- Leben mit Diabetes
Huda El Haj Said im Interview: Medizin und Sprache verbinden
12 Minuten

Durch ihren Typ-1-Diabetes hat Huda El Haj Said ihre Faszination für die Medizin entdeckt. Doch erst das Schreiben über ihre Erkrankung hat ihr geholfen, diese zu akzeptieren. Sprache und Medizin sind für sie miteinander verbunden, wie sie im Interview erklärt.
Im Interview: Huda El Haj Said
Die erste Zeit nach der Diabetes-Diagnose ist für die damals achtjährige Huda El Haj Said wie ein Abenteuer und weckt ihr medizinisches Interesse. Schon bald ist klar: Sie möchte Ärztin werden. Doch mit dem Beginn der Pubertät hat sie nicht nur mit dem Erwachsenwerden zu kämpfen, sondern auch damit, ihren Diabetes zu akzeptieren. Einen „Klick-Moment“ hat sie kurz nach dem Abitur: „Mir wurde klar, dass es nur eine Zukunft mit Diabetes gibt, ob ich möchte oder nicht.“

Mit Worten eine Brücke bauen
Zu dieser Zeit wird Huda El Haj Said auch Teil der Diabetes-Community und lernt zum ersten Mal andere Menschen in ihrem Alter kennen, die mit Diabetes leben. Neben der Poesie, die sie auf Instagram teilt, schreibt sie nun auch Artikel, in denen sie ihre Gedanken und Herausforderungen mit dem Diabetes verarbeitet. Dass das nicht nur ihr selbst, sondern auch anderen hilft, bedeutet ihr viel. „Worte haben mir schon immer geholfen, eine Brücke zu bilden (…)“, erklärt die Slam-Poetin und Autorin.
Ein sicherer Raum für Patienten
Derzeit nimmt jedoch vor allem das Schreiben ihrer Doktorarbeit die Zeit der angehenden Ärztin in Anspruch. Das Thema ist der Umgang mit Diabetes-Disstress, also den psychosozialen Belastungen durch Diabetes, bei Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Nach ihrem Abschluss möchte Huda El Haj Said mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und dabei durch sensible Sprache einen Raum schaffen, in dem sich ihre Patienten gesehen und unterstützt fühlen.
Diabetes-Anker (DA): Huda, wie lange lebst du schon mit deinem Typ-1-Diabetes und wie war die Zeit nach der Diagnose für dich?
Huda El Haj Said: Jetzt im August werden es 16 Jahre. Ich habe die Diagnose 2009 bekommen, da war ich acht Jahre alt. Die Zeit direkt nach der Diagnose war aufregend. Es hat mich sehr fasziniert, alles zu meinem Diabetes zu lernen. Es war natürlich viel und es waren auch Ängste dabei, aber die allererste Zeit war wie ein kleines Abenteuer. Ich habe plötzlich viel Aufmerksamkeit bekommen, alle haben mich gelobt, wenn ich etwas gut hinbekommen habe. Deswegen habe ich die erste Zeit nicht negativ in Erinnerung.
DA: Mit welcher Therapie hast du begonnen?
Huda El Haj Said: Damals habe ich einfach mit Insulinspritzen und blutig Messen begonnen, weil es hieß, dass ich mit acht Jahren schon zu alt wäre für eine Insulinpumpe und die Krankenkasse das niemals genehmigen würde. Es hat dann noch vier Jahre gedauert, bis ich mit 12 Jahren meine erste Pumpe bekommen habe. Heutzutage benutze ich ein AID-System.
DA: Bist du mit der Pumpe von Anfang an gut zurechtgekommen?
Huda El Haj Said: Dadurch, dass ich die Pumpe sehr lange unbedingt wollte, bin ich damit gut zurechtgekommen. Allerdings wurde der erste Antrag, den ich gestellt habe, abgelehnt. Dann haben wir einen Widerruf eingelegt. Ich habe damals mit 12 einen Brief an die Krankenkasse geschrieben, warum ich unbedingt diese Pumpe haben möchte. Das Dokument habe ich noch. Ich war sehr froh, als ich sie dann bekommen habe.
