Neue Hoffnung durch personalisierte Medizin: Meilenstein für die Prävention des Typ-1-Diabetes

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Neue Hoffnung durch personalisierte Medizin: Meilenstein für die Prävention des Typ-1-Diabetes | Foto: JenkoAtaman - stock.adobe.com
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Neue Hoffnung durch personalisierte Medizin: Meilenstein für die Prävention des Typ-1-Diabetes

Eine wegweisende Studie zeigt erstmals, dass die Wirksamkeit einer vorbeugenden Diabetes-Behandlung von den Genen des Kindes abhängt. Die Erkenntnisse liefern laut der beteiligten Forschenden einen Meilenstein für die personalisierte Prävention des Typ-1-Diabetes.

Typ-1-Diabetes ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter. Bisher galt die Autoimmunkrankheit, bei der das körpereigene Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse angreift, als nicht vermeidbar. Doch neue Forschungsergebnisse der POInT-Studie, die kürzlich im renommierten Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurden, geben Anlass zur Hoffnung. Eine orale Insulinbehandlung könnte den Ausbruch der Krankheit verzögern – allerdings nur bei bestimmten Kindern.

Die von der Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes (GPPAD) koordinierte Studie untersuchte über mehrere Jahre hinweg 1.050 Kinder mit erhöhtem genetischem Risiko. Sie wurde infünf europäischen Ländern durchgeführt. Das Besondere: Die Forscher verabreichten den Kindern bereits im Säuglingsalter täglich Insulinpulver, um das Immunsystem an das körpereigene Hormon zu gewöhnen und so eine Autoimmunreaktion zu verhindern.

Genetische Ausstattung entscheidet über Therapieerfolg

Obwohl das ursprüngliche Studienziel – eine generelle Reduktion der krankheitstypischen Autoantikörper – nicht erreicht wurde, brachten die Analysen überraschende Erkenntnisse zutage. „Die POInT-Studie könnte die Art und Weise verändern, wie wir antigenbasierte Therapien bei Typ-1-Diabetes einsetzen. Auch wenn die orale Insulintherapie die Bildung von Inselautoantikörpern nicht wie erhofft verhindert hat, deuten die Daten darauf hin, dass sie den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte”, erläutert Studienleiterin Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung bei Helmholtz Munich.

Der entscheidende Durchbruch lag in der Erkenntnis, dass die Wirksamkeit der Behandlung stark von der individuellen genetischen Ausstattung der Kinder abhängt. „Zum einen zeigte sich bei den Kindern, die oral Insulin erhalten hatten, eine Verzögerung des Übergangs zur klinischen Erkrankung – das ist bereits eine ermutigende Nachricht. Zum anderen fiel auf, dass der Behandlungseffekt stark von der genetischen Ausstattung der Kinder abhängt. Besonders bei Kindern mit Risikovarianten des Insulin-Gens für Typ-1-Diabetes scheint eine Verzögerung des Erkrankungsbeginns möglich zu sein. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für gezielte, personalisierte Präventionsstrategien”, erklärt Prof. Ziegler.

Ergebnisse liefern „Anlass zu vorsichtigem Optimismus“

Die genetischen Unterschiede zeigten sich besonders deutlich in den Behandlungseffekten. Prof. Dr. Ezio Bonifacio vom Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden präzisiert: „Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden hatte Varianten, die das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen. Bei diesen Kindern schützte die orale Insulinbehandlung vor der Entwicklung von Diabetes. Im Gegensatz dazu nahm bei Kindern ohne Risikovariante die Zahl der Inselautoantikörper unter der oralen Insulinbehandlung sogar zu.”

Diese scheinbar paradoxen Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer personalisierten Herangehensweise. „Auch wenn der genaue Mechanismus noch unklar ist, geben die Resultate Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Mit der gezielten Auswahl der zu behandelnden Kinder könnte es in Zukunft möglich sein, den Krankheitsverlauf entscheidend zu beeinflussen”, ergänzt Prof. Bonifacio.

POInT-Studie: Wegweisende Forschung mit Langzeitperspektive

Die Studie basiert auf einem beeindruckenden logistischen Aufwand: Um die 1.050 Hochrisiko-Kinder zu identifizieren, screeneten die Forscher fast 242.000 Säuglinge unter vier Monaten in Belgien, Deutschland, Polen, Schweden und Großbritannien. Mittels eines genetischen Risikoscores konnten etwa ein Prozent der Kinder als Hochrisikogruppe identifiziert werden – in Deutschland läuft dieses Programm unter dem Namen Freder1k.

Die POInT-Studie wird nun mit einer erweiterten Nachbeobachtung bis zum zwölften Lebensjahr der Teilnehmenden fortgesetzt. Bis zum sechsten Lebensjahr entwickelten bereits etwa zehn Prozent der Kinder die charakteristischen Autoantikörper, die bei der Mehrheit später in einen klinischen Typ-1-Diabetes übergehen. „Da POInT jahrzehntelange Pionierarbeit zum Verständnis und zur Prävention von Typ-1-Diabetes zusammenführt, stellt die Studie einen wichtigen wissenschaftlichen Meilenstein dar. Gleichzeitig folgt sie meiner persönlichen Mission: eine Welt ohne Typ-1-Diabetes”, betont Prof. Ziegler.

Wissenschaftliche Grundlage der oralen Immunintervention

Typ-1-Diabetes entsteht durch eine Autoimmunreaktion gegen insulinproduzierende Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Dieser Prozess beginnt häufig im frühen Kindesalter. Er ist durch spezifische Autoantikörper charakterisiert, wobei Insulin selbst oft im Zentrum der Immunreaktion steht.

Die Studienrationale basierte auf der Hypothese, dass eine orale Gabe hoher Insulindosen zur Entwicklung einer Immuntoleranz beitragen könnte, analog zu etablierten Ansätzen in der Allergieprävention. Zwischen dem vierten und siebten Lebensmonat erhielten die POInT-Teilnehmenden bis zum dritten Lebensjahr entweder täglich orale Insulinmengen (initial 7,5 mg, innerhalb von vier Monaten auf 67,5 mg gesteigert) oder Placebo. Die Nachbeobachtung erstreckte sich bis zum Alter von sechs Jahren und sechs Monaten.

POInT ist die erste randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie, die den Einfluss oraler Insulingabe auf die Entwicklung von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes bei Kindern mit erhöhtem Risiko untersucht. Die langfristige Zielsetzung liegt in der Identifikation pharmakogenetischer Zusammenhänge, die eine personalisierte Prävention ermöglichen könnten.


von Gregor Hess

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mit Materialien des Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)

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