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Wie kann es beruflich weitergehen, wenn die Sehkraft nachlässt oder gar ganz schwindet? Wir stellen das Berufsförderungswerk Würzburg vor. 10 Prozent der 200 Teilnehmer dort haben Diabetes. Einen von ihnen haben wir besucht – Jan Schulers Geschichte macht Mut!
Das Berufsförderungswerk (BFW) Würzburg mit Sitz in Veitshöchheim ist ein gemeinnütziges soziales Dienstleistungsunternehmen. Als eines von bundesweit vier BFW, die auf blinde und sehbehinderte Menschen spezialisiert sind, hat das Haus ein weitreichendes Einzugsgebiet mit dem Schwerpunkt Süddeutschland. Rund 200 Teilnehmer erarbeiten sich in Veitshöchheim eine berufliche Zukunft, fast 10 Prozent haben neben der Seheinschränkung auch Diabetes.
Die meisten der Teilnehmer im BFW waren bereits berufstätig. Aufgrund der Beeinträchtigung ihres Sehvermögens können sie ihre bisherige berufliche Tätigkeit nun nicht mehr weiter ausüben. Im BFW Würzburg erarbeiten sie sich neue Chancen, um auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
Schwerpunkte der BFW-Unterstützungsangebote sind individuelle Beratungen und auf blinde und sehbehinderte Erwachsene abgestimmte Qualifizierungsmaßnahmen der Fort- und Weiterbildung sowie der beruflichen Integration und Nachsorge. Parallel zur beruflichen Neuorientierung erhalten die BFW-Teilnehmer bei Bedarf ein spezielles Training zur Wiederherstellung der persönlichen Selbständigkeit und zum Erhalt des Arbeitsplatzes.
Psychotherapeutin Katharina Weidenbach vom BFW: “Eine plötzlich eintretende Sehleistungseinschränkung oder Erblindung stürzt die Betroffenen zunächst in ein tiefes Loch. Viele sind überzeugt, dass durch die Erkrankung ein selbständiges Leben oder die Rückkehr ins Berufsleben ausgeschlossen ist. Wir tun alles, um unsere Teilnehmer vom Gegenteil zu überzeugen.”
Mitarbeiter der Abteilung Reha- und Integrationsmanagement (RIM) des BFW Würzburg betreuen die Rehabilitanden vom ersten BFW-Tag an und haben zwei Arbeitsschwerpunkte: die soziale Betreuung der Teilnehmer und den regelmäßigen Kontakt zum Rehabilitationsträger sowie die Unterstützung bei der schnellen Rückkehr ins Berufsleben. Reha-Berater Dirk Karbstein sagt: “Die BFW-Teilnehmer wissen unsere Unterstützung sehr zu schätzen.”
Bei der in den ersten Wochen anstehenden Beantragung von Leistungen wie Blindengeld oder Hilfsmittelausstattung stehen Menschen mit Seheinschränkung vor einem doppelten Dilemma: “Das Ausfüllen der Formulare ist für Sehende nicht unkompliziert, mit plötzlicher Sehbehinderung wird es dann natürlich noch schwieriger”, sagt der Sozialpädagoge. Die RIM-Mitarbeiter erstellen auch den individuellen Förder- und Integrationsplan (FuI) für jeden Teilnehmer, unterstützen beim Finden des optimalen Berufsbildes, bei auftretenden Problemen im Unterricht etc.
Das Berufsbilder-Spektrum für die 200 Teilnehmer des BFW umfasst rund 15 Berufe, vorwiegend im kaufmännischen Umfeld und im Bürobereich: Büro- und Informatikkaufleute, Absolventen aus den Metallberufen oder aus dem Gesundheitssektor. Alle Berufe basieren auf PC-Arbeit, denn der Computer ist aus dem Berufsalltag blinder Menschen nicht wegzudenken. Durch die Braillezeile – die Brailleschrift ist eine Schrift aus tastbaren Punktmustern – ist es für Blinde problemlos möglich, am Computer zu arbeiten, zu lesen oder zu schreiben.