DA: Wie kam es dazu, dass du doch noch eine Pumpe bekommen hast, weil du sagtest, dass es erst hieß, du wärst schon zu alt für dafür?
Huda El Haj Said: Das war damals die Aussage vom Krankenhaus. Dort haben sie gar nicht versucht, überhaupt einen Antrag zu stellen. Ich habe relativ früh vom Krankenhaus in eine Diabetespraxis gewechselt. Die fehlende Unterstützung war für mich damals ein Grund, aus dem ich nicht weiter an das Krankenhaus angebunden sein wollte. Die Praxis war da anders. Dort haben sie mir klar gesagt: Wir machen das, aber wir stellen dich die ersten Jahre auf Pens ein, damit du damit auch gut umgehen kannst. Dann hat es wie gesagt zwei Anläufe gebraucht, aber ich habe die Pumpe bekommen.
„Diabetes ist keine kleine Mission, die man eben mal erledigt, sondern das ist für immer.“
DA: Welche Herausforderung gab es noch im Laufe deines Lebens in Bezug auf den Diabetes und was hat dir geholfen, damit umzugehen?
Huda El Haj Said: Es gab viele Herausforderungen. Das, was am Anfang gut funktioniert hat, ist gekippt, als ich realisiert habe: Diabetes ist keine kleine Mission, die man eben mal erledigt, sondern das ist für immer. Ich hatte einen sehr klassischen Verlauf: Die Pubertät begann und alles ging bergab. Ich hatte viel zu kämpfen mit der Diabetes-Akzeptanz und mit dieser Verantwortung. Einerseits waren meine Eltern immer weniger involviert und wollten auch, dass ich selbstständig werde, ich war aber gleichzeitig überfordert damit und habe mich von allen Seiten ein bisschen alleingelassen gefühlt.
Ich hatte auch keinerlei Kontakt zu anderen Menschen mit Diabetes, dadurch, dass ich aus dem Kinderkrankenhaus raus und in die Praxis gewechselt war, die eigentlich für Erwachsene war. Dementsprechend war jeder, sowohl mein Team als auch meine Eltern, ein bisschen überfordert mit mir, inklusive mir selbst, weil ich meine Therapie in diesen Jahren der Pubertät nicht so umgesetzt habe, wie es sich gewünscht wurde. Ich habe mich wie eine Versagerin gefühlt, weil ich gar keinen Vergleich hatte und nicht wusste, dass das eine Sache ist, die vielleicht sogar normal ist, die viele durchmachen. Es war sehr schwer für mich und keine schöne Zeit.
DA: Was hat dir geholfen, aus dieser Phase herauszukommen?
Huda El Haj Said: Es war eine Mischung. Ich habe meinen ersten Sensor bekommen, da war ich 16 Jahre alt. Das war damals ein großer Schritt, dass ich nicht mehr blutig messen musste und immer diesen Wert hatte, den ich mir angucken konnte. Dadurch war die Konfrontation mit dem Diabetes einfacher, weil es nicht mehr so eine bewusste Entscheidung war, die man jeden Tag treffen musste, sondern es lief nebenbei. Aber ich habe trotzdem nur das Minimum gemacht, nicht mehr.
Einen richtigen Klick-Moment hatte ich, als ich 18 wurde. Ich habe zu dieser Zeit gerade mein Abi gemacht und war dabei zu planen: Wo studiere ich? Wann ziehe ich aus? Es ging viel um die Zukunft, darum, was ich mit mir anfangen möchte, mit meinem Leben. Ich habe lange gedacht, dass ich, solange ich Diabetes habe, nicht glücklich sein kann, weil es immer eine Last gibt, die auf mir liegt. Dann war aber irgendwann der Moment da, in dem ich realisiert habe, dass es so viel gibt, was auf mich wartet. Mir wurde klar, dass es nur eine Zukunft mit Diabetes gibt, ob ich möchte oder nicht. Das Einzige, was ich tun konnte, war, das in den Griff zu kriegen, damit ich das Leben genießen kann.
