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Ich drehte mich ein Stück weg. Vielleicht so? Nein, am Arm konnte ich ihn immer noch erkennen. Also Hand auf die Taille stützen. Toll, jetzt guckte er wieder an der Seite raus.
„Kannst du bitte mal einen Moment weggehen?“, motzte ich ihn schließlich an.
„Nö“, kam die plumpe Antwort vom Diabetes wieder.
Seufzend ließ ich meinen Blick über den Spiegel schweifen. Es war einfach unmöglich, ihn nicht überall zu entdecken. Da war noch hartnäckig der Kleber vom letzten Sensor übrig, die Einstichstellen säumten mich wie Sterne, das Insulin hatte es sich am Bauch zu gemütlich gemacht und die Pigmente auf der Rückseite meiner Unterschenkel waren irgendwie ein wenig verwirrt.
Es war nicht das Offensichtliche. Es war nicht das piepende Geräusch, bei dem gleich fünf Köpfe zu mir schnellten. Es war nicht die sich unter der Kleidung abzeichnende Pumpe. Es war noch nicht mal der schnelle Bolus mit dem Pen in der Bahn, weil es halt gerade nicht anders ging.
Das waren Momente, die vorübergingen. Was ist mit dem, das blieb? Was ist mit den Spuren auf uns?
Ich sah wieder zum Diabetes hinab. „Weißt du, wenn wir über dich und mich sprechen, über Liebe und Akzeptanz, dann geht es meistens darum, dass es keinen Grund dafür gibt, dich vor anderen verstecken zu müssen. Und das stimmt auch. Aber manchmal würde ich dich gerne vor mir selbst verstecken, würde dich gerne mal nicht sehen, würde dich gerne aus meiner Haut radieren. Manchmal will ich doch einfach nur wissen, was sich unter dir verbirgt.“
Der Diabetes hob verwirrt sein Bein hoch und begutachtete den Boden.
„Nicht so“, lachte ich und schloss die Augen, „sondern so.“
Ein Herzschlag. Wäre auch ein wenig beunruhigend, wenn nicht. Einatmen. Ausatmen. Kurze Erinnerung an den Geruch von frischer Luft nach dem Regen. Blut durch den Kopf rauschend. Erstaunlich leise dafür, dass es einen guten Meter in einer Sekunde rennt. Sollte mir wohl Gedanken darüber machen, warum es so eine gute Ausdauer hatte und ich nicht. Das Mittagessen von vorhin grummelte nochmal kurz was vor sich hin. Natürlich gab es auch die weniger gesprächigen Gesellen. Sie hielten nicht viel von Smalltalk, sondern erledigten lieber gewissenhaft ihre Arbeit. Abgesehen von der Bauchspeicheldrüse, die hatte sich erfolgreich vor einer Aufgabe drücken können.
Wenn ich die Augen schloss, dann fragte ich mich nicht, ob all diese Wunder in mir hübsch aussahen. Ich sagte zu niemandem: „Hey, coole Leber, willst du mal meine sehen?“
Stattdessen hörte ich zu und war davon fasziniert, wie alles so stimmig miteinander funktionierte. Warum also bewundere ich das Innere meines Körpers und beurteile sein Äußeres, wenn doch jeder einzelne Fleck dieselbe Anerkennung verdient hätte?
Unter meinem Diabetes verbirgt sich lediglich die Erkenntnis, dass wir nicht dafür geboren wurden, um schön zu sein, sondern um zu leben.
Und all die Fußstapfen, die mein Mitbewohner während seiner Reise mit mir hinterließ, waren ein unglaublich kleiner Preis für unglaublich viele Tage.
Wenn ich also in den Spiegel blicke, dann behaupte ich nicht, ich würde alles an mir lieben. Stattdessen gestehe ich mir ein, dass mein Körper sich auch einfach mal kurz hässlich anfühlen darf – er hat genug mit mir und allem drumherum zu tun.
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