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Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Welche Faktoren sind ausschlaggebend? Wie hängen Adipositas, Typ-2-Diabetes und das Krebs-Risiko miteinander zusammen? Und welche Rolle spielt Insulin? Hier gibt es Antworten auf diese Fragen.
Anlässlich des Weltkrebstags wurden auch dieses Jahr am 4. Februar neue Zahlen zur Häufigkeit von Krebs-Erkrankungen in Deutschland veröffentlicht. Insgesamt nimmt weltweit die Zahl der Menschen zu, die jährlich an Krebs erkranken.
Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl (Bad Kissingen) ist Internist sowie Facharzt für Diabetologie, Angiologie und Sozialmedizin und hat jahrzehntelange praktische Erfahrung in der Behandlung und Schulung von Menschen mit Diabetes in Praxis und Klinik. Er schreibt in der Rubrik Diabetes-Kurs über die Diabetes-Therapie und alles, was sonst noch mit dem Diabetes zusammenhängt.
Laut Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts (RKI) erkranken jährlich etwa 500.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Die häufigsten Krebsarten in Deutschland sind demnach Brust- und Prostatakrebs. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Menschen, die jährlich an Krebs sterben, seit 2002 von 210.000 auf etwa 231.500 im Jahr 2022 gestiegen. Die Ursache dafür sei vor allem das höhere Durchschnittsalter der Bevölkerung.
Die häufigste Einzelursache für krebsbedingte Todesfälle war Lungenkrebs. Jeder fünfte Krebstod geht auf sein Konto. Danach folgen Darm-, Bauchspeicheldrüsen-, Brust- und Prostatakrebs.
Obwohl die absolute Zahl der Krebstoten leicht zugenommen hat, ist der prozentuale Anteil der Menschen, die an Krebs erkranken, im Verhältnis zu denen, die daran gestorben sind, laut Statistischem Bundesamt etwas zurückgegangen, von 25 Prozent im Jahr 2002 auf 22 Prozent im Jahr 2022. Das bedeutet, dass mehr Menschen eine Krebs-Erkrankung auch überlebten.
Besonders stark zurückgegangen ist die Zahl der Krebs-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Zurückzuführen ist das auf bessere Prävention und bessere Behandlungsmöglichkeiten. Dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zufolge bleibt Krebs nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache.
Eine der Hauptursachen für das Entstehen von Krebs ist laut DKFZ ungesunder Lebensstil – eine Änderung könnte die Erkrankungsrate um etwa 40 Prozent reduzieren. Würden alle bekannten Risikofaktoren vermieden, alle Früherkennungs-Untersuchungen wahrgenommen und die notwendigen HPV (Humane Papillomviren)-Impfungen bei Jungen und Mädchen durchgeführt werden, sei sogar eine Reduktion der Erkrankungsrate um 55 bis 60 Prozent denkbar.
Laut DKFZ sei jede fünfte Krebs-Neuerkrankung auf das Rauchen zurückführen. Auch mangelnde Bewegung, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht, Infektionen oder übermäßige Sonnen-Einstrahlung erhöhen das Risiko für Krebs.
Laut einer Veröffentlichung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) aus dem Mai 2022 nehmen neben den Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Krebs-Erkrankungen als Folge von Übergewicht und Diabetes zu. Karzinome seien beim Typ-2-Diabetes mittlerweile sogar die Haupt-Todesursache. Der Grund sei auch hier vor allem ein ungesunder Lebensstil mit übermäßigem Konsum von Alkohol und Zigaretten, verbunden mit Übergewicht. Bewegungsmangel und Stoffwechselveränderungen gehören ebenso zu den gemeinsamen Risikofaktoren von Diabetes und Krebs. Präventions-Maßnahmen könnten auch hier helfen, die Erkrankungsrate drastisch zu senken.
Die Adipositas, das krankhafte Übergewicht, scheint eine Schlüsselrolle bei der Krebs-Entstehung zu spielen: “Je höher der Body-Mass-Index und je entgleister die Stoffwechsellage sind, desto stärker steigt das persönliche Krebsrisiko”, erklärt Prof. Dr. Hans Scherübl, Chefarzt am Vivantes Klinikum in Berlin und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft “Diabetes und Krebs” der DDG.