Zeitgleich bin ich auch in die Diabetes-Community reingestolpert und wurde gefragt, ob ich für die Blood Sugar Lounge schreiben möchte. Da habe ich mit den DIAlogen angefangen, in denen ich meinen Diabetes personifiziert habe, ihm eine Brokkoli-Frisur gegeben habe, weil ich Brokkoli nicht ausstehen kann, und ihn einen unfreiwilligen Mitbewohner genannt. Ich habe Artikel geschrieben, in denen man das, was ich gerade erzählt habe, nachverfolgen kann – vom ersten Moment, wo ich mich widerwillig zu dem Diabetes setze, bis zu dem, in dem wir einen Weg miteinander gefunden haben.
DA: Wie genau bist du Teil der Community geworden?
Huda El Haj Said: Ich hatte einen Instagram-Account, auf dem ich meine Gedichte und Texte gepostet habe, gar nicht Diabetes-bezogen, nur in meiner Biografie stand Insulin-Junkie. Ich habe angefangen, Accounts der Diabetes-Community zu folgen, und dann hat mich eine der Autorinnen der Blood Sugar Lounge angeschrieben. Das war im August 2019 und im September war ein Barcamp in Frankfurt, zu dem ich eingeladen wurde.
Das war das erste Mal, dass ich andere Menschen mit Diabetes kennengelernt habe, Menschen, die waren wie ich, die dieselben Probleme und Gedanken hatten und die all das verstanden haben, was ich so lange versucht habe, den Menschen in meinem Leben zu erklären. Dies war ein prägender Punkt für mich. Seitdem bin ich überall so ein bisschen mit dabei.
DA: Du bist auch Slam-Poetin, Autorin und du hast eben schon erzählt, dass du einen Instagram-Kanal hast, auf dem du Gedichte und Texte gepostet hast. Wie kam es dazu?
Huda El Haj Said: Ich hatte immer schon eine Verbindung zu Worten. Das hat damit angefangen, dass ich viel gelesen habe. In der Grundschule habe ich die ersten eigenen Geschichten geschrieben und in der Klasse verteilt. Ich habe bereits in einem jungen Alter angefangen, über ernste Themen zu schreiben. Mit 13 oder 14 habe ich begonnen, an meinem Roman zu arbeiten, der auch rauskam. Darin geht es um Kinderdemenz und die Beziehung zwischen der großen Schwester und der kleinen, die betroffen ist.
Ich hatte durch meine Diagnose sehr früh ein medizinisches Interesse und habe letztendlich Medizin studiert. Ich habe Medizin und Schreiben oft verbunden. In der Medizin gibt es immer einen Menschen, der vor einem sitzt mit seiner Lebensgeschichte, und die habe ich versucht, in Worte zu packen, um sie weitergeben zu können, und auch, um für mich ein Zuhause zwischen den Zeilen zu schaffen, wo ich dazugehöre. Dass ich das in Form von Poesie nach außen getragen habe, ist einfach passiert. Ich habe es ausprobiert und gemerkt, dass es mir viel Spaß macht, auf der Bühne zu stehen und Texte vorzutragen.
DA: Also haben Schreiben und Sprache dir im Umgang mit deinem Diabetes geholfen?
Huda El Haj Said: Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich sehr lange dagegen gesträubt, über Diabetes zu schreiben, weil ich so wenig wie möglich damit zu tun haben wollte. Durch die Blood Sugar Lounge ist aber dieses Ventil entstanden und das hat mir sehr geholfen. Nicht nur, alles in Worte zu packen und damit auch für mich greifbarer zu machen, sondern, es auch teilen zu können, die Reaktion anderer Menschen zu sehen. Wenn eine Nachricht kam wie „Das hat mich total berührt, ich habe mich darin wiedergefunden“, hat mir das sehr viel bedeutet. Es bleibt meine Art und Weise, mich auszudrücken.
