Die Angst vor dem dicken Ende

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Die Angst vor dem dicken Ende

Klare – und altbekannte – Forderungen an die Politik stellen die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Ernährungsmedizin angesichts der Ergebnisse einer repräsentativen Eltern-Umfrage, die beide Institutionen Ende Mai vorgestellt haben: Sie fordern einen "Marshall-Plan für die Kindergesundheit", um die Folgen der Corona-Pandemie aufzufangen. Als Sofortmaßnahmen empfehlen die Experten eine Besteuerung von Zucker-Getränken, Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel und eine Stärkung der Adipositas-Therapie, die in Deutschland chronisch unterfinanziert sei.

Bedenkliche Tendenzen in Folge von Corona

Für die Studie hat das Meinungs-Forschungs-Institut Forsa im März und April 2022 insgesamt 1004 Eltern mit Kindern im Alter von 3 bis 17 Jahren befragt. Nach den Ergebnissen der Umfrage sind 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen seit Beginn der Pandemie dicker geworden, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 32 Prozent. Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen sind mit 23 Prozent doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichts-Zunahme betroffen wie Kinder und Jugendliche aus Einkommensstarken Familien.

44 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegen sich laut der Umfrage weniger als vor der Pandemie, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 57 Prozent. Bei 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen hat sich die körperlich-sportliche Fitness verschlechtert, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 48 Prozent. Bei 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen belastet die Pandemie die seelische Stabilität nach Einschätzung der Eltern "mittel" oder "stark". 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben die Medien-Nutzung gesteigert, 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen greifen häufiger zu Süßwaren als zuvor.

"Eine Gewichts-Zunahme in dem Ausmaß wie seit Beginn der Pandemie haben wir zuvor noch nie gesehen. Das ist alarmierend, denn Übergewicht kann schon bei Kindern und Jugendlichen zu Bluthochdruck, einer Fettleber oder Diabetes führen. Schon vor Corona waren 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht betroffen, 6 Prozent sogar von starkem Übergewicht", erklärt Dr. Susann Weihrauch-Blüher, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter der DAG. "Die Folgen der Pandemie müssen aufgefangen werden, sonst werden die ‚Corona-Kilos‘ zum Bumerang für die Gesundheit einer ganzen Generation. Die Stärkung geeigneter Therapie-Angebote, die alle Gruppen gleichermaßen erreicht, ist nun von enormer Bedeutung", fordert Prof. Dr. Hans Hauner, Direktor des EKFZ für Ernährungsmedizin.

Überfällige Verbote oder auf gutem Weg?

Die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) Barbara Bitzer kommentierte die Umfrage-Ergebnisse ganz ähnlich: "Die Corona-Kilos werden zu einer schweren Hypothek für eine ganze Generation. Die Ergebnisse der DAG-Elternbefragung sind alarmierend. Wie viele Studien, Umfragen und Fakten braucht es noch, damit die Politik gegensteuert und die Hersteller fettiger, süßer und salziger Produkte endlich in die Pflicht nimmt? Eine Hersteller-Abgabe auf stark zuckerhaltige Getränke und ein Werbeverbot für ungesunde Produkte, die sich an Kinder richten, sind längst überfällig. Im Gegenzug sollten gesunde Lebensmittel komplett von der Mehrwertsteuer befreit werden. Wir appellieren an die Bundesregierung, ernährungspolitisch nicht länger in der Warteschleife zu verharren, sondern schnelle und nachhaltige Entscheidungen zu treffen, von denen auch diese Generation noch profitiert."

Christoph Minhoff, der Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, der Branchen-Organisation der Lebensmittelhersteller, bezog deutlich defensiver Stellung zu den Ergebnissen: "Wir nehmen unsere Verantwortung ernst und appellieren, dass es andere genauso tun. Wir brauchen mehr Bewegungs-Angebote, auch kostenfreie für Menschen mit schmalerem Geldbeutel. Wir brauchen niedrigschwellige und Zielgruppen-gerechte Angebote in der Adipositas-Therapie und wir brauchen Maßnahmen, um junge Menschen mit ihren seelischen Problemen zu unterstützen."

Als Beleg für die Aktivitäten der Lebensmittelindustrie verwies Minhoff auf den Bericht "Produktmonitoring 2021", den das Max-Rubner-Institut (MRI) im Rahmen der Reduktions- und Innovationsstrategie der Bundesregierung im Mai vorgelegt hat. Hier hätten insbesondere Produkte, die sich in ihrer Aufmachung an Kinder richten, positive Ergebnisse verzeichnet, so der Verbands-Geschäftsführer. Das liest sich im Bericht des staatlichen Instituts deutlich weniger euphorisch. Insgesamt wurden für den Bericht fast 4500 Produkte untersucht. Über die Produktgruppen hinweg zeigt sich, dass Produkt-Untergruppen mit Kinderoptikim Vergleich zur jeweiligen Gesamtstichprobe bzw. zu entsprechenden Produkt-Untergruppen ohne Kinderoptik mehrheitlich niedrigere Energie- und Nährstoffgehalteaufweisen. Einige Produkt-Untergruppen mit Kinderoptik fallen jedoch laut MRI auch durch niedrige Gehalte an einem Nährstoff und gleichzeitig hohe Gehalte eines anderen Nährstoffs im Vergleich zu Produkten ohne Kinderoptik auf. So zeigen beispielsweise Nudelsoßen mit Kinderoptik den niedrigsten medianen Salzgehalt, aber den höchsten medianen Zuckergehalt innerhalb der Nudelsoßen. Ein Vergleich der Energie- und Nährstoffgehalte von Produkten mit Kinderoptik zwischen der Basiserhebung 2016 und der Folgeerhebung 2021 sei aufgrund der Stichproben-Größen nur für die Produktgruppen kalte Soßen und Feingebäck möglich. Auf Ebene der Gesamtstichproben der Produkte mit Kinderoptik zeigen sich signifikante Verringerungen der Gehalte an Energie und Fett (kalte Soßen) bzw. gesättigten Fettsäuren und Zucker (Feingebäck). Waffelgebäck mit Kinderoptik falle allerdings durch vergleichsweise hohe Fettgehalte auf, mahnt das MRI sogar in seiner Presse-Meldung zum Monitoring-Bericht.

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