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Die schönste Zeit im Jahr ist die Urlaubszeit. Aufgrund der Corona-Pandemie gab es in der Vergangenheit einige Einschränkungen, welche die Reiselust trübten. Umso größer ist die Sehnsucht nach einer entspannten und erholsamen Auszeit. Wer den Diabetes im Gepäck hat, sollte Vorkehrungen treffen.
Einige Empfehlungen sind äußerst speziell. Sie sind vom Diabetes-Typ, der aktuellen Therapie, dem Wunsch-Reiseland, der Art des Urlaubs und vielem mehr abhängig. Dennoch lassen sich ein paar allgemeine Hinweise geben.
Am Anfang steht das Planen der Reise. Hier ist das Motto: Nichts ist unmöglich. Es gibt kein Reiseland und kein Vorhaben, welches allein wegen des Diabetes aussichtslos scheint. Eine stabile Stoffwechsel-Situation ist allerdings die Basis. Außerdem sollte eine gut ausgestattete Reiseapotheke bei keinem Urlaub fehlen. Mit Diabetes gehört einiges mehr hinein (siehe Kasten rechts “Checkliste: Was muss alles mit?”).
Von den Verbrauchsmaterialien, die man zu Hause nutzt, sollte für die Reise alles jeweils in doppelter Ausführung ins Gepäck. Für gewisse Medikamente, Insulin, Keton- und Blutzucker-Teststreifen, aber auch Glukosesensoren können extreme Temperaturen schädlich sein. Deshalb sollten diese Dinge bei Flugreisen im Handgepäck transportiert werden sowie der Bedarf für die nächsten zwei bis drei Tage. Verschwindet ein Koffer, ist man dennoch gut ausgestattet.
Außerdem zu überlegen ist der Abschluss einer Reiseversicherung sowie der Umgang mit Zeitverschiebungen bei Fernreisen. Beide Themen werden in weiteren Artikeln dieses Schwerpunkts behandelt.
Mit Betreten des Flughafens macht sich bei einigen Urlaubsstimmung breit. Nun folgt die erste Hürde, die Sicherheitskontrolle – und erste Fragen tauchen auf: Darf ich mit dem Sensor und/oder meiner Insulinpumpe durch die Kontrollen?
Gewöhnlich schaden Metall-Detektoren Sensoren nicht und müssen zuvor nicht entfernt werden. Bei bestimmten Ganzkörper-Scannern mit Röntgen- und Millimeter-Radiowellen ist allerdings Vorsicht geboten. Falls der Sensor im Anschluss keine Glukosewerte mehr liefert, sollte die Lücke mit Blutzucker-Selbstkontrollen überbrückt werden. Insulinpumpen mit Schlauch sollten beim Gang durch die Sicherheitskontrollen mit Röntgenstrahlen oder Ganzkörperscanner kurzfristig abgekoppelt werden. Eine Ausnahme sind hier Patch-Pumpen, diese müssen zuvor nicht entfernt werden. Es ist ratsam, gleich zu Beginn der Kontrollen den Beamten eine unterschriebene “Ärztliche Bescheinigung” vorzulegen, um darauf aufmerksam zu machen (siehe Beispiel “Ärztliche Bescheinigung” auf Seite 21 in der Printausgabe). Teilweise werden auch optische Kontrollen alternativ zur Röntgen-Kontrolle angeboten.
Im Flugzeug sind Smartphone und/oder Lesegerät für die Glukosedaten in den Flugmodus zu schalten, auch wenn diese Geräte Datenempfänger für Glukosesensor und/oder Insulinpumpe darstellen. Um trotzdem Daten zu empfangen, ist eine Bluetooth-Verbindung nötig. Manche Hersteller empfehlen auch, bei Start und Landung die Insulinpumpe abzukoppeln und während des Flugs häufiger den Blutzucker zu kontrollieren. Details dazu sind in den Bedienungsanleitungen zu finden.
Am Ziel angekommen, spielen einige Faktoren eine Rolle, welche einen Einfluss auf die Glukoseverläufe nehmen können. Eine andere Temperatur, ein anderer Rhythmus, mehr oder weniger Bewegung, nationale Spezialitäten und somit schwer einschätzbare Kohlenhydrat-Mengen können eine echte Herausforderung darstellen. Aber all das sind keine unlösbaren Probleme.
