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Eine vorbildliche bäuerliche Landwirtschaft praktiziert das Öko-Gut nahe Köln. Warum echter Mist ein Segen und industrieller Maisanbau ein Fluch sind, wird hier klar.
„Nahrung ist Medizin“, wusste schon vor über 2 000 Jahren Hippokrates, der Begründer unserer Heilkunde. Aber nur so vitalisiert Nahrung: Natur belassen, also wenig verarbeitet; geschmackstark; frei von künstlichem Dünger, von chemischen Spritzmitteln. Solche handwerkliche Mittel zum Leben produziert seit Jahrzehnten der demeter-Hof Bollheim westlich von Köln bei Zülpich. Seit bald 20 Jahren beziehe ich einen Großteil meines Gemüses, meiner Milchprodukte von dort und bin auch deshalb mit bald 66 Jahren immer noch „Fit wie ein Diabetiker“.
Hans von Hagenow ist einer von vier Landwirten, die den Hof von einer gemeinnützigen Gesellschaft gepachtet haben. Seit fast 30 Jahren leitet dieser Pionier des ökologischen Wirtschaftens, der sein Handwerk bei 60-Stunden-Wochen auf einem Hof im Schwarzwald gelernt hat, das Gut. Mit ihm hatte ich einen Termin für das Kölner Slow Food-Convivium (so heißen die regionalen Gliederungen dieser Organisation, die sich um echte Lebens-Mittel kümmert) verabredet.
Ein sichtlich gut gelaunter Hans von Hagenow erläuterte rund drei Stunden lang der von Convivium-Leiterin Anne Fuentes geführten Truppe die Chancen und Probleme von demeter – der ältesten und strengsten Öko-Organisation, die im Einklang mit der Natur arbeitet.
Über 160 Hektar bewirtschaftet Bollheim, was rund 225 Fußballfeldern entspricht. Das klingt nach viel, ist aber im Vergleich zu den umliegenden konventionellen Betrieben, wo viele Zuckerrüben angebaut werden, eher Mittelklasse. Gerne würde sich der Hof vergrößern – aber dem steht einer der Hauptirrsinne der falsch subventionierten Agrarindustrie entgegen: Land ist inzwischen fast unbezahlbar, vor allem durch den Maisanbau für den wachsenden Fleischhunger und noch schlimmer: Um ihn in Biogasanlagen (was ist daran Bio?) zu verfeuern.
Diese „Vermaisung der Welt“ ist nicht nur ein Frevel sondergleichen, langfristig gefährden diese Intensivkulturen mit ihrem riesigen Einsatz an gefährlichen Spritzmitteln und zu viel Kunstdünger auch das Grundwasser, fördern die Bodenerosion, wovor die „Bundesanstalt für Geowissenschaften“ mit einer aktuellen Studie warnt.
Gottseidank noch gesittet geht´s bei Bollheim zu, wo nicht jeder Quadratmeter landwirtschaftlich genutzt wird, wo es noch Streuobstbäume, wo es große Alleen, wo es für Vögel und Schmetterlinge nützliche Brachflächen gibt, wo Hecken vor der Bodenerosion schützen. Angebaut werden neben Weizen und Roggen auch die von Allergikern gesuchten Sorten Dinkel und das schon von den Kelten geschätzte Urgetreide Emmer.
Ein Teil der Körner wird in der auf dem Hof angesiedelten, aber rechtlich selbständigen Bäckerei von Bäckermeister Jürgen Zippel zu ausgezeichneten Broten verbacken – etwa das von mir geschätzte Buchweizenbrot. Einen entscheidenden Vorteil haben die Körner dieses Rispengrases: Sie sind basisch, wirken gegen die Übersäuerung, die für viele Entzündungen verantwortlich ist, was auch Diabetes auslösen kann.
Zu Höchstform läuft Hans von Hagenow im Kuhstall auf: Voller Freude erzählt er, dass jede der 55 „Rotbunten“ (so heißt die nicht so hoch gezüchtete Rasse) einen Namen hat, was der Mensch-Tier-Beziehung dient; dass die Kühe, wie bei demeter üblich, noch ihre Hörner haben, was mehr Platz braucht, aber den Zusammenhalt der Herde fördert; dass die Kühe, die rund die Hälfte der Hoffläche brauchen, von Frühling bis Herbst auf saftigen Weiden grasen und hofeigenes Kraftfutter bekommen, sodass praktisch alles, was das Vieh braucht, vom Hof kommt – es ist also alles nachvollziehbar, was noch besser ist, als die beste Kontrolle.
