DIAlog 5 – der Besuch

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© Kirchheim
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DIAlog 5 – der Besuch

„Ich möchte dich gerne meinen Eltern vorstellen.“

Der Diabetes starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

„Uhm…“, stottert er herum, „aber wir sind doch noch lange nicht mit der Renovierung fertig. Du kannst hier unmöglich jemanden einladen. Guck mal, ups…“ Und schon fiel eine Vase neben ihm krachend zu Boden.

Tatsache ist, dass ich ihm noch nicht mal großartig widersprechen konnte. Es sieht hier wirklich nicht gemütlich aus.

Der Diabetes fuhr fort: „Ich kapiere es außerdem nicht. Deine Eltern wissen doch schon seit Anfang an, dass es mich gibt.“

Den Diabetes und die Schuld verstecken

„Natürlich tun sie das, aber sie kennen dich nicht. Es ist so, als ob dich jemand fragen würde, wie das Gebäude aussieht, in dem du lebst, und du zeichnest ihm ein Nikolaushaus auf.“

Einfach den Diabetes herunterspielen. Mich nicht beschweren. Symptome von Über- oder Unterzuckerungen so sorgfältig verstecken, dass ich fast schon ausblenden konnte, wie schlecht es mir dabei eigentlich ging. Nicht darüber sprechen, ihm einfach keinen Raum geben. Schneller das Thema wechseln, als mein Blutzucker nach dem Besuch beim Weihnachtsmarkt in die Höhe schießen konnte.

Warnschild: Diabetes anwesend
Quelle: Huda Said

Meistens schob ich es darauf, dass ich meinen Eltern keine Sorgen machen wollte. Dass sie ja schon genug ertragen mussten. Aber vor allem fürchtete ich mich vor Schuldzuweisungen.

„Weißt du, ich kann es total verstehen. Du hast da dein Kind und es ist krank. Doch es kann trotzdem ein ziemlich gutes Leben führen, wenn es aufpasst und sein Medikament nimmt. Was macht das Kind stattdessen? Schmeißt dir förmlich eine Kriegserklärung entgegen.“ Ich warf dem Diabetes einen scharfen Seitenblick zu, aber der hob nur verteidigend die Hände.

„Ich kann verstehen, dass sie sich hilflos gefühlt haben und dass sie vielleicht wütend waren. Ich meine, ich habe mir selber Vorwürfe gemacht. Ich war mir doch allem bewusst. Aber ich glaube, was mich damals am meisten gestört hat, war das Gefühl, sie enttäuscht zu haben.“

Ausnahmsweise sagt der Diabetes daraufhin nichts und so schweigen wir ein wenig gemeinsam.

Wir beide wissen nicht, ob man in so einer Situation etwas richtig machen kann, ob es nicht vorherbestimmt ist, überfordert zu sein. Eltern bleiben nun mal auch Eltern.

Zeit für Besuch

Als ich mich kurz gesammelt habe, spreche ich weiter: „Du hast damals einfach die Tür eingetreten und bist hineinmarschiert. Also dachte ich, das Beste wäre, genau diese Tür zweimal abzuschließen und noch drei Bretter davorzunageln. Wenn du nicht verschwinden willst, muss dich zumindest niemand außer mir sehen. Aber – und nimm mir das jetzt nicht übel – alleine bist du am schwierigsten zu ertragen. Darum werde ich nicht darauf warten, bis hier alles perfekt ist. Jeder kann selbst entscheiden, ob er sich bei diesem Anblick kreischend umdreht und wegrennt oder ob er einfach mit anpackt.“ Ich grinse ihn an und nach kurzem Zögern kommt ein Lächeln zurück. Der Diabetes würde die neue Aufmerksamkeit voll und ganz ausnutzen.

Die geöffnete Tür zum Diabetes und was sich dahinter verbirgt
Quelle: Huda Said

„Alles klar, es ist Zeit für Besuch“, gibt er endlich nach.

Und so versuche ich es. Ich erzähle von meinen Ängsten, meinem Frust, meinen Niederlagen. Von meinen Hoffnungen, meinen Zielen, meinen Erfolgen. Von den Gesprächen mit meinem Diabetes und dass mir das Hypobarcamp im vergangenen Oktober das Gefühl gab, etwas gefunden zu haben, was ich all die Jahre lang gebraucht hätte. Mal meinen Eltern, mal Freunden, mal auch einfach nur einer mysteriösen Ansammlung an Menschen, die sich irgendwie Blood Sugar Lounge nennt.

Ich erzähle davon, dass es noch lange nicht okay ist. Aber es ist okay, davon zu erzählen.

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  • gingergirl postete ein Update vor 1 Tag, 6 Stunden

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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  • hexle postete ein Update vor 2 Tagen, 10 Stunden

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 5 Tagen, 20 Stunden

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

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