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Jeder von uns setzt sich tagtäglich mit Essen auseinander: Sei es, indem man sich am Morgen ein Arbeitsbrot zubereitet, am Abend ein leckeres Gericht kocht oder in der Mittagspause mit den Kollegen beim Lieferanten bestellt.
Man kauft ein, man bereitet zu, man isst. Noch schnell den Abwasch erledigen. Fertig. Schön wär’s…
Für uns Diabetiker sieht das doch anders aus. Klar, auch wir gehen einkaufen, bereiten das Essen zu und, ja, wir bestellen auch mal beim Lieferanten oder holen uns eine ungesunde Mahlzeit am Imbiss um die Ecke. Aber eben anders. Anders in dem Sinne, dass wir nie essen können, ohne das Essen zu bewerten und darüber nachzudenken – und das macht es mir irgendwie schwer.
Ich meine nicht einmal das Blutzuckermessen, bevor ich mit dem Essen beginnen kann. Und ich meine auch nicht das Spritzen meines Insulins, nachdem ich gegessen habe. All das wird einem ja durch die heutige Medizin enorm erleichtert. Gewebezuckersensoren, Insulinpumpen, Patchpumpen – all das erleichtert das Diabetesmanagement natürlich enorm!
Es ist eher das Drumherum. Die Kommentare und Blicke der Mitmenschen, wenn es mal kohlenhydrat- oder zuckerreicher ist als gewohnt. Das Warten, wenn der Blutzucker gerade mal nicht „essenstauglich“ ist, und das Berechnen und Darübernachdenken, was und wie viel man gerade isst oder essen wird.
Irgendwie hatte ich in meiner Kindheit und Jugend oft das Gefühl, anhand meiner Kohlenhydrat- und Insulinmenge bewertet zu werden.
Oft habe ich Kommentare wie „Wahnsinn, jetzt hast du ja 8 KE gegessen, das ist ganz schön viel!“ gehört. Dabei meinten meine Mitmenschen das – so vermute ich – gar nicht böse. Ein gutes Brötchen mit Marmelade, ein Glas Saft und ein Joghurt, da kommen bei einem gemütlichen Frühstück ganz schnell mal 80 Gramm Kohlenhydrate zusammen. Aber ich habe mich irgendwie immer „bewertet“ gefühlt. 8 KE. Ganz schön viel. Du isst also viel, Lesley-Ann. Zu viel vielleicht?! Und das zieht sich bis heute durch mein Leben. Natürlich nicht täglich und ständig, aber eben immer mal wieder.
Die andere Sache ist der Spritz-Ess-Abstand. Da das Insulin nicht unbedingt schon wirkt, wenn die Kohlenhydrate den Blutzucker ansteigen lassen, muss ich eben spritzen und dann ein bisschen warten, bis ich esse. Ein anderer Punkt, der eigentlich ganz einfach ist: Ist der Blutzuckerwert nicht im Normalbereich, sollte ich als Diabetiker nichts mit Kohlenhydraten essen..
Es gab schon die eine oder andere Situation, in der wir als Familie gemeinsam Kuchen und Muffins verdrücken wollten, der Blutzucker meines Neffen aber nicht gut war und er dann als einziger von uns keinen Kuchen essen durfte. Er macht das absolut tapfer, keine Frage, aber mir zerreißt es jedes Mal das Herz. Oftmals sage ich ihm dann, dass wir ja „Zuckerfreunde“ sind und wir beide jetzt eben keinen Kuchen essen können, aber dafür schnappen wir uns später ein riesiges Stück und das wird dann besonders gut schmecken. Aber diese Ungerechtigkeit, die ich dann in diesem Moment spüre, ist nahezu unbegreiflich: Wieso muss der Blutzucker von ihm denn auch genau in diesem einen Moment, in dem wir Muffins mampfen wollen, zu hoch sein?! Wieder ein Moment, in dem Diabetes und Essen einfach nicht harmonieren…
Wie viele Kohlenhydrate stecken wo drin – klar, im Laufe der Jahre fängt man als Diabetiker an zu schätzen, ich wiege selten Reis oder Nudeln ab, weil ich mittlerweile ein ganz gutes Augenmaß dafür habe. Aber besonders Backwaren machen es mir schwer, weil sie sich so enorm unterscheiden. Bei meiner Diagnose habe ich damals gelernt, dass ein Brötchen zwei KE hat – und das immer. Das war einfach so. Inzwischen weiß ich es besser: Brezel ist nicht gleich Brezel und Brötchen nicht gleich Brötchen.
Oftmals nervt mich das Berechnen der Dinge, das „Forschen“, wie viele Kohlenhydrate da jetzt drinstecken. Das Nachdenken, ob man vielleicht lieber noch die verzögerte Aufnahme aufgrund des Fettes dazu berechnet.
Man kann eben als Diabetiker nicht einfach „drauflosessen“. Und ja, das nervt eben einfach.
Essen ist für mich im Laufe der Jahre einfach ein enorm großer Punkt in meinem Leben geworden. Natürlich in Bezug auf die Diabulimie und dem Streben nach einem körperlichen Ideal, aber auch in Bezug auf das Diabetesmanagement. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mal wieder eine Mahlzeit oder auch nur einen Snack zu mir nehmen, ohne vorher zu checken, ob das in Anbetracht meines Blutzuckerwertes geht, ohne vorher die Lebensmittel zu berechnen, ohne vorher einen Bolus dafür zu spritzen und ohne nach zwei Stunden zu prüfen, ob ich denn auch alles richtig berechnet habe.
Ich glaube, es ist wichtig, die Freude am Essen dennoch nicht zu verlieren. Ich für mich habe da einen Mittelweg gefunden: Ich achte auf meinen Blutzuckerwert vor dem Essen und ich berechne auch alle Lebensmittel nach bestem Wissen, aber ich sage mir selbst auch immer und immer wieder, dass der Körper keine Maschine ist. Ich kann heute und morgen haargenau das Gleiche essen, allem voran haargenau der gleiche Blutzuckerwert. Ja, sogar die Umgebung, die Gesellschaft, die Uhrzeit und das Wetter können haargenau gleich sein und TROTZDEM kann der Blutzuckerwert zwei Stunden nach dem Essen an dem einen Tag so und an dem anderen eben anders sein.
Was ich meine, ist, dass man das Diabetesmanagement absolut – und das ist wirklich wichtig – ernst nehmen soll, aber dass wir uns alle vielleicht auch ein Stück weit „entschleunigen“ sollten. Denn eins ist klar: Solange du dein Bestes gibst, hast du dir nichts vorzuwerfen! Manchmal ist Diabetes eben ein Miststück 😉
Annika brauchte nach ihrer Diabetes-Typ-1-Diagnose auch erst einmal Zeit, um den Genuss beim Essen wiederzufinden: Die Philosophie des Essens oder: Essen ist mehr als nur KH und BE
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