Neuigkeiten aus New Orleans

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Neuigkeiten aus New Orleans

Professor Dannes Fazit der wichtigsten Diabetestagung des Jahres: einige neue Technologien stehen vor der Marktreife und könnten schon bald das Leben von Menschen mit Typ-1-Diabetes erleichtern.

Die 76. Jahrestagung der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft (American Diabetes Association, ADA) ist die wichtigste Diabetestagung des Jahres. Sie fand dieses Jahr vom 10. bis 14. Juni in New Orleans, Louisiana, statt.

Mehr als 14.000 Wissenschaftler, Ärzte, Diabetesberaterinnen und andere Diabetes-Profis aus aller Welt strömten bei feuchtheißem Wetter in das tiefgekühlte Ernest N. Morial-Tagungszentrum, um neue Forschungsergebnisse, aber auch Behandlungsstrategien und -ergebnisse in der Diabetologie zu diskutieren.

Hybrid Closed Loop kommt

Für den Typ-1-Diabetes standen mehrere Beiträge zur künstlichen Bauchspeicheldrüse im Fokus. Richard M. Bergenstal, ein Diabetologe vom International Diabetes Center in Minneapolis, Minnesota, stellte die Zulassungsstudie für das MiniMed 670G Hybrid-Closed-Loop-System vor.

Unter einem Hybridsystem versteht man, dass noch nicht alles automatisch abläuft. So muss der Patient weiter die Eingabe der Kohlenhydrataufnahme zu Mahlzeiten vornehmen (die Insulinberechnung und Abgabe ist dann automatisch), eine Blutzuckerbestimmung zur regelmäßigen Eichung durchführen und natürlich den Wechsel von Sensor und Infusionsset vornehmen.

Automatisch vom System kontrolliert wird die Menge des Basalinsulins, welches Tag und Nacht und ohne manuelle Eingabe entsprechend der Sensorglukose auf einen fixierten Zielwert (in dieser Studie üblicherweise 120 mg/dl (6.7 mmol/l)) angepasst wird. Es gibt natürlich Grenzwerte für eine zusätzliche Insulinabgabe und eine laufende Überprüfung der System- und Sensorfunktion.

Die Studie bestand aus einer zweiwöchigen Trainingsphase und einer dreimonatigen Studienphase, bei der nach einer fünftägigen Tag- und Nacht-Überwachungsphase in einem Hotel die Studienteilnehmer schließlich ohne weitere externe Überwachung das System unter häuslichen Bedingungen testeten.

Nach Ende der Studie wurde den Patienten angeboten, weiterhin die Closed-Loop-Pumpen/Sensor-Kombination zu verwenden. Von diesem Angebot machten immerhin 99 (80 Prozent) der Studienteilnehmer Gebrauch.

HbA1c in drei Monaten um 0,6 Prozent verbessert

Die Daten von 124 Patienten (55 davon Männer) wurden von Bergenstal präsentiert, die im Mittel knapp 40 Jahre alt waren und seit rund 20 Jahren Typ-1-Diabetes hatten. Auch 30 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 21 Jahren nahmen an der Studie teil.

Während der Studie fiel der durchschnittliche HbA1c-Wert von einem Ausgangswert von 7,4 auf 6,9 Prozent ab (Jugendliche: von 7,7 auf 7,1 Prozent). Dabei verwendeten die Studienteilnehmer durchschnittlich 87 Prozent der Zeit den Hybrid-Closed-Loop-Modus der sensorunterstützen Pumpe.

Zur Auswertung kamen 12 389 Patiententage, an denen keine schwere Unterzuckerung oder Ketoazidose beobachtet wurde. Der Prozentsatz der Glukosesensor-Werte unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) nahm von einem Ausgangswert von 6 Prozent auf ungefähr 3 Prozent ab.

Prof. Bergenstal betonte, dass es für ihn sehr befriedigend war, zu sehen, wie sehr die Verwendung des System zum Seelenfrieden (“peace of mind”) von Patienten und Familien beigetragen hat. Eine Marktzulassung in den USA könnte schon 2017 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt sind auch erste Studien in Deutschland geplant.

Closed Loop oder Hypoglykämie-Abschaltung?