Gleichzeitig ist Sprache auch besonders für mich, weil ich zwischen zwei Sprachen lebe. Zu Hause ist es das Arabisch, in meinem Alltag drücke ich mich mehr auf Deutsch aus und fühle mich damit wohler. Das Leben zwischen zwei Welten zieht sich durch, auch in Bezug auf den Diabetes. Auf der einen Seite ist mein Leben mit Diabetes, aber auf der anderen Seite auch ganz viel, was nichts mit Diabetes zu tun hat. Worte haben mir schon immer geholfen, eine Brücke zu bilden zwischen diesen Realitäten.
„Gerade fokussiere ich mich auf meine Doktorarbeit. Ich schreibe über Diabetes-Disstress, also die psychosozialen Belastungen in einem Leben mit Diabetes bei jungen Erwachsenen.“
DA: Inwiefern haben deine libanesischen Wurzeln und dein Glaube den Diabetes beeinflusst beziehungsweise den Umgang mit der Erkrankung?
Huda El Haj Said: Da gibt es sowohl Positives als auch Negatives. Herausfordernd war, dass meine Eltern wenige Ressourcen hatten, wenig Wissen, wenig Netzwerk, weil sie zum Zeitpunkt meiner Diagnose nicht wussten, was Typ-1-Diabetes ist. Das war für sie diese Krankheit, die alte Menschen bekommen. Die waren total vor den Kopf gestoßen und wussten zum Beispiel nicht, dass es die Community gibt, die sowohl mir als auch ihnen helfen würde. Sie waren ja auch allein mit dem Ganzen.
Leider ist es so, dass Stigmatisierung noch oft im Vordergrund steht. Für sie war der Diabetes eine Sache, die man lieber verstecken sollte, über die man nicht öffentlich und laut spricht, weil es gesellschaftlich leider so vermittelt wird. Das hat sehr stark dazu beigetragen, dass es lange gedauert hat, bis ich einen Zugang gefunden habe. Gleichzeitig fehlten meinen Eltern die Mittel zu lernen, dass es auch anders gehen kann. Was mir eine große Stütze war, ist mein Glaube. Darin konnte ich einen Halt finden, ein Vertrauen. Insgesamt gab es trotz der Konflikte auch viel Liebe in meiner Familie, viel Fürsorge und Zuwendung – und kulturell bedingt einen sehr starken Familienbund, der geholfen hat.
DA: Du hast für den Diabetes-Anker bereits einen Community-Beitrag zum Thema Ramadan und Diabetes geschrieben. Was waren oder sind denn kurz zusammengefasst in diesem Zusammenhang die Herausforderungen für dich?
Huda El Haj Said: Es hieß immer, Fasten mit Diabetes geht nicht und es ist viel zu gefährlich. Dann habe ich aber irgendwann jemanden getroffen, der es einfach getan hat. Natürlich muss ich nicht fasten, weil es schwieriger ist als ohne Diabetes. Aber es geht um eine spirituelle Verbindung, nach der ich mich sehne. Es geht um Zugehörigkeit, wenn zu Hause alle fasten. Vor allem als ich jünger war, habe ich mich ausgeschlossen gefühlt. Das sind Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, dass man mich es einfach hätte ausprobieren lassen. Dass es verboten war, hat die Sehnsucht nur noch größer gemacht. Jetzt bin ich älter und kann das besser differenzieren, aber in so jungen Jahren möchte man nicht diejenige sein, die heraussticht.
DA: Kommen wir nochmal zu deinem jetzigen Leben zurück. Du hast Medizin studiert?