Für extreme Temperaturen gibt es entsprechende Möglichkeiten zum Kühlen und Schützen. Ein nasses Handtuch oder ein nasser Waschlappen, eine ausgespülte Thermoskanne, spezielle Kühltaschen oder Kühlkappen für Insulinpens können an heißen Tagen helfen. Wer die Insulinpumpe unter der Kleidung trägt, kann den Körper je nach Außentemperatur als Kühl- oder Wärmequelle nutzen.
Auch Kälte ist nicht zu unterschätzen, zum einen bei kalten Außentemperaturen, aber auch beim Lagern im Kühlschrank, im parkenden Auto oder im Rucksack. Wird Insulin im Kühlschrank aufbewahrt, so sollte es in der Kühlschranktüre oder im Gemüsefach gelagert werden. Im Winter ist darauf zu achten, das Insulin nicht im parkenden Auto zu vergessen. Grundsätzlich sollten Medikamente, Insulin, Keton-Teststreifen, Blutzucker-Teststreifen und Glukosesensoren vor direkter Sonneneinstrahlung oder extremer Kälte geschützt werden.
Die Nacht zum Tag zu machen oder einfach nur andere Essenszeiten können den Insulinbedarf durcheinanderbringen. Verschiebt sich der Tag um ein bis zwei Stunden im Vergleich zum Ablauf außerhalb des Urlaubs, ist mit keinen größeren Änderungen zu rechnen. Bei Reisen mit größeren Zeitverschiebungen kann sich der Jetlag deutlicher zeigen. Wie schnell sich der Körper anpasst, ist allerdings äußerst verschieden. Details hierzu finden Sie im Text von Dr. Nicola Haller.
Einige verreisen, um die Welt zu erkunden. Sightseeing-Touren können, was das Aktivitäts-Level betrifft, einem Aktiv-Urlaub sehr nahe kommen. Welche Auswirkungen das auf den Glukosespiegel hat, wird auch durch den Trainingszustand beeinflusst.
Die Möglichkeiten zum Anpassen variieren je nach Therapie. Wer ausschließlich Tabletten zur Therapie des Diabetes (orale Antidiabetika) einnimmt, muss nichts weiter beachten. Bei einer Insulintherapie ist die Reduktion der Dosis eine gute Möglichkeit, die Glukosewerte in dieser Zeit aus Sicherheitsgründen höherzuhalten. Ein guter Zielbereich für den Start der Aktivität bzw. auch währenddessen liegt zwischen 150 und 180 mg/dl bzw. 8,3 und 10,0 mmol/l. Die eigenen Erfahrungen sollten immer einbezogen werden. Es ist durchaus möglich, dass ein höherer Ausgangswert nötig ist. Doch wie ist das Ganze konkret umzusetzen?
In Abhängigkeit von Therapie, Dauer und Intensität der Aktivität ist es möglich, bei geplanten Aktivitäten das Insulin für die Mahlzeit vorher zu kürzen. Das ist immer sinnvoll, wenn die Aktivität innerhalb der Wirkdauer des Insulins, das für diese Mahlzeit gegeben wurde, erfolgt. Wie stark die Reduktion sein soll, lässt sich nicht pauschalisieren. Eine Reduktion um 30 bis 50 Prozent dienen hier als Orientierung. Vor allem bei Aktivitäten, die einen kompletten Tag oder gar mehrere Tage betreffen, lohnt es, das lang wirksame Insulin (Basalinsulin) bzw. bei einer Insulinpumpen-Therapie die Basalrate zu reduzieren. Bei einem AID-System, also einem System zur automatisierten Insulin-Dosierung, gibt es andere Möglichkeiten des Anpassens, welche vom jeweiligen Algorithmus abhängen.
Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen im Anschluss: Auch nach der körperlichen Aktivität kann der Glukosewert weiter abfallen. Grund hierfür ist der Muskelauffüll-Effekt.
Der Kibbeling aus den Niederlanden, indische Samosas, belgische Waffeln oder schlicht ein guter italienischer Wein – nirgendwo schmecken Spezialitäten des Landes so gut wie im Urlaubsland selbst. Das leckere Essen gehört für viele Reisende zu einem gelungenen Urlaub.
