Diabetes im Straßenverkehr: Überarbeitete Leitlinie räumt mit Vorurteilen auf

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Diabetes im Straßenverkehr: Überarbeitete Leitlinie räumt mit Vorurteilen auf | Foto: Rostislav Sedlacek – stock.adobe.com
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Diabetes im Straßenverkehr: Überarbeitete Leitlinie räumt mit Vorurteilen auf

Die aktualisierte DDG‑Leitlinie zeigt: Moderne Therapien und Technik machen das Fahren und Agieren im Straßenverkehr für Menschen mit Diabetes heute sicherer denn je. Zugleich fordern Experten, veraltete Regeln und pauschale Berufsverbote, die teils noch auf Vorurteilen beruhen, endlich zu überarbeiten.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat ihre Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ aktualisiert – und schafft damit ein neues Fundament für mehr Sicherheit, Fairness und Teilhabe im Straßenverkehr und Berufsleben. Moderne Therapien und digitale Hilfsmittel haben die Selbstkontrolle von Menschen mit Diabetes in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Gleichzeitig zeigt die Leitlinie: Viele rechtliche Regelungen basieren noch immer auf überholten Annahmen.

Fortschritt in der Diabetestechnologie senkt Risiken

Seit 2017 haben sich sowohl Therapie als auch Technik deutlich weiterentwickelt. Friedrich W. Petry, u.a. Diabetologe und Verkehrsmedizin aus Wetzlar, betonte, dass viele Menschen mit Typ-2-Diabetes heute entsprechend den geltenden Leitlinien Medikamente erhalten, „die kaum oder fast keine Unterzuckerung mehr auslösen“.

Zudem nutzen immer mehr Betroffene vor allem mit Typ-1-Diabetes kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM) oder automatisierte Insulinpumpen (AID-Systeme). Diese Systeme warnen frühzeitig vor kritischen Werten und können Insulin teils automatisch anpassen. Laut Petry, der an der Leitlinie mitgearbeitet hat, treten Unterzuckerungen dadurch „nicht mehr unkontrolliert auf, sondern sind frühzeitig abzufangen“.

Das größte Risiko im Straßenverkehr bleibt die schwere Unterzuckerung. Doch aus Sicht der Leitliniengruppe hat sich das Unfallrisiko durch moderne Therapieformen, Technik und Schulungen „seit der letzten Auflage deutlich reduziert“. Insgesamt sei das Unfallrisiko bei Diabetes moderat und werde „besonders dann überschätzt, wenn spektakuläre Unfälle öffentlich werden“, unterstrich Petry.

Klare Empfehlungen für sicheren Alltag am Steuer

Die Leitlinie formuliert einfache, aber verbindliche Handlungsempfehlungen:

  • Vor Fahrtbeginn Glukose prüfen: Der Wert sollte laut Petry „90 mg/dl bzw. 5 mmol/l übersteigen“.
  • Bei Warnzeichen anhalten: Bei kritischen Werten unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) „sollte man die Fahrt sofort abbrechen und warten, bis der Glukosewert angestiegen ist“.
  • Unterzuckerungen entgegenwirken: Um etwaige zu tiefe Werte wieder zu erhöhen, empfehle es sich, stets schnell resorbierbare kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Traubenzucker, Fruchtsaft oder Limonade griffbereit im Auto zu haben.
  • Warnfunktionen aktivieren: Menschen mit CGM sollen Alarme einschalten und Trendpfeile beachten.
  • Technik nutzen – aber nicht blind: Petry warnt vor „blindem Vertrauen in die Technik“, da Sensoren auch fehlerhaft messen können.
  • Erhöhte Glukosewerte führen nicht automatisch zu einer Einschränkung der Fahreignung: „Nur wenn Konzentration, Reaktionen, Aufmerksamkeit oder Sehen beeinträchtigt sind, dann ist die Fahrsicherheit gefährdet.“

Ungerechtfertigte Berufsverbote: Leitlinie fordert Reformen

Neben der Fahrsicherheit rückt durch die Leitlinie die berufliche Teilhabe in den Fokus. Viele bestehende Vorgaben im Polizei-, Feuerwehr-, Luftfahrt- oder Transportwesen schließen Menschen mit Diabetes pauschal aus – oft allein aufgrund der Diagnose. Diese pauschalen Verbote seien nicht mehr zeitgemäß. Dr. med. Wolfgang Wagener erklärte: „Leider sind viele Vorgaben immer noch nicht an diese Neuerungen und an die Möglichkeiten, die auch Menschen mit Diabetes haben, angepasst.“

Andere Länder sind bereits weiter: „In den USA, im Vereinigten Königreich aber auch in Österreich dürfen Menschen mit Typ 1 Diabetes auch tatsächlich Flugzeuge fliegen“, so der Vorsitzende des DDG-Ausschusses „Soziales“ und Koordinator der Leitlinie. Er fordert deshalb, Menschen nicht nach Diagnosen zu beurteilen, sondern individuell. Es müsse immer eine konkrete Gefährdungsbeurteilung erfolgen. Ziel sei es, einen „diabetologisch zeitgemäßen Stand der Beurteilungen“ zu erreichen.