Huda El Haj Said: Genau, aber ganz fertig bin ich noch nicht. Ich bin „scheinfrei“, das heißt, dass ich alle Prüfungen in der Uni fertig habe. Jetzt folgen das zweite Staatsexamen, das praktische Jahr und das dritte Examen. Gerade fokussiere ich mich auf meine Doktorarbeit. Ich schreibe über Diabetes-Disstress, also die psychosozialen Belastungen in einem Leben mit Diabetes bei jungen Erwachsenen. Ich habe auch einen Vergleich gezogen zu Menschen mit Migrationsgeschichte. Gibt es Verhaltensweisen, die bei ihnen stärker oder weniger vorhanden sind, und wie wirkt sich das auf den Diabetes-Disstress aus? Es ist ein ordentlicher Exkurs. Wenn ich Menschen von meinem Forschungsprojekt erzähle, sagen sie oft, ich würde über mich schreiben.
DA: Möchtest du später in der Diabetologie arbeiten?
Huda El Haj Said: Ich möchte auf jeden Fall gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ich wäre gern die Ärztin, die ich früher gebraucht hätte. Vermutlich möchte ich nicht in die Diabetologie gehen, weil ich so schon viel mit Diabetes zu tun habe. Ich brauche auch Teile in meinem Leben, die etwas davon losgelöst sind. Hundertprozentig ausschließen will ich es nicht, weil ich nicht weiß, was sich entwickelt.
DA: Hatte der Diabetes Einfluss auf die Entscheidung, Medizin zu studieren?
Huda El Haj Said: Ich habe im Grunde genommen mit meiner Diagnose entschieden, dass ich Ärztin werden möchte. Ich habe noch einen Tagebuch-Eintrag, da war ich etwa 11 Jahre alt, in dem das schon steht. Es hat mich damals so fasziniert, dass im Körper etwas kaputt gehen kann, und diese ganzen Prozesse dahinter. Das habe ich mit der Diagnose das erste Mal erfahren und hatte viel Interesse daran. Hinzu kommt, dass diese Hemmschwelle, diese Angst vor Ärzten oder Krankenhäusern schnell verschwunden ist, weil es für mich zur Normalität wurde. Der Wunsch, Medizin zu studieren, wurde stark vom Diabetes mitgetragen. Er ermöglicht mir auch eine Perspektive, von der ich viel profitiere. Das ist wieder ein Spagat zwischen zwei Welten – Patienten und Ärzte.
„Ich wünsche mir mehr Aufklärung und Verständnis vor allem in den Familien bzw. dort, wo Diabetes immer noch etwas ist, das versteckt werden muss. Das erzeugt so viel Schaden. Hierbei ist auch Sprache wichtig. Ich habe deshalb an dem „Language-matters-Positionspapier“ mitgeschrieben.“
DA: Welche Rolle hat der Diabetes in deinem Medizinstudium gespielt?
Huda El Haj Said: Der Diabetes ist eine zusätzliche Aufgabe, die tagtäglich ansteht neben einem Studium, das einem definitiv schon genug Aufgaben gibt. Wenn man zum Beispiel gerade lernen möchte und dann unterzuckert, wird man rausgerissen aus dem Lernen. Wenn ich für ein paar Stunden im OP stehe, hoffe ich die ganze Zeit, dass mein Blutzucker nicht zu hoch oder zu niedrig ist. Das ist immer eine Tonspur, die nebenbei im Kopf mitläuft. Das betrifft jeden, der Diabetes hat. Aber mit Diabetes zu leben, hat auch viel Mehrwert gegeben für mein Studium. Ich habe dadurch einen Bezug und ein Verständnis für Patienten bzw. für den Umgang mit Patienten, die ich nicht missen wollen würde.
DA: Bist du von Anfang an offen mit deinem Diabetes umgegangen? Wie sind deine Kolleginnen und Kollegen damit umgegangen?
Huda El Haj Said: Ich bin ganz offen mit meinem Diabetes. Wenn ich irgendwo ein Praktikum gemacht habe, habe ich den Ärzten immer kurz Bescheid gegeben, vor allem im OP. Am Anfang war ich manchmal übervorsichtig und habe allen Bescheid gesagt. Heutzutage weiß ich, wer es wissen muss und wer nicht und auch, mit welchen Situationen ich umgehen kann, ohne dass jemand Bescheid weiß – aber nicht, weil ich denke, ich muss etwas verstecken, sondern weil ich mir überlege, ob es für die Situation notwendig ist. In diesem medizinischen Bereich wurde mir immer viel Neugierde entgegengebracht, vor allem in Bezug auf Sensoren und Pumpen sind viele interessiert.
