- Soziales und Recht
Mehr Balance für die Nutzenbewertung
3 Minuten
Nicht das Neue, sondern nur das Bessere ist Feind des Guten. Dieses Prinzip soll seit 2011 auch in Deutschland die Preisgestaltung für Arzneimittel leiten. Doch der AMNOG-Prozess mit seiner frühen Nutzenbewertung hat Schwächen, gerade für die Diabetologie. Die jetzt verabschiedete Reform wird daran nichts ändern.
Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) wird allgemein als Erfolg gesehen. So fasste Prof. Dr. Jürgen Wasem auf der Diskussionsveranstaltung Diabetes 2030 die Meinung zur frühen Nutzenbewertung von Medikamenten zusammen. Zum zehnten Geburtstag des 2011 mit dem AMNOG eingeführten Verfahrens konnte man solch positive Analysen lesen, zusammen mit dem Hinweis auf das “lernende System” des AMNOG. Doch nach all den Jahren sehen Experten immer noch Defizite, der Gesundheitssystem-Forscher Wasem attestierte dem AMNOG daher den Bedarf nach einer Version 2.0.
Diese Überarbeitung des AMNOG wurde am 20. Oktober als Teil des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes vom Deutschen Bundestag beschlossen – genau an dem Tag, an dem auch “Diabetes 2030” in Berlin stattfand. Nach Wasems Einschätzung wurden bei dieser AMNOG-Reform einige Kritikpunkte der Krankenkassen umgesetzt, andere Punkte von Seiten der Wissenschaft und der Pharmahersteller seien dagegen nicht aufgegriffen worden. Nicht konkret mit Bezug darauf erinnerte Prof. Dr. Andrew Ullmann bei der Debatte der Reform im Bundestag an einen sicher relevanten Punkt: “Das Gesetz ist immer noch ein Finanzstabilisierungsgesetz. Es macht keine Freude, so ein Gesetz zu erarbeiten oder beschließen zu müssen”, gestand der FDP-Poltiker zu.
Direkt auf die frühe Nutzenbewertung des AMNOGs ging Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in der Debatte ein. Sein Redebeitrag verdeutlichte Sinn und Zweck der Regelung: “In Deutschland ist es möglich – das ist in Europa in keinem anderen Land möglich –, mit Arzneimitteln auf den Markt zu kommen, die keinen gesicherten oder nur einen sehr geringen Zusatznutzen bringen im Vergleich zu bereits erhältlichen Arzneimitteln, aber trotzdem deutlich mehr – zum Teil 50 Prozent oder sogar 100 Prozent – kosten.”
Das ursprüngliche AMNOG-Verfahren von 2011 setzte dem erstmals in Deutschland eine klar geregelte Nutzenbewertung von Arzneimitteln entgegen. Die wird im Allgemeinen als “früh” bezeichnet und verpflichtet den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), innerhalb von sechs Monaten nach Markteintritt eines neuen Arzneimittels zu bewerten, ob und in welchem Ausmaß ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorhanden ist. Der G-BA-Beschluss zum Zusatznutzen bildet dann den Ausgangspunkt für die sechsmonatigen Preisverhandlungen zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer. Das oft beklagte Manko des Systems bisher: Pharmaunternehmen konnten den Preis für Neuheiten in den ersten zwölf Monaten nach Markteintritt frei bestimmen. So habe man mit Medikamenten, die letztlich keinen zusätzlichen oder nur einen sehr geringen Nutzen gebracht haben, sehr hohe Gewinne machen können, kritisierte Lauterbach und wählte zur Beschreibung dafür den aktuellen Begriff der “Übergewinne”.
Bereits in der Feierstunde zum zehnten AMNOG-Geburtstag hatte der G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken seinen Standpunkte dazu verdeutlicht: “Nach nur sechs Monaten ist durch die datenbasierte Entscheidung des G-BA klar, ob ein neues Arzneimittel einen zusätzlichen Effekt für die Versorgung bringt oder nicht. Trotzdem gilt der selbstgewählte Preis des Herstellers aktuell zwölf Monate lang.Das passt nicht zusammen. Ich persönlich bin dafür, verhandelte Preise ab dem Zeitpunkt der G-BA-Entscheidung gelten zu lassen.” Die Reform sieht genau das jetzt vor, der ausgehandelte Preis soll künftig rückwirkend ab dem siebten Monat nach der Marktzulassung des Medikaments gelten.
Benachteiligung chronischer Krankheiten
Die nun optimierten Regelungen zur Preisfindung basieren immer noch auf der eigentlichen frühen Nutzenbewertung, dem Kernstück des Systems. Doch auch die von Hecken gelobte “datenbasierte Entscheidung” zum Zusatznutzen ist in den über zehn Jahren nicht frei von Kritik geblieben. Wasem verwies darauf, dass die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) “und damit sicherlich unverdächtige Zeitzeugen” in dem Prozess eine Benachteiligung chronischer Erkrankungen sehen. “Ich denke, da ist etwas dran”, bestätigte der Experte der Universität Duisburg-Essen. Chronischen Erkrankungen sei gemein, dass ihre Therapie gar nicht auf kurzfristige Endpunkte abzielen würde, sondern auf längerfristige Modifizierung von Verläufen. “Ich bin nicht der Auffassung, dass wir pauschal jeden Surrogatparameter mit Zusatznutzen ausstatten”, machte Wasem deutlich. “Aber wir brauchen eine Diskission über Balance”, forderte er eine angemessene Behandlung der Arzneimittel gegen chronische Erkrankungen.
Gerade in der Diabetologie fällt es tatsächlich schwer, das AMNOG als Erfolgsgeschichte zu sehen: 23 Arzneimittel zur Behandlung von Diabetes mit 15 Wirkstoffen haben laut Thomas Müller, Abteilungsleiter für Arzneimittel im Bundesministerium für Gesundheit, seit 2011 die Nutzenbewertung durchlaufen. Mit vier Opt-outs – also Marktrückzug, ohne dass für das Arzneimittel im AMNOG-Prozess ein Erstattungsbetrag festgesetzt wurde, – und drei sonstigen Außervertriebnahmen diagnostizierte er bei “Diabetes 2030” einenhohen Anteil an Diabetes-Arzneimitteln, die in Deutschland nicht zur Verfügung stehen. Fünf Arzneimittel hätten aktuell einen Zusatznutzen vom G-BA erhalten, das entspreche 21 Prozent – das heißt, knapp 80 Prozent haben keinen Zusatznutzen. Nur für die Psychiatrie findet sich in Müllers Übersicht ein noch höherer Anteil an AMNOG-Verfahren, die mit dem Urteil “Zusatznutzen nicht belegt” ausgingen. Insgesamt bescheinigte der G-BA über alle Indikationen bisher in 672 Verfahren der Nutzenbewertung in 43,3 Prozent der Fälle einen nicht belegten Zusatznutzen.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (1) Seite 44-45
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 3 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 2 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 3 Tagen
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig