und wird wie ein Nasenspray als Einzeldosis/Sprühstoß (3 mg) verabreicht.

Das GlucaGen® Hypokit ist als injizierbares Notfallset verfügbar. Es ist für alle Altersklassen zugelassen und wird gewichtsabhängig dosiert (1 mg > 25 kg und 0,5 mg < 25 kg). Es muss vor Verabreichung zunächst angemischt werden. Das Präparat Ogluo® mit 0,5 mg (< 6 Jahre) oder 1 mg (> 6 Jahre) Glukagon ist in Form eines Fertigpens für Kinder ab einem Alter von 2 Jahren zugelassen. Natürlich kann es immer vorkommen, dass das Notfallmedikament doch nicht mit dabei ist.

Tipp: Üben für den Notfall

Mit den aktuellen Therapien und ausführlichen Schulungen ist die schwere Unterzuckerung glücklicherweise eine seltene Komplikation geworden, das zeigen Untersuchungen aller kinderdiabetologischen Zentren in Deutschland.

Fazit


Kontakt:

Dr. med. Thekla von dem Berge
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Diabetologie
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult”, Hannover

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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