“Wir beraten, qualifizieren und integrieren”, sagt BFW-Geschäftsführer Christoph Wutz. Im ersten, beratenden Schritt klärt das BFW Neigung und Eignung des potentiellen Teilnehmers für ausgewählte Qualifizierungsmaßnahmen. Anschließend wird das weitere Vorgehen mit dem Betroffenen abgestimmt und eine Empfehlung an den jeweiligen Rehabilitationsträger ausgesprochen – meist Deutsche Rentenversicherung, Agentur für Arbeit oder Berufsgenossenschaften.
Nach Zustimmung des Reha-Trägers durchläuft der Großteil der stark Sehbehinderten und Blinden eine einjährige blindentechnische Grundrehabilitation. In dieser Zeit erlernen die BFW-Teilnehmer das Brailleschriftsystem und das blindheitsgemäße Arbeiten am Computer. Im Rahmen eines intensiven Mobilitätstrainings am Langstockerlangen die Rehabilitanden zudem wieder die nötige Selbständigkeit im Berufs- und Privatleben.
Menschen mit besserem Sehvermögen erwerben in einem Reha-Vorbereitungs-Lehrgang (RVL) Fähigkeiten im Umgang mit der eingeschränkten Sehfähigkeit. Diese umfassen das Bedienen des PCs ohne Zuhilfenahme der Maus, den effizienten Einsatz von Lupen, Vergrößerungssystemen und Bildschirmlesegeräten.
Im nächsten Schritt erfolgt die 6- bis 24-monatige Umschulung in den neuen Beruf. Das Ziel der beruflichen Wiedereingliederung wird in den meisten Fällen erreicht: Über 70 Prozent der Teilnehmer finden nach erfolgreicher Qualifizierung wieder eine Arbeit.
Die Arbeitsmarktexperten der Abteilung RIM betreuen die Absolventen auch beim wichtigen letzten Schritt am BFW: der Rückkehr ins Berufsleben. Die BFW-Fachleute bieten Unterstützung während der Bewerbungsphase, bei Gesprächen mit dem Arbeitgeber und bei der Ausstattung des Arbeitsplatzes. Die Botschaft ist klar: Blinde oder sehbehinderte Menschen sind mit der entsprechenden Arbeitsplatz-Ausstattung genauso leistungsfähig wie sehende Arbeitnehmer. “Die Überzeugungs- und Beratungsarbeit bei den Arbeitgebern ist der Knackpunkt”, so RIM-Leiterin Sabine Zürn.
Sind die Bedenken einmal beseitigt, steht einem langfristigen Arbeitsverhältnis nichts im Weg. “Meist haben die hochmotivierten sehbehinderten oder blinden Mitarbeiter die anfänglichen Vorurteile ihrer Chefs durch ihre überdurchschnittliche Arbeitsleistung schnell zerstreut”, sagt Zürn.
Zwei Positivbeispiele sind die Arbeitskollegen Benedikt Krißmer und Jan Schuler. Der stark sehbehinderte Benedikt Krißmer und der blinde Jan Schuler lernten sich vor einiger Zeit im BFW kennen. Das hätten sie einfacher haben können, denn sie arbeiten schon jahrelang beim gleichen Arbeitgeber: dem Ventilspezialisten Bürkert im Nordosten von Baden-Württemberg.
Heute stehen sie dort wieder jeden Tag ihren Mann: Krißmer ist einer der Verantwortlichen des hausinternen Materiallagers, Schuler erfasst und vereinheitlicht Tausende von Maschinenbauteilen und nutzt hierzu die Braillezeile; sein Diabetes (siehe Interview Seite 45) spielt dabei keine Rolle.
