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Was es bedeutet, Typ-1-Diabetes zu haben, ist nicht leicht zu erklären. Einerseits, weil bis heute niemand sagen kann, was genau der Auslöser dieser Autoimmunerkrankung ist. Andererseits, weil es auch viel mit der individuellen Wahrnehmung zu tun hat. Und dann stellt sich die Frage: Wie krank bin ich mit Typ 1 Diabetes überhaupt? Oder gar: Bin ich eigentlich richtig krank?
Es gibt immer wieder Stimmen, die äußern, das sei eben nicht so. Durch das Zuführen von Insulin sei das Defizit des Körpers ja wieder ausgeglichen. Meistens sagen dies zwar Menschen, die selbst nicht betroffen sind, aber trotzdem ist es eine Meinung, die ich berücksichtigen möchte. Andere empfinden den Typ-1-Diabetes durchaus als Grund, sich „krank“ zu nennen. Schließlich ist der Diabetes eine ernsthafte Erkrankung des Immunsystems. Ich selbst sehe mich als krank an. Chronisch krank.
Anfang des Jahres war ich mehrere Wochen von Infekten außer Gefecht gesetzt. Erst hatte ich eine Erkältung, dann Magen-Darm-Probleme und dann ging die Erkältung weiter. Ich fühlte mich mies und wollte die ganze Zeit nur, dass es vorbeigeht – immerhin wusste ich, dass es vorbeigehen wird. In meinem Selbstmitleid zerfließend, stellte sich mir plötzlich wieder die Frage: Wie krank bin ich mit Typ-1-Diabetes überhaupt? Denn wenn ich eine schlimme Erkältung und Brech-Durchfall als „krank sein“ definiere, dann kann ich mich im Alltag nicht als „krank“ bezeichnen.
Jedes Mal, wenn mir Menschen nach einer Blutzuckerentgleisung „Gute Besserung“ wünschen, denke ich darüber nach, wie unangebracht das ist. Auch wenn mir bewusst ist, dass es nett gemeint ist. Oder auch der Satz: „Ich hoffe, du wirst schnell wieder gesund.“ Wie sollte mein Gegenüber das formulieren, damit ich es richtig verstehe? Natürlich werde ich nie wieder gesund sein, aber wäre ich glücklicher mit: „Ich hoffe, du hast bald wieder nur noch Diabetes!“? Sicher nicht.
Ich finde selbst keine richtige Antwort. Aber mich stresst der Gedanke, dass Menschen ohne Diabetes, den Krankheitsgrad der Menschen mit Diabetes nicht ernst nehmen. Eine Erinnerung, die immer aufkommt, wenn es um dieses Thema geht, ist folgende: Ich war den 2. oder 3. Tag wieder in der Schule, seit die Diagnose gestellt wurde. Ich bekam meine allererste Hypoglykämie.
Ich war nicht routiniert im Umgang damit und es stand Physikunterricht an. Und wie jeder weiß: In den Räumen für Naturwissenschaft wird nicht gegessen. Darum sagte ich dem Lehrer, dass ich eben draußen bleiben müsse und etwas essen würde und dann komme, wenn es mir besser geht. Und der Lehrer antwortete: „Aber ruh dich auf dem Diabetes jetzt nicht aus.“ Früher war ich noch so viel unsicherer und stiller als heute, darum habe ich ihm nur versichert, dass ich das nicht tun würde. Aber wenn ich jetzt daran denke, möchte ich ihm gerne anbieten, mal eine Info-Veranstaltung über Diabetes im Allgemeinen und Typ-1-Diabetes im Speziellen zu besuchen.
Wenn es aus Patientensicht im Bezug auf das Leben mit Diabetes eine Sache nicht gibt, dann ist es ausruhen.
Die Definition von „krank“ lautet: Im körperlichen oder geistigen Wohlbefinden beeinträchtigt, gestört; physisch oder psychisch leidend, nicht gesund*. Und genau das trifft es, mein Wohlbefinden ist beeinträchtigt, ich bin nicht gesund.
Als „chronisch krank“ gilt ein Mensch laut der „Richtlinie zur Definition schwerwiegender chronischer Krankheiten“, wenn eine Krankheit länger als ein Jahr andauert und wenigstens einmal pro Quartal behandelt werden muss.
Aber wie ich eine Antwort oder einen Begriff für das finde, was in meinem Alltag vor sich geht, weiß ich immer noch nicht. Ich fühle mich nicht jeden Tag, als hätte ich 40°C Fieber und eine Mandelentzündung. Dennoch bin ich den gesamten Tag damit beschäftigt, den Job eines ganzen Organs machen zu müssen.
Ich bin damit konfrontiert, dass dieses Organ nicht so funktioniert, wie es sollte. Und ohne jeglichen Leidvergleich möchte ich sagen, dass es schwer ist zu wissen, dass das im Gegensatz zu einer Erkältung nicht nach ein paar Tagen oder höchstens Wochen vorbei sein wird.
Ich bin chronisch krank.
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