Stolz ist er auf den eigenen Bullen „Louis“, der die meisten Kühe deckt, was kaum noch jemand macht. „Betriebswirtschaftlich ist das Blödsinn“, so der 55-jährige, „aber für uns gehört es zur natürlichen Viehhaltung“.
Sichtlich zufrieden trotten bei unserem Besuch am späten Nachmittag die Kühe zum Melken. Auf Bollheim wird die Milch noch in einer Form verkauft, die jahrhundertelang üblich war: Als Rohmilch. Aber wegen überzogenen, gegen die bäuerliche Landwirtschaft gerichteten Vorschriften (Brüssel lässt grüßen!) darf dieses naturbelassene, vollwertige Lebens-Mittel, wie wir es brauchen, kaum noch angeboten werden. Bollheim schafft das durch eine peinlich genaue Hygiene und systematische Kontrollen.
Ins Schwärmen gerät Hagenow, der die Bezeichnung Bauer noch verdient, wenn er über den Mist spricht: „Früher war der bewusst vor dem Hof aufgeschichtete Misthaufen die Visitenkarte der Bauern, war sein Gold“. Sorgfältig werden auf Bollheim die Exkremente mit Stroh vermischt und dann starten die darüber laufenden Kühe die natürliche Düngerproduktion nach Hagenow: „Tritt ihn fest und halt ihn feucht“. Über einen Meter hoch ist irgendwann das „Kuhgold“, bevor es auf den Feldern ausgebracht wird.
„Nur wenn wir den Boden füttern, kann er die Pflanzen natürlich ernähren“, erläutert er das heute weitgehend vergessene Prinzip des Hofkreislaufes, das von den klugen Kelten entwickelt wurde – nachzulesen in dem wegweisenden Buch „Die Pflanzen der Kelten“ des Ethnobotanikers Wolf-Dieter Storl, dem gründlichsten Kenner der Wechselwirkungen zwischen Natur und Mensch.
Welche geschmackstarken Produkte diese hergebrachte Landwirtschaft erzeugt, zeigt uns Hagenow auf den Gemüsefeldern, in den Gewächshäusern. Rund 45 Kulturen werden angebaut, wobei ich besonders die Gurken, die Tomaten (unbedingt probieren: die Sorte „Campari“) und die Kartoffeln (ein Gedicht: „Rosara“) schätze. Toll die inulinhaltige Topinamburknolle, die das dick machende Hormon Insulin in Schach hält – und so der kulinarischste Beitrag zu der so heiß ersehnten schlanken Linie ist. Bestens schmeckt der nussige Topinambur mit Walnüssen und Walnussöl. Übrigens gibt es auch ein Feld mit Löwenzahn, dessen sanfte Bitterstoffe ebenfalls der schlanken Hüfte frommen.
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Dass alles so gut schmeckt, liegt auch am hofeigenen Mist. In der industriellen Agrarwirtschaft wird mit in Wasser aufgelösten Mineralien gedüngt. Für die Pflanzen ist das bequem, sie bekommen die Nährstoffe quasi auf dem Tablett serviert, „hängen am Tropf“, so Hagenow. Ganz anders bei demeter: Hier müssen sich die Pflanzen mit ihren Wurzeln die Nährstoffe „erarbeiten“, was sie stark macht, was dem Geschmack und der Robustheit zugute kommt.
Das Prinzip hat mir vor vielen Jahren schon einmal der wegweisende Winzer Bernhard Breuer erklärt: „Die Rebe muss um ihr Leben kämpfen, nur so dringt sie immer tiefer in die Erde, holt sich die Mineralien heraus, was den Wein einzigartig macht“. Wie gut sich der ökologische Wein inzwischen schlägt, haben die Tester des Gault Millau-Weinatlas herausgefunden: Sieben der zehn besten deutschen Rieslinge sind Bio-Weine.
Wichtig für die Bekömmlichkeit: Es wird auf chemische Spritzmittel verzichtet, die in die Pflanze eindringen, von innen wirken. In Ökobetrieben dürfen nur Mittel verwendet werden, die von außen wirken, werden Nützlinge verwendet, die Schädlinge vernichten, etwa Florfliegen gegen Blattläuse. Natürlich sagen die konventionellen Betriebe, dass die Spritzmittel abgebaut werden, dass keine Gefahr bestehe. Kann sein, glauben tue ich es nicht, zu oft waren diese Behauptungen falsch.