DA: Freut dich das eher oder stört dich das auch manchmal?
Huda El Haj Said: Ich rede gerne über den Diabetes, das stört mich nicht.
DA: Hilft dir dein medizinisches Wissen im Umgang mit deinem Diabetes oder setzt dich das auch manchmal unter Druck?
Huda El Haj Said: Das Wissen vermittelt mir viel Sicherheit. Mich bringt so schnell nichts in Panik, was Diabetes angeht, weil ich mit allem irgendwie umgehen kann und die Ressourcen dafür habe. Natürlich können das auch Menschen mit Diabetes ohne umfangreiches medizinisches Wissen, aber es ist ein zusätzlicher Faktor, der mich beeinflusst. In Vorlesungen wird man viel mit den möglichen Folgen von Diabetes konfrontiert und muss erst lernen, sich davon nicht verrückt machen zu lassen.
DA: Was wünschst du dir generell vom Gesundheitssystem und auch in deiner Rolle als Ärztin für die Zukunft in Bezug auf den Diabetes?
Huda El Haj Said: Ich wünsche mir mehr Aufklärung und Verständnis vor allem in den Familien bzw. dort, wo Diabetes immer noch etwas ist, das versteckt werden muss. Das erzeugt so viel Schaden. Hierbei ist auch Sprache wichtig. Ich habe deshalb an dem „Language-matters-Positionspapier“ mitgeschrieben. Die Art und Weise, wie wir sprechen, ist die Art und Weise, wie wir denken, und da ist es mir wichtig, Sprache zu benutzen, die den Raum dafür erschafft, dass man sich anvertrauen kann, dass man über Herausforderungen sprechen kann, dass man nicht die ganze Zeit Angst haben muss, verurteilt zu werden oder sich rechtfertigen zu müssen. Was ich mir wünschen würde, ist, dass die Patienten nicht vor mir oder anderen Ärzten sitzen wie in einem Gerichtssaal, wo sie Angst haben müssen, verurteilt zu werden, sondern die Möglichkeit besteht, gemeinsam daran zu arbeiten und zu gucken, was gebraucht wird.
DA: Was würdest du jemandem, der frisch mit Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde oder schon länger mit Diabetes lebt und Schwierigkeiten hat, damit umzugehen, raten?
Huda El Haj Said: Was ich als Erstes sagen würde, weil ich mir im Nachhinein sehr wünsche, dass ich es mehr getan hätte, wäre: Sei gnädig mit dir. Es ist nicht einfach. Mit Diabetes lebt man jeden Tag, ununterbrochen, ohne Pause. Ich habe immer gedacht, es gäbe diesen perfekten Menschen mit Diabetes, der das alles hinkriegt, und ich muss das unbedingt erreichen, sonst bin ich die größte Versagerin. Geholfen hat mir zu realisieren, dass es in Ordnung ist, wenn man Schwierigkeiten hat, und dass es Menschen gibt, die einen verstehen, und dass man damit nicht allein ist. Es braucht seine Zeit, das zu akzeptieren, zu lernen, wie man damit umgeht, und dass man es selbst in den Momenten, in denen man total frustriert ist und am liebsten heulen würde, schafft, innezuhalten und sich daran zu erinnern, wie unfassbar viel man jeden Tag leistet.
DA: Was machst du gerne in deiner Freizeit, unabhängig vom Diabetes?
Huda El Haj Said: Ich liebe Eiskunstlauf, das mache ich sehr gerne sowohl selbst als auch angucken. Ich lade gerne Freunde ein und koche für sie. Ansonsten mache ich generell viel Kreatives wie Häkeln. Ich versuche, mir so Ausgleich zu schaffen.
DA: Herzlichen Dank, Huda.
von Janina Seiffert
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