Johannes K. ist 62 Jahre alt und lebt mit Typ-2-Diabetes, der seit sechs Jahren mit Tabletten behandelt wird. Mithilfe seiner Frau hat er in einem Jahr 24 kg abgenommen. Er hat anders gekocht, weniger Süßes gegessen, und sich etwas mehr bewegt. Mit 140 kg wiegt er aber noch immer zu viel.
Seit einigen Wochen quält ihn vor allem nachts unerträglicher Juckreiz am Rücken, an den Armen und manchmal auch an den Beinen. An der Bettwäsche, der neuen Unterwäsche oder neuem Waschmittel kann es nicht liegen.
Mit einer Kortison-Creme und unter einem Medikament gegen Allergien wurden seine Beschwerden nicht wesentlich besser. Sein Hausarzt nahm ihm Blut für Labor-Untersuchungen ab und sprach mit ihm erstmals über eine Prostata-Vorsorge-Untersuchung, nachdem er auch über Probleme beim Wasserlassen berichtete.
Nachdem die Labor-Untersuchungen einen hohen Entzündungswert zeigten sowie einen stark erhöhten Wert für eine Prostata-Erkrankung (PSA-Wert), erfolgte eine schnelle Vorstellung bei einem Urologen. Es bestätigte sich der Verdacht auf einen Prostata-Tumor – glücklicherweise noch nicht im fortgeschrittenen Stadium. Ein Operations-Termin wurde sofort vereinbart.
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg hat das Risiko von Menschen mit Diabetes für Darm-Erkrankungen mit Daten von über 13 Millionen Menschen untersucht. Fazit: Das Darmkrebs-Risiko von Menschen mit Diabetes ist vergleichbar mit dem von Menschen, deren Familien-Mitglieder vermehrt Darmkrebs hatten.Das gelte besonders für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Sie haben ein erhöhtes Risiko, schon vor dem 50. Lebensjahr an Darmkrebs zu erkranken, und sollten unbedingt an ein frühes Darmkrebs-Screening denken.
Im Zusammenhang mit Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs bei Menschen mit Diabetes haben Forschende auch das Risiko einer Kachexie, den massiven Abbau von Fettgewebe und Skelett-Muskulatur, adressiert. Diese lässt die Überlebens-Wahrscheinlichkeit drastisch sinken und muss unbedingt verhindert werden.
Daten weisen darauf hin, dass die Krebs-Häufigkeit auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes höher ist als in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere für Magen-, Leber- und Bauchspeicheldrüsen-, Gebärmutter- und Nierenkrebs. Insulin bzw. die Höhe der Insulin-Dosis scheint die Krebs-Häufigkeit bei Menschen mit Typ-1-Diabetes zu beeinflussen. Wie eine von Dr. Yuanjie Mao durchgeführte und in der Zeitschrift JAMA Oncology erschienene Studie zeigte, steigern eine höhere Insulin-Dosis sowie Insulin-Resistenz die Krebs-Häufigkeit.
Daraus könnte man Folgendes schlussfolgern: Für Menschen mit Typ-1-Diabetes und einer hohen Insulindosis, z. B. aufgrund von gleichzeitigem Übergewicht und Bewegungsmangel, ist es sinnvoller, zunächst die Insulin-Resistenz zu beheben und gleichzeitig die verwendete tägliche Insulin-Menge zu reduzieren, anstatt diese stetig zu erhöhen. Eine verbesserte Insulin-Sensitivität könnte helfen, das Risiko für Krebs zu reduzieren bzw. zu minimieren,insbesondere wenn noch andere Risikofaktoren vorliegen. Auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes spielt Insulin-Resistenz eine Rolle sowie insbesondere Adipositas und chronische Entzündungsprozesse.
Ein höheres Risiko für Krebs ergibt sich für die meisten Menschen mit Diabetes, wenn eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Adipositas vorliegt. Übergewicht bzw. Adipositas erhöhen das Risiko für bestimmte Krebsarten wie Leberzell-Krebs um das bis zu Vierfache. Das Krebs-Risiko steigt bereits in der Phase des Metabolischen Syndroms, das dem Typ-2-Diabetes oft schon Jahre vorausgeht.
