Hype um die „Diabetes-Barbie“: Zwischen Repräsentation und „Blue Washing“

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Hype um die „Diabetes-Barbie“: Zwischen Repräsentation und „Blue Washing“ | Foto: © Mattel, Inc.; 2025
Foto: © 2025 Mattel, Inc.
Community-Beitrag
Hype um die „Diabetes-Barbie“: Zwischen Repräsentation und „Blue Washing“

Die neue „Diabetes-Barbie“ sorgt für Aufsehen: Für die einen ist sie ein wichtiger Schritt zu mehr Repräsentation chronischer Erkrankungen, für die anderen reines „Blue Washing“. Zwischen Hoffnung und PR-Strategie entbrennt eine Debatte über Sichtbarkeit und Inklusion. Kathy Tugend gibt daher eine persönliche Einordnung.

Anfang Juli 2025 stellte der US-amerikanische Spielzeugkonzern Mattel eine neue Puppe seiner „Fashionistas“-Serie vor: „Diabetes-Barbie“. Ausgestattet mit Insulinpumpe und Sensor, gekleidet im blauen Kleid – die Farbe der internationalen Diabetes-Community. Begleitet wurde die Markteinführung von einer großangelegten Marketingkampagne mit vielen Botschafter:innen aus der weltweiten Diabetes-Community. Viele reagierten begeistert, sofort wurde wieder deutlich, wie wichtig Repräsentation ist.

Doch nicht alle reagierten uneingeschränkt positiv – auch ich sah sofort einige Kritikpunkte. Denn trotz meiner Überzeugung, dass Sichtbarkeit für Menschen mit chronischen Erkrankungen wichtig ist, blieb ein fader Beigeschmack. Warum?

Diversität als Marketingstrategie

Mattel zählt mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden US-Dollar zu den weltweit größten Playern. Doch auch Marktführer kämpfen: Wirtschaftskrisen, Imageprobleme und veränderte gesellschaftliche Erwartungen fordern Reaktionen. Barbie ist seit 1959 fester Bestandteil vieler Kinderzimmer, steht aber seit den 1990er Jahren in der Kritik: wegen ihrer unrealistischen Körpermaße, des transportierten Frauenbildes, der Billigproduktion in China und Schadstoffskandalen.

Die Reaktion des Konzerns: Imagekampagnen und Diversität als fester Bestandteil der PR-Strategie. Die „Black Barbie“ feierte ihr Debüt im Jahr 1980. Es dauerte aber, bis für Mattel Diversität sich nicht nur aus Haut- und Haarfarbe bestand. Die erste Barbie mit Behinderung war “Share-a-Smile Becky”, eine Puppe im Rollstuhl, die 1997 auf den Markt kam. In den letzten Jahren nahm diese Marketingstrategie Fahrt auf. Es gibt nun Barbies mit Trisomie 21 (Down-Syndrom), mit Blindenstock, Hörgerät und nun auch eine mit Insulinpumpe. Vielfalt verkauft sich!

Die „Diabetes-Barbie“: Fortschritt mit Verfallsdatum

Mit der „Diabetes-Barbie“ rückt nun Diabetes Typ 1 ins Rampenlicht. Entwickelt wurde das Modell in Kooperation mit der US-Organisation „Breakthrough T1D HQ“. Das mediale Echo ist groß, vor allem in der Community selbst. Doch die Nachhaltigkeit bleibt fraglich. Die bisherigen Diversitäts-Barbies sind Beispiele für kurzfristige Aufmerksamkeit ohne langfristige Ziele, Inhalte oder Projekte. Nach Kampagnenstart verblassen Botschaft und gesellschaftlicher Diskurs.

Denn Diversität wird bei Mattel oft zur Marketing-Staffel: Ist eine Nische medial bespielt, folgt das nächste Modell. Ohne langfristige Bildungsangebote, ohne dauerhafte Präsenz in Medien oder Projekten. Damit führt der vielzitierte Weg zur Inklusion in eine Sackgasse. Nur im Kleinen wirkt die Repräsentation, denn es kann keinem Menschen mit Diabetes Typ 1 mehr genommen werden, dass er oder sie sich durch diese Barbie gesehen fühlte. Das ist genauso wichtig.

Wenn Diversität zum Accessoire wird

Die „Diabetes-Barbie“ reiht sich optisch nahtlos in Mattels Standardwelt ein: schlank, makellos, stilbewusst. Sensor und Insulinpumpe erscheinen mehr als modische Accessoires, denn als sichtbares Krankheitsmerkmal. Nur wenige Modelle, wie z. B. die Barbies mit Beinprothese oder Vitiligo, durchbrechen das klassische Barbie-Körperbild ansatzweise. Aber die unnatürliche Taille der Barbiepuppe und die überproportionale Brust bleiben unangetastet. Diversität ist ein abnehmbares Gimmick, die Körper bleiben im Barbie-Ideal geformt.

Hier zeigt sich das Kernproblem: Repräsentation bleibt oberflächlich, das Design ist oft nicht zu Ende gedacht. Statt Teil einer Bildungsstrategie wird Behinderung zum verkaufbaren Produktdetail. An dieser Stelle entsteht für mich auch ein moralischer Konflikt, der meine Kritik ergänzt. Ist es akzeptabel, dass ein Unternehmen Behinderungen und chronische Erkrankungen zur Imagepflege und als Verkaufsargument nutzt?

„Blue Washing“ oder notwendige Sichtbarkeit?

Mir kamen folgende Begriffe sofort in den Sinn: „Blue Washing“ oder „Purple Washing“ (violett ist die allgemeine Aktionsfarbe für Menschen mit Behinderung). Beides lehnt sich an den Begriff „Green Washing“ an, mit dem eine Marketingstrategie bezeichnet wird, bei der Unternehmen ihre Produkte oder Dienstleistungen als umweltfreundlicher darstellen, als sie tatsächlich sind.

Ähnlich ist es bei Mattel. Zwar hat das Unternehmen viele soziale Projekte, mittlerweile zahlreiche Barbies mit Behinderungen und sogar einen Ken im Rollstuhl, aber gerade die Kampagnen um die diversen Barbies sind punktuell.

Warum wir dennoch eine „Diabetes-Barbie“ brauchen

Die Debatte zeigt auch die Stärke des Moments. Denn das mediale Interesse rund um die „Diabetes-Barbie“ trägt Diabetes Typ 1 in eine breite Öffentlichkeit. Kommentare unter Social-Media-Posts offenbaren erschreckende Wissenslücken und Vorurteile: „Weniger Zucker essen“, „Mehr Sport machen“, „Selbst schuld“. Hier braucht es dringend Aufklärung, die Mattel auslässt, von den Botschafter:innen der Kampagne aber zumindest immer wieder platziert werden, solange die „Diabetes-Barbie“ im Rampenlicht steht.

Repräsentation, so ernüchternd die Marketingstrategie Mattels auch sein mag, wirkt. Sie schafft Sichtbarkeit und eröffnet Räume für Diskurs. Das sollten wir nicht unterschätzen und wenn es schon nicht von dem US-Unternehmen genutzt wird, dann doch immerhin von der Diabetes-Community.

Ob die „Diabetes-Barbie“ ein Schritt zu echter Teilhabe ist oder nur ein weiterer Marketing-Schachzug, das entscheidet sich nicht in den Werbekampagnen von Mattel. Sondern darin, ob wir diesen Moment nutzen, um Aufklärung und gesellschaftliche Akzeptanz nachhaltig voranzutreiben.


von Katharina Tugend aus der Community-Redaktion

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