Langsam wollte Hans von Hagenow zum Schluss kommen. Aber die hellwache, klug fragende Slow Food-Gruppe wollte unbedingt noch die Hühner sehen. Also raus aufs Feld zu den beiden Hühnerherden, die natürlich draußen sind, die sich um die Hähne scharen. Wohl schmeckende Eier produziert diese natürliche Haltung. Nur einen Nachteil hat das Ganze: „Es gibt immer zu wenig Eier. Je mehr wir produzieren, desto mehr wollen sie die Leute haben“, so Hagenow – und das, obwohl das Stück über 40 Cent kostet. Immer mehr Leute begreifen halt: Lieber etwas weniger kaufen, dafür aber etwas Besseres.
Eins musste uns Hagenow aber doch noch zeigen: Ein Projekt, das ihm besonders am Herzen liegt: „Bruderhuhn“. Allein in Deutschland werden jährlich über 30 Millionen „Brüder“ der Legehennen getötet, weil es für sie scheinbar keine Verwendung gibt. Auch im ökologischen Landbau ist das weitgehend so. Dem will eine Initiative abhelfen – und so führt uns Bauer Hagenow zu den „Bruderhähnen“. Weit vom Hof liegt das Feld, „weil auch wir sonst das Kikerikie der vielen Hähne nicht aushalten würden“.
Demnächst werden die Gockel geschlachtet – und dann will er versuchen, sie zu verkaufen. Ein Experiment, denn ganz so zart wie gewohnt werden sie nicht schmecken. Ich werde mir auf jeden Fall ein Exemplar besorgen. Und Hagenow hofft, dass sich auch Spitzenköche für diese Hähne begeistern, die er bewusst nicht billig, sondern für über 20 Euro verkaufen will.
Alles gesehen? Natürlich nicht, es fehlt die wichtige Züchtung von eigenem Getreide als Gegengewicht zu den großen Saatgutkonzernen. „Wer das Saatgut hat, der hat das Leben“, wissen die Strategen von Monsanto und Co. Aber wer will schon in einer Monsanto-Genwelt leben? Im Winter lasse ich mir die Versuche ausführlich von Patrick Schmidt auf dem Hof zeigen.
Großer Applaus für Hans von Hagenow von den Slow Food-Leuten, die kräftig im Hofladen einkauften – und ein wenig nachdenklich nach Hause fuhren. Denn es wurde auch das Wirtschaftliche angesprochen, und das ist nicht leicht. Bio erfordert viel Handarbeit, sodass auf dem Hof rund 60 Leute arbeiten, mehr als in konventionellen Betrieben. Auch sind die Erträge geringer, die Kosten höher. So wird beispielsweise bei Bollheim eine achtjährige Fruchtfolge eingehalten, damit sich die Böden regenerieren, auch liegt schon mal ein Feld bewusst brach.
All das kostet. Obwohl die Preise hoch sind, „müssten wir noch rund zehn Prozent teurer sein“, rechnet Hagenow vor. Das ist kaum machbar, sodass Bollheim wie die meisten demeter-Betriebe nur knapp über die Runden kommt. Geld für Investitionen lässt sich kaum erwirtschaften – weshalb die rund 800 000 Euro für den neuen Stall auch wieder über Spenden und Zuwendungen reingeholt werden müssen.
Ist Bio deshalb unwirtschaftlich? Demeter gar ein Irrweg? Das behaupten die Gegner des ökologischen Anbaus. Sie argumentieren ähnlich wie die Befürworter der Kernenergie. Auch die Atomjünger „vergessen“, dass die gigantischen Entwicklungskosten im wesentlichen der Staat bezahlt hat, dass die unfassbar hohen Summen für die Beseitigung der ewig strahlenden Brennelemente ebenfalls den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Alles eingerechnet, wäre Atomstrom schon heute um ein Vielfaches teurer als Windenergie.
Genau so ist es mit Öko: Würden allein die Kosten der Intensivlandwirtschaft, etwa die Güllebelastung, die Verarmung der Artenvielfalt, das Bienensterben, die Spätfolgen ausgelaugter Böden, in die Preise einfließen, wäre Öko, wäre demeter locker konkurrenzfähig. Das wird dauern, aber es wird kommen. Deshalb mein Fazit: Öko gehört die Zukunft – und demeter wird sich die Krone der Bio-Schöpfung aufsetzen.
Denn der 1924 von dem Anthroposophen Rudolf Steiner begründete Ansatz berücksichtigt auch feinstoffliche, kosmische (etwa Mondstände) und spirituelle Dimensionen der Lebens-Mittel. Ein Ansatz, den natürlich auch schon die Kelten hatten. So gesehen ist demeter die konsequente Weiterentwicklung einer naturverträglichen Ur-Landwirtschaft. Schließlich sind gute Lebens-Mittel mehr als die Summe der Vitamine und Mineralien. Sie nähren nicht nur den Leib, sondern auch die Seele.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
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