Das Schätzen der Kohlenhydrat-Mengen bleibt eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Gegebenenfalls können hier Apps mit einer Lebensmittel-Datenbank helfen, um eine grobe Orientierung zu bekommen.
Ansonsten gilt Plan B: die Menge der Kohlenhydrate eher zu niedrig schätzen und im Anschluss erhöhte Glukosewerte bei Bedarf korrigieren. Eine weitere Empfehlung ist, mit der Insulingabe für die Mahlzeit bis nach der Mahlzeit zu warten. Falls die Erwartungen größer waren als der Geschmack, muss nur für die tatsächlich verzehrten Kohlenhydrate Insulin gegeben werden.
Wir wollen es nicht hoffen und dennoch sind Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall im Urlaub keine Seltenheit. Meist verbirgt sich etwas Harmloses dahinter. Der Körper ist das andere Essen, die neuen Gewürze oder die kalten Getränke nicht gewöhnt. Auch extreme Hitze und ein Hitzschlag können zu Übelkeit und Erbrechen führen. Wird die Mahlzeit kurz nach der Nahrungsaufnahme ausgeschieden und die Insulingabe erfolgte bereits, muss die Kohlenhydrat-Menge mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten wie gesüßtem Tee, Saft oder Cola ausgeglichen werden, um einer Unterzuckerung vorzubeugen.
Nicht zu unterschätzen sind die Symptome allerdings bei erhöhten Glukosewerten. Typische Symptome der Ketoazidose, also der Übersäuerung des Körpers durch absoluten Insulinmangel, sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchkrämpfe. Mögliche Ursachen, dass Insulin nicht mehr richtig oder gar nicht wirkt, können vor allem im Urlaub extreme Temperaturen sein, die das Insulin zerstören. Aber nicht nur unwirksames Insulin ist ein “Klassiker”, sondern es sind auch eine kaputte Penpatrone, Luft im Schlauch bei der Therapie mit Insulinpumpe oder ein abgeknickter Katheter. Bei erhöhten Glukosewerten und dieser Symptomatik sollte unverzüglich ein Keton-Test in Blut oder Urin erfolgen. Zeigt dieser erhöhte Keton-Werte an, findet das persönliche Korrektur-Schema bei Ketoazidose Anwendung. Bei Fragen diesbezüglich helfen die betreuende Diabetologin/der betreuende Diabetologe vor der Abreise weiter.
Legt man die Insulinpumpe für einen Nachmittag am Strand oder zum Baden am See für ein paar Stunden ab, gibt es mehrere Möglichkeiten, die fehlende Insulinmenge auszugleichen. Das geht durch Korrekturen mithilfe eines Insulinpens, alternativ kann auch die Insulinpumpe zur Abgabe von Insulin zur Korrektur kurzfristig angelegt werden. Achtung bei AID-Systemen: Legt man es ab, soll die Insulin-Abgabe unterbrochen werden. Und wenn manuelle Korrekturen durchgeführt werden, soll mit Start des AID-Modus kein aktives Mahlzeiten-Insulin mehr vorhanden sein.
Falls Urlaub auch Urlaub von der Pumpe bedeutet, sollte an Folgendes gedacht werden:
Beim kompletten Ablegen der Pumpe für die komplette Urlaubszeit braucht es ein lang wirksames Insulin zum Ausgleich des Leberzuckers sowie das kurz wirksame Insulin für die Mahlzeiten. Die Insulinsorten und die jeweiligen Insulindosen sollten vor Urlaubsbeginn und dem damit verbundenen Therapiewechsel mit dem betreuenden Diabetesteam besprochen werden.
Ganz gleich, welcher Diabetes-Typ, welche Therapie und welches Urlaubsland – die nächste Reise soll fabelhaft und in bester Erinnerung bleiben. In diesem Sinne ein Zitat von Hermann Löns: “Das wichtigste Stück des Reisegepäcks ist und bleibt ein fröhliches Herz.” Wenn auch das auf der Checkliste steht, ist an alles gedacht.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (5) Seite 18-21
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