Aufgrund der Insulin-Resistenz versucht der Körper, den Quasi-Insulin-Mangel durch eine vermehrte Produktion des Hormons auszugleichen. Insulin ist ein Wachstumshormon. Es kann also das Wachstum von Körperzellen fördern. Forschungs-Ergebnisse des Helmholtz Diabetes Center in München zeigen, dass durch eine entgleiste Zellteilung auch genetisch defekte Zellen schneller wachsen und sich damit Tumoren bilden können.
Ein weiterer Grund für das erhöhte Krebs-Risiko bei Adipositas könnten chronische Entzündungsprozesse sein. Stark gefüllte bzw. stark vergrößerte Fettzellen im Bauchfett schütten dabei kontinuierlich Entzündungs-Substanzen aus. Damit locken sie auch Entzündungs-Zellen an: Makrophagen, auch Fresszellen genannt, sind dabei eine bestimmte Art von weißen Blutkörperchen. Sie sind eigentlich für die Bekämpfung von Infektionen zuständig. In chronisch entzündlicher Umgebung kann es aber sein, dass Makrophagennicht heilend wirken, sondern, im Gegenteil, dass sie Entzündungen fördern und das Krebswachstum begünstigen.
Verstärkt werden kann diese Entzündungs-Reaktion dabei durch die immer schlechter werdende Durchblutung aufgrund der immer größer werdenden Fettzellen. Die mögliche Folge: Gesunde Zellen werden zu Krebszellen oder das Krebs-Wachstum wird angeregt.
Beispiele für vom Bauchfett abgegebene Substanzen:
(Mod. nach Weisberg et al. (2003), Xu et al. (2003))
Einige der Substanzen, die vom Bauchfett abgegeben werden, wie das Angiotensin, spielen zudem eine große Rolle bei der Entstehung des Bluthochdrucksbei Adipositas. ACE-Hemmer helfen zwar oft, eine Gewichtsreduktion ist langfristig jedoch sinnvoller. Von Bauchfett werden auch Substanzen abgegeben, welche die Thrombose-Entstehung bei Übergewicht fördern.
Bestimmte Gewebs-Hormone, zum Beispiel Leptin, können ebenfalls das Krebs-Wachstum fördern. Leptin kann den Stoffwechsel von Brustkrebs-Zellen verändern und dadurch die Bösartigkeit des Krebses steigern, ebenso auch die Rate der Metastasierung. Auch Östrogene, die von Fettzellen vermehrt produziert werden, haben einen ähnlich negativen Effekt bei Frauen mit Östrogen-sensitiven Tumoren.
Merke: Das Krebs-Risiko ist für Menschen mit Diabetes erhöht. Bei Typ-2-Diabetes steht der Risikofaktor Adipositas im Vordergrund. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes scheint die Höhe der Insulin-Dosis eine Rolle zu spielen.
Die Zahl der Krebs-Erkrankungen in Deutschland nimmt zu. Sowohl bei Menschen mit Typ-2-Diabetes als auch mit Typ-1-Diabetes nimmt diese ebenfalls zu, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Eine gezielte Gewichtsreduktion zur Verbesserung der Insulin-Sensitivität sollte angestrebt und unnötig hohe Insulin-Dosen sollten vermieden werden.
Eine Behandlung des Übergewichts sollte auch schon im Stadium des Metabolischen Syndroms ernsthaft und zielgerichtet erfolgen. Präventions-Maßnahmen könnten die Rate an Neu-Erkrankungen für Menschen mit Diabetes und somit auch die Sterberate drastisch senken, insbesondere, da es immer bessere, effektivere und zielgerichtetere Therapien gibt.
Vorsorge-Untersuchungen sollten gerade von Menschen mit Risiko-Faktoren frühzeitig wahrgenommen werden (z. B. Darmkrebs-Früherkennung per Stuhltest). Es gibt auch neue Bluttests, die speziell bei familiärer Vorbelastung eine frühzeitige Diagnose möglich machen.Informieren Sie sich, zum Beispiel bei der Stiftung “LebensBlicke” zur Darmkrebs-Früherkennung: www.lebensblicke.de.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (4) Seite 26-30
5 Minuten
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