Für Arbeitnehmer, die wegen nachlassender Sehkraft oder anderer gesundheitlicher Einschränkungen berufliche Unterstützung suchen, bietet das BFW einmal monatlich den Schnuppertag an, bei dem Interessierte dem BFW unverbindlich über die Schulter schauen können. Alle Termine für den kostenlosen Schnuppertag sind unter www.bfw-wuerzburg.de zu finden. Für die Anmeldung genügt ein Anruf (Telefon: 09 31/90 01-1 42).
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Jan Schuler: Das liegt schon einige Jahre zurück, 1979, da war ich vier Jahre alt. Mir wurde von meinen Eltern eröffnet, dass ich an Diabetes erkrankt bin. Ich erinnere mich nur, dass es im Krankenhaus war.
Schuler: Ich kann dazu nicht wirklich etwas sagen. Aber ich weiß, dass es für meine Eltern ein ziemlicher Schock war. Zudem waren ja damals die Informationen über die Erkrankung nicht so gut verfügbar wie heutzutage. Und auch die Methoden der Behandlung, zum Beispiel die Blutzuckermessung, waren lange nicht so, wie wir sie heute kennen.
Schuler: Der Anfang im Kindalter war sehr schlimm. Das hat sich erst im Laufe der Zeit gebessert, als die Methoden der Messungen und Spritzentherapien besser wurden. Die größte Unterstützung für mich persönlich ist ein gutes Umfeld, das mich als ganz normalen Menschen behandelt hat und behandelt. Und natürlich einen guten Diabetologen, der die richtigen Tipps und Tricks kennt.
Schuler: Wenige, wie ich finde, da meine Therapie recht gut funktioniert. Hier hilft mir auf alle Fälle mein geregelter Arbeitsalltag. Das passt sehr gut zu uns Diabetikern, da man ja schön geregelte Pausen hat.
Schuler: Ich würde sagen, ich akzeptiere ihn und kann auch recht gut damit leben. Die besten Freunde sind wir an manchen Tagen nicht. Aber ich denke, ich bin nicht der einzige Mensch mit einer chronischen Krankheit, dem es so geht.
Schuler: Nichts, da es für sie ganz normal ist. Wer es nicht weiß, bekommt es von mir erklärt. Ich denke, das muss so sein, da man einen großen Teil des Lebens mit seinen Kollegen verbringt. Wenn mal etwas schiefgeht, sollten alle informiert sein. Bei mir ist es schon so weit, dass mich Kollegen erinnern, wenn ich es mal vergesse. Das ist natürlich super.
Schuler: Als Diabetiker sind mir noch nie Vorurteile entgegengebracht worden, da den meisten Mitmenschen die Spritzen nicht auffallen. Auffällig bin ich nur dadurch, dass ich einen Blindenstock benutze. Dass mein Blutzuckermessgerät jetzt spricht, kann man schlecht verstecken, ist aber auch nicht nötig! Die meisten Vorurteile gehen eher in die Richtung Blindheit, da sich viele Menschen nicht vorstellen können, dass man beispielsweise alleine leben kann oder arbeiten geht. Da, finde ich, gibt es noch sehr viele falsche Meinungen.
Schuler: Diese Frage muss ich klar mit Ja beantworten. Es ist nun mal so, dass man Diabetes nicht von außen erkennt, der Langstock ist nicht zu übersehen. Erstaunt sind nur die Leute, die mich fragen, warum ich erblindet bin. Dass der Diabetes auch zur Erblindung führen kann, ist nicht sehr bekannt.
Schuler: Keinen. Ich denke, dass die Sätze “Geh zum Arzt”, “Pass auf dich auf” oder “Schau auf deine Werte” Sätze sind, die jeder Diabetiker schon fast zu oft in seinem Leben gehört hat. Jeder, der einigermaßen mit seinem Diabetes klarkommt, weiß, dass er eine Krankheit hat, mit der es eventuell zu nicht nur schönen Augenblicken kommt.
von Marcus Meier
Pressesprecher des BFW Würzburg, E-Mail: marcus.meier@bfw-wuerzburg.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (3) Seite 40-45
5 Minuten
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