Alltag eines Betroffenen: Leistungsfähig – mit Verantwortung

Wie moderne Therapie echte Teilhabe ermöglicht, zeigte Jens Wicklein eindrucksvoll. Er lebt seit seinem 14. Lebensjahr mit Typ-1-Diabetes und ist heute Zollbeamter, Feuerwehrmann, Ausbilder und im Rettungsdienst aktiv. „Mit Disziplin, Verantwortungsbewusstsein und moderner Technik ist das fast alles möglich“, sagt er.

Früher wären viele seiner Tätigkeiten kaum denkbar gewesen: „Das Risiko einer Über oder Unterzuckerung war schon ständig präsent.“ Heute helfen Sensoren und Pumpen, doch Technik allein genügt nicht: „Entscheidend ist die Selbstdisziplin.“ Vorurteile erlebt er dennoch – etwa bei der Bundeswehr, wo er trotz guter Einstellung direkt abgewiesen wurde. Ablehnungen entstünden häufig, „wenn man nicht offen kommuniziert oder wenn das Gegenüber nicht bereit ist zuzuhören“. Sein Appell: „Gebt den Leuten eine Chance, die können das.“

Video der Pressekonferenz zur aktualisierten Leitlinie „Diabetes im Straßenverkehr“

Fazit: Mehr Sicherheit und mehr Fairness

Die neue Leitlinie zeigt klar: Menschen mit Diabetes sind grundsätzlich fahrtauglich – und moderne Technik macht sie im Straßenverkehr heute sicherer als je zuvor. Gleichzeitig fordert die DDG, dass berufliche Einschränkungen überprüft und an die medizinische Realität angepasst werden. Ziel ist es, Diskriminierungen abzubauen und individuelle Fähigkeiten statt Diagnosen in den Mittelpunkt zu stellen.

Oder wie Wicklein es zusammenfasst: „Diabetes ist kein Ausschlusskriterium. Entscheidend ist nicht die Diagnose, sondern der Mensch dahinter.“


von Gregor Hess

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mit Materialien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

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  • smc postete ein Update vor 2 Tagen, 2 Stunden

    Hallo zusammen, da ich Metformin nach vielen Jahren nicht mehr nehmen darf und Ozempic meine Bauchspeicheldrüsenwerte zu stark erhöht da, soll ich nun Forxiga bekommen. Habt ihr Erfahrung damit, besonders mit den Nebenwirkungen? Bin sehr verunsichert…

  • carogo postete ein Update vor 4 Tagen, 22 Stunden

    Hallo zusammen! Ich habe mich mit einer Freundin über die Rezepte in der Zeitschrift unterhalten und wir haben uns gefragt, was es eigentlich konkret mit den Nähwertangaben und der Unterscheidung zwischen Kohlenhydraten und anrechnungspflichtign KH auf sich hat?

    • Das wüsste ich auch gerne.

    • Liebe Carogo,
      anrechnungspflichtige KH sind Kohlenhydrate, die den Blutzuckerspiegel erhöhen. Es gibt auch KH, die nicht direkt blutzuckersteigernd wirken und damit für die Insulintherapie nicht oder nicht voll angerechnet werden müssen, wie bspw. Ballaststoffe oder KH, die nur sehr langsam den Blutzucker beeinflussen.
      VLG
      Gregor aus der Diabetes-Anker Redaktion

    • @gregor-hess: danke für die Antwort! Könntest du hierfür mal Beispiele nennen?

    • @carogo: Bei einigen Rezepten steht z.B. dass Gemüse bis 200g nicht angerechnet werden muss. Stimmt aber nicht immer und bei allen. Ich muss 200g Gemüse anrechnen egal welche Sorte.
      Bei kohlenhydratarmem Gemüse wie Paprika stimmt das aber für die meisten.

    • @moira: Wir alle wissen, dass Effekte von Ernährung sehr individuell sein können: Was bei dem einen sicher anzurechnen ist und zu Glukoseanstiegen führt, kann bei der anderen kaum Effekte auf die Glukosewerte auslösen. Deshalb gilt immer: Ausprobieren! Dennoch gibt es Standard-Angaben, die zumindest für einen großen Teil der Menschen mit Diabetes gelten, und das sind die genannten anzurechnenden Kohlenhydrate. Aber, wie gesagt: Es ist sehr individuell und deshalb sind beide Angaben, die der Gesamt- und die der anzurechnenden Kohlenhydrate, sinnvoll.
      LG Katrin

  • cesta postete ein Update vor 2 Wochen

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

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