Dr. O‘Neal aus dem St. Vincent‘s Hospital, Melbourne, Australien, behandelte 16 Erwachsene und 12 Jugendliche mit Typ-1-Diabetes nachts entweder mit einem voll-automatisierten System oder mit einer sensorunterstützten Pumpentherapie mit Insulinabschaltung bei Erreichen eines Hypoglykämie-Schwellenwerts, wie sie auf dem deutschen Markt auch mit der VEO-Pumpe möglich ist.

Während der vier Studiennächte unter häuslichen Bedingungen traten wie erwartet Unterzuckerungen häufiger ohne Closed Loop auf (6 gegenüber 23 Episoden). Erstaunlicherweise war bei den Jugendlichen die Zeit im Glukose-Zielbereich mit dem Closed Loop geringer als bei herkömmlicher Pumpentherapie.

Da natürlich nicht alle Modelle der künstlichen Bauchspeicheldrüse die gleichen Berechnungs- und Steuerungssysteme haben und andere Gruppen schon wesentlich bessere Ergebnisse gezeigt haben, zeigt diese Studie, dass sich die Ergebnisse eines bestimmten Closed-Loop-Systems nicht unbedingt verallgemeinern lassen.

Versuche mit dem Bionic Pancreas

Der Ingenieur Dr. El-Khatib von der Boston University, USA, stellte die Ergebnisse einer häuslichen Studie bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes vor: Der Bionic Pancreas verwendet eine Pumpe mit zwei Kammern, wo neben Insulin auch Glukagon abgegeben wird. Das Glukagon soll das Risiko für Unterzuckerungen verkleinern.

Verglichen wurde der Bionic Pancreas unter Alltagsbedingungen mit einer herkömmlichen Insulinpumpentherapie. Die bihormonale Pumpe führte zu besseren durchschnittlichen Glukosewerten (140 vs. 160mg/dl bzw. 7,8 vs. 8,9mmol/l) und weniger Zeit mit Werten unter 60mg/dl bzw. 3,3mmol/l (0,6 vs. 1,9 Prozent). Da Glukagon bislang noch nicht für die Pumpentherapie zugelassen ist, wird es noch etwas dauern, bis ein solches System kommerziell erhältlich ist.

Dr. El-Kathib berichtete auch von ersten Versuchen, das entwickelte Steuerungssystem mit einem höheren Stellwert und dafür ohne Glukagon ausschließlich mit Insulin einzusetzen (wie im Hybrid Closed Loop der 670G-Pumpe). In der dreitägigen Testphase ergaben sich aber keine Unterschiede in der Häufigkeit niedriger Werte unter 60mg/dl (3,3mmol/l) zwischen normaler Pumpentherapie, Bionic Pancreas mit Insulin oder der Insulin-/Glukagon-Kombination mit einem Zielwert von 130 mg/dl (7,2 mmol/l).

Trotz dieser ernüchternden Ergebnisse erklärte Dr. El-Khatib, dass auch die Bostoner Gruppe die Entwicklung eines Nur-Insulin-Systems vorantreiben wird, da damit eine schnellere Marktzulassung zu erreichen ist als mit dem ursprünglich entwickelten Insulin-/Glukagon-System.

Engagement für rasche Kostenübernahme wichtig

Insgesamt waren sich alle einig, dass verschiedene Systeme in absehbarer Zeit auch für Nicht-Studien-Patienten erhältlich sein werden. Ermutigende Ergebnisse gab es auch auf vielen anderen Gebieten, so dass die meisten Teilnehmer eine positive Bilanz des Kongresses zogen.

Für Familien und Kinder mit Typ-1-Diabetes bestätigt der ADA-Kongress den Eindruck, dass bereits in den nächsten zwei bis drei Jahren deutliche Erleichterungen der Diabetestherapie eher durch Fortschritte in der Diabetestechnologie als durch Transplantation oder andere “zellbasierte” Heilungsansätze zu erwarten sind. Damit aber die breite Masse der Betroffenen möglichst schnell davon profitieren kann, ist – wie bei der jüngsten Entscheidung zur Kostenübernahme für CGM – ein politisches Engagement nicht nur der Fachleute, sondern auch der Eltern und Betroffenen wichtig.


von Prof. Dr. med. Thomas Danne
Kinderdiabetologe, Chefarzt Diabetologie, Endokrinologie, Gastroenterologie und Klinische Forschung,
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult” ,
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: danne@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (3) Seite 4-5

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  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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